Leitsätze:
1. Der Mieter hat auch dann einen Anspruch auf Wiederherstellung der Gaszufuhr für den vermieteten Gasherd, wenn die Gasleitungen des Hauses nach einer Druckprüfung stillgelegt wurden und der Vermieter die Umstellung auf einen Elektroherd angeboten hat.
2. Bei Investitionen zur Mängelbeseitigung in Höhe von 24 Nettomieten liegt noch kein Überschreiten der sogenannten „Opfergrenze“ des § 275 Absatz 2 BGB vor.
LG Berlin vom 8.6.2009 – 67 S 351/08 –
Mitgeteilt von RA Jörg Grützmacher
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Ursprünglich wurde die Wohnung mit einer Gasversorgung sowohl zum Kochen als auch zur Beheizung vermietet. Am 12.6.2007 kündigte der Vermieter durch Hausaushang an, dass am Folgetag, dem 13.6. 2007, die Gasversorgung des Hauses eingestellt werde, was auch tatsächlich geschah. Die Mietvertragsparteien stritten vor Gericht über die Wiederherstellung der Gasversorgung. Das Landgericht gab dem Verlangen des Mieters statt.
Zum einen könne allein aus dem Umstand, dass der Mieter vom Vermieter einen Elektroherd entgegen genommen habe und dem Vermieter erlaubt habe, einen Wasserboiler zu installieren, nicht geschlossen werden, dass er der Versorgungsänderung zugestimmt habe. Dass der Mieter diese Maßnahmen geduldet habe, die zwingend notwendig seien, um die Wohnung überhaupt ihrem Vertragszweck entsprechend nutzen zu können und zu deren Bereitstellung der Vermieter auch verpflichtet war, enthalte nicht zugleich den Erklärungswert, dass diese „vorübergehende“ Behebung der Versorgungsstörung auf Dauer geduldet werden solle.
Die Wahl der Energieart (Strom oder Gas) unterfalle auch nicht der Dispositionsfreiheit des Vermieters. Die Dispositionsfreiheit bestehe zum Zeitpunkt der Errichtung des Gebäudes. Mit Abschluss eines Mietvertrages bestehe der Anspruch des Mieters dahingehend, dass die bei Vertragsschluss vorhandene Beheizungsart beziehungsweise die Art der Herstellung warmer Speisen (Gasherd/E-Herd) bestehen bleibe. Die bestehende Art der Energieversorgung einer Mietwohnung könne der Vermieter während der Dauer eines Mietverhältnisses nicht ohne weiteres ändern. Etwas anderes könne insoweit nur dann gelten, wenn die Voraussetzungen für eine Modernisierung vorlägen, die hier nicht vorgetragen seien.
Dem bestehenden Erfüllungsanspruch des Mieters auf Wiederherstellung des vertragsgemäßen Zustandes in Bezug auf die Versorgung der Wohnung mit Gas könnte zwar ein Leistungsverweigerungsrecht des Vermieters gemäß § 275 Abs. 2 BGB entgegen stehen. Danach könne der Schuldner (hier: Vermieter) die Leistung verweigern, soweit diese einen Aufwand erfordere, der unter Beachtung des Inhalts des Schuldverhältnisses und der Gebote von Treu und Glauben in einem groben Missverhältnis zu dem Leistungsinteresse des Gläubigers (hier: Mieter) stehe.
Wann die Opfergrenze des Vermieers für die Wiederherstellung der Mietsache überschritten sei, sei im Einzelfall zu beurteilen. Es seien insoweit hohe Anforderungen zu stellen. Wann der vermieterseitige Aufwand unzumutbar sei, lasse sich nur unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles klären.
Eine solche Unzumutbarkeit habe der insoweit darlegungs- und beweispflichtige Vermieter aber nicht dargetan. Die Nettokosten betrügen laut dem vom Vermieter vorgelegten Kostenangebot für die Erneuerung der Gasanlage 15851,62 Euro. Diese Summe sei aber durch die vertragliche Nettomiete für zwei Jahre (507,30 Euro x 12 x 2 = 1217,20 Euro) nahezu amortisiert. Ein Überschreiten der Opfergrenze lasse sich mithin diesem Kostenangebot nicht entnehmen.
Urteilstext
Aus den Entscheidungsgründen:
… Der Kläger hat gemäß § 535 Abs. 1 BGB einen Anspruch auf die Wiederherstellung der Gasversorgung in der von ihm gemieteten Wohnung.
Unstreitig wurde die Wohnung ursprünglich mit einer Gasversorgung sowohl zum Kochen als auch zur Beheizung vermietet. Die Art der Energieversorgung ist im Vertrag zwar nicht ausdrücklich vereinbart. Jedoch legt das Vorhandensein der Gasversorgung bei Vertragsschluss den vertragsgemäßen Zustand fest. In diesen Mietvertrag ist der Beklagte unstreitig als neuer Eigentümer eingetreten.
Die Gasversorgung stellt mithin den vertragsgemäßen Zustand dar, den der Vermieter während der Mietzeit zu gewähren hat.
