Leitsatz:
Die Wiederherstellung der Gasversorgung für die Gasetagenheizung kann im Wege der einstweiligen Verfügung verlangt werden; der Mieter braucht sich nicht auf das Angebot eines umlagenfreien Anschlusses an die Gaszentralheizung einzulassen.
AG Mitte, Urteil vom 26.7.01 – 16 C 1007/01 –
Mitgeteilt von RA Henrik Solf
Urteilstext
Aus dem Tatbestand:
Die Antragsteller begehren im Wege der einstweiligen Verfügung die Wiederherstellung der Gasversorgung zu ihrer Wohnung M.-Str., Berlin. Die Antragsteller sind Mieter der Antragsgegner auf der Grundlage eines schriftlichen Mietvertrages vom 13.10.1981 mit der Rechtsvorgängerin der Antragsgegner. Im Jahre 1991 hatten die Antragsteller auf Grund einer schriftlichen Mietermodernisierungsvereinbarung eine Gasetagenheizung mit Warmwasserzubereitung in ihrer Wohnung eingebaut und die Küche mit einem Gasherd ausgestattet. Die Vereinbarung vom 6.6.1991 war ebenfalls mit der Rechtsvorgängerin der Antragsteller getroffen worden. Wegen der Einzelheiten des Mietvertrages und der Modernisierungsvereinbarung vom 6.6.1991 wird auf die entsprechenden Anlagen zur Antragschrift Bezug genommen.
Am 19.6.2001 sperrte die GASAG die Gasversorgung im Hause wegen Undichtigkeiten. Schriftliche Aufforderungen der Antragsteller an die Hausverwaltung der Antragsgegner vom 21. und 24.6.2001, die Gasversorgung wieder herzustellen, hatten keinen Erfolg. Die Antragsgegner haben zwischenzeitlich eine neue Gaszentralheizungsanlage einbauen lassen, die mit Genehmigung der GASAG in Betrieb ist. Die Wohnung der Antragsteller ist nicht angeschlossen.
Die Antragsteller meinen, die Unterbrechung der Gasversorgung sei als Besitzstörung im Sinne des § 862 BGB zu bewerten. Sie seien auf die Gasversorgung zum Kochen und zur Warmwasserbereitung sowie zur Beheizung dringend angewiesen.
Die Antragsteller beantragen, wie erkannt.
Die Antragsgegner beantragen, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
Sie meinen, ein Instandsetzungsanspruch bestehe nicht, da den Antragstellern der umlagenfreie Anschluss an die Gaszentralheizungsanlage erfolglos angeboten worden sei. Entsprechendes gelte für ein Angebot, vorübergehend Kochplatten zur Verfügung zu stellen. Sie berufen sich ferner auf ein Schreiben vom 29.6.2001, in dem die Antragsteller aufgefordert worden waren, den Austausch des Gasherdes gegen einen Elektroherd nebst Elektrozuleitungen und die Demontage der Gasanlage zu dulden.
Auf der Grundlage des Schreibens vom 29.6. 2001 haben die Antragsgegner unter dem Aktenzeichen 16 C 281/01 Klage auf Duldung der Instandsetzung, hilfsweise der Modernisierung eingereicht, über die bislang nicht entschieden ist. Insoweit beantragen die Antragsgegner die Verbindung beider Verfahren.
Aus den Entscheidungsgründen:
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung hat vollen Erfolg.
Dem Prozessantrag der Antragsgegner, das vorliegende Verfahren mit dem Hauptsacheverfahren umgekehrten Rubrums 16 C 281/01 zu verbinden (§ 145 ZPO), war nicht zu entsprechen. Dem widerspricht schon der Eilcharakter des vorliegenden Verfügungsverfahrens.
Die Antragsteller haben glaubhaft gemacht, dass ihnen ein Verfügungsanspruch zusteht und der Erlass der einstweiligen Verfügung nötig erscheint, um ihnen drohende wesentliche Nachteile abzuwenden (§§ 935, 940 ZPO).
Die Antragsgegner haben trotz zweier schriftlicher Aufforderungen nichts unternommen, um die technischen Voraussetzungen zu schaffen, damit die gesperrte Gasversorgung wieder zu Gunsten der Antragsteller in Betrieb genommen werden kann. Zutreffend weisen die Antragsteller darauf hin, dass in dem entsprechenden Unterlassen der Antragsgegner eine Besitzstörungshandlung im Sinne des §862 Abs. 1 S. 1 BGB liegt. Die – bislang – ungestörte Gasversorgung gehörte zum Wohnungsbesitz der Antragsteller im Sinne des §854 BGB i.V.m. §§ 535, 536 BGB.
