Leitsätze:
1. Die Regelung der Rechtsverhältnisse an der im Inland belegenen Ehewohnung untersteht auch bei einer beiderseitigen ausländischen Staatsangehörigkeit der geschiedenen Ehegatten dem deutschen Sachrecht.
2. In Fällen, in denen keiner der beiden Ehegatten geltend macht, die Ehewohnung sei ihm allein zu überlassen, damit er sie mit dem gemeinsamen Kind nutzen kann, hat die Zuweisung der Ehewohnung auf der Grundlage einer umfassenden Abwägung nach Billigkeitsgründen zu erfolgen, bei der die Ehewohnung demjenigen Ehegatten zuzuweisen ist, der nach Abwägung aller maßgeblichen Gesichtspunkte in stärkerem Maße auf sie angewiesen ist.
3. Bei dieser Abwägung können unter anderem die jeweiligen aktuellen Wohnverhältnisse der geschiedenen Ehegatten; ihre jeweiligen wirtschaftlichen Verhältnisse; die Möglichkeit, sich mit den eigenen, vorhandenen Mitteln auf einem in den Metropolregionen stark angespannten Wohnungsmarkt neuen Wohnraum zu verschaffen; die Vermutung der Aufgabe des Nutzungsrechts gemäß § 1361 b Abs. 4 BGB; die Tatsache, dass ein Ehegatte im Schichtdienst arbeitet, über kein eigenes Fahrzeug verfügt und die Ehewohnung (noch) in fußläufiger Entfernung zu dessen Arbeitsplatz liegt sowie der Umstand berücksichtigt werden, dass ein Ehegatte auf die Ehewohnung als Ort angewiesen ist, um dort den Umgang mit dem gemeinsamen Kind zu pflegen. Der Tatsache, dass ein Ehegatte der alleinige Mieter der Ehewohnung ist, kommt dagegen in der Regel kein entscheidendes Gewicht zu.
Kammergericht vom 19.9.2023 – 16 UF 83/23 –
mitgeteilt von Dr. Martin Menne, RiKG
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Es ging hier um die gerichtliche Zuweisung der Ehewohnung nach der Scheidung gemäß § 1568 a Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BGB. In dem Zuweisungsverfahren ist im Übrigen der Vermieter zu beteiligen, weil dessen Rechte teilweise sehr massiv betroffen sein können, etwa, wenn er durch die Zuweisungsentscheidung einen „neuen“ Mieter bekommt, an den er nicht vermietet hätte.
Neben dem gerichtlichen Zuweisungsverfahren gibt es noch einen zweiten Weg, wie Eheleute die weitere Nutzung der ehemaligen Ehewohnung gestalten können: Wenn die Eheleute sich darüber einig sind, wer die Wohnung künftig allein nutzen soll, können sie durch eine gemeinsame Erklärung an den Vermieter erreichen, dass das Mietverhältnis mit einem von ihnen allein fortgesetzt wird (§ 1568 a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BGB). An einer solchen Erklärung müssen beide Mieter mitwirken, aber nicht vor Rechtskraft der Scheidung.
Stichtag für den Mieterwechsel ist entweder der Zeitpunkt des Zugangs einer entsprechenden Mitteilung der Ehegatten an den Vermieter oder die Rechtskraft der Endentscheidung im Wohnungszuweisungsverfahren. Dem Vermieter steht im Falle des Eintritts ein außerordentliches Kündigungsrecht zu, wenn in der Person des Eingetretenen ein wichtiger Grund vorliegt (§ 1568 a Abs. 3 Satz 2 BGB).
Wichtig: Der Anspruch auf Eintritt in den Mietvertrag erlischt ein Jahr nach Rechtskraft der Endentscheidung im Scheidungsprozess, wenn er nicht vorher rechtshängig gemacht worden ist (§ 1568 a Abs. 6 BGB).
Urteilstext
Gründe:
I.
Der Antragsteller wendet sich gegen die Entscheidung des Familiengerichts in dem Scheidungsverbundbeschluss vom 28. Juni 2023, mit dem die in der K???straße ?? in ????? B??? belegene Ehewohnung der Antragsgegnerin überlassen wurde.
