Leitsätze:
1. Zum Erlass einer einstweiligen Verfügung wegen Modernisierungsmaßnahmen in Nachbarwohnungen.
2. Ein Mieter muss auch außerhalb der Wohnung durchgeführte Modernisierungsmaßnahmen nur unter den Voraussetzungen des § 554 Abs. 2 bis 4 BGB dulden. Das gilt jedenfalls dann, wenn diese Bauarbeiten – beispielsweise durch nicht unerheblichen Lärm – auf den Mietgebrauch und Mietbesitz unmittelbar nachteilig einwirken.
AG Pankow/Weißensee, Urteil vom 15.2.07 – 3 C 1014/06 –
Mitgeteilt von RA Sebastian Leonhard
Urteilstext
Aus dem Tatbestand:
Die Verfügungsbeklagten vermieten dem Verfügungskläger die im ersten Obergeschoss rechts des Seitenflügels im Anwesen M.-Straße in Berlin, gelegene Wohnung. Der Verfügungskläger wohnt dort mit seiner Lebenspartnerin und seinen beiden im Frühjahr 2004 und Ende Dezember 2006 geborenen Kindern.
Im Oktober 2006 veranlassten die Verfügungsbeklagten ohne vorherige Benachrichtigung des Verfügungsklägers die Durchführung von Bauarbeiten in der an das Wohn- und Schlafzimmer angrenzenden Wohnung im ersten Obergeschoss links des Vorderhauses, im zweiten Obergeschoss links des Vorderhauses sowie in den über der Wohnung des Verfügungsklägers gelegenen Räumen im zweiten Obergeschoss rechts des Seitenflügels. Über Zweck, Art und Umfang der Bauarbeiten, die jedenfalls bis zum 24. November 2006 andauerten, herrscht Streit.
Der Verfügungskläger behauptet, aus den seinen Wohnräumen unmittelbar benachbarten Räumen drängen ganztägig von 7.00 Uhr bis 17.00 Uhr Klopf-, Hammer-, Schlag-, Scharr- und Sägegeräusche in für ihn und seine Familie unerträglicher Intensität. Die von den Verfügungsbeklagten veranlassten Bauarbeiten umfassten u.a. den Abriss der vorhandenen Öfen, Bäder und Elektroleitungen, die vollständige Entfernung von Zwischenwänden und das Schaffen neuer Wanddurchbrüche. Die Verfügungsbeklagten seien im Begriff, die Wohnungen im zweiten Obergeschoss des Vorderhauses links und des Seitenflügels rechts zusammenzulegen und vollkommen um- bzw. neuzugestalten.
Das erkennende Gericht hat den Verfügungsbeklagten mit Beschluss vom 18. Dezember 2006 untersagt, die Bau-/Modernisierungsarbeiten in den Wohnungen bzw. Räumen im ersten und zweiten Obergeschoss links des Vorderhauses sowie im zweiten Obergeschoss rechts des Seitenflügels M.-Straße in Berlin fortzusetzen.
In dem auf den Widerspruch der Verfügungsbeklagten anberaumten Verhandlungstermin beantragt der Verfügungskläger, zu entscheiden, wie erkannt.
Die Verfügungsbeklagten beantragen, die einstweilige Verfügung vom 18. Dezember 2006 aufzuheben und den Antrag auf ihren Erlass zurückzuweisen.
Die Verfügungsbeklagten meinen, aufgrund ihres Eigentums zur Durchführung der Bauarbeiten berechtigt zu sein. Zum einen handele es sich lediglich um notwendige Instandhaltungsmaßnahmen, die der Verfügungskläger dulden müsse. Soweit die Maßnahmen als Modernisierung einzustufen seien, überwiege ihr Interesse an einer Fortsetzung der Bauarbeiten, zumal seine Wohnung nicht unmittelbar betroffen ist.
