Leitsatz:
Zahlen Sozialamt oder Jobcenter die Miete versehentlich nicht an den neuen Vermieter und entsteht dadurch ein kündigungsrelevanter Mietrückstand, ist die fristlose Kündigung des Mieters wegen Zahlungsverzuges in der Regel begründet.
AG Bremen vom 2.5.2013 – 9 C 0565/12 –
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Der Leitsatz der amtsgerichtlichen Entscheidung scheint auf den ersten Blick im Widerspruch zu der BGH-Entscheidung vom 21.10.2009 – VIII ZR 64/09 – zu stehen, wonach das Jobcenter (Sozialamt), das für einen hilfebedürftigen Wohnungsmieter die Kosten der Unterkunft in der Weise übernimmt, dass es die Miete direkt an den Vermieter des Hilfebedürftigen überweist, nicht Erfüllungsgehilfe des Mieters ist. Im BGH-Fall hatte das Jobcenter immer ein paar Tage zu spät die Miete an den Vermieter überwiesen. Die darauf erfolgte Kündigung des Vermieters nach § 543 Abs. 1 BGB wegen unpünktlicher Mietzahlung (vertragswidrigen Verhaltens) hatte der BGH abgewiesen, weil der Mieter die Nachlässigkeit des Jobcenters mangels dessen Erfüllungsgehilfen-Eigenschaft nicht zurechnen lassen musste.
Hingegen wurde im vom Amtsgericht Bremen entschiedenen Fall nach § 543 Absatz 2 Nr. 3 BGB wegen Zahlungsverzuges gekündigt. Das Job-Center hatte dem neu in den Mietvertrag eingetretenen Erwerber die Miete mehrere Monate lang nicht überwiesen, sondern hatte noch an den ehemaligen Vermieter gezahlt. Hier ging es also um die Frage, ob der Mieter mit seiner Mietzahlungspflicht in Verzug geraten war. Das wäre er nicht, wenn er den Zahlungsverzug nicht zu vertreten gehabt hätte (§ 286 Abs. 4 BGB). Das Beschaffungsrisiko von Geld hat man nach Auffassung des Gesetzgebers (§ 276 Abs. 1 BGB) allerdings immer zu vertreten („Geld hat man zu haben“).
So sieht es auch das AG Bremen, indem es bemerkt, dass es nicht sachgerecht erscheine, etwaige Versäumnisse des Sozialamts im Ergebnis zu Lasten des Vermieters wirken zu lassen. Schließlich sei ausschließlich der Mieter Schuldner gemäß § 535 Absatz 2 BGB; das Jobcenter leiste für den Mieter – aufgrund eines lediglich zwischen dem Mieter und der Behörde Geltung beanspruchenden Bescheids – eine bloße Drittzahlung im Sinne des § 267 BGB. Mangelnde finanzielle Leistungsfähigkeit (Sozialhilfebedürftigkeit) sei aber gerade kein anerkannter Grund des Nicht-Vertreten-Müssens im Sinne von § 286 Abs. 4 BGB.
Im vorliegenden Fall kam noch hinzu, dass es sich nicht mehr aufklären ließ, ob das Jobcenter lediglich aufgrund mangelnder Mitwirkung des Mieters weiterhin an den alten Vermieter die Miete überwiesen hatte. Allerdings stellte das Gericht fest, dass es dem Mieter nicht gelungen sei, darzulegen und zu beweisen, dass er „sein Möglichstes“ unternommen habe, um die Zahlungsumstellung bei der Sozialbehörde zu bewirken. Ist es also nach Ansicht des AG Bremen möglich, auch ein Nicht-Vertreten-Müssen des Beschaffungsrisikos in Sozialhilfefällen wie dem Vorliegenden unter Beweis zu stellen?
Mietern, deren Miete vom Jobcenter direkt an den Vermieter überwiesen wird, sei in jedem Falle geraten, dass sie jede ihnen bekannt gewordene Änderung auf der Vermieterseite (Vermieterwechsel, Kontowechsel und anderes) unverzüglich dem Sozialhilfeträger mitteilen und – was noch wichtiger ist – diese Mitteilung beweisbar dokumentieren.
Urteilstext
Tatbestand:
Die Klägerin macht Ansprüche auf Räumung und Mietzinszahlung geltend.
Der Beklagte schloss mit Herrn P… am 10.07./21.07.2006 einen Mietvertrag über die Wohnung A… in 28205 Bremen. Als monatlich geschuldete Miete wurden 230,00 € zuzüglich Betriebskostenvorauszahlung in Höhe von 100,00 €, zahlbar im Voraus bis spätestens zum 3. Werktag des jeweiligen Monats, vereinbart.
