Leitsatz:
Der Mieter riskiert mindestens eine ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses, wenn er in einem offenen Brief äußert, „Die Mitarbeiter des Vermieters kämen wohl aus dem Rotlichtmilieu“.
LG Halle-Saalkreis vom 8.6.2011 – 2 S 277/10 –
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
In einem stark „belasteten“ Mietverhältnis gipfelten die Auseinandersetzungen in einem offenen Brief, den der Mieter versandte. In dem Schreiben erklärte er, dass die Geschäftsführerin der Wohnungsbaugesellschaft offenbar nicht in der Lage sei, Sachverhalte ordnungsgemäß zu klären, sondern es vorziehe, überhaupt nicht auf an sie persönlich gerichtete Schreiben zu antworten. Stattdessen würden Mitarbeiter auf die Mieter losgelassen, deren Aussehen, Auftreten und fehlende Fachkenntnisse merkwürdig seien und den Schluss auf die Zugehörigkeit zum Rotlichtmilieu oder einer Sekte zuließen.
Die daraufhin ausgesprochene ordentliche Kündigung der Wohnungsbaugesellschaft wurde vom Landgericht für rechtens erachtet.
Unabhängig davon, ob die Äußerungen als Beleidigung oder üble Nachrede strafbar seien, habe der Mieter seine mietvertraglichen Pflichten schuldhaft erheblich verletzt. Mit den Äußerungen überschreite der Mieter jedenfalls derart weit die zur Fortführung einer Vertragsbeziehung noch vertretbare Grenze des grundgesetzlich garantierten Rechts auf freie Meinungsäußerung, dass die Vermieterin ein den Anforderungen des § 573 Absätze 1 und 2 Nummer 1 BGB bei Weitem genügendes berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses habe.
Urteilstext
Gründe:
A.
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gem. den §§ 313 a Abs. 1, 540 Abs. 2 ZPO abgesehen.
B.
Die zulässige Berufung der Klägerin ist bzgl. der hilfsweise ausgesprochenen fristgemäßen Kündigung begründet, wohingegen die zulässige Berufung der Beklagten in der Sache keinen Erfolg hat.
I.
Die Berufungen der Parteien sind zulässig.
Sie sind gem. § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO statthaft sowie gem. den §§ 517, 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt als auch begründet worden.
II.
Die Klägerin hat nunmehr wegen Zeitablaufes aufgrund der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung einen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der streitgegenständlichen Mietsache.
1. Die mit Schreiben vom 29.01.2010 hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses ist wirksam, der hiergegen erhobene Widerspruch hingegen unbeachtlich.
a) Gem. § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB kann ein Vermieter kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat, wobei gem. § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB ein derartiges berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses dann als gegeben anzusehen ist, wenn der Mieter seine vertraglichen Pflichten schuldhaft nicht unerheblich verletzt hat. So liegt es im vorliegenden Fall.
Zwar ist wegen der sozialen Bedeutung der Wohnung für den Mieter als Lebensmittelpunkt ein Interesse des Vermieters von Gewicht erforderlich. Allerdings ist auch dem Recht des Vermieters am Eigentum Rechnung zu tragen und ein berechtigtes Interesse des Vermieters etwa dann zu verneinen, wenn seine Rechte und Belange nur ganz geringfügig beeinträchtigt sind oder ein Einzelfall der Pflichtverletzung ohne Wiederholungsgefahr vorliegt. Hiervon ist vorliegend aber gerade nicht auszugehen.