Grundlage hierfür ist die Modernisierungsvereinbarung vom 6.6.1991, an welche die Antragsgegner gebunden sind (§ 571).
Demgegenüber sind die Einwendungen der Antragsgegner unerheblich. Soweit die Antragsgegner sich darauf berufen, die Antragsteller hätten den Anschluss an die neu geschaffene Gas-Zentralheizung und die Installation eines Elektroherds gemäß § 541 a BGB bzw. § 541 b BGB zu dulden, verkennen sie, dass es sich insoweit um materiell-rechtliche Einwendungen handelt, die im Besitzschutzrecht grundsätzlich nicht zulässig sind (§ 863 BGB; Palandt/Bassenge, BGB-Komm., 60. Auflage § 863 Rn. 1). Eine Besitzstörung entfällt auch nicht deshalb, weil die Antragsteller auf das Angebot eines umlagenfreien Anschlusses an die Gas-Zentralheizung nicht eingegangen sind. Denn eine rechtsmissbräuchliche Ausübung ihres Besitzes im Sinne der §§ 858 Abs. 1, 242, 226 BGB ist darin nicht zu erblicken. Ein billigenswerter Grund für die Ablehnung des Angebotes kann schon darin liegen, wie der Verfahrensbevollmächtigte der Antragsteller im Termin ausgeführt hat, dass die Antragsteller bei einer Gas-Etagenheizung nicht für das Heizverhalten ihrer Mitmieter bezahlen müssen und durch entsprechende Selbstbeschränkung beim Energieverbrauch die Betriebskosten für die Gas-Etagenheizung geringer ausfallen als im Falle des Anschlusses an eine Gas-Zentralheizung. Ob dieses Vorbringen zutrifft, kann dahinstehen, denn jedenfalls wäre es Aufgabe der Antragsteller gewesen, die Voraussetzungen für rechtsmissbräuchliches Verhalten der Antragsteller darzulegen und glaubhaft zu machen. Daran fehlt es hier. Unerheblich ist schließlich das Argument der Antragsgegner, die Instandsetzungskosten für die Gasleitungen stünden mit über 29000 DM in keinem Verhältnis zum Anschluss der Wohnung der Antragsteller an die Gas-Zentralheizung mit 7145 DM. Damit sind die Voraussetzungen für die Erreichung der so genannten Opfergrenze, die es nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) gebietet, dem Vermieter wirtschaftlich unverhältnismäßige Aufwendungen zu ersparen, nicht dargetan. Im Übrigen handelt es sich auch insoweit um eine materiell-rechtliche Einwendung, die auf Grund des possessorischen Charakters des Besitzschutzes aus den §§ 861 ff. BGB unberücksichtigt bleiben muss (§§ 863, 864 Abs. 2 BGB).
Auch die erforderliche Dringlichkeit für den Erlass einer einstweiligen Verfügung ist gegeben. Die Antragsteller haben durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht, auf die Gasversorgung jedenfalls zum Kochen und zur Warmwasserzubereitung – insbesondere zum Waschen – angewiesen zu sein. Ob angesichts der jetzigen Sommerzeit (heizfreie Periode) auch die Beheizung sichergestellt sein muss, kann deshalb offen bleiben. Die angebotene Elektro-Kochplatte ist keine ausreichende Alternative, welche die Antragsteller nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) akzeptieren mussten.
Dessen ungeachtet braucht bei Besitzstörungshandlungen ein Verfügungsgrund, d.h. die besondere Dringlichkeit, nicht behauptet zu werden (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO-Komm., 20. Auflage § 940 Rn. 8 Stichwort „Herausgabe“, „Besitzschutz“).
Der Erlass der einstweiligen Verfügung verstößt auch nicht gegen das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache. So genannte Leistungsverfügungen, d.h. solche, die den Anspruch nicht nur vorläufig, sondern endgültig sicherstellen, kommen in Betracht, wenn der Antragsteller auf die sofortige Erfüllung so dringend angewiesen ist, dass er ein ordentliches Verfahren nicht abwarten kann, ohne unverhältnismäßig großen oder gar irreparablen Schaden zu erleiden. Im Bereich der Grundversorgung eines Mieters mit Strom, Wasser und Gas ist anerkannt, dass eine Leistungsverfügung ausnahmsweise zulässig ist (vgl. Zöller/Vollkommer, a.a.0. § 940 Rn. 6). …
Anmerkung der Redaktion:
Die in der Entscheidung zitierten Paragraphen entsprechen der bis zum 31.8.2001 geltenden Rechtslage.
16.03.2013