Leitsatz:
Beginnt der Vermieter umfangreiche Modernisierungsmaßnahmen, ohne sie gemäß § 554 Absatz 3 BGB vorher angekündigt zu haben, kann der Mieter mittels einstweiliger Verfügung die Bauarbeiten stoppen.
LG Berlin vom 12.3.2012 – 63 T 29/12 –
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Das Landgericht begründet seine – aus dem Leitsatz ersichtliche – Auffassung damit, dass der Mieter gemäß § 862 Abs. 1 BGB in seinem Besitz an der Wohnung durch die vom Vermieter im Hause veranlassten Baumaßnahmen gestört werde. Vorliegend hatte der Mieter substanziiert dargelegt, dass von den Modernisierungsarbeiten nicht lediglich unerhebliche Lärm-, Geruchs- und Staubimmissionen ausgingen. Für den Erlass der einstweiligen Verfügung komme es nicht darauf an, dass der Mieter mangels einschlägiger Härten möglicherweise zur Duldung der Modernisierungsarbeiten verpflichtet wäre.
Denn ein Recht des Vermieters zur Vornahme der störenden Handlung im Sinne des § 863 BGB bestehe zumindest solange nicht, bis er die Modernisierungsmaßnahmen ordnungsgemäß gemäß § 554 Absatz 3 Satz 1 BGB gegenüber dem Mieter angekündigt habe.
Eine Ankündigung sei bekanntlich gemäß §§ 554 Absatz 1, Abs. 3 Satz 3 BGB ausnahmsweise nur entbehrlich, wenn die Baumaßnahmen entweder nur mit unerheblichen Einwirkungen auf die vermietete Wohnung verbunden seien oder gar nur der Erhaltung der Mietsache dienten. Für Letzteres konnte der Vermieter nichts vortragen.
Urteilstext
Aus den Gründen:
I. Der Antragsteller begehrt von der Antragsgegnerin die Unterlassung von Modernisierungsmaßnahmen im Wege der einstweiligen Verfügung. Das Amtsgericht, das den Antrag des Antragstellers zunächst zurückgewiesen hatte, hat der daraufhin erhobenen sofortigen Beschwerde des Antragstellers in geringem Umfang abgeholfen und die Sache der Kammer zur Entscheidung vorgelegt.
II. Die gemäß §§ 567 ff. ZPO zulässige Beschwerde ist begründet. Dem Antragsteller steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zu.
Der Antrag ist zulässig, insbesondere wird er den Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO gerecht. Das Amtsgericht hat insoweit die Anforderungen an die hinreichende Bestimmtheit des Antrags im Lichte von § 938 Abs. 1 ZPO überspannt. Anders als im Hauptsacheverfahren bestimmt danach das Gericht bei einem einstweiligen Verfügungsantrag nach freiem Ermessen, welche Anordnungen zum Erreichen des vom Antragsteller verfolgten Zwecks erforderlich sind. Daraus folgt eine Lockerung der Bestimmtheitsanforderungen, so dass der Antragsteller nur sein mit der begehrten einstweiligen Verfügung verfolgtes Rechtsschutzziel anzugeben hat, nicht aber eine bestimmte Maßnahme (BVerfG, Beschluss vom 31. März 1992 – 1 BvR 720/90, NJW-RR 1992, 898; Vollkommer in: Zöller, ZPO, 29. Aufl. 2012, § 938 Rn. 2). Diesen Anforderungen wird der Antrag des Antragstellers, mit dem die Einstellung von Modernisierungsmaßnahmen sowie sämtlicher bauvorbereitender Maßnahmen und Bauarbeiten verlangt wird, gerecht, ohne dass die – vom Antragsteller ohnehin nur zu mutmaßenden – Maßnahmen im Einzelnen anzugeben gewesen wären.
Der Antrag ist auch begründet. Dem Antragsteller steht gegenüber der Antragsgegnerin ein Anspruch auf Unterlassung der Durchführung oder Fortsetzung von Modernisierungsmaßnahmen gemäß §§ 862 Abs. 1, 858 Abs. 1 BGB zu.
Der Antragsteller ist gemäß § 862 Abs. 1 BGB in seinem Besitz an der streitgegenständlichen Wohnung durch die von der Antragsgegnerin im Hause veranlassten Baumaßnahmen gestört; ausreichend sind insoweit bereits nicht lediglich unerhebliche Lärm-, Geruchs- und Staubimmissionen (Bassenge in: Palandt, BGB, 71. Aufl. 2012, § 862 Rn. 3 m.w.N.). Solchen ist der Antragsteller ausweislich seines substantiiert dargetanen und gemäß §§ 936, 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO glaubhaft gemachten Vorbringens ausgesetzt. Einer abschließenden Entscheidung der Kammer, ob der Antragsteller gegebenenfalls gemäß §§ 554 Abs. 2, Abs. 3 BGB zur Duldung der streitgegenständlichen Maßnahmen verpflichtet wäre, bedarf es nicht. Denn ein Recht der Antragsgegnerin zur Vornahme der störenden Handlung i. S. d. § 863 BGB besteht zumindest solange nicht, bis sie die streitgegenständlichen (Modernisierungs-)Maßnahmen ordnungsgemäß gemäß § 554 Abs. 3 Satz 1 BGB gegenüber dem Antragsteller angekündigt hat (Eisenschmid in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 10. Aufl. 2011, § 554 Rn. 361 m.w.N.). Dass eine Ankündigung – ausnahmsweise – gemäß §§ 554 Abs. 1, Abs. 3 Satz 3 BGB entbehrlich gewesen wäre, weil die streitgegenständlichen Maßnahmen entweder nur mit unerheblichen Einwirkungen auf die vermietete Sache verbunden sind oder gar nur der Erhaltung der Mietsache dienen, ist weder vorgetragen noch sonstwie ersichtlich. Das verkennen die gegenteiligen Erwägungen des Amtsgerichts vor dem Hintergrund des insoweit eindeutigen Tatsachenvorbringens der Antragsschrift und der Beschwerdebegründung.
Dem Antragsteller steht auch ein Verfügungsgrund gemäß §§ 935 ff., 920 Abs. 2 ZPO zur Seite. Ein solcher ergibt sich bereits aus der Natur des beantragten Unterlassungsanspruchs, da eine verbotene Eigenmacht den Verfügungsgrund auch ohne gesonderten Vortrag des Antragstellers stets indiziert und eine besondere Dringlichkeit nicht erforderlich ist (Vollkommer, a. a.O., § 940 Rn. 8 „Herausgabe und Sequestration, Räumung und Besitzschutz“ m.w.N).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Wertfestsetzung auf den §§ 53 Abs. 1 Nr. 1 GKG, 3 ZPO.
01.01.2018