Leitsätze:
1. Jede Eigenbedarfskündigung muss hinreichend konkrete Informationen zum Nutzungsinteresse mitteilen, § 573 Abs. 3 BGB. Erst im Räumungsklageverfahren mitgeteilte genauere Informationen müssen einen Anknüpfungspunkt in den im Kündigungsschreiben schon genannten Gründen des Eigenbedarfs besitzen, um bei der Prüfung durch das Gericht Berücksichtigung finden zu können.
2. Eine 18 Monate zuvor vorangegangene Eigenbedarfskündigung des Vermieters wegen des Benötigens einer „kleinen“ Wohnung für einen nahen Angehörigen und das anschließende Erlangen dieser Wohnung für ihn schließt ein späteres Benötigen und die Erklärung einer weiteren Eigenbedarfskündigung in dem Haus in Bezug auf eine doppelt so große Wohnung zur Verwendung für den gleichen Angehörigen des Vermieters nicht grundsätzlich aus.
3. Der Wunsch eines von seiner Ehefrau getrennt lebenden Ehegatten, gelegentlich an Wochenenden die Kinder bei sich in großzügigeren als den Platzverhältnissen seiner aktuellen Wohnung übernachten zu lassen, stellt kein hinreichendes Nutzungsinteresse für eine darauf gestützte Eigenbedarfskündigung dar.
4. Bei nachvollziehbaren Zweifeln am Eigenbedarf des Vermieters und auch bereits aufgrund des zulässigen Bestreitens des Nutzungswunsches durch den Mieter muss – bei Beweisantritt des Vermieters – das Gericht Beweis erheben (hier den benannten Zeugen vernehmen).
5. Gemäß § 286 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht für wahr zu erachten ist. Der Richter muss nach der Wahrheit streben, darf sie aber nicht zu der Voraussetzung seiner Entscheidung machen. Deshalb muss er sich mit einer persönlichen Gewissheit begnügen, die den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen.
(Leitsätze vom Einsender)
LG Berlin vom 31.10.2013 – 67 S 166/13 –
Mitgeteilt von RA Jens Forkert
Urteilstext
Gründe:
l) Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 540 Abs. 2, § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen. Die Berufung ist gemäß § 511 Abs. 1 ZPO statthaft und die gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erforderliche Mindestbeschwer ist erreicht. Die Form- und Fristvorschriften der §§ 517, 519 und 520 ZPO sind erfüllt. Die Berufung ist damit insgesamt zulässig.
2) Die Berufung hat im Ergebnis keinen Erfolg. Der Kläger hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der Wohnung aus § 546 Abs. 1 BGB.
Mit dem Vertrag vom 23.8.2005 mietete der Beklagte zu 1) vom Kläger die Wohnung in der F… Str., Berlin. Die Wohnung hat drei Zimmer und ist 95,44 m² groß. Die Miete betrug: Nettokaltmiete 470 €, Betriebskostenvorschuss 154 €, Heizkostenvorschuss 110 €, insg. 734 €. Der Beklagte zu 1) bewohnt die Räume mit seiner Frau, der Beklagten zu 2), und zwei gemeinsamen Kindern. Der Kläger nutzt die unter der streitgegenständlichen gelegene Wohnung. Er wohnt dort zusammen mit seiner Frau und einem gemeinsamen Kind.
Nach einer Kündigung vom 2.12.2011, die der Kläger nicht weiter verfolgte, kündigte er mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 29.12.2011 das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs. Dazu ließ er ausführen, dass der Kläger die von den Beklagten innegehaltene Wohnung seinem Sohn überlassen wolle. Der Sohn bewohne seit der Trennung von seiner Frau eine „kleine Wohnung“ im selben Hause (F… Str.) und habe jetzt festgestellt, dass die Trennung von der Ehefrau endgültig und die Wohnung für eine neue Lebensplanung und den Umgang mit den beiden gemeinsamen Kindern zu klein sei.
Im Kern unstreitig ist die (weitere) Vorgeschichte: Die vom Sohn des Klägers jetzt genutzte Wohnung (erstes Obergeschoss links, anderthalb Zimmer, 48,95 m²) bewohnte zuvor Herr R. Unter dem 31.8.2009 verlangte der Kläger von ihm ohne Erfolg eine Mieterhöhung. Unter dem 5.5.2010 erklärte der Kläger die Kündigung wegen Eigenbedarfs. Sein Sohn benötige die Wohnung, da er im Begriff sei, sich von seiner Frau zu trennen und dauerhaft eine Wohnung benötige. Herr R. zog darauf aus.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, da es zum einen aufgrund der Vorgeschichte von einem vorgetäuschten Eigenbedarf ausgegangen ist und zum anderen die Angaben des Klägers hinsichtlich des Eigenbedarfs – insbesondere zur persönlichen Situation des Sohnes und dessen weiterer Lebensplanung bzw. zu der Frage, inwieweit sich die Umstände für den Sohn eigentlich geändert haben – als zu unbestimmt angesehen hat.
Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers.
Die Kündigung des Klägers vom 29.12.2011 ist formell nicht zu beanstanden. Sie ist schriftlich erfolgt, § 568 Abs. 1 BGB. Die dort mitgeteilten Gründe (§ 573 Abs. 3 BGB) tragen für sich genommen den Eigenbedarfswunsch und sind einer Überprüfung zugänglich. Ob der Kläger die Wohnung tatsächlich benötigt, um einen hinreichenden Nutzungswunsch seines Sohnes zu erfüllen, konnte nach Auffassung der Kammer hier nicht ohne eine Vernehmung des Zeugen, des Sohnes des Klägers, entschieden werden.
Bei dem vom Gesetz in § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB mit dem Kriterium des „Benötigens“ umschriebenen Eigenbedarf handelt es sich um einen objektiv nachprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff, der voraussetzt, dass der Vermieter ernsthafte, vernünftige und nachvollziehbare Gründe hat, die Wohnung für sich selbst bzw. Angehörige seiner Familie zu nutzen. Dabei reicht der Wunsch und der Wille allein, die Wohnung für sich oder andere berechtigte Personen zu nutzen, nicht aus; hinzutreten muss ein Nutzungsinteresse von hinreichendem Gewicht und ein nicht übermäßiger Bedarf (vgl. BGH Rechtsentscheid in Mietsachen vom 20.1.1988 – VIII ARZ 4/87 -, Rn. 17 ff., zitiert nach juris, auch NJW 1988, 904 ff.; BVerfG Kammerbeschluss vom 19.7.1993 – 1 BvR 501/93 -, Rn. 13, zitiert nach juris; OLG Köln Urteil vom 10.3.2003 – 16 U 72/02 -, NJOZ 2003, 962, [963], zitiert nach beck-online; jeweils m.w.N.; Blank/Börstinghaus-Blank, Miete, 3. Aufl., § 573, Rn. 85).
Grundsätzlich ist der Eigennutzungswunsch des Eigentümers zu respektieren. Das Eigentum in seinem durch Privatnützigkeit und grundsätzliche Verfügungsbefugnis über den Eigentumsgegenstand gekennzeichneten rechtlichen Gehalt gibt dem Eigentümer nicht nur das Recht, diesen zu veräußern oder aus seiner Vermietung Erträge zu erzielen, sondern auch – und insbesondere – die Freiheit, ihn selbst zu nutzen und sein Leben nach eigenen, selbstverantwortlich entwickelten Vorstellungen zu gestalten. Zum Schutz des Mieters überprüft werden darf der Erlangungswunsch aber auf seine Ernsthaftigkeit und darauf, ob er missbräuchlich geltend gemacht wird oder der Wohnungswunsch durch eine andere Wohnung des Vermieters befriedigt werden kann (vgl. BVerfG Beschluss vom 19.10.1993 – 1 BvR 25/93 -, – 1 BvR 1620/92 -, Rn. 21f.; Kammerbeschluss vom 11.11.1993 – 1 BvR 696/93 -, Rn. 11; jeweils zitiert nach juris, jeweils m.w.N.).
Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts war bei den nach dem amtsgerichtlichen Urteil jedenfalls nachvollziehbaren Zweifeln am Eigenbedarf und im Übrigen natürlich aufgrund des zulässigen Bestreitens des Nutzungswunsches durch die Beklagten jedenfalls im vorliegenden Verfahren der vom Kläger benannte Zeuge, sein Sohn, zu vernehmen. Die Kammer hat gemäß dem in der mündlichen Verhandlung verkündeten Beweisbeschluss den Zeugen gehört.
Die Kammer ist nach der Beweisaufnahme nicht davon überzeugt, dass der vom Kläger in der Kündigung dargestellte Nutzungswunsch des Sohnes tatsächlich das Maß erreicht, das eine Kündigung des (mit dem Beklagten zu 1) bestehenden Mietvertrags rechtfertigen würde.
Gemäß § 286 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen – hier durchgeführten – Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht für wahr zu erachten sei. Unter Beachtung der Denk- und Naturgesetze, Erfahrungssätze und der gesetzlichen Beweisregeln hat der Richter im Verlauf des Rechtsstreits gewonnene Erkenntnisse nach seiner individuellen Einschätzung zu bewerten. Dabei darf er zum Beispiel einer Partei mehr Glauben schenken als einem beeideten Zeugen oder trotz mehrerer bestätigender Zeugenaussagen das Gegenteil einer Beweisbehauptung als bewiesen ansehen. Der Richter muss nach der Wahrheit streben, darf sie aber nicht zu der Voraussetzung seiner Entscheidung machen. Deshalb muss er sich mit einer persönlichen Gewissheit begnügen, die den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (vgl. BGH Urt. v. 17.2.1970 – III ZR 139/67, in NJW 1970, 946ff.; Urt. v. 28.1.2003 – VI ZR 139/02; Urt. v. 3.6.2008 – VI ZR 235/07; jew. zit. nach juris).
