Leitsätze:
Wird der Vorschulbetrieb auf dem Nachbargrundstück durch eine Ganztagsbetreuung von Kindern ersetzt, ist der hierauf zurückzuführende vermehrte Lärm als sozialadäquat hinzunehmen und stellt keinen zur Mietminderung berechtigenden Mangel im Sinne des § 536 BGB dar. Diese Wertung ergibt sich unter anderem aus dem Umstand, dass nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO Kindergärten, Hortbetreuungen und Vorschulen gerade in die Wohngebiete gehören, damit die Kinder diese sozialen Einrichtungen in der Nähe ihres Wohnumfeldes aufsuchen können.
AG Spandau, Urteil vom 10.7.07 – 7 C 162/07 –
LG Berlin, Hinweisbeschluss vom 15.11.07 – 67 S 233/07 –
Mitgeteilt von RA Jörg Grützmacher
Urteilstext
Aus den Entscheidungsgründen des Amtsgerichtes:
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch auf Rückzahlung der von ihr unter Vorbehalt gezahlten Minderungsbeträge in Höhe von insgesamt 671,47 Euro gemäß §§ 812 Abs. 1 S. 2 Fall 1, 536 Abs. 1 BGB nicht zu. Der Rechtsgrund des Mietzahlungsanspruchs der Beklagten als Vermieterin aus § 535 Abs. 2 BGB ist nicht für die Monate Februar 2006 bis Mai 2007 gemäß § 536 I BGB durch Mietminderung teilweise entfallen. Die von der Klägerin gerügte Vorschule mit Hort und die davon ausgehende Lärmbelästigung stellt sich nicht als Fehler dar, der die Tauglichkeit der Mietsache zum vertragsgemäßen Gebrauch gemäß § 536 Abs. 1 BGB mindert.
Die Tatsache, dass die schon seit Ende der 60er Jahre vorhandene Vorschule um eine ganztägige Hortbetreuung erweitert wurde und spielende Kinder Lärm verursachen, rechtfertigt noch keine Minderung, denn solche Lärmbelästigungen sind grundsätzlich als ortsüblich und sozialadäquat hinzunehmen. Lärm und Geräusche von spielenden Kindern während des Vorschul- und Hortbetriebes gehören nämlich zu den Geräuschen, die üblicherweise in Zusammenhang mit dem Wohnen von Familien mit Kindern entstehen. Deshalb sind Kindergärten, ganztägige Hortbetreuungen, Vorschulen und Schulen in reinen Wohngebieten nicht nur zulässig, sondern etwa gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO geboten, damit Kinder in zumutbarer Nähe zu ihren Wohnungen die Schule oder sonstige soziale Einrichtungen besuchen können. Dies gilt hier insbesondere, da soziale Einrichtungen zur täglichen Kinderbetreuung gerade im Umfeld eines familienfreundlichen gemeinnützigen Wohnungsbaus wie der G… dringend erforderlich sind und zur notwendigen Infrastruktur eines solchen Wohnumfelds gehören, in welchem sich die Wohnung der Klägerin befindet. Der während der Betreuung von spielenden Kindern erzeugte Lärm ist eine notwendige Ausdrucksform und Begleiterscheinung dessen, die nicht generell unterdrückt oder auch nur beschränkt werden kann und daher hingenommen werden muss (vgl. LG Heidelberg WuM 1997, 38 f.; AG Frankfurt, WuM 2005, 764; AG Köln, WuM 1993, 606 f.). Vielmehr ist es nach allgemeiner Verkehrsanschauung als eine generell sozialadäquate Lebensführung anzusehen, tagsüber gewöhnlichen Kinderlärm auch vieler Kinder hinzunehmen, wenn der Lärm nicht als gezielte Aggression produziert wird, was die Klägerin nicht vorträgt (vgl. AG Charlottenburg, GE 1988, 947 ff.).
