Leitsätze:
1. Das Anbringen von Balkonen ist in Berlin keine allgemein übliche Maßnahme im Sinne des § 554 Absatz 2 Satz 4 BGB.
2. Geringfügige Verzögerungen gegenüber der Terminplanung gemäß dem Mitteilungsschreiben zur Modernisierungsduldung oder Überschreitungen der voraussichtliche angesetzten Dauer der Modernisierungsarbeiten sind nach den Umständen des Einzelfalles unbeachtlich (hier: Arbeitsbeendigung erst nach Gewährung des Wohnungszutritts).
3. Die Mieterhöhung nach Modernisierung ist für den Mieter unzumutbar, wenn sie vor dem Hintergrund der Einkommensverhältnisse des Wohnungshaushalts die individuelle Belastungsgrenze überschreitet.
4. Beträgt die Miete nach Modernisierung 33 % des monatlichen Gesamteinkommens, braucht die Modernisierung nicht geduldet zu werden.
LG Berlin vom 19.1.2010 – 65 S 285/09 –
Mitgeteilt von RA Cornelius Krakau
Urteilstext
Gründe
I.
Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß §§ 313 a, 540 Abs. 2, 543 ZPO i. V. m. § 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.
II.
1. Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden. Sie ist unbegründet. Die der Entscheidung zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen keine andere Entscheidung, §§ 513, 529, 546 ZPO.
Frei von Rechtsfehlern hat das Amtsgericht einen Anspruch der Klägerin gegen die Beklagten auf Duldung der mit den Anträgen zu 1 b) bis d) weiterverfolgten Modernisierungsmaßnahmen aus § 554 Abs. 2 BGB verneint.
a) Die Frage, ob hier eine unzumutbare (finanzielle) Härte der Duldungspflicht entgegen steht, kann nicht bereits deshalb dahin stehen, weil die Klägerin die Maßnahmen nicht den Anforderungen des § 554 Abs. 3 BGB gemäß angekündigt hätte.
Mit ihrem Schreiben vom 29. April 2008 genügt die Klägerin zunächst (unstreitig) ihren Mitteilungspflichten. Soweit die Beklagte in der Klageerwiderung vom 26. Januar 2009 geltend gemacht hat, dass der angekündigte Termin für den Baubeginn verstrichen sei, ohne dass etwas geschehen sei, ist die Klägerin dem substanziiert und unter Beweisantritt entgegen getreten. Danach war Baubeginn bereits der 8. September 2008, wobei es sich insoweit um eine unwesentliche Fristüberschreitung handeln würde. Da auch die Beklagte daraufhin angegeben hat, dass der Hausflur in dieser Zeit mit Folie ausgelegt worden sei und in einer Wohnung im 3. OG Wände aufgestemmt wurden, nicht aber vorträgt, dass in dieser Zeit Bauarbeiten zu anderen Zwecken durchgeführt worden sind, kann der substanziierte Sachvortrag der Klägerin als zutreffend unterstellt werden. Ebenfalls ohne Erfolg macht die Beklagte eine Überschreitung des Fertigstellungstermins geltend, unabhängig davon, dass die Klägerin darauf mit Schriftsatz vom 3. März 2009 reagiert hat, eine Duldung mit Wirkung ab 5. Mai 2009 begehrt und angekündigt, dass die weiteren Arbeiten voraussichtlich 6 Wochen dauern werden.
Grundsätzlich ist der Vermieter verpflichtet, dem Mieter eine Mitteilung zu geben, wenn sich die voraussichtliche Dauer im Laufe der Modernisierungsarbeiten ändert. Der Mieter hat dann die Möglichkeit, seine Pflicht zur Duldung erneut zu prüfen. Ob im Einzelfall dadurch die Maßnahme verhindert werden kann, hängt von den Gesamtumständen ab (vgl. Eisenschmid in Schmidt-Futterer, Mietrecht, 9. Aufl., 2007, § 554 Rn. 276). Das ist hier jedoch deshalb zu verneinen, weil die Verzögerungen zumindest auch darauf zurückzuführen sind, dass die Beklagte und ein weiterer Mieter im 2. OG der Modernisierung widersprochen haben. Vor dem Hintergrund des Zweckes der Modernisierungsankündigung, dem Mieter die Möglichkeit zu geben, sich auf die Bauarbeiten und daraus resultierende Einschränkungen bzw. Belästigungen einzurichten, ist auch der Einwand der Beklagten unerheblich, die Klägerin hätte nicht erst zwei Monate nach Baubeginn Klage erheben müssen. Der Beklagten waren die eingetretenen Verzögerungen aufgrund des Rechtsstreits bekannt. Hier an einer förmlichen – weiteren – Mitteilung festzuhalten, würde auf bloße Förmelei hinauslaufen, die angesichts der Gründe, die den Gesetzgeber im Rahmen der Neufassung des § 554 Abs. 3 BGB gegen den Trend in der Rechtsprechung zur Absenkung der Anforderungen an die Modernisierungsankündigung bewogen haben, auch im Gesetz keine Stütze findet (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Ds. 14/4553 S. 49). Die Beklagte weiß hier positiv, dass die Klägerin die Arbeiten erst beenden kann, wenn sie Zutritt zur Wohnung gewährt.