Nach diesen Maßstäben ist die Kammer aufgrund der Angaben des Zeugen nicht davon überzeugt, dass über einen bloßen Wunsch hinaus, die Wohnung für sich selbst zu nutzen bzw. nutzen zu können, ein Nutzungsinteresse von hinreichendem Gewicht gegeben ist.
Dabei lässt der Verweis in der Kündigung auf die eigene Lebensplanung des Sohnes die Annahme eines solchen Interesses von vornherein nicht zu, denn es werden über dieses Stichwort hinaus dazu keinerlei Angaben gemacht. Die Kammer kann an dieser Stelle insbesondere nicht berücksichtigen, dass der Kläger zuletzt vor dem Amtsgericht (im Schriftsatz vom 15.2.2013) vorgetragen hat, dass der als Zeuge vernommene Sohn mit seiner Freundin zusammenziehen wolle. Die Kündigung enthielt dazu keinen Anknüpfungspunkt, § 573 Abs. 3 BGB. Ebenso verhält es sich mit der in der Berufungsbegründung angesprochenen Absicht, „großfamiliär“ und mehrere Generationen umfassend zusammen wohnen zu wollen. Es kommt nicht mehr darauf an, dass der Zeuge sich einerseits in Bezug auf ein Zusammenziehen mit seiner jetzigen Lebensgefährtin sehr vage in der Richtung äußerte, dies „eventuell ausprobieren“ zu wollen, und andererseits zu einem großfamiliären Wohnen nichts sagte.
Hinsichtlich des in der Kündigung hinreichend dargelegten zweiten Anknüpfungspunktes, einen intensiveren Kontakt des Sohnes zu seinen Kindern und dafür großzügigere Platzverhältnisse zu ermöglichen, hat die Kammer nach der Vernehmung Zweifel, ob die dazu gemachten Angaben zutreffend sind. In der so bezeichneten Erklärung des Zeugen R. vom 5.11.2012 – vom Kläger mit dem Schriftsatz vom 23.11.2012 als Anlage K … eingereicht – gibt der Zeuge einerseits an, er sei aus der gemeinsamen Ehewohnung in der Husemannstr. in Berlin aus- und in die von ihm derzeit genutzte Wohnung in der F… Str. eingezogen. Dann habe seine Frau die Ehewohnung aufgegeben. In der Erklärung gibt der Zeuge auch an, es sei ihm darum gegangen, in der Nähe der Kinder zu bleiben. In beiden Punkten widersprechen die Aussagen des Zeugen vor der Kammer dieser Erklärung. Der Zeuge hat hier – und dies erst auf gezielte Nachfragen des Beklagtenvertreters – einräumen müssen, nicht nur zunächst mit seiner Frau aus der Husemannstr. nach Kleinmachnow verzogen zu sein, sondern sogar mit ihr gemeinsam den entsprechenden Mietvertrag unterschrieben zu haben. Nach wie vor ist der Zeuge in Kleinmachnow gemeldet. Die schriftliche Erklärung des Zeugen (vgl. oben, Anlage K …), seit April 2011 in der F… Str. zu wohnen, ist explizit unrichtig. Auch erweist die Angabe, „in der Nähe der Kinder […] bleiben“ zu wollen, sich aufgrund dieses Sachverhalts als von Anfang an unzutreffend. Mag die Entfernung von der Husemannstr. zur F… Str. ohne weiteres als „nah“ angesehen werden, so trifft dies dagegen im Hinblick auf Kleinmachnow keinesfalls zu. Zum Zeitpunkt der Kündigung lag der Umzug nach Kleinmachnow schon mehrere Monate zurück. Die Kammer konnte auch aus den übrigen Angaben des Zeugen dazu, mit seinen Kindern Zeit verbringen zu wollen, keinen Eindruck gewinnen, der die vorgenannten Widersprüche und Unstimmigkeiten auch nur ansatzweise hätte zurücktreten lassen können. Der Zeuge ging hinsichtlich der mit den Kindern gewünschten gemeinsamen Zeit kaum über allgemeine Schilderungen hinaus.
Die Kammer kann im Ergebnis allenfalls zugunsten des Klägers unterstellen, dass der Zeuge gelegentlich an Wochenenden – auch nicht immer alle zwei Wochen – seine Kinder bei sich übernachten lassen möchte. Dies ist kein hinreichendes zusätzliches Nutzungsinteresse. Auf das weitere Bestreiten der Beklagten insbesondere hinsichtlich der jetzigen Wohnverhältnisse des Zeugen und auch seiner neuen Lebensgefährtin sowie auf das Vorbringen der Beklagten zu einer der Kündigung entgegen stehenden Härte kam es nicht mehr an.
3) Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, § 713 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht gegeben sind. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Es ist nicht erforderlich, die Revision zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen.
29.03.2022