Leitsatz:
Eine für beide Vertragsteile geltende Formularklausel, die gegenüber dem Vertragspartner des Verwenders zu einer unangemessenen Benachteiligung im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB führt, bleibt gegenüber dem Verwender wirksam (so genannte personale Teilunwirksamkeit). Dem Vermieter erwächst deshalb auch dann kein Recht zur ordentlichen Kündigung des Mietvertrages, wenn die beiderseitig langfristige Vertragsbindung zu Lasten des Mieters unwirksam ist.
LG Berlin, Urteil vom 13.9.05 – 63 S 146/05 –
Mitgeteilt von RA Daniel Friedrichs
Urteilstext
Aus den Gründen:
Die Klägerin verlangt Räumung der von den Beklagten innegehaltenen Wohnung. Sie ist Eigentümerin des Zweifamilienhauses. Die Beklagten haben mit Mietvertrag vom 27. November 2002 unter Verwendung eines Vordrucks (Zweckform Einheitsmietvertrag 2873) vom dem zwischenzeitlich am 9. August 2003 verstorbenen Herrn W., dem ein Nießbrauchsrecht eingeräumt war, in diesem Haus die im 1. OG gelegene Wohnung angemietet. Die Klägerin hat nach dem Tod des Herrn W. mehrfach Kündigungen des Mietverhältnisses erklärt, zuletzt mit Schreiben vom 22. September 2004 und im Schriftsatz vom 12. November 2004. Sie beruft sich darauf, dass ein Verkauf des Hauses auf Grund des bestehenden Mietverhältnisses nicht möglich sei, in mietfreiem Zustand hingegen ein Verkaufspreis von bis zu 550.000 Euro erzielt werden könne. Der von den Vertragsparteien für die Dauer von 25 Jahren vereinbarte Kündigungsverzicht sei in Anbetracht der Höhe der vereinbarten Miete sittenwidrig.
Die Beklagten haben geltend gemacht, dass die Kündigungen der Klägerin auf Grund des von den Vertragsparteien in § 2 des Mietvertrags vereinbarten beiderseitigen Verzichts auf eine ordentlich Kündigung für einen Zeitraum von 25 Jahren unwirksam seien. Sie sind im Übrigen den von der Klägerin wirtschaftlichen Gründen entgegengetreten.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Eine Kündigung sei auf Grund des in § 2 des Mietvertrags vereinbarten beiderseitigen Kündigungsverzichts für 25 Jahre ausgeschlossen. Im Übrigen habe die Klägerin nicht hinreichend dargetan, an einer angemessenen Verwertung des Grundstücks gehindert zu sein. Weder seien erforderliche Umbaukosten noch Bemühungen zur Vermietung der leer stehenden Wohnung im Erdgeschoss dargelegt worden.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihr erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt und nunmehr behauptet, den Vordruck, auf dem der Mietvertrag geschlossen worden sei, hätten die Beklagten gestellt. …
Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet.
Sie ist als Eigentümerin nach dem Tod des früheren Vermieters, Herrn W., dem ein Nießbrauch eingeräumt war, gemäß §§ 1056, 566 BGB in dessen Rechte und Pflichten aus dem streitgegenständlichen Mietverhältnis eingetreten. Sie kann von den Beklagten nicht gemäß 546 Abs. 1 BGB Räumung und Herausgabe der von diesen innegehaltenen Wohnung verlangen. Das zwischen den Parteien bestehende Mietverhältnis ist nicht beendet.
Die von der Klägerin erklärten ordentlichen Kündigungen sind nicht wirksam. Es kann hierbei dahinstehen, ob die Klägerin ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses im Sinne von § 573 BGB hat und dieses in den Kündigungserklärungen und im Rechtsstreit hinreichend dargetan ist. Denn eine ordentliche Kündigung ist für die Klägerin auf Grund der Regelung in § 2 des Mietvertrags für die Dauer von 25 Jahren seit Vertragsbeginn ausgeschlossen.
