Leitsatz:
Zur Vermutungswirkung des qualifizierten Berliner Mietspiegels 2011 im Hinblick auf die zutreffende ortsübliche Vergleichsmiete bei hoher beziehungsweise sehr hoher Geschosslage (Leipziger Straße, 22. OG).
LG Berlin vom 11.5.2012 – 63 S 487/11 –
Mitgeteilt von RA Falko Kalisch
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Der Vermieter wollte sich nicht mit dem im Berliner Mietspiegel für die betreffende Wohnung aufgeführten maßgeblichen Mietwert zufrieden geben und machte deshalb im Zustimmungsprozess die Unanwendbarkeit des Mietspiegels für die Wohnung geltend. Denn die im 22. Obergeschoss eines Hauses in der Leipziger Straße gelegene Wohnung unterfalle wegen ihrer Besonderheit nicht dem Berliner Mietspiegel.
Dieser Argumentation wollte das Landgericht jedoch nicht folgen. Die Vermutungsgrundlage des qualifizierten Berliner Mietspiegels 2011 werde nicht erschüttert. Denn es seien keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass Wohnungen in hohen oder sehr hohen Geschosslagen vom Berliner Mietspiegel 2011 nicht erfasst würden, zumal – abgesehen von Wohnungen im Souterrain und solchen im Dachgeschoss ohne Aufzug, für die die Lage jeweils als negatives Sondermerkmal zu berücksichtigen ist – die Geschosslage ersichtlich kein statistisch relevantes mietbildendes Merkmal darstelle, wie sich auch dem hierzu im Übrigen schweigenden Bericht über die Grundlagendaten für den empirischen Mietspiegel 2011 entnehmen lasse.
Allerdings könne der Vermieter behaupten, der Mietspiegel sei zwar teilweise qualifiziert, aber entweder gerade in dem Mietspiegelfeld, zu dem die Vertragswohnung gehöre, nicht, oder aber die Wohnung weise solche Besonderheiten auf, die vom Mietspiegel nicht erfasst würden, weshalb der Mietspiegel generell auf die Wohnung gar nicht anwendbar sei. Auch ein solcher Einwand greife vorliegend jedoch nicht durch. Aus dem aus Ziffer 3 des Berliner Mietspiegels 2011 ersichtlichen Geltungsbereich und der aus Ziffer 6 folgenden Beschaffenheitsbeschreibung ergebe sich einerseits im Umkehrschluss, dass speziell für die im ehemaligen Ostteil Berlins liegenden Wohnungen die dortige Spalte 10 gelte und dass das dortige Feld K über eine genügende Zahl von Mietwerten verfüge, um der Qualifizierung zu unterfallen.
Warum etwa dennoch die streitgegenständliche Wohnung individuelle Merkmale aufweisen soll, die dazu führen könnten, die ortsübliche Vergleichsmiete ließe sich nicht dem vorbezeichneten Feld K 10 entnehmen, ergebe sich jedenfalls nicht aus der bloßen – zu unterstellenden – Tatsache, dass weitere Wohnungen im selben Haus zu höheren Mieten vermietet seien. Der Umstand allein, dass für gleichartige Wohnungen auch höhere Mieten erzielt werden können, belege nicht die jeweils ortsübliche Vergleichsmiete. Denn diese entspreche den tatsächlich und üblicherweise gezahlten Mieten für vergleichbare Wohnungen und sei eine marktorientierte Miete, keine Marktmiete.
Urteilstext
Tatbestand:
Der Kläger begehrt von den Beklagten die Zustimmung zu einem Mieterhöhungsverlangen vom 18.01.2011, wonach sich – unter Bezugnahme auf drei Vergleichswohnungen im gleichen Haus -die Miete für die von den Beklagten inne gehaltene Wohnung Leipziger Str. …, … Berlin, 22. OG, von zuvor 460,67 Euro monatlich nettokalt um insgesamt 92,13 Euro mit Wirkung ab dem 01.04.2011 auf 552,80 Euro monatlich nettokalt erhöhen soll.
Das Amtsgericht hat mit dem angefochtenen Urteil unter Heranziehung des Berliner Mietspiegels 2011 die Beklagten zur Zustimmung zu einer Mieterhöhung auf 483,96 Euro mit Wirkung ab dem 01.04.2011 verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen.