Selbst wenn man unter Berücksichtigung von § 573 Abs. 3 BGB für die Beurteilung des berechtigten Interesses lediglich den in Rede stehenden Brief der Beklagten vom 10.01.2010, nicht aber die Geschehnisse der Vorjahre heranzieht, ist nach Auffassung der Kammer damit das Maß der Geringfügigkeit deutlich überschritten und ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses zu bejahen. Mit ihren in dem offenen Brief vom 10.01.2010 getätigten Äußerungen hat die Beklagte auch unter Berücksichtigung des grundgesetzlich garantierten Rechtes auf freie Meinungsäußerung die Grenzen überschritten, welche auch für eine im Wirtschaftsleben stehende Partei bei ihren Geschäftsbeziehungen dauerhaft hinnehmen muss, ohne die Äußerungen zum Anlass zu nehmen, diese Geschäftsbeziehungen zu beenden. Dies gilt auch, wenn man in Rechnung stellt, dass der Gesetzgeber den Mieter gegen Wünsche auf Vertragsauflösung zusätzlich schützt.
Die Äußerungen der Beklagten allein schon in ihrem Brief vom 10.01.2010 überschreiten bei weitem die Grenzen einer scharfen aber immer noch sachlichen Kritik und insbesondere auch das Ausmaß, bei welchem die Fortführung auch eines Wohnungsmietverhältnisses für den Vermieter zumutbar ist. Die Kammer braucht nicht abschließend zu würdigen, ob die in dem Brief enthaltenen Äußerungen strafrechtlich als Beleidigung (§ 185 StGB) oder üble Nachrede (§ 186 StGB) einzuordnen sind. Indem die Beklagte auf Seite 2 ihres Briefes die neue Geschäftsführerin der Klägerin in der Weise angreift, dass diese offenbar nicht in der Lage sei, Sachverhalte ordnungsgemäß zu klären, sondern es vorziehe, überhaupt nicht auf an sie persönlich gerichtete Schreiben zu antworten, sondern stattdessen auf die Mieter der GWG Mitarbeiter losgelassen würden, deren Aussehen, Auftreten und fehlenden Fachkenntnisse merkwürdig seien und den Schluss auf die Zugehörigkeit zum Rotlichtmilieu oder einer Sekte zulassen würden, überschritt die Beklagte jedenfalls derart weit in der Sache die zur Fortführung einer Vertragsbeziehung noch vertretbare Grenze, dass die Klägerin ein den Anforderungen des § 573 Absätze 1 und 2 Nr. 1 BGB bei weitem genügendes berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat.
Überdies hat die Beklagte derartige Anschuldigungen im laufenden Verfahren wiederholt und darüber hinaus auch die Behauptung aufgestellt, dass in der Vergangenheit unzutreffende Betriebskostenabrechnungen zum Nachteil der Mieter gelegt worden seien und überdies in der Weise durch die Klägerin betrügerisch vorgegangen werde, dass primitive Bauelemente in die Mietwohnungen eingebaut würden, die Klägerin die Kosten aber teuer auf die Mieter umlegen und zudem durch die Inanspruchnahme von Fördermitteln doppelt abrechnen würde.
Insofern hat die Beklagte – wenn auch pauschal und durch nichts belegt – wiederholt ehrverletzende Angriffe gegen einzelne Verantwortliche der Klägerin erhoben, aufgrund derer das Maß des Erträglichen überschritten und ein Festhalten der Klägerin am Mietverhältnis nicht mehr zuzumuten ist.
Dies gilt im Hinblick auf die insoweit vorzunehmende Gesamtbetrachtung um so mehr, als es auch in der Vergangenheit bereits zu erheblichen Vorwürfen durch die Beklagte gekommen ist, die zu einem Vertrauensverlust zwischen den Parteien geführt haben. Zumindest räumt die Beklagte nach wie vor ein, dass – wenn auch wiederum völlig unsubstantiiert – Zweifel an der Seriosität der durch die Klägerin vorgenommene Verwaltung bestünden und ein vertrauensvolles Miteinander nicht mehr möglich sei. Bei derartigen, von beiden Mietvertragsparteien empfundenen Zerwürfnissen erscheint aber die Aufhebung des Mietverhältnisses und somit die Beendigung der zwischen den Parteien bestehenden vertraglichen Beziehungen der einzig noch gangbare Weg.