Die Miete wurde in der Vergangenheit von dem Sozialamt (Bagis/jobcenter) unmittelbar an den ursprünglichen Vermieter geleistet.
Die Klägerin kaufte in der Folgezeit die Wohnung und wurde am 16.10.2012 als neue Eigentümerin im Grundbuch eingetragen. Mit Schreiben der Klägerin vom 17.09.2013 wies sie den Beklagte auf diesen Umstand hin und forderte, die Miete zukünftig ab dem 01.10.2012 auf ihr Konto zu zahlen.
Seit Oktober 2012 gingen auf dem Konto der Klägerin von Seiten der Bagis oder des Klägers keine Mietzinszahlungen ein. Herr P… überwies der Klägerin jedoch zumindest einmalig einen Betrag in Höhe von 402,63 €.
Mit Schreiben vom 05.11.2012 erklärte die Beklagte wegen Zahlungsverzugs die fristlose Kündigung. Am 19.03.2013 erklärte die Klägerin nochmals die fristlose und die ordentliche Kündigung.
Die Klägerin ist der Ansicht, dass sich der Beklagte zum Zeitpunkt der Kündigungserklärungen schuldhaft im Zahlungsverzug gegenüber der Klägerin befunden habe. Eine nicht zuzuordnende Zahlung in Höhe von 402,63 € sei von Herrn P… mit dem Vermerk „Verwendungszweck R…“ am 07.02.2013 auf das Konto der Klägerin geleistet worden; weitere Zahlungen seien nicht erfolgt.
Die Klägerin beantragt, den Beklagten zu verurteilen,
1. ohne Gewährung einer Räumungsfrist die Wohnung im Hause A….geräumt und besenrein herauszugeben sowie
2. an den Kläger Euro 660,– zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins ab Rechtshängigkeit zzgl. Kosten zu zahlen.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Er trägt vor, dass Herr P… die Mieten – trotz Anzeige des Eigentumswechsels bei der Bagis – vom Jobcenter weiterhin erhalten habe. Die Klägerin habe die Weiterleitung der Mietzinszahlungen an sie vereitelt; so habe sie an Herrn P… einen zuvor erhaltenen Betrag in Höhe von 402,63 € am 15.11.2012 zurück buchen lassen. Ein Organisationsverschulden der Bagis sei dem Beklagten nicht zuzurechnen, ein eigenes Verschulden des Beklagten nicht gegeben. Denn der Beklagte habe die Bagis rechtzeitig vom Gläubigerwechsel in Kenntnis gesetzt, das Mitteilungsschreiben vom 17.09.2012 weitergeleitet und „sein Möglichstes“ getan, um eine Zahlung der Bagis an die Klägerin zu veranlassen.
Die Klage ist am 18.01.2013 zugestellt worden. Das Gericht hat im Termin vom 18.04.2013 Hinweis erteilt.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet.
I. Es besteht gemäß § 546 I BGB ein Räumungsanspruch. Das Mietvertragsverhältnis wurde von der Klägerin gemäß den §§ 543, 569 BGB wirksam gekündigt.
1. Zwar bestand zum Zeitpunkt der ersten Kündigungserklärung vom 5.11.2012 bzw. bei Klageerhebung kein über eine Monatsmiete hinausgehender Zahlungsrückstand gegenüber der Klägerin (§ 569 III Nr. 1 BGB). Denn die Klägerin erwarb die Immobilie erst durch die Grundbuchumschreibung am 16.10.2012 (§§ 873, 925 BGB); seit diesem Zeitpunkt ist sie von Gesetzes wegen in das Mietvertragsverhältnis eingetreten (§ 566 BGB). Da die Miete im Voraus am 3. Werktag des Monats zu entrichten ist, stand der Mietzinszahlungsanspruch für Oktober 2012 daher noch dem früheren Eigentümer der Immobilie zu. Dass der frühere Eigentümer seinen diesbezüglichen Zahlungsanspruch an die Klägerin abgetreten hätte, wurde nicht vorgetragen; der notarielle Kaufvertrag, der eine entsprechende Vereinbarung möglicherweise enthält, wurde nicht zur Akte gereicht. Nach Aktenlage bestand gegenüber der Klägerin daher kein Zahlungsrückstand in Höhe von mehr als einer Monatsmiete (vgl. § 566b BGB).