Zur Begründung der Entscheidung hat das Familiengericht ausgeführt, auch wenn die gemeinsame Tochter der Beteiligten – die heute knapp über 12 Jahre alte N??? – seit längerer Zeit bereits im Haushalt des Antragstellers lebe, überwögen dennoch die Interessen der Antragsgegnerin an der Belassung der Wohnung das Interesse des Antragstellers, dass die von ihm allein angemietete Ehewohnung, aus der er im August 2020 ausgezogen sei, erneut ihm wieder zur Nutzung überlassen werde. Denn der Antragsteller sei mit der Tochter von B??? nach E??? gezogen, wo das Kind die Schule besuche, und zusätzlich sei der Antragsteller Eigentümer eines Grundstücks in F???, das von ihm derzeit mit einem Wohnhaus bebaut werde. Weiter sei zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin sich die Wohnung erhalten wolle, um einen Platz zu haben, an dem sie den Umgang mit der gemeinsamen Tochter ausüben könne.
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde. Er meint, die Wohnung sei ihm zu überlassen. Denn er sei – unstreitig – der Mieter der Wohnung. Er arbeite in unmittelbarer Nähe der Wohnung für den Sicherheitsdienst eines großen Einkaufszentrums. Ursprünglich, im Zuge seines Auszuges aus der Ehewohnung im August 2020, sei zwischen ihm und der Antragsgegnerin abgesprochen gewesen, dass sie – die Antragsgegnerin – sich eine neue, eigene Wohnung suchen werde. Seine eigene Wohnsituation sei im Ergebnis unzumutbar: Zwar wohne seine eigene Mutter ebenfalls in geringer Entfernung zu seinem Arbeitsplatz, aber die Wohnung der Mutter sei sehr klein. Am Wohnsitz seiner neuen Lebensgefährtin in E???, wo er und das gemeinsame Kind aktuell lebten, könne er sich nicht anmelden, weil die Wohnung der Lebensgefährtin „WBS berechtigt“ sei. Der Umzug nach F??? solle sich „auf unbekannt“ verzögern.
Der Vermieter wurde angeschrieben; er hat erklärt, auf eine Stellungnahme zum Verfahren zu verzichten.
Das Jugendamt wurde beteiligt und hat unter dem 24. August 2023 berichtet.
Der Senat hat zu Informationszwecken die Akte des Verfahrens zur Regelung des Umgangs zwischen N??? und ihrer Mutter (Amtsgericht Pankow 200 F 525/23) beigezogen. Den Beteiligten wurde am 28. Juli 2023 ein Hinweis erteilt. Mit Schreiben vom 1. September 2023 wurden weitere Hinweise erteilt und den Beteiligten eine Frist zum abschließenden, schriftlichen Vortrag gesetzt.
II.
Die zulässige Beschwerde des Antragstellers (§§ 58, 64ff. FamFG) ist nicht begründet:
1. a) Zwar liegt, auch wenn die streitbefangene Ehewohnung im Inland belegen ist, aufgrund der ukrainischen Staatsangehörigkeit des Antragstellers und der russischen Staatsangehörigkeit der Antragsgegnerin ein Sachverhalt mit Auslandsberührung vor (Art. 3 EGBGB). Dennoch hat das Familiengericht im Ergebnis zu Recht deutsches Sachrecht angewandt:
b) Das ergibt sich zwar noch nicht aus der EüGVO, der europäischen Güterstands-VO vom 24. Juni 2016. Deren sachlicher Anwendungsbereich soll zwar über die Regelung von rein güterrechtlichen Fragestellungen hinaus auch Fragen der Wohnungszuweisung umfassen (vgl. Grüneberg/Thorn, BGB [82. Aufl. 2023], Art. 27 EuGüVO Rn. 6; Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht [2. Aufl. 2018], Rn. B 313). Aber in zeitlicher Hinsicht betreffen die Bestimmungen der EuGüVO ausschließlich Ehegatten, die am oder nach dem 29. Januar 2019 die Ehe eingegangen sind (Art. 69 Abs. 3 EuGüVO). Da die hier Beteiligten die Ehe jedoch schon im Februar 2010 geschlossen haben, ist die EuGüVO noch nicht anwendbar.
c) Welches Statut anstelle der EuGüVO auf die Regelung der Rechtsverhältnisse an der Ehewohnung anwendbar sein soll, ist streitig:
(aa) Teilweise wird vertreten, bei im Inland belegenen Ehewohnungen sei das Scheidungsstatut heranzuziehen (vgl. Ganz in Gerhardt/von Heintschel-Heinegg/Klein, Handbuch Familienrecht [12. Aufl. 2021], Kap. 15 Rn. 305). Das ist hier das nach Art. 8 lit. a Rom III-VO berufene deutsche Sachrecht (Art. 11 Rom III-VO) als Recht des gewöhnlichen Aufenthalts der beteiligten Ehegatten.
