Leitsatz:
Die Androhungen des Mieter, das von ihm bewohnte Haus in Brand zu setzen, zu schießen und das Fahrzeug des Leiters des Kundenzentrums zu zerstören, sollten seine Forderungen nicht erfüllt werden, stellen einen gravierenden Pflichtverstoß dar. Gemäß § 543 Absatz 3 Satz 2 Nr. 2 BGB ist aufgrund der Schwere des Vertragsverstoßes die sofortige Kündigung auch ohne vorherige Abmahnung gerechtfertigt.
AG Lichtenberg vom 4.8.2011 – 4 C 93/11 –
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Nach Ansicht des Amtsgerichts konnte der Vermieterin die Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden. Gerade die Androhung massiver Gewalt erfordere ein rasches Handeln zum Schutze ihrer Mitarbeiter und Mieter. Dass der Mieter psychisch erkrankt sei, vermöge die Gefahr nicht zu entkräften. Sein Verhalten wirke für die Vermieterin unkontrollierbar und unbeherrscht. Zwar mag auch im nachbarschaftlichen Zusammenleben mit psychisch kranken Mietern ein erhöhtes Maß an Toleranzbereitschaft zu fordern sein, die Grenze der Toleranz sei jedoch da zu ziehen, wo Mitmieter oder Mitarbeiter ernsthaft gefährdet scheinen. Die Vermieterin sei zum Schutze ihrer Mitarbeiter und der anderen Mieter gehalten, Gefahren von diesen abzuwenden. Ihr sei daher auch bei einer nicht gänzlich unwahrscheinlichen Möglichkeit der Gefahrverwirklichung das Recht zur Vertragsbeendigung zuzubilligen. Je schwerwiegender die angedrohte Gefahr wiege, desto geringere Anforderungen müssten an die Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Verwirklichung dieser Drohung gestellt sein.
Urteilstext
Aus dem Tatbestand:
Mit Mietvertrag vom 8. Juni 2000 mietete der Beklagte ab dem 16. Juni 2011 die im Tenor zu 1. näher bezeichnete Wohnung von der damaligen Eigentümerin der … … mbH an. Der monatliche Mietzins beträgt derzeit 344,50 EUR. Wegen der weiteren Einzelheiten des Mietvertrages wird auf die in der Anlage K1 zur Klageschrift befindliche Kopie des Mietvertrages Bezug genommen (vgl. Bl. 5ff. d.A.).
Seit dem 19. August 2009 ist die Klägerin als Eigentümerin des Gebäudes …straße 70 im Grundbuch eingetragen.
Am 24. Februar 2011 erschien der Beklagte in den Räumlichkeiten der Klägerin und forderte einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 6000 €. Hierbei erklärte er, dass er schießen bzw. im Hause …straße 70 Feuer legen würde, sollte diese Zahlung nicht erfolgen. Ferner drohte er die Inbrandsetzung des Hauses an, sollte er erneut Abmahnungen seitens der Klägerin erhalten. Dem Leiter des Kundenzentrums kündigte der Beklagte für den Fall, dass eine Forderung nicht anerkannt werden, die Zerstörung seines Fahrzeuges an.
Mit Schreiben vom 7. März 2011 erklärte die Klägerin gegenüber dem Beklagten Bezug nehmend auf sein Verhalten am 24. Februar 2011 die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses (vgl. Kopie in Anlage zur Klageschrift Bl. 27f. d.A.).
In der Klageschrift vom 18. April 2011 erklärte der Klägervertreter vorsorglich im Namen der Klägerin nochmals die fristlose Kündigung des streitgegenständlichen Mietverhältnisses.
Am 9. Juni 2011 brüllte der Beklagte lautstark auf einem Kinderspielplatz der Wohnanlage spielende Kinder an und beleidigte sie, da er sich durch sie gestört fühlte.
Die Klägerin beantragt, den Beklagte zu verurteilen, die Wohnung in dem Hause …straße 70 in … Berlin, 3. OG rechts (Wohnungsnummer: 0301) bestehend aus 2 Zimmern, 1 Küche, 1 Flur, 1 WC/Bad nebst Nebengelass sowie 1 Keller zu räumen und an die Klägerin geräumt herauszugeben.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen und eine Räumungsfrist zu gewähren.
Der Beklagte behauptet, an einer psychischen Erkrankung zu leiden. Sein Verhalten am 24. Februar 2011 bedauere er sehr. Er habe nie ernsthaft vorgehabt, die angedrohten Handlungen umzusetzen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachvortrages der Parteien wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen und das Protokoll der mündlichen Verhandlung ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage hat Erfolg. Sie ist zulässig und begründet.
Der Klägerin steht ein Räumungs- und Herausgabeanspruch gegen den Beklagten gemäß § 546 Abs. 1 BGB zu. Aufgrund der Kündigungserklärungen der Klägerin wurde das Mietverhältnis der Parteien fristlos beendet. Die auf einen Vertragsverstoß beruhende fristlose Kündigung ist wirksam.
Die Kündigung ist formal wirksam, da sie ausreichend begründet ist im Sinne des § 569 Abs. 4 BGB. Der Kündigungsgrund – das Verhalten des Beklagten am 24. Februar 2011 – ist sowohl im Schreiben vom 7. März 2011 als auch in der Klageschrift ausreichend individualisiert.
