Von Rechtsanwalt Friedrich-Wilhelm Lohmann
Die Ausführungen im Urteil des LG Potsdam vom 13. Februar 2003 vermögen nicht zu überzeugen, soweit danach aus dem bloßen Geschehenlassen des Mieteinzugs einer geringeren als der eigentlich zu zahlenden Miete geschlussfolgert wird, damit sei ein Verzicht auf Minderungsrechte zum Ausdruck gebracht worden.
Zunächst ist klarstellend darauf hinzuweisen, dass der Vorwurf, die Mieter hätten die Mängel nicht angezeigt, den Sachverhalt verkürzt beziehungsweise unrichtig wiedergibt. Wie deutlich in § 536 c Absatz 2 Nr. 2 BGB , anknüpfend an die bisher maßgebende Rechtsprechung, zum Ausdruck kommt, führt die Nichtanzeige eines Mangels zum Ausschluss der Minderung, wenn der Vermieter infolge der unterlassenen Anzeige keine Abhilfe schaffen kann. Nach der Sache, die das Landgericht Potsdam zu beurteilen hatte, ging es jedoch um Beeinträchtigungen, die der Vermieter auch bei einer Anzeige mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht hätte verhindern können, nämlich mit behördlicher Genehmigung auf dem Nachbargrundstück ausgeführte Bauarbeiten zum Abriss mehrerer alter Kasernen und damit verbundener massiver Lärm- und Staubentwicklung. Auch waren die Mängel dem Vermieter und seinen Beauftragten ohne weiteres bekannt und ersichtlich. In diesem Fall kann eine unterlassene Anzeige der entsprechenden Mängel schon nach der gesetzgeberischen Wertung in § 536 c Absatz 2 Nr. 2 BGB und nach bislang maßgebender Rechtsprechung und Literatur nicht zum Ausschluss der Gewährleistungsrechte des Mieters führen.1
Damit vermag dieser Aspekt das Urteil des Landgerichts Potsdam nicht zu tragen, wovon das Gericht offensichtlich auch selbst ausgegangen ist, da es sich sonst im Grunde alle weiteren Ausführungen zur Verwirkung des Minderungsrechts auf Grund der widerspruchslosen Hinnahme des Mieteinzugs hätte sparen können.
Das Gericht hat weiter richtig erkannt, dass eine Analogie aus § 539 BGB [a.F.] nicht zu tragen vermag, wenn der Mieter sich lediglich den Einzug einer (aus Sicht des Vermieters) zu geringen Miete gefallen lässt und führt richtig aus, dass der Mieter dadurch zum Ausdruck brachte, dass von ihm damit die vom Vermieter eingezogene Miete als Äquivalent für die Gebrauchsüberlassung akzeptiert wurde. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass auf Grund der seit 1. September 2002 geltenden speziellen Regelung unter § 536 c BGB, die nach der früher herrschenden Rechtsprechung aus § 539 BGB [a.F.] gezogene Analogie des Verlusts der Gewährleistungsrechte bei vorbehaltloser Mietzahlung während der Mietzeit jetzt nicht mehr aus § 536 b BGB wird gezogen werden können.2 Für die vorliegende Sache war diese Frage jedoch nicht weiter relevant, da es sich um einen Sachverhalt aus der Zeit vor dem 1. September 2002 handelte. Sowohl nach altem als auch nach neuem Recht war jedoch weiter die Frage einer Verwirkung des Minderungsrechts zu prüfen.
Das Gericht hätte dieser Prüfung aber zunächst voranstellen müssen, dass das Minderungsrecht kraft Gesetzes eintritt und demgemäß keiner Anzeige oder ausdrücklichen Geltendmachung bedarf.3
Gerade unter diesem Aspekt bedarf es für die Annahme einer Verwirkung nicht nur im vorliegenden Fall, sondern grundsätzlich eines Umstandsmoments, aus dem sich klar und eindeutig ergibt, dass der Mieter auf die Geltendmachung seines Minderungsrechts verzichten will, bevor der Vermieter davon ausgehen und darauf vertrauen kann, dass der Mieter ein Minderungsrecht nicht beansprucht.
Das Landgericht Potsdam betrachtet offenbar als Umstandsmoment, dass die Mieter davon ausgingen, dass die eingezogene zu geringe Miete die richtige Miete sei und sie sich gegenüber dieser, nach ihrer Meinung maßgebenden Miete nicht auf ihre Minderungsberechtigung berufen haben. Es wird den Mietern weiter vorgeworfen, zu keinem Zeitpunkt zum Ausdruck gebracht zu haben, sich wegen der Mangelhaftigkeit der Mietsache Gewährleistungsrechte offen halten zu wollen. Daraus zieht das Landgericht die Schlussfolgerung, dass die Mieter im vorliegenden Fall auf die Minderung verzichtet hätten.