Soweit die Klägerin mit ihrem Vorbringen behaupten will, die Geräuschbeeinträchtigungen seien in ihrem Ausmaß unzumutbar, ergibt sich dies weder aus ihrem allgemeinen Vortrag noch aus dem von ihr gefertigten Lärmprotokoll. Die Klägerin hat nicht vorgetragen, dass die Kinder weit über das übliche Maß hinaus Lärm verursachen, insbesondere ein von der Norm völlig abweichendes Verhalten zeigen. Aus dem Geräuschprotokoll der Klägerin geht lediglich hervor, dass jeweils einige oder mehrere Kinder auf dem Hortgelände spielten und dabei kreischten und schrien (am 6.3.06: 6 Kinder). Laut dem von der Klägerin erstellten Protokoll befinden sich nicht ununterbrochen Kinder auf dem Außengelände. Aus dem Protokoll geht zudem hervor, dass sich zu keinem Zeitpunkt mehr als 14 Kinder draußen zum Spielen aufgehalten haben. Die Kinder kommen und gehen zu unterschiedlichen Zeiten. Lärm durch spielende Kinder um 6.00 Uhr früh liegt laut Protokoll gleichfalls nicht vor. Lediglich einzelne Kinder werden überhaupt um 6.00 Uhr in den Hort gebracht. Des weiteren fühlt sich die Klägerin um diese Tageszeit nicht von Kinderlärm, sondern von vereinzelten Unterhaltungen belästigt. Damit aber kann eine spürbare Erhöhung der Lärmbelästigung durch eine erhöhte Kinderzahl, die seit Anfang 2006 im Hort betreut werden gegenüber dem bisherigen, von der Klägerin seit Ende der 60er Jahre hingenommenen Zustand nicht festgestellt werden. Denn im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, dass das Mietverhältnis der Parteien seit Ende der 60er Jahre von dem Betrieb einer Vorschule und der hiervon ausgehenden Lärmbelästigung geprägt ist. …
Aus dem Hinweisschreiben des Landgerichtes:
Das Amtsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Voraussetzung für die geltend gemachte Rückzahlung der Mietanteile gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 , 1. Alt. BGB ist, dass die Klägerin diese Zahlungen ohne Rechtsgrund geleistet hat, was nur dann der Fall wäre, wenn die Miete tatsächlich – wie die Klägerin meint – aufgrund des in der Nähe der Wohnung befindlichen Horts und der hiervon ausgehenden Lärmbeeinträchtigungen durch die üblichen Äußerungen von Kindern um 10 Prozent gemindert ist.
Die Behauptung der Beklagten, die Schule sei bereits bei Mietbeginn vorhanden gewesen, womit dies Bestandteil des vertragsgemäßen Gebrauchs wäre, ist bestritten. Der Internetseite der Askanier-Grundschule ist zu entnehmen, dass die Grundschule dort seit dem Jahre 1959 existiert und damit erst zwei Jahre nach Vertragsschluss eröffnet wurde.
Ob die Klägerin eine Minderung aufgrund der bislang unbeanstandeten Mietzahlung über nahezu 50 Jahre verwirkt hat, erscheint hier zweifelhaft.
Die Klägerin trägt vor, es sei in dem fraglichen Gebäude, von dem der Lärm ausgehe, zuvor eine Vorschule untergebracht gewesen, in welcher der Schulbetrieb werktags in der Zeit von 8.00 Uhr bzw. 8.45 Uhr bis spätestens 12.00 Uhr erfolgte. Es seien dort im Rahmen zweier Klassen jeweils etwa 15-18 Kinder von je einer Lehrerin betreut worden. Diese Vorschule sei, wie die Klägerin im Rahmen ihrer mündlichen Anhörung vor dem Amtsgericht angegeben hat, Ende der sechziger Jahre gebaut worden. Ferner hätten die Kinder der Vorschule seinerzeit einen anderen Eingang, den von der B…-zeile, Eingang A…-Grundschule, genutzt.
Nunmehr finde dort eine Ganztagsbetreuung von 6.00 Uhr bis 18.00 Uhr statt, wobei 69 bis 71 Kinder betreut würden. Ab Januar 2007 sollen aufgrund eines Vergrößerungsbaus 200 Kinder betreut werden. Diese Zahlen hat die Beklagte mit Nichtwissen bestritten.
Sie meint, sie habe keinen Einfluss auf den Lärm. Der Hort sei eine öffentliche Einrichtung. Die Klägerin sei die einzige Mieterin in der Umgebung, die sich über Kinderlärm beschwere. Aus ihrer Sicht sei kein Minderungsgrund ersichtlich.
Das Amtsgericht hat in der angegriffenen Entscheidung die auf Rückzahlung der zunächst geminderten, dann aber zur Abwendung der Kündigung unter Vorbehalt gezahlten Mieten gerichtete Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es darauf hingewiesen, dass es schon am Vorliegen eines Mangels fehle, weil die bisher bereits seit Ende der sechziger Jahre vorhandene Vorschule um eine ganztägige Hortbetreuung erweitert worden sei. Vielmehr sei die Lärmbelästigung während des Vorschul- und Hortbetriebes als ortsüblich und sozialadäquat hinzunehmen.