Die Vereinbarung ist nicht gemäß § 138 Abs. 2 BGB unwirksam. Das Amtsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass im vorliegenden Fall Anhaltspunkte für ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung nicht erkennbar seien. Der pauschale Vortrag der Klägerin, in der Wohnung der Beklagten seien zum Zeitpunkt ihres Einzugs Renovierungsarbeiten vorgenommen worden, ändert hieran nichts.
Abgesehen davon, dass insoweit keinerlei Angaben zu Art und Umfang mitgeteilt werden, ist auch nicht ersichtlich, dass diese zu Lasten des damaligen Vermieters erfolgt sind.
Ein individual-vertraglich vereinbarter Ausschluss des gesetzlichen Kündigungsrechts ist auch nach dem ab 1. September 2001 geltenden Mietrechtsreformgesetz wirksam. Diese Vereinbarung stellt keine zum Nachteil des Mieters von den gesetzlichen Kündigungsfristen abweichende Regelung im Sinne von §§ 573 c Abs. 1 und 4 BGB dar. Durch einen Kündigungsverzicht werden nämlich die einzuhaltenden Kündigungsfristen nicht verändert. Die Vereinbarung eines befristeten Kündigungsausschlusses ist auch nicht einem unzulässigen Zeitmietvertrag im Sinne des § 575 Abs. 1, Abs. 4 BGB gleichzusetzen. Die eingeschränkte Zulässigkeit von Zeitmietverträgen soll den Mieter vor dem Verlust der Wohnung durch automatische Beendigung des Mietverhältnisses allein durch Zeitablauf schützen, ohne dass der Mieter Kündigungsschutz genießt, nicht aber vor einer längeren Bindung an den Vertrag durch die Vereinbarung eines befristeten Kündigungsausschlusses (BGH GE 2004, 348).
Im Ergebnis ohne Erfolg beruft sich die Klägerin darauf, dass es sich hier um eine Vereinbarung durch allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne von §§ 305 ff. BGB handelt und sie durch diese Regelung gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen benachteiligt wird.
Zwar kann ein beiderseitiger zeitlich begrenzter Kündigungsverzicht grundsätzlich auch in einem Formularmietvertrag wirksam vereinbart werden (st. Rspr., zuletzt BGH WM 2004, 672). Eine unangemessene Benachteiligung im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ist aber anzunehmen, wenn die formularmäßig vereinbarte Dauer des Kündigungsausschlusses mehr als vier Jahre beträgt, wobei der Annahme einer vorformulierten Klausel nicht entgegen steht, dass die Dauer durch eine handschriftliche Ergänzung von zwei Leerstellen des im Übrigen vorgedruckten Textes festgelegt worden ist (BGH GE 2005, 606).
Auch wenn man zugunsten der Klägerin unterstellt, dass es sich entsprechend des optischen Eindrucks auf Grund einer Vielzahl von vorgedruckten allgemeinen Regelungen, die durch auszufüllende Lücken zu ergänzen waren, im vorliegenden Fall um allgemeine Geschäftsbedingungen handelt und der Kündigungsausschluss nicht, wie von den Beklagten behauptet, ausgehandelt worden ist, kann sie sich auf eine Benachteiligung durch den langfristigen Kündigungsverzicht nicht berufen. Denn eine für beide Vertragsteile geltende AGB-Klausel, die gegenüber dem Vertragspartner des Verwenders zu einer unangemessenen Benachteiligung im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB führt, bleibt gegenüber dem Verwender im Sinne einer so genannten personalen Teilunwirksamkeit wirksam (OLG Düsseldorf NJW-RR 2000, 279).