(bb) Nach anderer Auffassung soll Art. 17a EGBGB erweiternd ausgelegt werden und die deutschen Sachvorschriften nicht nur für die im Wortlaut der Bestimmung genannten Betretungs-, Näherungs- und Kontaktverbote gelten, sondern auch für die in der amtlichen Überschrift der Norm angeführte Ehewohnung: Denn aus der Abfassung der Norm ergebe sich ihr Charakter als international-privatrechtliche Eingriffsnorm im Sinne von Art. 30 EuGüVO mit der Folge, dass die Regelung der Rechtsverhältnisse an einer im Inland belegenen Ehewohnung dem deutschen (Sach-) Recht als Recht des angerufenen Gerichts unterstehen soll (vgl. Henrich, Internationales Scheidungsrecht [5. Aufl. 2023], Rn. 152 [am Ende]; Grüneberg/Thorn, BGB [82. Aufl. 2023], Art. 17 EGBGB Rn. 2 [am Ende]).
(cc) Da beide Auffassungen zum gleichen Ergebnis führen, bedarf es keiner abschließenden Entscheidung dieser Rechtsfrage.
2. Auf der Grundlage des danach anwendbaren deutschen Sachrechts kann die Antragsgegnerin vom Antragsteller – wie das Familiengericht zutreffend herausgearbeitet hat – jedoch verlangen, dass er ihr die Ehewohnung überlässt, weil sie in stärkerem Maße auf deren Nutzung angewiesen ist und die Überlassung an sie der Billigkeit entspricht (§ 1568a Abs. 1 BGB). Im Einzelnen:
a) (aa) Eine Ausrichtung der zu treffenden Zuweisungsentscheidung am Wohl eines im Haushalt lebenden Kindes (§ 1568a Abs. 1 BGB) kommt hier – vorbehaltlich des unten erörterten Gesichtspunktes, den Umgang zu ermöglichen – nicht in Betracht. Zwar lebt N???, die gemeinsame, heute knapp über 12 Jahre alte Tochter der beiden Ehegatten, etwa seit zwei Jahren zusammen mit einer 16-jährigen Halbschwester und der neuen Lebenspartnerin des Antragstellers in dessen Haushalt in E??? (vgl. Bericht der Verfahrensbeiständin vom 12. Februar 2023, dort S. 2; Beiakte Amtsgericht Pankow 200 F 525/23, I/39 sowie Bericht des Jugendamtes vom 24. August 2023; HA I/128). Aber vom Antragsteller wird nicht behauptet, dass er die Ehewohnung zugewiesen haben möchte, um dort mit der gemeinsamen Tochter zu leben. Im Gegenteil: Die Antragsgegnerin hat wiederholt – und ohne, dass der Antragsteller dem widersprochen hätte (§ 138 Abs. 3 ZPO) – vorgetragen, der Antragsteller habe ihr gegenüber erklärt, er beabsichtige, nach erfolgter Zuweisung der Ehewohnung ein Zimmer davon unterzuvermieten, ohne dass der Vermieter davon etwas erfahren soll (u.a. Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 10. Februar 2023, WH 10).
