Leitsatz:
Eine auf Eigenbedarf gestützte Kündigungserklärung kann als im Sinne des § 242 BGB missbräuchlich einzuordnen sein, wenn nicht die Auswahl der Wohnung und des zu kündigenden Mietverhältnisses den tatsächlichen Bedürfnissen und Wünschen der Bedarfsperson folgte, sondern umgekehrt die Bedürfnisse und Wünsche der Bedarfsperson erst durch die Auswahl der Wohnung geweckt und bestimmt wurden.
LG Berlin vom 19.7.2023 – 64 S 260/22 –
Mitgeteilt von VRiLG Jörg Tegeder
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Die Beweisaufnahme durch Zeugenvernehmung in einem Räumungsprozess aufgrund einer Eigenbedarfskündigung ergab unter anderem Folgendes:
Der Vermieter war offenbar von der Möglichkeit geleitet, gerade das vorliegende Mietverhältnis zu beenden und brachte daher seinen Enkel überhaupt erst auf die Idee, dass er im Vorgriff auf eine noch nicht mal in den Ansätzen absehbare Familiengründung vorsorglich schon einmal eine Dreizimmerwohnung beziehen und mit Möbeln aus familiärem Bestand dann auch einrichten könne. Anders lasse sich nach Ansicht des Gerichts nicht erklären, dass der Vermieter sich nicht etwa erst nach den Wünschen und Plänen seines Enkels erkundigt, sondern – wie der Enkel wörtlich angegeben habe – „gleich diese Wohnung genannt“ und darauf hingewiesen hatte, dass dort eine ältere Dame wohne, gegen die er Eigenbedarf geltend machen könne.
Unter diesen Umständen sei es klar, dass ausschlaggebend für die Entscheidung zur Kündigung des Mietverhältnisses nämlich nicht der ursprünglich in dem nun angestrebten Ausmaß gar nicht vorhandene Bedarf des Enkel gewesen sein könne, sondern offenbar wirtschaftliche Gründe, namentlich der Umstand, dass es sich bei der von der Mieterin gezahlten Miete um die niedrigste Miete im ganzen Haus handelte.
Dieser Wertung stehe nicht entgegen, dass der Enkel seine Pläne zur baldmöglichsten Familiengründung bestätigt habe und angab anzustreben, eine Partnerin sowie alsbald nachfolgende Kinder mit in die Wohnung aufzunehmen; denn zum einen sei in dem Kündigungsschreiben von einer bevorstehenden Familiengründung keine Rede gewesen, sodass schon § 573 Abs. 3 BGB einer Berücksichtigung dieses Gesichtspunkts entgegen stehe, zum anderen habe der Enkel derzeit offenbar noch nicht einmal eine feste Freundin, sodass seine Familienpläne bestenfalls als vage zu klassifizieren seien und eine Kündigungserklärung jedenfalls nicht tragen könne. Soweit der Enkel sinngemäß angegeben habe, er wolle eines der drei Zimmer vorerst als Fitnessraum einrichten und nutzen, könne auch dies den geltend gemachten Eigenbedarf nicht tragen; denn diese Erwägung sei für die Auswahl der Wohnung und Kündigung des Mietverhältnisses nicht bestimmend gewesen, außerdem finde sie im Kündigungsschreiben ebenfalls keine Erwähnung.
Alles in allem habe der Vermieter mit dem „Angebot“ der hier gegenständlichen Wohnung einen „weit überhöhten Wohnbedarf“ für seinen Enkel geltend gemacht.
Das Gericht verkenne bei alledem nicht, dass es bei der Entscheidung eines Vermieters, welche seiner Wohnungen er seinem Enkel überlassen wolle, sicherlich sinnvoll sein könne, auch eine noch nicht absehbare, aber wünschenswerte zukünftige Familiengründung der Bedarfsperson mit in den Blick zu nehmen. Mangels Konkretisierung und Verfestigung einer Familienplanung genügten solche abstrakten Erwägungen aber für sich genommen nicht, den eine Kündigung wegen Eigenbedarfs tragenden Bedarf an zusätzlichen Wohnräumen erst zu begründen.
Nach alledem sah das Gericht die vorliegende Eigenbedarfskündigung als rechtsmissbräuchlich an.
Urteilstext
Gründe
Der Beschluss beruht auf § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Die Kammer ist davon überzeugt, dass die zulässige Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil nicht erfordern und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Amtsgericht die auf Räumung und Herausgabe der Wohnung gerichtete Klage abgewiesen. Die zulässige Berufung des Klägers hat auf Grund der nach Maßgabe des § 286 ZPO fehlerfreien und überzeugenden Beweiswürdigung des Amtsgerichts keine Aussicht auf Erfolg. Das Amtsgericht hat die auf Eigenbedarf gestützten Kündigungserklärungen zutreffend als im Sinne des § 242 BGB missbräuchlich angesehen, da vorliegend nicht die Auswahl der Wohnung und des zu kündigenden Mietverhältnisses den tatsächlichen Bedürfnissen und Wünschen der Bedarfsperson folgte, sondern umgekehrt die Bedürfnisse und Wünsche der Bedarfsperson erst durch die Auswahl der streitgegenständlichen Wohnung geweckt und bestimmt wurden.