b) Die Duldungspflicht entfällt hier jedoch aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung deshalb, weil die Maßnahmen mit Blick auf die zu erwartenden Mieterhöhung für die Beklagten und der weiteren Haushaltsangehörigen eine (finanzielle) Härte bedeuten würden, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen der Klägerin und anderer Mieter in dem Gebäude nicht zu rechtfertigen ist, § 554 Abs. 2 Satz 2, 3 BGB. Die zu erwartende Mieterhöhung ist entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht deshalb nicht als Härte mit der Folge anzusehen, dass eine Interessenabwägung zu unterbleiben hat, weil die Mietsache lediglich in einen Zustand versetzt wird, der allgemein üblich ist, § 554 Abs. 3 Satz 4 BGB.
aa) Unstreitig erhöht sich die zugrunde zu legende Miete einschließlich Nebenkosten (vgl. insoweit Eisenschmid in Schmidt-Futterer, Mietrecht, 9. Aufl., 2007, § 554 Rn. 217) voraussichtlich von bisher 573,87 Euro um 209,81 Euro auf 783,61 Euro. Nach der neueren Rechtsprechung, insbesondere des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH Urteil v. 20.07.2005 VIII ZR 253/04; auch: Urteil v. 15.05.1991 – VIII ZR 38/90; KG Rechtsentscheid in Mietsachen 8 W RE-Miet 4340/80, jew. zit. nach juris, jew. m.w.N.) entfällt die Duldungspflicht nicht bereits, wenn die Miete sich durch die Maßnahme um mehr als 30 % erhöht, ein Prozentsatz der hier nicht erreicht wird. Zu prüfen ist vielmehr nur, ob es sich um eine sogen. Luxusmodernisierung handelt, d. h. besonders aufwändige Maßnahmen, die zu unzumutbaren Mieten führen können (vgl. BGH Urteil v. 20.07.2005, a.a.O., Rn. 12). Das ist hier zu verneinen, denn der Anbau von Balkonen ist vorrangig eine Maßnahme, die tatsächlich den Wohnwert verbessert. Nach der BGH-Rechtsprechung ist Maßstab dabei – anders als nach § 554 Abs. 2 Satz 4 BGB – nicht der durchschnittliche Standard des gegenwärtigen Wohnungsmarktes. Vielmehr kann die Maßnahme des Vermieters diesen auch anheben. Anderenfalls würde eine gesellschaftspolitisch gewollte laufende Verbesserung des Wohnungsbestandes behindert.
bb) Die durch die Maßnahme zu erwartende Mieterhöhung ist vor dem Hintergrund der Einkommensverhältnisse der Beklagten jedoch als unzumutbare Härte anzusehen.
In die Bestimmung der maßgeblichen Höhe des Einkommens der Beklagten ist zunächst das Einkommen des Beklagten zu 2) einzubeziehen, denn er ist Mieter und daher auch Schuldner der Klägerin; die hier gegebenen besonderen Umstände – der Beklagte zu 2) lebt getrennt von der Beklagten zu 1) in einer eigenen Wohnung außerhalb Berlins – sind aber im Rahmen der Frage nach der individuellen Belastungsgrenze zu berücksichtigen. Dieses Herangehen folgt aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber auf die Regelung objektiver Schranken verzichtet hat und ausdrücklich auf den Mieter sowie die in seinem Haushalt lebenden Personen abstellt. Der Ansatz einer starren Grenze bzw. bezifferter Prozentsätze verbietet sich danach, denn sie würden diesen Maßstäben nicht gerecht (vgl. auch BGH Urteil v. 15.05.1991, a.a.O., Rn. 60; KG, a.a.O., Rn. 10; LG Berlin Urteil v. 19.04.2002 – 63 S 239/01 Rn. 4, zit. nach juris). Gegen eine Spanne, innerhalb derer die Zumutbarkeitsgrenze für den Regelfall anzusiedeln sein soll – nach der vorgenannten Entscheidung der ZK 63 des Landgerichts Berlin zwischen 20 – 30 % – ist demgegenüber nichts einzuwenden.
Nach Abzug der Miete muss dem Mieter jedenfalls ein Einkommen verbleiben, das es ihm ermöglicht, im Wesentlichen an seinem bisherigen Lebenszuschnitt festzuhalten, wobei einem Mieter mit besserem Einkommen eine höhere Miete zugemutet werden kann, als einem Mieter mit nur geringem Einkommen. Die Zumutbarkeitsgrenze ist jedoch nicht (erst) dort zu ziehen, wo der Mieter mit seinem verbleibenden Einkommen nur noch sein Existenzminimum bestreiten kann ( Eisenschmid in Schmidt-Futterer, a.a.O., Rn. 222ff., m.w.N.).
