Leitsätze:
Es kann offen bleiben, ob der Berliner Mietspiegel 2015 den (erhöhten) Anforderungen an einen qualifizierten Mietspiegel nach § 558 d Abs. 1 BGB genügt.
Denn ein Mietspiegel darf als einfacher Mietspiegel im Sinne des § 558 c Abs. 1 BGB in die Überzeugungsbildung des Gerichts über die Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete einfließen (§ 286 ZPO). Einem einfachen Mietspiegel kommt zwar nicht die dem qualifizierten Mietspiegel vorbehaltene Vermutungswirkung (§ 558 d Abs. 3 BGB) zu; er stellt aber ein Indiz dafür dar, dass die angegebenen Entgelte die ortsübliche Vergleichsmiete zutreffend wiedergeben.
Voraussetzung für die Berücksichtigung des Mietspiegels als Indiz im Rahmen der richterlichen Überzeugungsbildung ist, dass er die Tatbestandsmerkmale des § 558 c Abs. 1 BGB erfüllt, was beim Berliner Mietspiegel 2015 gegeben ist.
LG Berlin vom 13.7.2016 – 65 S 199/16 –
Mitgeteilt von VRinLG Astrid Siegmund
Urteilstext
In dem Rechtsstreit
(…) GmbH ./. (…)
beabsichtigt die Kammer, die zulässige, insbesondere statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Neukölln vom 22. März 2016 gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen, weil sie offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
I.
Das angefochtene Urteil des Amtsgerichts beruht weder auf einer Rechtsverletzung gemäß § 546 ZPO, noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung, § 513 ZPO.
Frei von Rechtsfehlern hat das Amtsgericht die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Zustimmung zu einer Erhöhung der Nettokaltmiete für die von diesem inne gehaltene Wohnung aus § 558 Abs. 1 BGB, denn die derzeit vereinbarte Miete übersteigt bereits die ortsübliche Vergleichsmiete.
a) Zutreffend hat das Amtsgericht die materielle Berechtigung der verlangten Erhöhung der Miete bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete hier auf der Grundlage des Berliner Mietspiegels 2015 überprüft; es durfte dabei offen lassen, ob der Mietspiegel den (erhöhten) Anforderungen an einen qualifizierten Mietspiegel nach § 558d Abs. 1 BGB genügt.
Nach gesicherter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der die Kammer und – soweit ersichtlich – auch die übrigen Mietberufungskammern des Landgerichts Berlin folgen, darf ein Mietspiegel als einfacher Mietspiegel im Sinne des § 558c Abs. 1 BGB in die Überzeugungsbildung des Gerichts über die Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete einfließen (§ 286 ZPO). Einem einfachen Mietspiegel kommt zwar nicht die dem qualifizierten Mietspiegel vorbehaltene Vermutungswirkung (§ 558d Abs. 3 BGB) zu; er stellt aber ein Indiz dafür dar, dass die angegebenen Entgelte die ortsübliche Vergleichsmiete zutreffend wiedergeben; wie weit die Indizwirkung reicht, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere davon, welche Einwendungen gegen den Erkenntniswert der Angaben des Mietspiegels erhoben werden (vgl. BGH, Urt. v. 16.06.2010, – VIII ZR 99/09, in WuM 2010, 505 = Grundeigentum 2010, 1049, juris Rn. 9; Urt. v. 21.11.2012 – VIII ZR 46/12, in WuM 2013, 233 = Grundeigentum 2013, 197, juris Rn. 13). Voraussetzung für die Berücksichtigung des Mietspiegels als Indiz im Rahmen der richterlichen Überzeugungsbildung ist, dass er die Tatbestandsmerkmale des § 558c Abs. 1 BGB erfüllt (vgl. BGH, Urt. v. 21.11.2012, a.a.O., juris Rn. 17).
Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.
Nach § 558c Abs. 1 BGB ist ein (einfacher) Mietspiegel eine Übersicht über die ortsübliche Vergleichsmiete, soweit die Übersicht von der Gemeinde oder von Interessenvertretern der Vermieter und der Mieter gemeinsam erstellt oder anerkannt worden ist.