(bb) Tatsächlich erscheint es auch mehr als fernliegend, dass N??? in die Ehewohnung einziehen könnte: Im Umgangsverfahren hat N??? gegenüber der Verfahrensbeiständin erklärt, E??? als ihren Lebensmittelpunkt anzusehen und dass sie dort gerne wohne. Sie hat weiter erklärt, sich bereits auf den Umzug in das Haus des Vaters in F??? zu freuen. Dort wolle sie auch nach der Grundschule, ab der 7. Klasse, die Sekundarschule besuchen, die sie sich – zusammen mit dem Vater – auch schon angesehen habe (vgl. Bericht der Verfahrensbeiständin vom 12. Februar 2023, dort S. 4, 10; Beiakte Amtsgericht Pankow 200 F 525/23, I/41, 47). Tatsächlich hat der Vater der Mutter wohl im Januar/Februar 2023 ein nicht datiertes Schreiben übersandt, mit dem die Mutter durch Unterschrift ihre Zustimmung dazu bekundet, dass N??? die Oberschule „A???“ in F??? besuchen darf und das Kind polizeilich nach F??? umgemeldet werden kann (Schreiben als Anlage zum Schriftsatz Rechtsanwältin ??? vom 15. Februar 2023, Beiakte 200 F 525/23, I/28 = Anlage zum Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 31. Juli 2023, HA I/107). Gegenüber der Verfahrensbeiständin hat der Vater im Februar 2023 erklärt, es sei vorgesehen, dass „die Familie“ im Sommer 2023 von E??? nach F??? umziehe (vgl. Bericht der Verfahrensbeiständin vom 12. Februar 2023, dort S. 3; Beiakte Amtsgericht Pankow 200 F 525/23, I/40). Die überraschende Erklärung des Antragstellers aus dem Schriftsatz vom 3. August 2023 (HA I/115), nunmehr sei nicht mehr beabsichtigt, dass N??? die Oberschule in F??? besuche, sondern dass sie im laufenden Schuljahr 2023/24 auf eine Oberschule in E??? gehen wird, rechtfertigt keine andere Beurteilung, sondern bestätigt lediglich erneut den Befund, dass nach dem Dafürhalten des Antragstellers die Ehewohnung jedenfalls nicht für eine Nutzung durch N??? vorgesehen ist. Beide beteiligten Ehegatten haben das im Gespräch mit dem Jugendamt bestätigt: Sie haben gegenüber dem Jugendamt erklärt, sich darüber einig zu sein, dass N??? lieber außerhalb der Innenstadt leben möchte.
(cc) Bei lebensnaher Würdigung des Vortrags der Beteiligten unter Berücksichtigung auch der Äußerung des Antragstellers gegenüber der Antragsgegnerin, im Falle einer für ihn positiven Zuweisungsentscheidung zu beabsichtigen, ein Zimmer der Ehewohnung weiter zu vermieten, spricht vielmehr alles dafür, dass der Antragsteller die Wohnung nutzen möchte, weil sie in unmittelbarer Nähe zu seiner Arbeitsstelle am A??? in B??? liegt und sich damit für ihn die Möglichkeit ergibt, „unter der Woche“ in dem nicht weiter vermieteten Teil der Wohnung zu leben, um von dort bequem den eigenen Arbeitsplatz erreichen zu können.
b) In Fällen wie hier, in denen keiner der beiden Ehegatten die Wohnung benötigt, um dort mit den gemeinsamen Kindern weiter leben zu können und um ihnen das vertraute Umfeld zu erhalten (vgl. nur Grüneberg/Götz, BGB [82. Aufl. 2023], § 1568a Rn. 6), ist anerkannt, dass stattdessen eine Abwägung nach Billigkeitsgründen zu erfolgen hat: Die Ehewohnung ist demjenigen Ehegatten zuzuweisen, der in stärkerem Maße auf die Wohnung angewiesen ist, wobei bei dieser Abwägung alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen sind (vgl. OLG Schleswig, Beschluss vom 24. März 2010 – 15 UF 166/09, FamRZ 2010, 1985 [Rz. 29] sowie Grüneberg/Götz, BGB [82. Aufl. 2023], § 1568 Rn. 6). Bei Anlegung dieses Maßstabs ist aber offensichtlich, dass die Wohnung – wie bereits das Familiengericht zutreffend und ohne Rechtsfehler festgestellt hat – der Antragsgegnerin zuzuweisen ist:
(aa) Der Antragsteller ist, wie er im Scheidungsverfahren selbst vorgetragen hat (Scheidungsantrag vom 10. September 2021, dort S. 2; HA I/3), zum 1. August 2020 aus der Ehewohnung ausgezogen und hat einen neuen Lebensmittelpunkt in E??? begründet, wo er nunmehr seit etwa zwei Jahren mit der gemeinsamen Tochter, einer weiteren Tochter sowie der neuen Lebenspartnerin lebt. In die bisherige Ehewohnung ist er nicht mehr zurückgekehrt. Zwar behält die Ehewohnung ihren Charakter als Ehewohnung über die gesamte Trennungszeit hinweg bis zur Rechtskraft der Scheidung (vgl. nur Grüneberg/Götz, BGB [82. Aufl. 2023], § 1568a Rn. 4). Aber dennoch darf nicht übersehen werden, dass der Antragsteller nach der für das Getrenntleben geltenden Bestimmung des § 1361b Abs. 4 BGB dadurch, dass er im August 2020 aus der Ehewohnung ausgezogen ist und in den folgenden sechs Monaten gegenüber der Antragsgegnerin keine ernsthafte Rückkehrabsicht bekundet hat, unwiderleglich vermutet wird, dass er das alleinige Nutzungsrecht der Antragsgegnerin überlassen hat (§ 1361b Abs. 4 BGB). Im Rahmen der Billigkeitsabwägung ist dieser Aspekt zu berücksichtigen und zugunsten der Antragsgegnerin zu werten.