Hier liegt das nunmehr zwischen den Parteien unstreitige Einkommen der Beklagten zu 1) und zu 2) sowie das der Söhne bei 2.377,48 Euro; die Miete verbraucht nach der vorgesehenen Erhöhung knapp 33 % des Einkommens. Nach den oben dargestellten Maßstäben – die nicht starr anzuwenden sind – überschreitet die neue Miete damit bereits – wenn auch knapp – die Spanne, die – wenn sie eingehalten wird – in der Rechtsprechung und Literatur in der Regel noch als zumutbare Belastung angesehen wird. Die besonderen Umstände gebieten es hier jedoch, zugunsten der Beklagten im Rahmen der Bestimmung der individuellen Belastungsgrenze den Umstand einzubeziehen, dass das Einkommen des Beklagten zu 2) jedenfalls nicht vollständig zur Verfügung steht, da er zum einen nicht im Haushalt lebt und zum anderen eigene Wohnkosten hat.
Im Ergebnis kann daher nicht von einer knappen Überschreitung der für den Regelfall angenommenen Zumutbarkeitsspanne ausgegangen werden; sie ist vielmehr erheblich. Hinzu kommt weiter, dass das Einkommen hier ohnehin so niedrig ist, dass selbstverständlich die von der Klägerin berechnete Pro-Kopf-Einschränkung des zur Verfügung stehenden Einkommens um etwa 50 Euro durch die erhöhte Miete erheblich ins Gewicht fällt. Wenn jemand bereits im Grenzbereich zum Existenzminimum lebt, sind weitere Einschränkungen der Einkommensverhältnisse ohne Weiteres als gravierend anzusehen. Anders wäre die Frage bei Personen mit einem besseren Einkommen zu bewerten.
c) Auch die gebotene Abwägung der berechtigten Interessen der Beklagten, der Klägerin und der anderen Mieter führt nicht zu einer Duldungspflicht.
aa) Die Interessenabwägung entfällt entgegen der Auffassung der Klägerin nicht, weil sie mit dem Anbau der Balkone nur einen allgemein üblichen Zustand herstellt. Als allgemein üblich wird von Rechtsprechung und Literatur ein Zustand angesehen, der die weit überwiegende Mehrheit aller im Geltungsbereich des Gesetzes gelegenen Mietwohnungen betrifft, nach der Rechtsprechung des BGH ist dies namentlich der Fall, wenn der angestrebte Zustand bei mindestens zwei Dritteln der Gebäude innerhalb der Region angetroffen wird.
Dies ist für die Ausstattung von Wohnungen mit Balkonen ohne weiteres zu verneinen, ohne dass es insoweit – wie die Klägerin geltend macht – der Einholung eines Sachverständigengutachtens bedarf.
bb) Im Rahmen der daher gebotenen Interessenabwägung sind die der anderen Mieter grundsätzlich einzubeziehen, hier aber nicht betroffen. Dies ergibt sich bereits daraus, dass die Klägerin die Arbeiten ausgeführt hat, ohne die Zustimmung der Beklagten abzuwarten. Die anderen Mieter können ihre Balkone unstreitig sogar bereits nutzen. Die Interessen der Klägerin überwiegen bereits deshalb nicht, weil sie ihre Pläne weit gehend auch ohne die Beklagten realisieren kann und auch realisiert hat. Den Einbau eines Türelementes kann sie zu einem späteren Zeitpunkt nachholen. Zugunsten der Beklagten fällt hier zudem ins Gewicht, dass eine Wohnwertverbesserung zwar grundsätzlich nicht verneint werden kann. In Anbetracht der Erhöhung der monatlichen Miete um mehr als 200,00 Euro, d.h. etwa 27 % einerseits und der nur saisonalen, in starkem Maße wetterabhängigen Nutzbarkeit des Balkons ist die Angemessenheit des Wertverhältnisses zwischen Mietpreiserhöhung und Wohnwertverbesserung nicht gewahrt (vgl. KG a.a.O.).
Im Rahmen der Interessenabwägung unberücksichtigt bleiben kann schließlich auch nicht, dass die Beklagten seit 1983 Mieter sind, ihre Kinder hier groß gezogen haben und diese hier aufgewachsen sind. Die Maßnahme erfüllt keine im allgemeinen Interesse liegenden Zwecke wie etwa solche zur Energieeinsparung. Zwar ist auch das Interesse der Klägerin berechtigt, den Wert ihrer Immobilie zu erhöhen. Dieses Interesse muss hier jedoch zurücktreten, weil das Interesse der Beklagten und der weiteren Haushaltsangehörigen, sich die Wohnung weiter leisten zu können, überwiegt.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
3. Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 1, 2 ZPO nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordern. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung.
02.01.2018