Als Verwender ist der frühere Vermieter, Herr W., anzusehen, in dessen Rechte und Pflichten die Klägerin eingetreten ist. Die Klägerin hat nicht bewiesen, dass die allgemeinen Geschäftsbedingungen von den Beklagten gestellt worden und diese damit als deren Verwender anzusehen sind. Ihr obliegt insoweit die Beweislast, weil sie sich zu ihren Gunsten auf die Unwirksamkeit der Vereinbarung beruft, indem sie als Vertragspartner des Verwenders unter den Schutz der Regelungen in §§ 305 ff. BGB zu stellen sei (Palandt-Heinrichs, BGB, 64. Aufl., § 305 BGB, Rn 24). Sie kann sich hierzu nicht auf einen Anscheinsbeweis berufen. Denn das hier verwendete Vertragsformular lässt keine Rückschlüsse auf den Verwender zu. Es handelt sich um ein handelsübliches Formular eines Vordruckverlags (Zweckform Einheitsmietvertrag 2873). Die Angabe, der frühere Vermieter, Herr W., sei auf Grund seiner gesundheitlichen Verfassung nicht in der Lage gewesen, das Vertragsformular zu besorgen, entbehrt zum einen einer näheren Konkretisierung und schließt zum anderen nicht eine Beschaffung durch Dritte in seinem Auftrag aus. Die Voraussetzungen für eine von der Klägerin angeregte Vernehmung als Partei gemäß § 448 ZPO lagen nicht vor. Es fehlt unter Berücksichtigung des bisherigen Verhandlungsergebnisses an einem so genannten Anfangsbeweis für die Behauptung der Klägerin (Zöller-Greger, ZPO, 25. Aufl., § 448 ZPO, Rn 4). Die Frage, wer das streitgegenständliche vorgefertigte Formular als Vorgabe zum Gegenstand des vorliegenden Vertrags gemacht hat, ist in jeder Hinsicht offen. Es spricht nicht mehr für als gegen die Behauptung der Klägerin, dass das Formular von den Beklagten vorgegeben worden sei.
Als Verwenderin der vorformulierten Bestimmungen bleibt sie vielmehr auch dann an den sich aus § 2 des Mietvertrags ergebenden Ausschluss der ordentlichen Kündigung gebunden, wenn den Beklagten aus der Unwirksamkeit der zeitlichen Befristung ein ordentliches Kündigungsrecht nach den gesetzlichen Vorschriften erwachsen sein sollte. Die Regelungen in §§ 305 ff. BGB sollen einen Ausgleich für die einseitige Inanspruchnahme der Vertragsfreiheit durch den Klauselverwender schaffen. Sie dienen daher nicht dem Schutz des Klauselverwenders vor den von ihm selbst in den Vertrag eingeführten allgemeinen Geschäftsbedingungen, sondern allein dem Schutz des Vertragspartners. Auch durch die Formulierung in § 307 Abs. 1 BGB hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass allein die Benachteiligung des Vertragspartners des Verwenders zur Unwirksamkeit der Vertragsbestimmungen führen kann. Dieser kann sich deshalb auf die Unwirksamkeit der von ihm gestellten allgemeinen Vertragsbedingungen nicht berufen; er muss sich vielmehr an der von ihm selbst beabsichtigten Vertragsabwicklung mit den sich daraus ergebenden Folgen festhalten lassen (OLG Düsseldorf a.a.0.).
Dies gilt selbst dann, wenn die Klausel (auch) den Vertragspartner des Verwenders entgegen § 307 Abs. 1 BGB unangemessen benachteiligt und deshalb nach § 306 Abs. 2 BGB das dispositive Gesetzesrecht an ihre Stelle tritt. Auch eine nach ihrem Wortlaut für beide Vertragsteile gleichermaßen geltende Regelung, die gegenüber dem Vertragspartner des Verwenders zu einer unangemessenen Benachteiligung führt, bleibt deshalb gegenüber dem Verwender von der Inhaltskontrolle unberührt und ihm gegenüber wirksam. Zwar kann das Gleichgewicht in den Rechtspositionen der beiden Vertragsseiten durch unterschiedliche Kündigungsmöglichkeiten durchaus beeinträchtigt sein. Dies kann aber nur insoweit zur Unwirksamkeit entsprechender Vertragsklauseln führen, als das Ungleichgewicht zu Lasten des Vertragspartners wirkt. Dem Verwender dagegen mutet § 306 Abs. 1 BGB auch in einem solchen Fall bis zu der in Absatz 3 geregelten Grenze die Fortsetzung des Vertrages zu (OLG Düsseldorf a.a.O.). Eine etwaige Beeinträchtigung des Vertragsgleichgewichts ist deshalb lediglich für die Frage erheblich, ob für ihn das Festhalten am Vertrag eine unzumutbare Härte im Sinne jener Bestimmung darstellen würde. Hierzu genügt aber die bei Unwirksamkeit allgemeiner Geschäftsbedingungen geradezu typische Verschlechterung der Rechtsstellung des Verwenders nicht (Palandt-Heinrichs, 64. Aufl., § 306 BGB, Rn 8 m.w.N.); erforderlich ist vielmehr eine derart einschneidende Störung des vertraglichen Äquivalenzverhältnisses, dass ein Festhalten am Vertrag für den Verwender unzumutbar erscheint (BGH NJW-RR 1996, 1009 m.w.N.).