Zur Begründung hat es ausgeführt, der Zuschlag von 8,39 Euro für Küchenmöbel sei als Teil der Nettomiete anzusehen, da ausweislich der Spanneneinordnung die davon erfasste Ausstattung mietpreisbildendes Merkmal sei. Die Anwendbarkeit des qualifizierten Mietspiegels auf die streitgegenständliche Wohnung zur Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete i.S.v. §§ 558 ff. BGB ergebe sich aus der Vermutungswirkung desselben (§ 558 d Abs. 3 BGB), die vorliegend nicht erschüttert sei; denn weder der Umstand, dass für drei Wohnungen im selben Objekt die jeweiligen Mietspiegelwerte der vereinbarten Mieten überschritten würden, noch die Tatsache, dass sich die Wohnung im 22. OG befindet, vermöchten die Aussagekraft des auf einer Datenfülle beruhenden Mietspiegels derart zu vermindern, dass zwingend ein Sachverständigengutachten einzuholen sei. Der ortsübliche Vergleichsmietzins ergebe sich demgemäß unter Berücksichtigung der entsprechenden Orientierungshilfe bei Einordnung in das Feld K 10, einem Mittelwert von 4,58 Euro/qm und einer Spanne von 4,32 Euro/qm bis 5,00 Euro/qm; er liege hier zuzüglich des Sondermerkmals „modernes Bad“ bei 4,86 Euro/qm.
Gegen dieses – ihm am 16.09.2011 zugestellte – Urteil hat der Kläger mit am 13.10.2011 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am 10.11.2011 eingegangenem Schriftsatz begründet.
Er ist der Auffassung, der Berliner Mietspiegel 2011 werde der tatsächlichen Lage der Wohnung, die ein wesentliches wohnwerterhöhendes Merkmal darstelle, nicht gerecht und sei daher nicht anwendbar; vielmehr sei zur Ermittlung der ortsüblichen Miete ein Sachverständigengutachten einzuholen. Sämtliche Wohnungen im Hause seien zu die Mietspiegelwerte übersteigenden Mieten vermietet.
Er beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Mitte vom 14.09.20122, Az.: 21 C 162/11 die Beklagten zu verurteilen, der Erhöhung der Nettokaltmiete für die von ihnen inne gehaltene Wohnung im Objekt Leipziger Straße …, …. Berlin, 22. OG … von nunmehr 483,96 Euro (einschließlich Küchenmöbelzuschlag), um weitere 77,23 Euro auf 561,19 (einschließlich Küchenmöbelzuschlag) mit Wirkung ab dem 01.04.2011 zuzustimmen.
Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.
Sie sind der Ansicht, der Berliner Mietspiegel 2011 sei auf die streitgegenständliche Wohnung anwendbar und im konkreten Fall auch anzuwenden.
Im Übrigen wird anstelle des Tatbestands auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 ZPO).
Entscheidungsgründe:
Die gemäß §§ 511 ff. ZPO zulässige Berufung ist unbegründet und war daher zurückzuweisen. Dem Kläger steht gegenüber den Beklagten ein weitergehender Anspruch auf Zustimmung zum Mieterhöhungsverlangen vom 18.01.2011 nicht zu.
Denn der ortsübliche Vergleichsmietzins für die streitgegenständliche Wohnung ergibt sich vorliegend unter Heranziehung des Berliner Mietspiegels 2011. Die ortsübliche Miete wird nach § 558 Abs. 2 Satz 1 BGB gebildet aus den üblichen Entgelten, die in der Gemeinde für Wohnraum vergleichbarer Art, Größe und Ausstattung, Beschaffenheit und Lage in den letzten vier Jahren vereinbart oder, von Veränderungen nach § 560 BGB abgesehen, geändert worden sind. Hierbei ist ferner zu berücksichtigen, dass es sich bei der ortsüblichen Vergleichsmiete regelmäßig nicht um einen punktgenauen Wert handelt, sondern dass sich die ortsübliche Vergleichsmiete innerhalb einer gewissen Spanne bewegt (BGH, Urt. v. 20. 04. 2005 – VIII ZR 110/04, GE 2005, 663; BGH, Urt. v. 21. 10. 2009 – VIII ZR 30/09, GE 2009, 1616).Die Feststellung, ob die verlangte Miete innerhalb dieser Spanne liegt oder die ortsübliche Miete übersteigt, obliegt dem Tatrichter und erfordert im Prozess eine konkrete Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete im Sinne einer Einzelvergleichsmiete (BGH, Urt. v. 20. 04 2005 – VIII ZR 110/04, aaO; BGH, Urt. v. 29.02.2012 – VIII ZR 346/10, GE 2012, 541).