Nun ist es zwar für sich genommen ganz selbstverständlich, dass sich Wünsche und Bedarf einer Bedarfsperson auf diejenige Wohnung konkretisieren sowie fortan richten, die ihr auf ihren Wunsch hin von dem vermietenden Eigentümer angeboten wird. Von der bloßen Konkretisierung eines gewissen Wohnbedarfs des Zeugen Wooo auf eine bestimmte Wohnung kann aber vorliegend keine Rede sein. Vielmehr war der Kläger offenbar von vorne herein dazu entschlossen, nach Möglichkeit gerade das vorliegende Mietverhältnis zu beenden und brachte daher den Zeugen überhaupt erst auf die Idee, dass er im Vorgriff auf eine noch nicht mal in den Ansätzen absehbare Familiengründung vorsorglich schon einmal eine Dreizimmerwohnung beziehen und mit Möbeln aus familiären Bestand dann auch einrichten könne. Anders lässt sich nicht erklären, dass der Kläger sich – anders als es seine Ehefrau in ihrer Zeugeneinvernahme darzustellen gesucht hat – nicht etwa erst nach den Wünschen und Plänen seines Enkels erkundigt, sondern – wie der Zeuge wörtlich angegeben hat – „gleich diese Wohnung genannt“ und darauf hingewiesen hatte, dass dort eine ältere Dame wohne, gegen die er Eigenbedarf geltend machen könne.
Das Amtsgericht steht unter diesen Umständen zu Recht auf dem Standpunkt, dass der Kläger, indem er ihn auf die hier gegenständliche Wohnung konkretisierte, einen „weit überhöhten Wohnbedarf“ (vgl. BGH – VIII ZR 166/14 , Urt. v. 04.03.2015, BGHZ 204, 216, zitiert nach juris) für seinen Enkel geltend macht; ausschlaggebend für die Entscheidung zur Kündigung des Mietverhältnisses kann nämlich nicht der ursprünglich in dem nun angestrebten Ausmaß gar nicht vorhandene Bedarf des Zeugen Wooo gewesen sein, sondern waren offenbar wirtschaftliche Gründe, namentlich der Umstand, dass es sich bei der von der Beklagten gezahlten Miete um die niedrigste Miete im ganzen Haus handelte, sodass – wie in dem von dem Amtsgericht zitierten früheren Fall der Kammer (vgl. LG Berlin – 64 S 50/20 -, Urt. v. 20.01.2021, GE 2021, 248 ff., zitiert nach juris) – die Ertragseinbuße bei Eigennutzung der Dreizimmerwohnung weit hinter marktüblichen Preisen für deutlich kleinere Wohnungen mit weniger Zimmern zurückblieb.
Dem steht nicht entgegen, dass der Zeuge Wooo seine Pläne zur baldmöglichsten Familiengründung bestätigt hat und dann anstreben mag, eine Partnerin sowie alsbald nachfolgende Kinder mit in die Wohnung aufzunehmen; denn zum einen ist in den Kündigungsschreiben von einer bevorstehenden Familiengründung keine Rede, sodass schon § 573 Abs. 3 BGB einer Berücksichtigung dieses Gesichtspunkts entgegen steht, zum anderen hat der Zeuge Wooo derzeit offenbar noch nicht einmal eine feste Freundin, sodass seine Familienpläne bestenfalls als vage zu klassifizieren sind und eine Kündigungserklärung jedenfalls nicht tragen können. Soweit der Zeuge sinngemäß angegeben hat, er wolle eines der drei Zimmer vorerst als Fitnessraum einrichten und nutzen, kann auch dies den geltend gemachten Eigenbedarf nicht tragen; denn diese Erwägung war für die Auswahl der Wohnung und Kündigung des Mietverhältnisses nicht bestimmend, außerdem findet sie im Kündigungsschreiben ebenfalls keine Erwähnung.
Die Kammer verkennt bei alledem nicht, dass es bei der Entscheidung eines Vermieters, welche seiner Wohnungen er seinem Enkel überlassen will – sei es im Wege endgültiger Entäußerung durch Schenkung, sei es durch verbilligte Vermietung – sicherlich sinnvoll sein kann, auch eine noch nicht absehbare aber wünschenswerte zukünftige Familiengründung der Bedarfsperson mit in den Blick zu nehmen. Mangels Konkretisierung und Verfestigung einer Familienplanung genügen solche abstrakten Erwägungen aber für sich genommen nicht, den eine Kündigung wegen Eigenbedarfs tragenden Bedarf an zusätzlichen Wohnräumen erst zu begründen.
Die Kammer regt deshalb an, die Berufung zurückzunehmen und weist vorsorglich darauf hin, dass sich die Gerichtsgebühren für das Berufungsverfahren in diesem Falle halbieren würden (vgl. Nr. 1220, 1222 Kostenverzeichnis zum Gerichtskostengesetz).
Die Parteien erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen.
(Die Berufung ist nach Zustellung des Hinweisbeschlusses zurückgenommen worden.)
30.11.2023