Leitsätze:
1. Der Mieter hat auch dann einen Anspruch auf Beseitigung der vom Vermieter installierten Videokamera im Hauseingangsbereich, wenn es sich bei dem Gerät lediglich um eine Attrappe handelt. Denn maßgeblich ist der beim Mieter und seinem persönlichen Umfeld erweckte subjektive Eindruck, dass das angebrachte Gerät funktionsfähig sein könnte und damit Aufzeichnungen gemacht werden könnten.
2. Der Beseitigungsanspruch richtet sich auch gegen den zwischenzeitlich eingesetzten Zwangsverwalter. Zwar hat er die Beeinträchtigung nicht durch Installation und damit durch eine Handlung herbeigeführt. Jedoch ist der beeinträchtigende und fortdauernde Störungszustand mittelbar auf seinen Willen zurückzuführen, denn er ist nach § 152 ZVG rechtlich und tatsächlich in der Lage, den rechtswidrigen Zustand zu beseitigen.
AG Charlottenburg, Urteil vom 20.5.03 – 228 C 378/02 –
Mitgeteilt von RA Christian Emmerich
Urteilstext
Aus dem Tatbestand:
Die Klägerin fordert nach Umstellung ihrer Klage von der Beklagten Beseitigung von Videokameras am Mietshaus und Unterlassung künftiger Installationen.
Die Klägerin ist Mieterin der in der A.-Allee belegenen Wohnung. Eigentümer des Grundstücks und Vermieter der Wohnung ist der …, geschäftsansässig bei …-GmbH. Mit der Hausverwaltung beauftragte der Vermieter die …-GmbH.
Der Vermieter installierte im August 2002 Videokameras am und im Haus. Eine Kamera befindet sich an der Hauswand links oberhalb des Hauseingangs. Eine zweite Kamera befindet sich innerhalb des Treppenhauses hinter dem Hauseingang. Auf die Lichtbilder wird Bezug genommen. Der Klägerin ist es nicht möglich, das Haus unter Umgehung der Kameras zu betreten. Die Videokameras sind so ausgerichtet, dass der öffentliche Raum nicht erfasst werden kann.
Die Klägerin hat dem Vermieter mit Schreiben unter dem 28.8.02 eine Frist zur Beseitigung der Kameras gesetzt. Mit weiterem Schreiben unter dem 10.9.02 verlangte sie erneut Beseitigung. Hierauf erklärte der Vermieter, handelnd durch die …-GmbH, dass die Videokameras dem Sicherheitsempfinden der Mietergemeinschaft dienten, nachdem eine Mieterin vor dem Haus überfallen und verletzt worden sei; die Videokamera im Hausflur sei eine Attrappe.
Durch Beschluss des Amtsgerichts Charlottenburg vom 21.2.03 (Az.: 70 L 4-03) wurde die Beklagte zur Zwangsverwalterin des Grundstücks bestellt. Hierüber informierte sie die Mieter des Anwesens mit Schreiben unter dem 25.2.02.
Die Beklagte wurde außergerichtlich nicht aufgefordert, die streitgegenständlichen Videokameras zu entfernen. Sie erklärte im Verfahren, dass sie nicht die Absicht habe, weitere Kameras an das streitgegenständliche Haus anzubringen. Im Übrigen lehnte sie die Entfernung der Kameras ab.
Die Klägerin behauptet, die Videokameras seien nicht lediglich Attrappen, sondern funktionstüchtig.
Die Klägerin hat ihre Klage zunächst gegen den Vermieter gerichtet. Nachdem die Klageschrift dem Vermieter am 26.2.03 zugestellt worden war, änderte die Klägerin ihre Anträge mit Schriftsatz vom 28.2.03 und nimmt nunmehr die Beklagte in Anspruch. Der Schriftsatz ist der Beklagten zusammen mit der Klageschrift vom 17.10.02 am 24.3. 03 zugestellt worden. Die Beklagte hat der Umstellung der Klage nicht widersprochen und zur Sache verhandelt.
Die Klägerin beantragt zuletzt, die Beklagte zu verurteilen,
1. die auf dem Grundstück befindlichen Videokameras vor dem Haus links vor der Hauseingangstür und im Treppenhaus am linken Wandvorsprung oben zu entfernen,
2. es bei Vermeidung eines Ordnungsgeldes bis zu 250000 Euro – ersatzweise Ordnungshaft – zu unterlassen, vor dem Haus oder im Treppenhaus oder an anderer Stelle im Haus Videokameras zu installieren, die geeignet sind, die Bewegungen der Mieter im Hause zu überwachen und dauerhaft festzuhalten.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte bestreitet unter Bezugnahme auf eine Rechnung vom 10.4.02 samt Katalogauszug, dass es sich vorliegend um echte Videokameras handele.