Diese Betrachtungsweise ist aber schon ausgehend davon, dass die Minderung kraft Gesetzes gilt und es für ihre Geltung keines aktiven Tuns des Mieters bedarf, äußerst zweifelhaft. Es liegt nämlich letztlich kein greifbares und bewertbares Verhalten vor, das eindeutig den Schluss zulässt, dass der Mieter wegen der nicht eingezogenen Mietzinsteile auf sein Minderungsrecht verzichten will und wird, wenn er davon erfährt, dass eine höhere Miete maßgebend sein soll und die Differenzbeträge dazu nachzuzahlen sind. Es ist sogar nicht einmal in der bloßen Duldung des Mieteinzugs über einen Zeitraum von zwei Jahren ein Umstandsmoment für eine Verwirkung zu sehen. Denn das bloße Geschehenlassen eines Bankeinzugs kann auf Grund der damit verbundenen bloßen Passivität des Zahlungsverpflichteten nicht den gleichen Vertrauenstatbestand schaffen, als wenn in Kenntnis vorhandener Mängel die Zahlungen vom Mieter selbst veranlasst werden.4
Demgemäß kann erst recht kein Umstandsmoment vorliegen und schon gar nicht ein Vertrauenstatbestand für den Vermieter, dass der Mieter sich gegenüber einer höheren Miete und dazu entstandenen Differenzbeträgen auf das ihm kraft Gesetzes zustehende Minderungsrecht nicht berufen will. Es ist im Gegenteil davon auszugehen, dass der damit konfrontierte Mieter sich mit Sicherheit spätestens bei Geltendmachung der Differenzbeträge zum höheren Mietzins auf das ihm kraft Gesetzes zustehende Minderungsrecht berufen wird. Das Landgericht hat selbst diesen Aspekt in seinem Urteil angesprochen, ohne diesen jedoch in seine weiteren Erwägungen einbezogen zu haben. Wenn nämlich, wie das Landgericht ausgeführt hat, dem Mieter (trotz der Mängel) die eingezogene Miete die Sache wert war, so folgt daraus gerade nicht ein Rückschluss, dass dem Mieter damit auch eine höhere als von ihm angenommene Miete noch die Sache wert ist. Gerade dieser Gesichtspunkt und der letztlich auch dem Mieter zuzugestehende Vertrauensschutz führen im Falle einer Mieterhöhung nach überwiegender Rechtsprechung dazu, dass bislang verwirkte Minderungsrechte hinsichtlich des erhöhten Mietzinses wieder aufleben.5
Die Situation im vorliegenden Fall kommt aber der Situation bei Eintritt einer Mieterhöhung unter Berücksichtigung des dem Mieter zu gewährenden Vertrauensschutzes angesichts jahrelang zu gering eingezogener Miete gleich. Ebenso wie bei einer Mieterhöhung sieht sich auch hier der Mieter subjektiv mit der Forderung nach einer höheren Miete konfrontiert, wobei es nicht auf ihn oder sein Verschulden zurückzuführen ist, wenn der Vermieter über Jahre hin eine zu geringe Miete einzieht. Bei einem solchen Verlauf kann der Vermieter aus keinem Umstand Vertrauen darauf entwickeln, dass der Mieter sich nicht auf das ihm kraft Gesetzes zustehende Minderungsrecht besinnen und die möglicherweise (wenn überhaupt) zu erkennende bisherige Zufriedenheit des Mieters mit der vom Vermieter eingezogenen, zu geringen Miete auch für eine höhere Miete Geltung hat.
Die Beurteilung durch das Landgericht Potsdam erscheint nicht haltbar und sollte auch keine Schule machen, da es auf einer nicht ausgewogenen Betrachtung und Bewertung des erforderlichen Umstandsmomentes beruht.
Anmerkungen
1 OLG Hamburg WM 91, 321; OLG Düsseldorf ZMR 91,24; LG Berlin GE 96, 322; Kinne, Mängel in Mieträumen, 3. Auflage 2002, Rz 126 m.w.N.
2 So auch Kinne, Mängel in Mieträumen Rz 127 m.w.N; a.A. LG Frankfurt/Main GE 2003, 259
3 Ganz herrschende Meinung, vgl. u.a. BGH WM 91, 544; BGH WM 87, 53; BGH WM 95, 28; Amtsgericht Schwerin WM 94, 530; Schmidt-Futterer, Mietrecht, 3. Auflage RZ 237 zu § 537 BGB m. w. N.; Kinne, a.a.O, RZ 116 m.w.N.)
4 So auch LG Essen WM 97, 552
5 Siehe dazu die Rechtsprechungsübersicht bei Kinne, a.a.O., Rz 129
Urteilstext: LG Potsdam, Urteil vom 13.2.03 – 11 S 177/02 –
15.03.2013