Die ortsübliche Vergleichsmiete ist nach diesen gesetzlichen Vorgaben ein objektiver Maßstab, der einen repräsentativen Querschnitt der üblichen Entgelte darstellen soll (BVerfGE 53, 352, 358). Sie darf im Prozess daher nur auf der Grundlage von Erkenntnisquellen bestimmt werden, die die tatsächlich und üblicherweise gezahlten Mieten für vergleichbare Wohnungen in einer für die freie tatrichterliche Überzeugungsbildung (§ 286 ZPO) hinreichenden Weise ermittelt haben (vgl. BVerfGE 37, 132, 143).
Ein qualifizierter Mietspiegel, der nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen erstellt und von der Gemeinde oder von Interessenvertretern der Vermieter und der Mieter anerkannt worden ist (§ 558d Abs. 1 BGB), erfüllt diese Voraussetzungen in besonderem Maße. Deshalb billigt ihm das Gesetz unter den Voraussetzungen des § 558d Abs. 2 BGB im Prozess eine Vermutungswirkung dahin gehend zu, dass die in einem solchen Mietspiegel genannten Entgelte die ortsübliche Vergleichsmiete zutreffend wiedergeben (§ 558d Abs. 3 BGB). Diese Vermutungswirkung kann von dem Prozessgegner nur durch den Beweis des Gegenteils widerlegt werden, § 292 Satz 1 ZPO (BGH, Urt. v. 16.06.2010 – VIII ZR 99/09, GE 2010, 1049).
Selbst für einen einfachen Mietspiegel bedarf es erheblicher Einwände, um zu dessen Unanwendbarkeit zu gelangen: So führt der Bundesgerichtshof dazu aus, dass auch diesem Indizwirkung zukomme. Trage folglich die beweisbelastete Partei substantiiert vor, den Verfassern des Mietspiegels habe es an der erforderlichen Sachkunde gefehlt oder sie hätten sich von sachfremden Erwägungen leiten lassen oder der Mietspiegel beruhe auf unrichtigem oder nicht repräsentativem Datenmaterial, habe das Gericht dem nachzugehen. Verblieben danach Zweifel an der Verlässlichkeit des Mietspiegels, so sei – beim einfachen Mietspiegel – dessen Indizwirkung erschüttert. In diesem Fall sei es Sache des Vermieters als Anspruchsteller, für seinen Vortrag, die von ihm verlangte neue Miete liege innerhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete, anderweit Beweis anzutreten (BGH v. 16.06.2010 a.a.O.).
Das bedeutet in Hinblick auf den qualifizierten Berliner Mietspiegel 2011, die entsprechende Partei muss zunächst substantiiert vortragen, warum der qualifizierte Mietspiegel die ortsübliche Vergleichsmiete nicht richtig angeben soll und dann muss sie diesen Vortrag ggf beweisen. Auch für diesen sog. Beweis des Gegenteils ist ein voller Beweis erforderlich (Börstinghaus in Schmidt-Futterer, 10. Aufl. 2011, § 558 d BGB Rn 103). Zwar soll in diesem Zusammenhang schon die Behauptung, eine bestimmte Miete überschreite nicht die ortsübliche Vergleichsmiete, eine ausreichend substantiierte Tatsachenbehauptung sein (BVerfG NJW-RR 1993, 1485). Wenn also der Vermieter die Miete auf einen über dem sich aus dem Mietspiegel ergebenden Niveau liegenden Wert erhöhen möchte, hat der Mieter nur die Ausgangstatsachen darzulegen und zu beweisen, also dass ein qualifizierter Mietspiegel besteht, dem eine Aussage über die betreffende Wohnung zu entnehmen ist. Gelingt ihm dies, spricht die Vermutung des Mietspiegels für die Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete (Artz in MüKo, 6. Aufl. 2012, § 558 d Rn 7).