Der Berliner Mietspiegel 2015 wurde ausweislich der Angaben unter Ziffer 1. von der Gemeinde – dem Land Berlin – und Interessenvertretern der Mieter – dem Berliner Mieterverein e. V., Landesverband Berlin, der Berliner MieterGemeinschaft e.V., dem Mieterschutzbund e. V. – sowie einem Interessenvertreter der Vermieter – dem BBU Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen e. V. erstellt, zu deren Mitgliedsunternehmen die Klägerin im Übrigen gehört. Die vorgenannten Interessenvertreter haben den Mietspiegel sogar als qualifizierten Mietspiegel gemäß § 558d BGB ausdrücklich anerkannt, insbesondere weil er „nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen“ fortgeschrieben wurde, was die Klägerin nunmehr im Prozess in Abrede gestellt hat. Weder dem Wortlaut der Vorschrift noch den Gesetzesmaterialien lässt sich entnehmen, dass eine bestimmte Anzahl von Interessenvertretern bei der Erstellung mitgewirkt haben muss; die Anerkennung als (einfacher) Mietspiegel wird lediglich alternativ genannt, ist demnach ebenfalls nicht Tatbestandsvoraussetzung.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs spricht in einem Fall wie dem hier gegebenen – der Beteiligung der örtlichen Interessenvertreter sowie der Mieter- und Vermieterseite an der Erstellung – schon die Lebenserfahrung dafür, dass der Mietspiegel die örtliche Mietsituation nicht einseitig, sondern objektiv zutreffend abbildet (vgl. BGH, Urt. v. 16.06.2010, a.a.O., juris Rn. 14).
Der gemäß §§ 529, 531 ZPO zugrunde zu legende Vortrag der Klägerin begründet keine Zweifel an dieser Annahme bzw. – weitergehend – an der Indizwirkung des Berliner Mietspiegels 2015 als einfachem Mietspiegel.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind substanziierte Angriffe gegen den Erkenntniswert der Angaben des Mietspiegels zu richten. Erst wenn danach Zweifel an der Verlässlichkeit des Mietspiegels verbleiben, ist die Indizwirkung erschüttert (vgl. BGH, Urt. v. 16.06.2010, a.a.O., Rn. 13, 15; Urt. v. 21.11.2012, a.a.O., Rn. 16ff.).
Die Klägerin beschränkt sich in der Klageschrift auf allgemeine Beanstandungen unter Hinweis auf Feststellungen in anderen Verfahren frühere Mietspiegel betreffend; ein Bezug zur Feststellung der ortsüblichen Vergleichsmiete bezüglich der hier gegenständlichen Wohnung fehlt vollständig. Dass die Orientierungshilfe lediglich eine Schätzgrundlage bietet, lässt sich bereits dem Mietspiegel selbst entnehmen, vgl. Ziff. 4 des Mietspiegels (a. E.). Vor dem hier gegebenen Hintergrund überrascht es, wenn die Klägerin ihrerseits dem Bundesgerichtshof vorwirft, er habe es sich „recht leicht gemacht“ (Bezug: BGH, Urt. v. 20.04.2005 – VIII ZR 110/04, juris). Die Klägerin – ein großes Berliner Wohnungsunternehmen – beschränkt sich – anders etwa als der Vermieter in dem Verfahren VIII ZR 46/12 – zur Begründung des Mieterhöhungsverlangens auf den Berliner Mietspiegel 2015, „nutzt“ demnach die Vereinfachungen der Regelungen der Mietrechtsreform 2001, die im Interesse der Vermieter und der Mieter lagen, „demontiert“ dann aber bereits in der Klageschrift – wenngleich mit allgemeinen, unsubstanziierten Beanstandungen – ihre Begründung, dies unter Verzicht auf die Angabe eines alternativen Begründungsmittels.
b) Entgegen der Auffassung der Klägerin verkennt das Amtsgericht nicht das ihm eingeräumte und auszuübende Ermessen im Rahmen der Schätzung der ortsüblichen Vergleichsmiete für die hier gegenständliche Wohnung, § 287 Abs. 1 ZPO. Es wendet die Orientierungshilfe insbesondere nicht etwa „statisch“ an.
