Leitsatz:
Die Kündigung einer 81-jährigen Mieterin stellt immer eine Härte gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB dar.
AG Schöneberg, Urteil vom 23.3.04 – 15 C 602/03 –
Mitgeteilt von RA Alexander Ziemann
Urteilstext
Aus dem Tatbestand:
Die 81-jährige Beklagte zu 1. ist Mieterin der 4-Zimmer-Wohnung im Hause W…-Straße in Berlin. Der zwischen den Parteien bestehende Mietvertrag ist von Voreigentümern bzw. Vormietern am 20.2.1952 abgeschlossen worden. Auf ihn wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen. Bei den Beklagten zu 2. und 3. handelt es sich um Verwandte der Beklagten zu 1. Der Kläger kündigte das Mietverhältnis mit Schreiben vom 24.2.2003 zum 29.2.2004 wegen Eigenbedarfs. Wegen der Einzelheiten wird auf das vorbezeichnete Kündigungsschreiben verwiesen.
Der Kläger ist der Auffassung, das Mietverhältnis sei auf Grund der ausgesprochenen Kündigung beendet, die Beklagten müssten die Wohnung herausgeben. …
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Klage ist unbegründet.
Der Kläger kann nicht die Räumung und Herausgabe der streitbefangenen Wohnung gemäß § 546 Abs. 1 BGB von der Beklagten zu 1. bzw. gemäß § 546 Abs. 2 BGB von den Beklagten zu 2. und 3. verlangen.
Die ausgesprochene Eigenbedarfskündigung ist allerdings wirksam. Insbesondere greifen die von der Beklagten vorgetragenen rechtlichen Bedenken wegen der noch nicht abgelaufen gewesenen Sperrfrist nicht durch. Hierzu kann auf die überzeugenden Ausführungen in der Entscheidung LG Berlin, ZK 62, GE 04, 235 verwiesen werden, denen das erkennende Gericht vollumfänglich beitritt, auf deren Wiederholung hier aber im allseitig vorausgesetzten Einverständnis verzichtet wird, da sie allseits bekannt sind.
Die Beklagte zu 1. kann jedoch die Fortsetzung des zwischen den Parteien bestehenden Mietverhältnisses verlangen. Denn sie kann sich auf Härtegründe gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB berufen. Es ist ausgeschlossen, dass eine nahezu 82-jährige Mieterin zwangsweise und gegen ihren Willen aus einer Wohnung gedrängt werden kann, ohne dass sie von einer solchen Aktion psychische und körperliche Beeinträchtigungen davonträgt. Eine solche Zwangsumsiedlung in diesem Alter stellt immer eine besondere Härte dar (LG Bremen WM 03, 333; LG Bonn NJW-RR 90, 973; LG Essen WM 00, 357; AG Lübeck WM 03, 214). Eine Beweisaufnahme über den Gesundheitszustand der Beklagten zu 1. bedarf es insoweit nicht, weil dies bereits der allgemeinen Lebenserfahrung entspricht. Den Verwandten des Klägers, die in der Wohnung untergebracht werden sollen, ist viel eher zuzumuten, sich anderwärts eine Wohnung zu suchen. Sie sind jung und anpassungsfähig. Ein alter Mensch ist das nicht mehr. Die hier geplante Verdrängung einer alten Mieterin durch Angehörige der jungen Generation ist Ausdruck einer sozialen Kälte, deren Durchsetzung die staatliche Jurisdiktion nicht die Hand leihen darf.
Der Fortsetzungsausspruch beruht auf § 308 a ZPO.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 93 Abs. 2 ZPO. Die Kosten sind in Ausübung des in dieser Vorschrift eingeräumten Ermessens dem Kläger aufzuerlegen, denn diesem sind das fortgeschrittene Alter der Beklagten zu 1. und die damit verbundenen Beeinträchtigungen der Mobilität der Beklagten zu 1. bereits bei Ausspruch der Kündigung bekannt gewesen, so dass die ausgesprochene Kündigung bereits als mutwillig angesehen werden muss. …
29.03.2022