(bb) (i) Der Antragsteller verfügt über ausreichenden Wohnraum: Er ist Eigentümer eines Grundstücks in F???, das von ihm derzeit mit einem Wohnhaus bebaut wird. Der Bau muss so weit fortgeschritten sein, dass der Antragsteller bereits Anfang 2023 in der Lage war, von der Mutter die Zustimmung zur polizeilichen Ummeldung der gemeinsamen Tochter nach F??? und die Zustimmung zu einer Schulanmeldung in F??? abzufordern. Die nunmehr aufgestellte, nicht weiter belegte Behauptung, der Umzug nach F??? verzögere sich auf unbekannte Zeit (Schriftsatz vom 3. August 2023; HA I/115), steht dazu in einem krassen Widerspruch; ein Widerspruch, der zu Lasten des Antragstellers geht. Letztlich kommt es darauf aber noch nicht einmal an: Denn der Antragsteller verfügt bereits in E??? über eine Unterkunftsmöglichkeit, in der er zusammen mit dem gemeinsamen Kind, einer weiteren Tochter und der neuen Lebenspartnerin bereits seit geraumer Zeit – seit mehreren Jahren – lebt. Stichhaltige Gründe, weshalb das nunmehr plötzlich nicht mehr möglich sein soll, sind nicht ersichtlich. Sie würden auch nicht durchgreifen: Denn der Antragsteller verfügt – jedenfalls für den absoluten Notfall – immer noch über die Möglichkeit, in der Wohnung seiner eigenen Mutter in Berlin – deren Anschrift er seit Verfahrensbeginn als Korrespondenz- und Meldeanschrift nutzt – „unterzukommen“.
(ii) Über derartige Möglichkeiten verfügt die Antragsgegnerin nicht: Im Inland (bzw. im Großraum B???) wohnen keine Familienangehörigen von ihr. Sie verfügt über kein Grundeigentum und hat auch nicht – anders als der Antragsteller – die Möglichkeit, auf eine „Zweit-“ oder „Drittwohnung“ zurückgreifen zu können: Der Umstand, dass der Antragsteller jedoch bereits seit längerem über einen (bzw. mehrere) anderweitigen, ständigen Wohnsitz verfügt, steht nach der Rechtsprechung einer Zuweisungsentscheidung zu seinen Gunsten aus Gründen der Billigkeit entgegen (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 18. März 2022 – 13 UF 134/21, FamRZ 2022, 1523 [Rz. 42]).
(cc) Die Antragsgegnerin verfügt – anders als der Antragsteller, der über einen eigenen PKW und zusätzlich über ein Kraftrad/Motorrad verfügt – über kein eigenes Fahrzeug; sie besitzt keinen Führerschein. Da sie im Schichtdienst arbeitet, ist sie auf eine Wohnung in der Nähe zu ihrem Arbeitsplatz angewiesen, um den Arbeitsplatz – aufgrund der Schichtarbeit – notfalls auch zu Fuß, zu Zeiten erreichen zu können, in denen möglicherweise kein öffentlicher Nahverkehr mehr unterwegs ist. Die Ehewohnung in der K???straße gewährleistet das gerade noch; der Arbeitsplatz der Antragsgegnerin liegt in einer Entfernung von nicht ganz 5 km davon. Für den Antragsteller gilt das in dieser „Schärfe“ gerade nicht: Einmal ist er in der Lage, seinen Arbeitsplatz am A??? mit seinen vorhandenen Fahrzeugen gut zu erreichen; zudem ist sein Arbeitsplatz sowohl von E??? als auch von F??? aus mit den Regionalbahnen zum A??? gut zu erreichen.
(dd) (i) Weiteres, gewichtiges Argument ist schließlich der Umstand, dass die Antragsgegnerin, die den Angaben des Antragstellers in der Scheidungsantragsschrift (Antragsschrift vom 10. September 2021, dort S. 2; HA I/3) lediglich über ein Nettogehalt von ca. 1.400 € verfügt und der aufgrund ihrer beschränkten wirtschaftlichen Möglichkeiten Verfahrenskostenhilfe gewährt worden ist: Bei den derzeitigen, aktuellen Mietpreisen und des allgemein bekannten, außerordentlich angespannten Wohnungsmarktes in B??? besteht für sie keine realistische Chance, in absehbarer Zeit überhaupt eine neue Wohnung erlangen zu können. Letztlich kann noch nicht einmal völlig ausgeschlossen werden, dass die Antragsgegnerin, wenn ihr nicht die Ehewohnung überlassen werden sollte, von Obdachlosigkeit bedroht sein könnte.