Eine derartige schwerwiegende Äquivalenzstörung ist hier nicht ersichtlich. Diese ergibt sich insbesondere nicht aus dem Umstand, dass die Klägerin längerfristig an den Vertrag gebunden ist, während sich die Beklagten jederzeit unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist hiervon lösen können. Das Recht zur Kündigung aus wichtigem Grunde bleibt auch der Klägerin unbenommen. Auf Grund welcher gravierender Nachteile dagegen der Wegfall des Kündigungsausschlusses für sie unabdingbare Voraussetzung einer Wiederherstellung des Vertragsgleichgewichts sein soll, hat sie nicht hinreichend dargelegt. Eine unzumutbare Verschiebung des Äquivalenzverhältnisses ergibt sich auch nicht aus den von der Klägerin behaupteten Einschränkungen bei der Verwertung durch Verkauf des Grundstücks. Es erscheint zumindest zweifelhaft, ob das Vorbringen der Klägerin geeignet ist, ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses aus wirtschaftlichen Gründen (§ 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB) zu begründen, das nicht schon dann vorliegt, wenn der Vermieter auf Grund des bestehenden Mietverhältnisses nicht den größtmöglichen Vorteil zu ziehen vermag (BVerfG GE 1991, 1247). An die Annahme einer unzumutbaren Härte im Sinne von § 306 Abs. 3 BGB sind indes erheblich strengere Anforderungen zu stellen. Es ist vor allem nicht ersichtlich, dass die Klägerin auf Dauer nur unterhalb der tatsächlichen Kosten liegende Einnahmen erzielen kann. Zum einen besteht die Möglichkeit, unter den gesetzlichen Voraussetzungen ggf. eine Mieterhöhung gegenüber den Beklagten durchzusetzen. Zum anderen hat die Klägerin nicht nachvollziehbar dargetan, dass die untere Wohnung schlechterdings nicht vermietbar ist. Es mag sein, dass diese derzeit auf Grund vorangegangener Nutzungen abgewohnt ist. Dies steht einer Vermietbarkeit – ggf. mit entsprechenden Preisabschlägen – aber nicht grundsätzlich entgegen. Allein aus dem nicht anhand näherer Umstände konkretisierten Vortrag, dass mehrere von dem Unterbevollmächtigten der Klägerin angesprochene Studenten die Anmietung der Wohnung auf Grund ihres Zustands auch zu einem sehr geringen Mietzins abgelehnt hätten, ergibt sich dies nicht. Dass vor einer Vermietung unabdingbare Instandsetzungsarbeiten einen Kostenaufwand erfordern, der eine Vermietung wirtschaftlich sinnlos erscheinen lässt, hat die Klägerin ebenfalls nicht hinreichend unter konkreter Darlegung der zwingend notwendigen Maßnahmen nach Art und Umfang und der hierdurch entstehenden Kosten aufgezeigt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Gemäß § 543 Abs. 2 ZPO war die Revision zuzulassen. Denn die Frage der so genannten personalen Teilunwirksamkeit einer Klausel in allgemeinen Geschäftsbedingungen stellt sich nicht nur in einzelnen Fällen und ist, soweit ersichtlich, bislang durch den Bundesgerichtshof noch nicht entschieden.
05.01.2018