Leitsatz:
Ein Balkon kann auch dann wegen der Belästigung durch Straßenlärm als „nicht nutzbar“ im Sinne des Mietspiegels bewertet werden, wenn zusätzlich das den Wohnwert mindernde Merkmal der „Lage der Wohnung an einer Straße mit hoher Lärmbelastung“ vorliegt.
LG Berlin, Hinweis des Gerichts vom 29.8.05 – 67 S 247/05 –
Mitgeteilt von RA Sebastian Leonhard
Urteilstext
Aus den Gründen
… Die Klägerin kann mit der Berufungsbegründung nicht geltend machen, dass der Balkon wegen der Belästigung durch Straßenlärm nicht als nicht nutzbar bewertet werden dürfe, weil das den Wohnwert mindernde Merkmal der Lage der Wohnung an einer Straße mit hoher Lärmbelastung ohnehin gelte. Die Kammer schließt sich den zutreffenden Ausführungen des Amtsgerichts an. Die Orientierungshilfe enthält keinen Hinweis darauf, unter welchen Voraussetzungen vom Fehlen eines nutzbaren Balkons auszugehen ist. Das Fehlen eines nutzbaren Balkons wird nach der Rechtsprechung angenommen, wenn überhaupt kein Balkon vorhanden ist (KG GE 2004, 1392). Allerdings ist diese Auffassung umstritten. Ein besonders kleiner Balkon, zum Beispiel mit einer Fläche von 1,6 Quadratmetern, kann ebenfalls als nicht nutzbar angesehen werden (vgl. AG Wedding WM 1989, 27-28). Die wesentliche Beeinträchtigung der Nutzbarkeit eines vorhandenen Balkons liegt in der Einwirkung von Lärm, Schmutz und Abgasen, die einen längeren Aufenthalt auf dem Balkon als nicht angenehm erscheinen lassen. Ein Balkon hat im Wesentlichen die Funktion, dem Bewohner einer Wohnung den Aufenthalt im Freien zu ermöglichen, ohne die Wohnung verlassen zu müssen. Für viele Stadtbewohner ist der Balkon ein Ausgleich für einen fehlenden Garten, in dem er sich in der frischen Luft entspannen und erholen und unter der Sonne bräunen lassen kann. Die Ausstattung vieler Balkone mit Bäumen und Sonnenschirmen zeigt, dass diese von den Bewohnern als Oase der Freizeitgestaltung empfunden und nicht selten als Urlaubsrefugium geschätzt werden. Von einer solchen Oase der Freizeitgestaltung kann nicht mehr gesprochen werden, wenn der Bewohner von dem tosenden Lärm der auf einer viel befahrenen Straße hin- und herflutenden Kraftfahrzeuge umspült ist und sich Belästigungen durch Abgase ausgeliefert fühlt. Auf einem solchen Balkon ist ein längerer Aufenthalt nicht angezeigt. Es handelt sich hierbei nicht um die subjektive Empfindlichkeit eines einzelnen Mieters, der sich durch Straßenlärm auf dem Balkon gestört fühlt. Denn der Straßenlärm führt ohne Rücksicht auf die Befindlichkeit des einzelnen Mieters zu einer negativen Beurteilung des Umfeldes der betreffenden Wohnung. Nicht jeder Balkon, der zu einer Wohnung gehört, die an einer Straße mit hoher Belastung durch Verkehrslärm liegt, muss diese Eigenschaft haben. Es gibt durchaus Wohnungen, die über Balkone verfügen, die auf der von der Straße abgewandten Seite der Wohnung liegen und zu einem ruhigen Innenhof weisen. Für solche Balkone kann in der Regel nicht von einer Belastung durch Straßenlärm und infolge dessen nicht von einem Ausschluss der Nutzbarkeit ausgegangen werden. Aus diesen Überlegungen folgt, dass von einer doppelten Berücksichtigung ein- und desselben Merkmals nicht gesprochen werden kann. Entgegen der Auffassung der Klägerin in der Berufungsbegründung kann daher der Betrag, der von dem Mittelwert des maßgeblichen Feldes des Mietspiegels abzuziehen ist, nicht auf 40 Prozent der unteren Spanne begrenzt werden. …
21.12.2016