Es bestehe auch keine Verfügungsgrund, weil sie die vom Verfügungskläger beanstandeten Arbeiten bereits am 24. November 2006 eingestellt hätten. …
Aus den Entscheidungsgründen:
Der Verfügungsantrag des Verfügungsklägers ist gemäß §§ 935, 937 Abs. 1, 29 a Abs. 1 ZPO zulässig und begründet, weshalb die einstweilige Verfügung vom 18. Dezember 2006 auf den Widerspruch der Verfügungsbeklagten gemäß § 925 Abs. 2 ZPO aufrechtzuerhalten war.
Dem Verfügungskläger steht ein Verfügungsanspruch aus § 862 Abs. 1 Satz 2 und § 535 Abs. 1 BGB zu.
Zwar können die Verfügungsbeklagten mit dem Anwesen M.-Straße in Berlin gemäß § 903 BGB grundsätzlich nach Belieben verfahren, dieses also auch nach ihrem Gutdünken um- und/oder neugestalten. Indes findet diese eigentumsrechtliche Herrschaftsbefugnis u.a. an den Rechten Dritter, insbesondere der Mieter, ihre Grenze. Die Verfügungsbeklagten sind dem Verfügungskläger mietvertraglich zur Überlassung und Erhaltung ungestörten Mietgebrauchs und deshalb auch zur Unterlassung der hier streitigen Bauarbeiten verpflichtet.
Der Verfügungskläger hat dargelegt und glaubhaft gemacht, dass die Wohnungen im ersten und zweiten Obergeschoss des Vorderhauses links und im zweiten Obergeschoss des Seitenflügels rechts – ohne vorherige Ankündigung seitens der Verfügungsbeklagten – durch Entfernung der Heizungs-, Sanitär- und Elektroinstallationen, durch das Entfernen von Wänden sowie durch die Schaffung von Wanddurchbrüchen grundlegend um- und neugestaltet werden und damit jedenfalls in der Zeit zwischen dem 26. Oktober und 24. November 2006 eine erhebliche Belästigung durch Baulärm, insbesondere durch Klopf-, Hammer-, Schlag-, Scharr- und Sägegeräusche verbunden gewesen ist. Diesen Sachverhalt hat das Gericht seiner Entscheidung aufgrund der Glaubhaftmachung des Verfügungsklägers durch eidesstattliche Versicherung gemäß §§ 936, 920 Abs. 2, 294 ZPO für seine Entscheidung zugrunde zu legen, zumal die Verfügungsbeklagten ihre abweichende Darstellung von Zweck, Art und Umfang der Bauarbeiten nicht glaubhaft gemacht haben.
Diese Lärmbeeinträchtigungen stellen sowohl einen Mietmangel im Sinne der §§ 535 Abs. 1, 536 BGB als auch eine Besitzstörung im Sinne der §§ 858 Abs. 1, 862 BGB dar.
Ob die Bauarbeiten zum Zeitpunkt des Erlasses der einstweiligen Verfügung am 18. Dezember 2006 oder bei Schluss der mündlichen Verhandlung vom 15. Februar 2007 noch angedauert haben, ist entgegen der Auffassung der Verfügungsbeklagten unerheblich. Die rechtswidrige Störung des Mietgebrauchs und Mietbesitzes des Verfügungsklägers begründet eine Wiederholungsgefahr im Sinne des § 862 Abs. 1 Satz 2 BGB, weshalb dem Verfügungskläger ein Unterlassungsanspruch zusteht. Dies gilt umso mehr, als die Verfügungsbeklagten offenbar an ihrer Auffassung festhalten wollen, zur Fortsetzung der Arbeiten berechtigt zu sein.
Entgegen der Auffassung der Verfügungsbeklagten ist der Verfügungskläger auch nicht verpflichtet, die Bauarbeiten zu dulden.