Von daher ist auch unter Berücksichtigung des Vorbringens in der Berufungsinstanz ein berechtigtes Interesse der Klägerin zum Ausspruch der ordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses zu bejahen.
b) Der von der Beklagten in ihrer Klageerwiderung gegen die ausgesprochene Kündigung erhobene Widerspruch ist hingegen unbegründet.
Gem. § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Mieter der Kündigung des Vermieters widersprechen und von ihm die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung des Mietverhältnisses für den Mieter oder seine Angehörigen eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist. Hiervon kann aber vorliegend nicht ausgegangen werden.
Zunächst liegt der in § 574 Abs. 2 BGB genannte Härtefall nicht vor, zumal weder ersichtlich noch vorgetragen worden ist, dass angemessener Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen nicht beschafft werden könnte. Zudem ist gerichtsbekannt, dass auf dem Wohnungsmarkt in … durchaus vergleichbarer Wohnraum zu vergleichbaren Bedingungen ohne weiteres und kurzfristig erhältlich ist.
Soweit sich die Beklagte zur Begründung ihres Widerspruches auf die Dauer des Mietverhältnisses beruft, kann sie damit nicht durchdringen, zumal der Gesetzgeber dem Umstand der Dauer des Mietverhältnisses bereits dadurch Rechnung getragen hat, dass gem. § 573 c BGB die Fristen für eine ordentliche Kündigung je nach Dauer des Mietverhältnisses entsprechend verlängert sind. Hingegen ist nicht geregelt, dass ab einer bestimmten Laufzeit des Mietverhältnisses die ordentliche Kündigung durch den Vermieter gänzlich ausgeschlossen sein soll.
Soweit sich die Beklagte zur Begründung ihres Widerspruches schließlich auf das Alter und den Gesundheitszustand ihrer Eltern beruft, verhilft ihr dies ebenfalls nicht zum Erfolg. Abgesehen davon, dass nicht substantiiert vorgetragen ist, wie oft und in welchem Umfang die Eltern der Beklagten auf deren Hilfe angewiesen sind, erschließt sich nicht, weshalb die etwa erforderlichen Hilfestellungen nicht auch geleistet werden können, wenn die Beklagte eine andere Wohnung bezieht. Zum einen ist weder ersichtlich noch vorgetragen, dass die Beklagte nicht auch bei einem anderen Vermieter in unmittelbarer Nähe zu der Wohnung ihrer Eltern eine neue Wohnung beziehen kann. Zum anderen dürfte es aufgrund des in Halle gut ausgebauten Verkehrsnetzes ohne weiteres möglich sein, die Wohnung der Eltern der Beklagten auch von einer entfernter liegenden Wohnung mittels privater oder öffentlicher Verkehrsmittel unverzüglich zu erreichen.
Nach alledem erscheint die Beendigung des Mietverhältnisses unumgänglich.
c) Aufgrund der nunmehr verstrichenen Zeit ist die Frist zur ordentlichen Kündigung abgelaufen und damit der geltend gemachte Räumungsanspruch der Klägerin nunmehr gegeben.
Ausweislich § 2 Abs. 3 des zwischen den Parteien unter dem 08.04.1997 geschlossenen Mietvertrages erfolgt die Beendigung auf der Grundlage des jeweils geltenden Rechts, wobei in § 2 Abs. 4 des Mietvertrages die Kündigungsfristen für eine fristgemäße Kündigung explizit aufgeführt sind. Danach beträgt die ordnungsgemäße Kündigungsfrist 3 Monate zum Monatsende und verlängert sich nach einer Mietzeit von 5 Jahren auf 6 Monate, von 8 Jahren auf 9 Monate und von 10 Jahren auf 12 Monate.