Der Kündigungsgrund ist auch materiell begründet. Das Verhalten des Beklagten am 24. Februar 2011 begründet für die Klägerin einen wichtigen Grund zur sofortigen Beendigung des Vertragsverhältnisses, da unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Die Androhungen des Beklagten, das von ihm bewohnte Haus in Brand zu setzen, zu schießen und das Fahrzeug des Leiters des Kundenzentrums zu zerstören, sollten seine Forderungen nicht erfüllt werden, stellen einen gravierenden Pflichtverstoß dar. Eine Vertragsverletzung ist in der Androhung von Gewalt gegen Leib und Leben der Mitarbeiter der Klägerin und deren Eigentum sowie gegen die Bewohner des Hauses …straße 70 gegeben. Die Handlungen des Beklagten begründen den Straftatbestand der Bedrohung gemäß § 241 StGB und sind damit zugleich Vertragsverletzungen, da sie gegen den Vertragspartner, dessen Mitarbeitern sowie gegen die Hausbewohnern gerichtet sind (vgl. Schmidt-Futterer, Mietrecht, 10. Auflage 2011, § 543 Rdnr. 187). Unter diesen Umständen kann der Klägerin die Fortsetzung des Mietverhältnisses nicht zugemutet werden. Gerade die Androhung derart massiver Gewalt erfordert ein rasches Handeln zum Schutze ihrer Mitarbeiter und Mieter. Dass der Beklagte psychisch erkrankt ist, vermag die Gefahr nicht zu entkräften. Sein Verhalten wirkt für die Klägerin unkontrollierbar und unbeherrscht. Zwar mag auch im nachbarschaftlichen Zusammenleben mit psychisch kranken Mietern ein erhöhtes Maß an Toleranzbereitschaft zu fordern sein, die Grenze der Toleranz ist jedoch da zu ziehen, wo Mitmieter oder Mitarbeiter ernsthaft gefährdet scheinen. Auch wenn sich der Beklagte im Nachgang zu dem geschilderten Vorfall bemühte, sich zu entschuldigen und den Gefährdungsverdacht zu entkräften, so ist der Vermieterin auch unter Würdigung dieser Umstände ein weiteres Festhalten am Vertrag nicht zuzumuten. Die Klägerin ist zum Schutze ihrer Mitarbeiter und der anderen Mieter gehalten, Gefahren von diesen abzuwenden. Ihr ist daher auch bei einer nicht gänzlich unwahrscheinlichen Möglichkeit der Gefahrverwirklichung das Recht zur Vertragsbeendigung zuzubilligen. Je schwerwiegender die angedrohte Gefahr wiegt, desto geringere Anforderungen müssen an die Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Verwirklichung dieser Drohung gestellt sein. Auch die zum Zeitpunkt des Vorfalls bereits bestehende Betreuung des Beklagten vermochte nicht, ihm zu helfen, sich sozial adäquat zu verhalten. Daher sind aus Sicht der Klägerin keine den Beklagten entlastenden Umstände erkennbar, die ihn zukünftig an derartigen Verstößen hindern werden. Auch der nach Ausspruch der fristlosen Kündigung am 9. Juni 2011 eingetretene Vorfall zeigt, dass der Beklagte zu unbeherrschten Verhalten neigt. Es kann daher nicht gänzlich ausgeschlossen werden, dass der Beklagte zur Ausübung der angedrohten Gewalt in der Lage ist. Auch wenn der Beklagte ernsthaft bekundet, seine Androhungen nie umzusetzen, kann der Klägerin ein Risiko, dass der Beklagte abermals einen Kontrollverlust erleidet und es dann nicht bei bloßen Drohungen bleibt, nicht zugemutet werden.
Gemäß § 543 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 BGB war aufgrund der Schwere des Vertragsverstoßes eine sofortige Kündigung auch ohne vorherige Abmahnung gerechtfertigt. Der Klägerin kann nicht zugemutet werden, zunächst eine Abmahnung auf den Verstoß vom 24. Februar 2011 auszusprechen und erst im Fall einer weiteren Drohung des Beklagten zur Kündigung berechtigt zu sein. Die Klägerin müsste dann die Mieter des Hauses …straße 70 und ihre Mitarbeiter in Kenntnis der ersten Androhung bewusst der Gefahr einer zwischenzeitlichen Verwirklichung der Drohung aussetzen. Dies ist aufgrund der Besonderheit der Vertragsverletzung nicht zumutbar, da es nicht nur um eine Wiederholung einer bereits begangenen Vertragsverletzung geht, sondern um die Gefährdung von Leib und Leben. Zum Schutz der Rechte der Klägerin, ihre Mitarbeiter und anderen Mieter ist eine Abmahnung entbehrlich.
Das Gericht verkennt nicht, dass es für den Beklagten schwierig sein wird, neuen Wohnraum zu finden. Im Vertrauen auf das ehrliche Bedauern des Beklagten, wird dem Beklagten daher eine sechsmonatige Räumungsfrist gemäß § 721 ZPO gewährt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 7 und 11, 711 ZPO.
23.12.2017