2. Jedoch ist dem Beklagten mit Schreiben vom 19.03.2013 rechtswirksam gekündigt worden; die Anspruchsvoraussetzungen für den Räumungsanspruch lagen im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vom 18.04.2013 vor. Denn zum Zeitpunkt der zweiten Kündigungserklärung bestand Zahlungsverzug (§ 543 II S. 1 Nr. 3, 286 IV BGB) jedenfalls mit den Mieten Februar und März 2013 bzw. ein Verschulden im Sinne des § 543 I 2 BGB:
2.1 Zwar hatte der Beklagte die Nichtzahlung der Miete an die Klägerin zunächst nicht zu vertreten.
Denn ein Mieter, der ein Schreiben einer ihm unbekannten Person erhält, in der diese künftige Mietzinszahlung auf eine neue Kontoverbindung zugunsten einer im schriftlichen Mietvertrag nicht genannten Partei fordert, muss sich nicht ohne weiteres veranlasst sehen, der Richtigkeit des mitgeteilten Sachverhalts Glauben zu schenken und weisungsgemäß zu handeln. Theoretisch wäre es nämlich möglich, dass sich ein Dritter zu Unrecht berühmt, (bereits) Gläubiger nach §§ 535 II, 566 BGB geworden zu sein. Sofern der Mieter dann vertrauensvoll die Zahlung an den ursprünglichen Vermieter einstellt, riskiert er die Kündigung des Mietverhältnisses durch seinen bisherigen Vertragspartner. Dass dem Mitteilungsschreiben vom 17.09.2012 eine Abschrift des notariellen Kaufvertrags, eine Kopie des aktuellen Grundbuchauszugs oder eine Mitteilung des ursprünglichen Vermieters vom (bereits erfolgten) Eigentumsübergang (§ 566e BGB) beigefügt gewesen wäre, wurde nicht vorgetragen. Hinreichende Kenntnis des Beklagten vom Gläubigerwechsel (vgl. §§ 412, 407, 566 BGB) lag nach Auffassung des Gerichts daher zunächst nicht vor. Zwar hat der Beklagte vorgetragen, dass er von Herrn P… am 15.09.2012 über den Verkauf informiert worden sei („gekauft“). Dieser Vortrag wurde jedoch von der Klägerin vorsorglich bestritten. Zudem trug der Beklagten nicht vor, dass ihm vom ursprünglichen Vermieter mitgeteilt worden sei, er habe bereits ab dem 01.10.2012 die Miete an die Klägerin zu zahlen. Insofern hätte beim Beklagten Unsicherheit über den genauen Zeitpunkt des Wechsels der Gläubigerstellung bestanden, da die Grundbuchumschreibung seinerzeit noch nicht erfolgt war. Der Zeitpunkt des Verkaufs einer Immobilie ist hinsichtlich der Zahlungsverpflichtung gemäß §§ 535, 566 BGB nicht entscheidend; maßgeblich ist der – oftmals deutlich spätere – Zeitpunkt des Eigentumserwerbs. Im Übrigen entsprach der Inhalt des Mitteilungsschreibens vom 17.09.2012 (Zahlungsforderung der Klägerin ab 01.10.2012) wohl nicht der Rechtslage (vgl. §§ 566, 566 b I 2 BGB, s.o.).
Ein Verschulden bzw. Zahlungsverzug des Beklagten gegenüber der Klägerin war daher zunächst nicht gegeben.
2.2 Der Beklagte hatte jedoch zum Zeitpunkt der mit Schreiben vom 19.03.2013 erklärten Kündigungen Kenntnis von der Gläubigerstellung der Klägerin.
Denn mit dem Klageschriftsatz war dem Beklagten am 18.01.2013 auch der Grundbuchauszug zugestellt worden. Aus diesem ergibt sich, dass die streitgegenständliche Wohnung am 16.10.2012 von der Klägerin erworben wurde. Der anwaltlich vertretene Beklagte wusste insofern, dass seine Zahlungsverpflichtung gegenüber der Klägerin bestand.
Das 2. Kündigungsschreiben ist inhaltlich zutreffend begründet worden, da jedenfalls auch auf den Zahlungsverzug für Februar 2013 und März 2013 abgestellt wurde. Der Zugang des Kündigungsschreibens bzw. des Schriftsatzes vom 21.03.2013 wurde von Seiten des Beklagten im Termin vom 18.04.2013 nicht bestritten.
Ob der Beklagte dem Sozialamt tatsächlich Mitteilung vom Vermieterwechsel gegeben hat, ist zwischen den Parteien streitig. Zwar wäre ein Untätigbleiben der Behörde – verzögerte Bearbeitungszeiten – dem Beklagten nicht ohne weiteres zuzurechnen, da das Sozialamt nicht als Erfüllungsgehilfin des Mieters handelt (BGH NJW 2009, 3781: für verzögerte Zahlung seitens der Behörde, LG Wiesbaden WuM 2012, 623).