Sie ist der Ansicht, dass die Klägerin die Entfernung nicht verlangen könne, da eine Abwägung zwischen der Belastung der Klägerin durch die Kameranachbildungen und der Kosten der Entfernung der Kameranachbildungen für die Beklagte als Zwangsverwalterin zu Lasten der Klägerin gehe. …
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Klage ist in ihrer letzten Fassung zulässig und teilweise begründet.
1. Die Klage gegen die neue Beklagte ist zulässig. Denn die Klage ist mit Schriftsatz vom 28.2.03 ordnungsgemäß erhoben und der Beklagten am 24.3.03 zugestellt worden. Insbesondere ist der Parteiwechsel auf Beklagtenseite zulässig, denn die Klageänderung ist objektiv sachdienlich, § 263 ZPO. Die Beklagte ist auch an Stelle des Vermieters prozessführungsbefugt, denn sie ist infolge ihrer Stellung als Zwangsverwalterin über das streitgegenständliche Grundstück nach § 152 ZVG Partei kraft Amtes (vgl. Stöber, Zwangsversteigerungsgesetz, 17. Aufl. 2002, § 152 Tz. 2.2 lit. a., e., Tz. 11.1). Diese Stellung umfasst auch die Prozessführung wegen Mietangelegenheiten (ebd. Tz. 9.10).
2. Die Klage ist hinsichtlich des Beseitigungsanspruchs gemäß § 1004 BGB analog, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG, §152 ZVG begründet, hinsichtlich des Unterlassungsanspruchs unbegründet.
a) Die Beklagte ist bezüglich des geltend gemachten Beseitigungsanspruchs passivlegitimiert. Sie ist als Partei kraft Amtes die materiellrechtlich Verpflichtete, denn der Beseitigungsanspruch unterliegt dem Aufgabenumfang gemäß § 152 ZVG aus der Verwaltung und Nutzung des beschlagnahmten Grundstücks (vgl. Muth, in: Dassler, Schiffhauer, Gerhardt, Muth, Gesetz über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung, 12. Aufl. 1991, § 152 Rdnr. 37). Zu den Aufgaben des Zwangsverwalters gehört auch die Verpflichtung gegenüber dem Betroffenen, für die Zukunft einen fortdauernden, vom verwalteten Grundstück ausgehenden Störungszustand zu beseitigen, der rechtswidrig in dessen geschützte Rechte eingreift und der von diesem nicht geduldet werden muss. Denn der Verwalter ist gemäß § 152 ZVG verpflichtet, alle Handlungen vorzunehmen, die erforderlich sind, um das Grundstück ordnungsgemäß zu benutzen. Diese Pflicht reicht über eine bloß an Gesichtspunkten der Wirtschaftlichkeit ausgerichtete Nutzungspflicht hinaus; nur die letztgenannte Nutzungspflicht besteht lediglich gegenüber den gemäß § 9 ZVG am Verfahren der Zwangsverwaltung Beteiligten. Im Übrigen trifft den Verwalter die Pflicht auch gegenüber Dritten, das Grundstück nach Maßgabe gesetzlicher Vorschriften zu benutzen (Stöber, ZVG, 17. Aufl. 2002, § 154 Tz. 2.5). Denn der Umstand, dass der Zwangsverwalter für eine beschlagnahmte Vermögensmasse ein vom Gesetz übertragenes privates Amt als Organ der Rechtspflege ausübt, führt nicht dazu, dass sein Handeln oder Unterlassen hinsichtlich der seiner Verwaltung obliegenden Vermögensmasse nicht auch der Rechtsordnung unterstünde. Seine Verpflichtung reicht soweit, dass er etwa Mietobjekte immer in vertragsgemäßem Zustand erhalten (Stöber, ZVG, 17. Aufl. 2002, § 152 Tz. 3.9) und fortdauernde rechtswidrige Störungen – aus Vertrag und/oder aus Gesetz – beseitigen muss.