(ii) Dagegen ist der Antragsteller in wirtschaftlicher Hinsicht wesentlich besser aufgestellt: Aufgrund seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist er auf Verfahrenskostenhilfe nicht angewiesen; seinen eigenen Angaben zufolge verfügt er über ein Einkommen aus unselbständiger Tätigkeit in Höhe von etwa 2.000 €/netto Monat und zusätzlich möglicherweise noch über Nebeneinkünfte aus einer von ihm betriebenen selbständigen Tätigkeit als Arbeitsvermittler. Er verfügt über ein eigenes Grundstück, das von ihm aktuell bebaut wird und zusätzlich über eine Wohnung, die er und die gemeinsame Tochter seit mehreren Jahren (mit-) benutzen.
(ee) Schlussendlich ist die Antragsgegnerin auf die Ehewohnung auch deshalb angewiesen, weil dies nach Sachlage der einzige Ort ist, an dem sie den Umgang mit N??? pflegen kann: Das Mutter-Tochter-Verhältnis ist aufgrund der im Umgangsverfahren Amtsgericht Pankow 200 F 525/23 erörterten Umstände zwar noch etwas belastet und der Umgang findet, wie das Jugendamt berichtet, unregelmäßig statt. Aber Mutter und Vater haben in jenem Verfahren am 12. April 2023 vereinbart, dass N??? vom Vater alle vierzehn Tage am Samstag von 10 Uhr bis 16 Uhr zur Mutter gebracht wird, damit Mutter und Tochter Umgang miteinander pflegen können. Zusätzlich haben die Eltern vereinbart, dass sie sich unverzüglich – also noch im April 2023 – an das Jugendamt wenden, um gemeinsame Beratungsgespräche in der Erziehungs- und Familienberatungsstelle wahrzunehmen. Auch das – die Wahrnehmung des Umgangs – fordert eine Überlassung der Ehewohnung an die Antragsgegnerin.
(ff) Dass der Antragsteller der alleinige Mieter der Ehewohnung ist, steht dem Erlass einer Überlassungsentscheidung zugunsten der Antragsgegnerin nicht entgegen. Denn mit Rechtskraft der vorliegenden Überlassungsentscheidung ändert sich der Mietvertrag automatisch mit der Folge, dass der Mietvertrag lediglich hinsichtlich der Vertragsparteien zu berichtigen ist (§ 1568a Abs. 3 BGB; vgl. Grüneberg/Götz, BGB [82. Aufl. 2023], § 1568 Rn. 6, 13ff.).
c) Bei dieser Sachlage kann die Beschwerde keinen Erfolg haben; das Rechtsmittel ist vielmehr zurückzuweisen. Denn nach umfassender Abwägung der jeweiligen, für eine Überlassung der Ehewohnung an den Antragsteller oder die Antragsgegnerin sprechenden Argumente liegt es auf der Hand, dass allein der bestehende Mietvertrag zugunsten des Antragstellers und dessen Interesse, die Ehewohnung quasi als „zweites Standbein“ nutzen zu wollen, um den eigenen Arbeitsplatz besser erreichen zu können, die berechtigten und schützenswerten Interessen der Antragsgegnerin, die angestammte Wohnung auch künftig bewohnen und dort u.a. den Umgang mit der gemeinsamen Tochter ausüben zu können, nicht überwiegen, sondern dahinter weit zurückbleiben. Die Ehewohnung ist daher der Antragsgegnerin zu überlassen.
3. Weiterer Verfahrensschritte bedarf es nicht mehr. Denn die Beteiligten sind darauf hingewiesen worden, dass im schriftlichen Verfahren entschieden werden soll. Ihnen wurde eine Frist zur abschließenden Stellungnahme gesetzt. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Da das Rechtsmittel des Antragstellers erfolglos bleibt, entspricht es der Billigkeit, wenn er die hierdurch ausgelösten Kosten trägt. Der Beschwerdewert war auf 4.000 € festzusetzen (§§ 48 Abs. 1 FamGKG, 200 Abs. 1 Nr. 2 FamFG). Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist nicht veranlasst (§ 70 FamFG).
30.11.2023