Vorliegend ist bereits die Vermutungsgrundlage des qualifizierten Berliner Mietspiegels 2011 nicht erschüttert. Denn es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass Wohnungen in hohen oder sehr hohen Geschosslagen vom Berliner Mietspiegel 2011 nicht erfasst würden, zumal -abgesehen von Wohnungen im Souterrain und solchen im Dachgeschoss ohne Aufzug, für die die Lage jeweils als negatives Sondermerkmal zu berücksichtigen ist – die Geschosslage ersichtlich kein statistisch relevantes mietbildendes Merkmal darstellt, wie sich auch dem hierzu im Übrigen schweigenden Bericht über die Grundlagendaten für den empirischen Mietspiegel 2011 entnehmen lässt.
Schließlich kann der Vermieter behaupten, der Mietspiegel sei zwar teilweise qualifiziert, aber entweder gerade in dem Mietspiegelfeld, zu dem die Vertragswohnung gehört, nicht, oder aber die Wohnung weise solche Besonderheiten auf, die vom Mietspiegel nicht erfasst würden, weshalb der Mietspiegel generell auf die Wohnung gar nicht anwendbar sei (vgl. Börstinghaus, NZM 2002, 273). Auch dieser Einwand greift vorliegend nicht durch. Aus dem aus Ziff. 3 des Berliner Mietspiegels 2011 ersichtlichen Geltungsbereich und der aus Ziff. 6 folgenden Beschaffenheitsbeschreibung ergibt sich einerseits im Umkehrschluss, dass speziell für die im ehemaligen Ostteil Berlins liegenden Wohnungen die dortige Spalte 10 gilt und dass das dortige Feld K über eine genügende Zahl von Mietwerten verfügt, um der Qualifizierung zu unterfallen.
Warum etwa dennoch die streitgegenständliche Wohnung individuelle Merkmale aufweisen soll, die dazu führen könnten, die ortsübliche Vergleichsmiete ließe sich nicht dem vorbezeichneten Feld K 10 entnehmen, ergibt sich jedenfalls nicht aus der bloßen – zu unterstellenden – Tatsache, dass weitere Wohnungen im selben Haus zu höheren Mieten vermietet sind. Der Umstand allein, dass für gleichartige Wohnungen auch höhere Mieten erzielt werden können, belegt nicht die jeweils ortsübliche Vergleichsmiete. Denn diese entspricht den tatsächlich und üblicherweise gezahlten Mieten für vergleichbare Wohnungen und ist eine marktorientierte Miete, keine Marktmiete.
Von der Marktmiete unterscheidet sie sich dadurch, dass neben den bei Neuvermietung zum betreffenden Zeitpunkt unter Berücksichtigung von Angebot und Nachfrage erzielbaren Mieten (Neumieten) auch Mieten zu berücksichtigen sind, die in bestehenden Mietverhältnissen für vergleichbaren Wohnraum in den letzten vier Jahren verändert wurden (Bestandsmieten) bzw. Mieten von Verträgen, die innerhalb der letzten vier Jahre geschlossen und seitdem nicht mehr geändert worden sind (Neuvertragsmieten). Denn sie ist nicht die Miete, die auf Grund der in Abs. § 558 Abs. 2 S. 1 BGB aufgezählten Merkmale („Art, Größe, Ausstattung, Beschaffenheit und Lage“) objektiv gerechtfertigt oder angemessen wäre, sondern die tatsächlich und üblicherweise gezahlt wird, auch wenn die Miethöhe im konkreten Einzelfall ökonomisch nicht nachvollziehbar erscheint (Artz in MüKo.a.a.O. § 558 Rn 7). Ansonsten wäre jede am Markt erzielbare und im Einzelfall erzielte Miete einer vergleichbaren Wohnung der Maßstab für die Begründetheit eines Erhöhungsverlangens.
Dafür aber, dass der begehrte Mietzins von 5,64 Euro/qm – und damit ein Betrag oberhalb des Oberwertes des Felds K 10 von 5,00 Euro/qm – den vorstehenden Kriterien zur Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete entspricht, ist nichts Maßgebliches vorgetragen.
Der Kläger wendet sich schließlich auch nicht gegen die vom angefochtenen Urteil innerhalb der Spanne des Felds K 10 unter Anwendung der Orientierungshilfe getroffene Einordnung bei einem Wert von 4,86 Euro/qm, so dass die Berufung letztlich ohne Erfolg bleibt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
06.07.2017