b) Der Klägerin steht gegenüber der Beklagten der geltend gemachte Anspruch auf Beseitigung der von dem Vermieter installierten Videokameranachbildungen aus vertraglicher Nebenpflicht und gemäß § 1004 BGB analog, § 823 Abs. 1 BGB zu, denn die Klägerin verletzt durch das Unterlassen der Beseitigung funktionsfähig aussehender Videokameras im Hauseingangsbereich das aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. 1 Abs. 1 GG hergeleitete Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägerin.
i. Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht im Sinne von Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG stellt ein von § 823 Abs. 1 BGB geschütztes absolutes Recht dar (BGH Z 13, 334). Es begründet ein einheitliches subjektives Recht, das die engere Persönlichkeitssphäre in allen ihren Ausstrahlungen, insbesondere mit Blick auf ihre Achtung und Entfaltung, schützt (BVerfG E 54, 153). Dieses umfasst sowohl das Recht, in Ruhe gelassen zu werden (BGH Z 106, 229), als auch das Recht auf aktive Entschließungs- und Handlungsfreiheit (BGH Z 26, 349). Schutzgegenstand sind die Individual-, die Privat- und die Intimsphäre (Thomas, in: Palandt, 62. Aufl. 2003, § 823 Rdnr. 178). Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht gilt im Rahmen einer mittelbaren Drittwirkung über die verfassungskonforme Auslegung von §823 Abs. 1 BGB auch im Verhältnis zwischen Privatpersonen (BVerfG E 7, 198; BGH Z 27, 284).
ii. Der Schutzbereich des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist durch die installierten Videokameragehäuse, die denen einer funktionsfähigen Kamera gleichen, hinsichtlich der Privatsphäre betroffen. Die Privatsphäre umfasst das Privatleben im häuslichen Bereich, im Familienkreis und je nach Umständen auch außerhalb des häuslichen Bereichs in allen seinen Abschichtungen (BGH NJW 1996, 1128). Die technische Bildherstellung in der Privatsphäre berührt die Entfaltungsweise der Klägerin unter dem Aspekt der Selbstdarstellung (vgl. BVerfG E 35, 202, 220) und das Recht, in Ruhe gelassen zu werden. Dieser Fall ist nicht mit der Konstellation vergleichbar, durch Dritte lediglich punktuell beobachtet zu werden.
Zwar ist für das Verfahren davon auszugehen, dass es sich bei diesen um nicht funktionsfähige Nachbildungen von Bildherstellungs- und Aufzeichnungsgeräten handelt, die täuschend echt aussehen und gegenüber rechtswidrig handelnden Dritten abschreckend wirken sollen. Die Klägerin ist als Anspruchstellerin hinsichtlich der anspruchsbegründenden Voraussetzungen des Eingriffs und dessen Intensität darlegungsbelastet. Hierzu gehört auch die Frage nach der Funktionsfähigkeit der Videokameras. Auf das substantiierte Bestreiten der Beklagten hinsichtlich der Funktionsfähigkeit hat die Klägerin nicht weiter substantiiert und unter Beweisantritt vorgetragen.
Ein Eingriff auf Grund der installierten Nachbildungen funktionsfähiger Videokameras in die durch das Allgemeine Persönlichkeitsrecht geschützte Privatsphäre der Klägerin liegt dennoch vor. Hierfür genügt das bei der Klägerin und ihrem persönlichen Umfeld erzeugte Empfinden, praktisch stets, wenn sie vom Haus kommen und dahin gehen, in einer jede Bewegung geradezu dokumentierenden Weise kontrolliert zu werden.