Den Beklagten trifft hinsichtlich seiner Behauptung, dass er „sein Möglichstes“ unternommen habe, um die Zahlungsumstellung bei der Bagis zu bewirken, jedoch die Darlegungs- und Beweislast; er bleibt insofern mangels Beweisangebots beweisfällig:
Zwar hat der Vermieter das Verschulden des Mieters im Sinne des § 543 I BGB zu beweisen. Dass zumindest die Februar- und Märzmiete 2013 auf dem Konto der Klägerin nicht einging, ist zwischen den Parteien aber unstreitig. Hieraus folgt automatisch das Verschulden des Beklagten, da die Miete aufgrund Zahlungsbestimmung im Mietvertrag zum 3. Werktag des Monats im Voraus zu leisten gewesen wäre (§§ 280 I 2, 286 II Nr. 1, § 556b BGB). Dass gleichwohl – und ausnahmsweise – ein Vertretenmüssen im Sinne des § 286 IV BGB nicht vorliegt, hat dann der Schuldner zu beweisen (vgl. Palandt, 71. A., § 286, Rn. 49; BGH NJW 2011, 2120; LG Frankfurt a.M., NJW 2004, 1238). Schließlich ist der Beklagte hinsichtlich der Erfüllung gemäß § 362 BGB darlegungs- und beweispflichtig. Nichts anderes kann gelten, wenn sich der Beklagte darauf beruft, dass die Erfüllung ausschließlich aus Gründen, die er nicht zu vertreten habe, unterblieben sei.
Im Übrigen erscheint es nicht sachgerecht, etwaige Versäumnisse des Sozialamts im Ergebnis zu Lasten des Vermieters wirken zu lassen. Schließlich ist ausschließlich der Beklagte Schuldner gemäß § 535 II BGB; das jobcenter leistet für den Mieter – aufgrund eines lediglich zwischen dem Mieter und der Behörde Geltung beanspruchenden Bescheids – eine bloße Drittzahlung im Sinne des § 267 BGB. Mangelnde finanzielle Leistungsfähigkeit (Sozialhilfebedürftigkeit) ist aber gerade kein anerkannter Grund des nicht-vertreten-müssens (vgl. BGHZ 36, 345; Palandt, 71. A., § 286, Rn. 32).
Nur wenn im Mietvertrag geregelt wird, dass die Mietzinszahlung durch das jobcenter erfolgen soll, dürfte es angemessen sein, dem Vermieter Versäumnisse der Behörde im Ergebnis zuzurechnen. Eine derartige Abrede wurde im vorliegenden Wohnungsmietvertrag vom 21.07./10.07.2006 indessen nicht getroffen.
II. Der Beklagte schuldet der Klägerin gemäß §§ 535 II, 566 BGB jedenfalls für die Monate Februar und März 2013 Mietzinszahlung in Höhe von insgesamt 660,00 €; mangels entsprechender Antragstellung ist nicht zu prüfen, ob der Klägerin weitergehende Ansprüche für die vorangegangenen Monate zustehen (§ 308 ZPO). Sofern der Klägerin wegen der Eigentumsumschreibung am 16.10.2012 Ansprüche erst ab Dezember 2012 zustünden (vgl. § 566b I 2 BGB) wären die Mietzinsansprüche durch den klägerseits eingeräumten Zahlungseingang von 402,63 € (Eingang im Februar 2013) für den Monat Dezember 2012 vollständig und für den Monat Januar 2013 (teilweise) erloschen (§§ 362, 366 II BGB). Der beweispflichtige (vgl. Palandt, 71. A., § 363, Rn. 1) Beklagte bleibt beweisfällig, dass sich die Ansprüche der Klägerin durch eine weitere Gutschrift auf dem Klägerkonto in Höhe von 402,63 € (Rückbuchung im November 2012) reduziert haben.
III. Dem Beklagten war unter Abwägung der widerstreitenden Interessen eine Räumungsfrist von 6 Monaten zuzusprechen (§ 721 ZPO). Denn die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 22.04.2013 vorgetragen, dass ihr das jobcenter mit Schreiben vom 09.04.2013 die (bislang nicht erfolgte) Mietzinszahlung ab Februar 2013 zugesichert habe. Zwar erfolgte dieser Vortrag – ohne vorangegangene Einräumung einer Nachlassfrist – erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung. Im Rahmen des § 721 ZPO ist er – zugunsten des Beklagten – gleichwohl zu berücksichtigen (vgl. § 721 III 2 ZPO). Im Übrigen erscheint das Verschulden des Beklagten aus den o.g. Gründen gering; die unverzügliche Räumung würde für den offenbar mittellosen Beklagten eine besondere Härte darstellen, da ihm Obdachlosigkeit drohte.
IV. Die Nebenforderungen folgen aus den §§ 291, 288 I BGB. Die weiteren Nebenentscheidungen basieren auf den §§ 91; 708 Nr. 7, 11; 711 BGB.
28.12.2017