Die vom Verfügungskläger glaubhaft gemachte Entfernung der Heizungs-, Sanitär- und Elektroinstallationen, das Entfernen von Wänden und die Schaffung von Wanddurchbrüchen lassen sich nicht als Erhaltungsmaßnahme im Sinne § 554 Abs. 1 BGB bewerten, weil sie zur Erhaltung der Mietsache schlechterdings nicht erforderlich sein können. Dass und inwiefern genau die von den Verfügungsbeklagten entfernten Bauteile mangels Funktionstüchtigkeit ausgetauscht werden mussten, haben sie nicht nachvollziehbar dargelegt, geschweige denn glaubhaft gemacht. Allein die Tatsache, dass sie nicht mehr neuzeitlichem Standard entsprachen, macht ihre Entfernung nicht zu einer Erhaltungsmaßnahme.
Der Verfügungskläger müsste die Bauarbeiten aber auch dann nicht dulden, wenn und soweit sie als Modernisierungsmaßnahme im Sinne § 554 Abs. 2 BGB zu bewerten wären. Die Verfügungsbeklagten haben den Verfügungskläger mit den Bauarbeiten ohne jede Ankündigung „überfallen“, so dass es jedenfalls an der in § 554 Abs. 3 BGB bestimmten Voraussetzung für eine Duldungspflicht fehlt.
Entgegen der Auffassung der Verfügungsbeklagten und ursprünglicher Würdigung des Gerichts rechtfertigt der Umstand, dass die Bauarbeiten sämtlich außerhalb der vom Verfügungskläger bewohnten Räume stattfinden, keine andere Beurteilung. Der Mieter muss nämlich auch außerhalb seiner Wohnung durchgeführte Arbeiten nur unter den Voraussetzungen des § 554 Abs. 2 bis 4 BGB dulden. Das gilt jedenfalls dann, wenn diese Bauarbeiten auf den Mietgebrauch und Mietbesitz unmittelbar nachteilig einwirken (vgl. LG Berlin, GE 1999, 317; GE 2004, 1233; Kinne in Kinne/Schach/Bieber, Miet- und Mietprozessrecht, 3. Auflage, § 554 BGB Rdz. 80; Eisenschmid in Schmidt/Futterer, Mietrecht, 9. Auflage, § 554 BGB Rdz. 361). So liegen die Dinge im vorliegenden Fall, weil der Mietgebrauch und der Mietbesitz durch die vom Verfügungskläger glaubhaft gemachten Lärmbeeinträchtigungen unmittelbar und nicht nur unerheblich im Sinne § 554 Abs. 3 Satz 3 BGB beeinträchtigt wurden.
Der Verfügungsgrund ist gegeben, weil die Wahrung der Rechte des Verfügungsklägers keinen Aufschub duldet. Bereits der in der ankündigungslos erfolgten Aufnahme der Bauarbeiten liegende Vertragsbruch indiziert die Wiederholungsgefahr. Zudem haben die Verfügungsbeklagten die Bauarbeiten ungeachtet der Abmahnung des Verfügungsklägers vom 30. Oktober 2006 fortgesetzt. Schließlich haben sie im Prozess geltend gemacht, zur Fortsetzung der Arbeiten ohne Modernisierungsankündigung berechtigt zu sein.
Die Androhung der Ordnungsmittel beruht auf § 890 Abs. 2 ZPO und dem Antrag des Verfügungsklägers im Schriftsatz vom 14. Februar 2007.
Die von den Verfügungsbeklagten begehrte Erklärungsfrist auf den vorgenannten Schriftsatz war hier nicht zu gewähren, weil dieser kein erhebliches neues Vorbringen enthielt und ein Schriftsatznachlass im Verfügungsverfahren auch nicht möglich Ist. Die Verfügungsbeklagten hatten in der mündlichen Verhandlung ausreichend Gelegenheit, sich zum tatsächlichen Vorbringen der Gegenseite und auch in rechtlicher Hinsicht zu äußern. …
03.01.2018