Weder in dem zur Akte gelangten Lärmprotokoll der Mieterin noch in ihrem prozessualen Vorbringen habe die Klägerin dargelegt, dass die Geräuschbeeinträchtigungen in ihrem Ausmaß unzumutbar seien.
Dies ist auch nach Auffassung der Kammer zutreffend.
Grundsätzlich kann ein zur Minderung führender Mangel im Sinne von § 536 BGB auch in Gestalt von den Mietgebrauch beeinträchtigenden störenden Immissionen im Sinne von § 906 Abs. 1 BGB vorliegen, etwa durch Lärmstörungen.
Die Annahme eines Mangels hängt dabei nicht davon ab, ob der Vermieter diese Störungen verhindern kann oder sie nach § 906 Abs. 2 BGB dulden muss, weil sie einer ortsüblichen Grundstücksnutzung entspringen. Es kommt auch nicht darauf an, ob der Vermieter von dem Störer einen Ausgleich für die Mietminderung im Sinne von § 906 Abs. 2 S. 2 BGB verlangen kann, weil der Vermieter auch sonst nach den allein mietrechtlichen Vorschriften das Risiko einer mangelbedingten Mietzinsminderung zu tragen hat (Kraemer in Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 3. Aufl. 1999, S. 1071 Anm.: III 1344).
Entscheidend ist allein, ob die Störung nach den bei Vertragsschluss ersichtlichen Umständen und Verhältnissen als in der Miete berücksichtigt und daher vertraglich vorausgesetzt gelten kann, wie dies etwa für den Lärm spielender Kinder in einer großen Wohnanlage angenommen werden kann.
Über einen vom Mieter nach den Umständen zu erwartendes Maß hinausgehende Störungen können einen Mangel darstellen. Ebenso verhält es sich, wenn sich während der Mietzeit die Immissionsverhältnisse in einer vertraglich nicht ausgesetzten Weise zum Nachteil des Mieters ändern (z.B. störender Gewerbebetrieb in der Nachbarschaft) (Kraemer, aaO).
Es besteht heute Einigkeit darüber, dass Kindern außerhalb der eigentlichen Wohnräume Platz zur Verfügung stehen muss, wo sie sich ihrem Alter entsprechend gefahrlos und ungehindert im Spiel entfalten können. Generell ist davon auszugehen, dass Mieter in einem größeren Haus Lärmeinwirkungen hinnehmen müssen, wie sie in einem Haus mit mehreren Mietparteien unvermeidbar sind, was auch üblichen Kinderlärm einschließt. Entsprechend wird Lärm durch einen in der Nähe gelegenen Kinderspielplatz oder Kinderlärm, der aus einem Innenhof in die Wohnung dringt, als üblich angesehen und ist als sozialadäquat hinzunehmen. Schon das Amtsgericht hat in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hingewiesen, dass gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO Kindergärten, Hortbetreuungen und Vorschulen gerade in die reinen Wohngebiete gehören, damit die Kinder diese sozialen Einrichtungen in der Nähe ihres Wohnumfeldes aufsuchen können.
Die Klägerin hat ihre Wohnung seit über 50 Jahren im Hause der gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft G…, die schon aufgrund der Gemeinnützigkeit gehalten ist, Wohnraum für Familien mit Kindern zur Verfügung zu stellen. Insofern war ein Umfeld mit Kindern innerhalb des Mehrfamilienhauses, in dem die Klägerin die Wohnung anmietete, dem Mietverhältnis von Anfang an immanent. Da die vorstehend genannten sozialen Einrichtungen für Kinder in diesem Umfeld nicht nur zulässig, sondern vom Gesetzgeber erwünscht sind, ist auch der von diesen Einrichtungen ausgehende typische Kinderlärm sozialadäquat. Maßgeblich ist aber, dass die Klägerin mit dem Lärm, den sie in ihrem als Anlage K 2 bezeichneten Lärmprotokoll festgehalten hat, eben genau dieses zulässige sozialtypische Verhalten von Kindern beschreibt. Eine Minderung lässt sich daraus nicht herleiten.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtssprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.
07.06.2018