Leitsätze:
1. Auch bei allgemein als relativ geringfügig empfundenen Modernisierungsarbeiten kann im Einzelfall dem alten und schwerbehinderten Mieter der Verbleib in der Wohnung während der Bauarbeiten ausnahmsweise unzumutbar sein. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die Frage der Zumutbarkeit eines Verbleibs in der Wohnung für die Zeit der Modernisierungsarbeiten angesichts des hohen Alters und der besonderen körperlichen Disposition eines pflegebedürftigen Mieters anders darstellt als zum Beispiel im Falle eines gesunden und berufstätigen Mieters, der nicht in selbem Maße auf die Unversehrtheit der Wohnung als seinem privaten Rückzugsort angewiesen ist.
2. Die Kosten der außerhäusigen Unterbringung in einem solchen Fall kann der Mieter vom Vermieter als Aufwendungsersatz nach § 555 d Abs. 6 BGB erstattet verlangen.
3. Den angemessenen erstattungsfähigen Betrag kann das Gericht gemäß § 287 ZPO schätzen.
4. Der Gesichtspunkt des Vorteilsausgleichs „neu für alt“ kommt auch beim Aufwendungsersatz nach § 555 a Abs. 3 BGB und nach § 555 d Abs. 6 BGB in Betracht.
LG Berlin vom 18.3.2016 – 65 S 171/15 –
Mitgeteilt von RA Martin Winkler
Urteilstext
Gründe
I.
Von der Darstellung des Tatbestands wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 Abs. 1 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.
II.
Die zulässige Berufung des Klägers ist lediglich in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Im Übrigen beruht das angefochtene Urteil weder auf einer Rechtsverletzung gemäß § 546 ZPO, noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung, § 513 ZPO.
1) Mit teilweisem Erfolg wendet der Kläger sich gegen die Abweisung der Klage auf Erstattung der für die Zeit der Modernisierungsarbeiten wegen der Unterbringung in der Seniorenresidenz angefallenen Unterbringungskosten. Über den erstinstanzlich insoweit zuerkannten Anspruch i.H.v. 374,76 € steht dem Kläger gem. § 554 Abs.4 BGB (a.F.) ein weitergehender Anspruch i.H.v. 2.123,64 € zu.
Das Berufungsgericht schätzt unter Zugrundelegung des zutreffenden Kostenansatzes des Amtsgerichts für den vom Kläger aufzubringenden Eigenanteil von täglich 41,64 € den unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls erstattungsfähigen Aufwendungsersatz gem. § 287 ZPO auf insgesamt 2.498,40 €. Dies entspricht einer Unterbringungsdauer von insgesamt zwei Monaten. Dabei war zu berücksichtigen, dass sich die Frage der Zumutbarkeit eines Verbleibs in der Wohnung für die Zeit der Modernisierungsarbeiten angesichts des hohen Alters und der besonderen körperlichen Disposition des pflegebedürftigen Klägers anders darstellt, als z.B. im Falle eines gesunden und berufstätigen Mieters, der nicht in selben Maße auf die Unversehrtheit der Wohnung als seinem privaten Rückzugsort angewiesen ist. Auf der anderen Seite war angesichts des Ausmaßes der Beeinträchtigungen, wie sie klägerseits im Einzelnen dargelegt und anlässlich der erstinstanzlichen Beweisaufnahme bestätigt worden sind, aber auch nicht davon auszugehen, dass hier eine außerhäusige Unterbringung für die gesamte Zeit der Modernisierungsarbeiten im Zeitraum April bis einschließlich Juli 2012 auf Kosten des Vermieters angemessen war. Eine taggenaue Abgrenzung ist insoweit zwar nicht möglich. Dennoch hat das Gericht einen angemessenen erstattungsfähigen Mindestbetrag gem. § 287 ZPO zu schätzen, sofern hinreichende Anknüpfungstatsachen vorliegen (vgl. LG Osnabrück, Urteil vom 19. Oktober 2011 – 1 S 203/10, zitiert nach juris).