Nach den (gesetzlich definierten) Kriterien wird die ortsübliche Vergleichsmiete gebildet aus den üblichen Entgelten, die in der Gemeinde oder einer vergleichbaren Gemeinde für Wohnraum vergleichbarer Art, Größe, Ausstattung, Beschaffenheit und Lage einschließlich der energetischen Ausstattung und Beschaffenheit in den letzten vier Jahren vereinbart oder, von Erhöhungen nach § 560 abgesehen, geändert worden sind, § 558 Abs. 2 BGB.
Offen lässt die Klägerin, auf welche Rechtsgrundlage sie ihre Auffassung meint stützen zu können, dass im Rahmen der Anwendung der Orientierungshilfe – abweichend von § 558 Abs. 2 BGB – nunmehr der Zustand der Wohnung im Zeitpunkt der Bezugsfertigkeit – hier 1928 – zugrunde zu legen sein soll. Es ist nach dem Wortlaut des Gesetzes vollkommen unerheblich, ob es – wie die Klägerin ausführt – 1928 üblich war, „Bäder – welche als Funktionsräume lediglich nachrangig betrachtet wurden – nicht mit einer Wandverfliesung, sondern einem Paneelanstrich auszugestalten“ bzw. es „schlichtweg keine Häuser (gab), die 1928 bereits mit einem Geschirrspülanschluss ausgestattet waren, schlicht deshalb, weil es damals noch keine Geschirrspülmaschinen als allgemein übliches Küchengerät gab.“
Diese und die weiteren diesbezüglichen Feststellungen der Klägerin können – ohne den von ihr insoweit angebotenen Sachverständigenbeweis zu erheben – als zutreffend unterstellt werden.
Die im Zeitpunkt der Errichtung übliche Ausstattung ist nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes allerdings auch nicht der Maßstab für die Bewertung der Ausstattung der Wohnung im Rahmen der Feststellung der ortsüblichen Vergleichsmiete. Der Mieter hat vielmehr – es sei denn, es wurde wirksam Abweichendes vereinbart – auch bei einer nicht modernisierten Altbauwohnung sogar einen Anspruch auf den heute üblichen Mindeststandard etwa bei der Elektrizitätsversorgung (vgl. BGH, Urt. v. 10.02.2010 – VIII ZR 343/08, in WuM 2010, 235, juris).
Die Argumentation der Klägerin vermag keine Zweifel bei der Kammer zu begründen, dass – nach den zugrunde zu legenden Kriterien des § 558 Abs. 2 BGB – die hier in Frage gestellte Ausstattung eines Bades mit Fliesen anstelle eines Ölpaneelanstrichs oder die Möglichkeit des Anschlusses eines Geschirrspülers – die Höhe der vereinbarten Mieten in dem nach § 558 Abs. 2 BGB maßgeblichen Zeitraum beeinflusst.
Unerheblich sind die Ausführungen der Klägerin zum Breitbandkabelanschluss. Das Amtsgericht hat die Berücksichtigungsfähigkeit ausdrücklich offen gelassen, weil es bereits wohnwerterhöhend den großen Balkon im Rahmen der Schätzung berücksichtigt hat.
Soweit die Klägerin weiter das Merkmal der Anzahl der Mietparteien – weniger als 7 – im Rahmen der Merkmalgruppe 4 berücksichtigt sehen möchte, das keinen Eingang in die Orientierungshilfe gefunden hat, so verkennt sie die Darlegungslast. Sie müsste – da wohnwerterhöhend geltend gemacht – eben das substantiiert vortragen, wofür das Amtsgericht entsprechende Angaben vermisst. Unabhängig davon, spricht – ihrer Argumentation folgend – auch einiges dafür, einen etwaigen positiven Begleitumstand wie diesen – im Rahmen des Wohnumfeldes (Merkmalgruppe 5) zu berücksichtigen, was sich hier deshalb nicht zu ihren Gunsten auswirken würde, weil die Merkmalgruppe „Wohnumfeld“ durch zwei den Wohnwert mindernde Merkmale belastet ist.
II.
Die Klägerin erhält Gelegenheit zur Stellungnahme gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO und gegebenenfalls Rücknahme der Berufung binnen 2 Wochen. Es wird darauf hingewiesen, dass sich die Gerichtsgebühren bei Zurücknahme der Berufung ermäßigen.
04.01.2018