Ausgehend von einer Mietdauer von mehr als 10 Jahren und unter Zugrundelegung dieser spezielleren, der in § 573 c BGB enthaltenen gesetzlichen Frist vorgehenden Regelung, war die Kündigungsfrist zum 31.01.2011 abgelaufen, sofern man – wie vom Amtsgericht unterstellt und von den Parteien nicht in Abrede genommen – davon ausgeht, dass die Beklagte das Kündigungsschreiben der Klägerin vom 29.01.2010 bis zum 03.02.2010 erreicht hat.
Da für die Entscheidung des Berufungsgerichts der Sachverhalt zugrunde zu legen ist, wie er sich zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor der Kammer darstellt, ist somit dem Räumungsbegehren der Klägerin stattzugeben.
2. Allerdings konnte die Klägerin diesen Räumungsanspruch nicht auf die unter dem 29.01.2010 ausgesprochene fristlose Kündigung stützen.
Insoweit ist das Amtsgericht nach der gem. § 543 Abs. 1 Satz 2 BGB vorzunehmenden Abwägung der beiderseitigen Interessen und unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass der Klägerin die Fortsetzung des Mietverhältnisses jedenfalls bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zugemutet werden kann. Die bis zu diesem Zeitpunkt verbundenen Beeinträchtigungen der Interessen der Klägerin überwiegen nicht das Interesse der Beklagten an der Möglichkeit zur Organisation eines Wohnungswechsels ohne zeitlichen Druck. Selbst wenn die Klägerin insoweit eine Neuregelung der Zuständigkeit ihres Kundenpersonals vornehmen muss, dürfte ihr dies aufgrund ihrer Größe und der ohnehin gebotenen Vertretungsregelung ohne größeren Aufwand möglich gewesen sein und betraf im Verhältnis zur Dauer des in Rede stehenden Mietverhältnisses nur einen geringen und überschaubaren Zeitraum. Überdies stellen die Vorwürfe der Beklagten mangels konkreter Tatsachendarlegungen unbeachtliche Behauptungen ins Blaue hinein dar, durch die sich ein gestandenes Wohnungsunternehmen wie die Klägerin im Interesse ihrer Mieter nicht aus der Ruhe bringen lassen sollte.
Soweit die Klägerin sich im Rahmen des Berufungsverfahrens auf Vorfälle zwischen der Beklagten mit einer weiteren Mieterin der Klägerin im Dezember 2010 beruft, mag dies bei einer gem. § 543 Abs. 1 Satz 2 BGB vorzunehmenden Abwägung möglicherweise zu einem anderen Ergebnis führen, war im Zeitpunkt des Ausspruches der fristlosen Kündigung vom 29.01.2010 aber noch nicht bekannt und kann somit insoweit auch nicht berücksichtigt werden.
Nach alledem war die Klägerin am 29.01.2010 mithin nicht zur fristlosen Kündigung berechtigt.
III.
Aufgrund der vorstehenden Ausführungen ist die Berufung der Beklagten unbegründet und sie nunmehr zur Räumung des Mietobjektes verpflichtet.
IV.
Gem. § 721 ZPO ist der Beklagten lediglich eine Räumungsfrist bis zum 31.07.2011 zuzubilligen, zumal die Lage auf dem halleschen Wohnungsmarkt so einzuschätzen ist, dass man unverzüglich vergleichbaren Wohnraum zu vergleichbaren Bedingungen anmieten kann. Darüber hinaus hatte die Beklagte aufgrund der langen ordentlichen Kündigungsfrist bereits genügend Zeit, sich um adäquaten Wohnraum zu bemühen.
V.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 91 Abs. 1, 97 ZPO.
Aufgrund der oben gemachten Ausführungen war die erstinstanzliche Klageabweisung zurecht erfolgt, weshalb die Beklagte lediglich mit den Kosten des Berufungsverfahrens zu belasten ist.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit erwächst aus den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
VI.
Die Revision ist gemäß § 543 ZPO nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordern.
23.12.2017