Mit den installierten Videokameras soll der Eindruck einer gezielten Überwachung eines bestimmten Teils des Grundstücks und des Hausflurs erweckt werden. Dabei sind die Objektive der Kameras so ausgerichtet, dass die Personen das Haus nicht unter Umgehung des überwachten Raums betreten können. Zwar muss die Klägerin wegen der Funktionsunfähigkeit der Kameras objektiv nicht befürchten, dass Aufzeichnungen von ihrem Kommen und Gehen gefertigt werden. Maßgeblich ist allerdings der bei der Klägerin und ihrem persönlichen Umfeld erweckte subjektive Eindruck, dass das angebrachte Gerät funktionsfähig sein könnte und damit Aufzeichnungen gemacht werden könnten (vgl. BGH NJW 1995, 1955, 1957; LG Darmstadt NZM 2000, 360). Denn im vorliegenden Fall ist nicht lediglich die Individualsphäre, sondern die Privatsphäre betroffen. In diese wird schon dann eingegriffen, wenn durch funktionsfähig aussehende Kameras und der damit objektiv verbundenen Androhung einer dauernden Videoüberwachung bei der betroffenen Person und ihrem persönlichen Umfeld eine innere, psychisch wirkende Zwangslage geschaffen wird, der sie sich nicht entziehen können. Dies aber ist vorliegend der Fall, weil die installierten Kameras nach dem eigenen Vortrag der Beklagten solchen funktionsfähigen gleichen; insbesondere sind bei der im Außenbereich angebrachten Kamera rotblinkende LED vorhanden, welche die Aktivität der Kamera signalisieren sollen; bei der im Hausflur angebrachten Kamera ist ein Bewegungsmelder integriert, der eine Bewegung der Kamera nach links und rechts auslösen kann. Im Übrigen ist nicht ausgeschlossen, dass dem privaten Besuch der Klägerin, der zur geschützten Privatsphäre zu rechnen ist, jeweils nicht oder zumindest nicht vorher bekannt ist, dass es sich bei den blinkenden und rotierenden Kameras nur um Attrappen handelt.
iii. Der Eingriff ist rechtswidrig. Für die Klägerin besteht keine Duldungspflicht, insbesondere hat sie der Installation nicht zugestimmt. Im Übrigen stehen dem dargestellten Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin keine diesen aufwiegenden Gründe entgegen, die sich aus rechtlich geschützten Belangen der Beklagten ergeben könnten. Ob hierzu das Recht am Eigentum aus Art. 14 GG als gleichgewichtig geschütztes Rechtsgut in besonderen Fällen in Betracht kommt, kann dahinstehen. Denn unbeschadet der Frage nach der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit von Schutzmaßnahmen für das Grundstückseigentum gegenüber unbeteiligten Dritten hat die Beklagte schon nicht vorgetragen, dass die Attrappen dem Eigentumsschutz aus berechtigtem Anlass dienen sollen.
Fremde Rechte oder Rechtsgüter kann die Beklagte hingegen nicht geltend machen. Gegenüber dem grundrechtlich geschützten Allgemeinen Persönlichkeitsrecht ist es nicht genügend, wenn sich die Beklagte als Zwangsverwalterin lediglich auf ihre Vermögensinteressen aus der Verwaltung des beschlagnahmten Grundstücks beruft, welche bei der Beseitigung der Eingriffswirkung durch Entfernung der Videokameras beeinträchtigt werden. Denn diese sind grundrechtlich nicht geschützt. Im Übrigen reicht die Pflicht der Beklagten als Verwalterin nicht weiter wie die eines sorgfältigen und ordentlich wirtschaftenden Eigentümers (vgl. Stöber, ZVG, 17. Aufl. 2002, § 152 Tz. 3.2). Von diesem kann jedoch immer verlangt werden, einen rechtsverletzenden und rechtswidrigen Störungszustand zu beseitigen. Daher liegt auch bei kostenpflichtiger Beseitigung der Attrappen kein Pflichtverstoß gegenüber den am Verfahren der Zwangsverwaltung Beteiligten vor.
iv. Die Beklagte als Verwalterin ist mittelbar Störerin. Zwar hat sie die Beeinträchtigung nicht durch Installation und damit durch eine Handlung herbeigeführt. Allerdings ist der beeinträchtigende und fortdauernde Störungszustand mittelbar auf ihren Willen zurückzuführen, denn sie ist nach § 152 ZVG rechtlich und tatsächlich in der Lage, den rechtswidrigen Zustand zu beseitigen.
c) Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch auf Unterlassung nicht zu, denn die für den materiellen Anspruch erforderliche Erstbegehungs- oder Wiederholungsgefahr besteht nicht. Weder sind konkrete Anhaltspunkte für die ernstlich drohende Gefahr einer weiteren Rechtsverletzung vorhanden, noch ist künftig dieselbe oder im Kern gleichartige Verletzungsgefahr ernsthaft und greifbar zu besorgen. Denn die Beklagte ist nicht Handlungsstörerin und berühmt sich auch nicht des Rechts, Überwachungskameras, gleich ob funktionsfähig oder nicht, anbringen zu dürfen. Vielmehr hat sie einen dahingehenden Willen gar nicht. Sie beschränkt ihr Verteidigungsvorbringen alleine darauf, dass eine Abwägung der Interessen zwischen Vermögensmasse und Klägerin zu deren Lasten ginge. …
11.03.2013