Das Berufungsgericht geht dabei, ebenso wie das Amtsgericht zunächst davon aus, dass für die Zeit des Fensteraustausches in der streitgegenständlichen Wohnung dem pflegebedürftigen Kläger ein Verbleib vor Ort nicht zumutbar war. Entsprechendes gilt nach Ansicht der Kammer aber zumindest auch noch für den Zeitraum, in dem – wie sich im Rahmen der Beweisaufnahme bestätigt hat – infolge der Außenarbeiten an den Fenstern ein besonders starker Geruch des dabei verwendeten Klebers in die Wohnung eindrang. Auch wenn nach Angaben der Zeugin C. die Geruchsbeeinträchtigungen bei der Abnahme der Arbeiten am 06.07.2011 schon wesentlich geringer gewesen sein sollen, hält das Gericht angesichts des Umstandes,·dass es bis dahin neben den Beeinträchtigungen durch Lärm und Staub u.a. auch wiederholt zu Unterbrechungen der Warmwasserzufuhr gekommen war, eine Erstattung der Unterbringungskosten für insgesamt zwei Monate für angemessen. Das Gericht verkennt nicht, dass es auch danach vereinzelt noch zu Unterbrechungen der Warmwasserzufuhr gekommen ist und z.T. auch noch weitere Nachbesserungsarbeiten in der Wohnung des Klägers erfolgt sind. Da eine taggenaue Abgrenzung hier insoweit jedoch nicht möglich ist und bei der Zugrundelegung eines Zeitraums von zwei Monaten auch Tage umfasst werden, in denen die Gebrauchsbeeinträchtigungen durch die Bauarbeiten in- und außerhalb der Wohnung des Klägers geringer waren, hält das Gericht einen geschätzten Mindestaufwand von insgesamt zwei Monaten für angemessen.
2) Ohne Erfolg wendet der Kläger sich hingegen gegen die Abweisung der Klage auf Erstattung der Kosten für die Anschaffung neuer Jalousien i.H.v. 755,- €.
Das Amtsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass angesichts des Alters der infolge des Fensteraustausches unbrauchbar gewordenen Jalousien von mehr als 40 Jahren ein Aufwendungsersatzanspruch gem.§ 554 Abs.4 BGB (a.F.) ausscheidet.
Soweit der Kläger sich dagegen darauf beruft, dass der trotz des Alters nach wie vor vorhandene Gebrauchswert der Jalousien nicht gänzlich unberücksichtigt gelassen werden könne, verkennt er, dass entsprechende normative Korrekturen z.B. auch im Schadenersatzrecht unter dem Gesichtspunkt des Vorteilsausgleichs „neu für alt“ vorgenommen werden, welcher sich im Falle des Fehlens eines Gebrauchtmarktes für die betroffene Sache an der bereits konkret verstrichenen Gebrauchszeit im Verhältnis zur allgemein zu erwartenden Lebensdauer der Sache orientiert. Ebenso wird auch im Zusammenhang mit der Bewertung einer besonderen Härte der Duldung von Modernisierungsarbeiten, durch welche ggf. mieterseits für die Mietsache getätigte Investitionen zu Nichte gemacht werden, darauf abgestellt, dass diese mit fortschreitendem Mietgebrauch abgewohnt werden. Als Anhaltspunkt für die zu bemessende Zeitspanne und die Höhe der Aufwendungen gilt insoweit, dass der Betrag einer Jahresmiete in vier Jahren abgewohnt wird (vgl. Kinne/Schach/Bieber, Miet- und mit Prozessrecht, 5. Auflage, § 554 Rn. 89 mit weiteren Nachweisen; LG Berlin, Urteil vom 08. November 2010 – 67 S 47/10, zitiert nach juris). Auch unter ergänzender Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist die Wertung des Amtsgerichts vorliegend nicht zu beanstanden.
3) Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1 Satz ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit resultiert aus §§ 708 Nr:10, 713 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, weil·die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erforderlich macht, § 543 Abs. 2 ZPO.
03.01.2018