Dies hat der Beklagte nicht getan, nachdem er, wie in der Klage vorgetragen, am 12. Juni 2007 durch Hausaushang angekündigt hat, dass am Folgetag, dem 13. Juni 2007, die Gasversorgung des Hauses eingestellt wird, was auch tatsächlich geschah. Eine vom Kläger beantragte einstweilige Verfügung gerichtet auf die Wiederherstellung der Gasversorgung ist vom Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg am 13. Juni 2007 – 16 C 1010/07 – erlassen worden. Später hat das Amtsgericht diese am 16.8.2007, wie vom Kläger vorgetragen, mangels Verfügungsgrundes aufgehoben.
Die Auffassung des Beklagten, aufgrund des nunmehr vorhandenen Zustandes bestehe kein Anspruch mehr, trägt nicht.
Der Beklagte hat erstinstanzlich vorgetragen, für den Kläger sei das Einverständnis mir der Versorgungsänderung gegeben worden. Dem Kläger sei, nachdem eine Leckage der Gasleitungen festgestellt worden war, unter Hinweis auf bestehende Gefahren und Sicherheitsrisiken zur Warmwasserversorgung ein Warmwasserboiler zur Verfügung gestellt sowie ein Elektroherd zum Kochen überlassen worden. Aufgrund absoluter Gebrauchsunfähigkeit der Gasleitungen seien diese stillgelegt worden. Nach den anerkannten technischen Regeln für Gasinstallationen (DVGW-TRGI 86) sei die dritte Kategorie der Einteilung gegeben, wenn die Gasleckmenge bei Betriebsdruck mehr als 5 Liter/Stunde betrage. Hier habe sie 9 Liter/Stunde betragen. Nach der Richtlinie müsse die Gasanlage unverzüglich außer Betrieb genommen werden.
Im Keller seien keine Absperrmöglichkeiten für die einzelnen Stränge vorhanden gewesen. Das Absperren einzelner Aufgänge war daher nicht möglich. Die Wiederinbetriebnahme der etwa 40 Jahre alten Anlage sei zudem aus ökonomischer Sicht unmöglich.
Zum einen kann entgegen der Ansicht des Beklagten allein aus dem Umstand, dass der Kläger einen Elektroherd entgegen genommen hat und auch einen Wasserboiler hat installieren lassen, nicht geschlossen werden, dass er der Versorgungsänderung zugestimmt habe. Vielmehr bestand seit der Gasversorgungsunterbrechung weder die Möglichkeit, warmes Wasser zu entnehmen noch eine Möglichkeit, Speisen zuzubereiten. Dass der Kläger diese Maßnahmen geduldet hat, die zwingend notwendig sind, um die Wohnung überhaupt ihrem Vertragszweck entsprechend nutzen zu können und zu deren Bereitstellung der Beklagte als Vermieter auch verpflichtet war, enthält nicht zugleich den Erklärungswert, dass diese „vorübergehende“ Behebung der Versorgungsstörung auf Dauer geduldet werden soll.
Vielmehr hat der Beklagte durch die beantragte einstweilige Verfügung und auch durch das im unmittelbaren zeitlichen Anschluss angestrengte hiesige Klageverfahren hinreichend zum Ausdruck gebracht, dass er diesen Zustand auf Dauer eben nicht dulden will. Auch das Amtsgericht hat in seiner kurzen Urteilsbegründung erkannt, dass es sich hier um einen provisorischen Zustand handelt. Allein aus der Hinnahme des Provisoriums, ohne das die Wohnnutzung letztlich aufgegeben werden müsste, kann aber nicht darauf geschlossen werden, dass der Kläger auch für die Zukunft mit der Umstellung der Versorgung auf Strom einverstanden ist. Eine entsprechende ausdrückliche Erklärung wird schon nicht behauptet. Eine hieraus gerichtete Vertragsänderung ist mithin nicht ersichtlich.
Die Auffassung des Amtsgerichts, dies unterfalle der Dispositionsfreiheit des Vermieters, trifft nicht zu. Die Dispositionsfreiheit besteht zum Zeitpunkt der Errichtung des Gebäudes. Mit Abschluss eines Mietvertrages besteht der Anspruch des Mieters dahingehend, dass die bei Vertragsschluss vorhandene Beheizungsart bzw. die Art der Herstellung warmer Speisen (Gasherd/E-Herd) bestehen bleibt. Die bestehende Art der Energieversorgung einer Mietwohnung kann der Vermieter während der Dauer eines Mietverhältnisses nicht ohne weiteres ändern. Etwas anderes kann insoweit nur dann gelten, wenn die Voraussetzungen für eine Modernisierung vorliegen, die hier nicht vorgetragen sind.
Dem bestehenden Erfüllungsanspruch des Klägers auf Wiederherstellung des vertragsgemäßen Zustandes in Bezug auf die Versorgung der Wohnung mit Gas könnte hier ein Leistungsverweigerungsrecht der Vermieterin gemäß § 275 Abs. 2 BGB entgegen stehen. Danach kann der Schuldner die Leistung verweigern, soweit diese einen Aufwand erfordert, der unter Beachtung des Inhalts des Schuldverhältnisses und der Gebote von Treu und Glauben in einem groben Missverhältnis zu dem Leistungsinteresse des Gläubigers steht. Hier beruft sich der Beklagte letztlich auf eine wirtschaftliche Unmöglichkeit.
Vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes wurde die wirtschaftliche Unmöglichkeit und daraus resultierend eine Befreiung des Vermieters von der Instandsetzungspflicht als sog. Opfergrenze angenommen und aus einer entsprechenden Anwendung des § 275 BGB a.F. abgeleitet.
Nach Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes lässt sich ein Anwendungsfall für die Opfergrenze der neuen Fassung des § 275 Abs. 2 BGB entnehmen. Zwar wird unter Berufung auf die Gesetzesmaterialien auch vertreten, dass es ich hierbei um einen Anwendungsfall der veränderten Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB handle (so: Heinrich in Palandt, 67. Aufl. 2008, zu § 275 BGB RN 21 und 27).
Teils wird auch darauf hingewiesen, dass es letztlich immer auf eine Abwägung der unterschiedlichen Interessen ankomme. Eine randscharfe Trennung beider Normen (§§ 275 Abs. 2/313 BGB) werde daher kaum möglich sein (Eisenschmid in: Schmid-Futterer, Mietrecht Kommentar, 9. Aufl. 2007, zu § 536 BGB, Rn. 506). Insofern lassen sich die maßgeblichen Parameter auch unter die Vorschrift des § 275 Abs. 2 subsumieren (Sternel, Mietrecht Aktuell, 4. Aufl. 2009, Rn VII 96), wie dies auch der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 20.7.2005 getan hat (ZMR 2005, 935 (936)). Dort führt er hierzu aus: „… Die Verpflichtung des Vermieters zur Wiederherstellung der Mietsache endet dort, wo der dazu erforderliche Aufwand die „Opfergrenze“ übersteigt. Dieses Ergebnis ist nunmehr dem § 275 Abs. 2 BGB zu entnehmen.“
Wann die Opfergrenze des Vermieters für die Wiederherstellung der Mietsache überschritten ist, ist im Einzelfall zu beurteilen. Es sind insoweit hohe Anforderungen zu stellen. Wann der vermieterseitige Aufwand unzumutbar ist, lässt sich nur unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles klären.
Dies hat der insoweit darlegungs- und beweispflichtige Beklagte aber derzeit nicht dargetan. Er hat zwar ein Kostenangebot für die Erneuerung der Gasanlage eingereicht. Der Vortrag ist so zu verstehen, dass sich die dort veranschlagten Kosten in einer Gesamthöhe (einschl. MwSt.) von 18.863,43 Euro lediglich auf den Kostenaufwand für die Wohnung des Klägers beziehen. Darin sind aber schon Kosten für die Lieferung einer neuen Heiztherme in Höhe von 2.691,- Euro und für die Lieferung eines neuen Gasherdes in Höhe von 749, 24 Euro enthalten. Aus welchem Grunde diese Neuanschaffungen nötig sind, wird nicht mitgeteilt. Sollten diese Geräte defekt sein, müsste der Beklagte sie ohnehin erneuern (sofern mitvermietet). Sie wären dann bei der Frage der Opfergrenze nicht mit zu berücksichtigen. Allein die Nettokosten (15.851,62 Euro) ohne diese Neuanschaffungen, deren Notwendigkeit nicht ersichtlich ist (12.411,38 Euro), sind durch die vertragliche Nettomiete für 2 Jahre (507,30 Euro x 12 x 2 = 12.17,20 Euro) nahezu amortisiert. Ein Überschreiten der Opfergrenze lässt sich mithin diesem Kostenangebot nicht entnehmen.
Aus der Klageerwiderung, dort S. 4, dritter Absatz, ergibt sich ferner, dass der Beklagte offenbar schon eine neue Zentralheizungsanlage im Haus „nahezu fertiggestellt“ hat. Auch dies ist mit Kosten verbunden. Zur Darlegung der Opfergrenze müsste der Beklagte die Differenz der Kosten für den Einbau der Zentralheizung im Vergleich zu den Kosten der Instandsetzung der Gasanlage dartun und zudem vortragen, aus welchem Grund er sich gegen den Einbau einer neuen Gaszentralheizungsanlage entschieden hat. Dies hat er aber nicht getan, so dass die behauptete Überschreitung der Opfergrenze nicht ersichtlich ist. Wenn er ohnehin in eine Neuanlage investiert, ist nicht nachvollziehbar, weshalb er diese nicht als Gaszentralheizungsanlage herstellt und mithin die vertraglich geschuldete Beheizungsart aufrechterhält.
Sofern der Vermieter mit der von ihm „nahezu fertiggestellten“ Zentralheizungsanlage ein Modernisierung vornimmt, die der Kläger gemäß § 554 BGB zu dulden hätte, bestünde kein Wiederherstellungsanspruch. Auch dies hat der Beklagte aber derzeit nicht dargetan.
Mithin besteht der mieterseits geltend gemachte Wiederherstellungsanspruch …
03.01.2018