Leitsatz:
Auch wenn die neue Gesamtmiete nach Modernisierung rund 75 Prozent des Einkommens des Mieters beträgt, besteht keine Härte im Sinne des § 559 Abs. 4 BGB, wenn die Wohnung nicht bedarfsgerecht, sondern zu groß ist (hier: eine 76,78 Quadratmeter große Dreizimmerwohnung für den alleinstehenden Mieter). Abzustellen ist dabei auf die regionalen Gegebenheiten und auf die Ausführungsvorschriften zur Gewährung von Leistungen gemäß § 22 SGB II und §§ 35 und 36 SGB XII (AV-Wohnen) des Landes Berlin.
LG Berlin vom 9.10.2018 – 63 S 48/18 –
Mitgeteilt von RA Ludger Freienhofer
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Es ging im Prozess um die Frage, ob die modernisierungsbedingte Mieterhöhung eine Härte für den Mieter darstellt.
Gemäß § 559 Abs. 4 Satz 1 BGB ist eine Mieterhöhung ausgeschlossen, soweit sie für den Mieter eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist. Ob vom Vermieter beabsichtigte Modernisierungsmaßnahmen mit Rücksicht auf die für den Mieter damit verbundenen – insbesondere finanziellen – Belastungen eine nicht zu rechtfertigende Härte bedeuten, ist unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls zu entscheiden. Generalisierende Aussagen verbieten sich daher. Es kommt danach nicht auf einen bestimmten Prozentsatz des Einkommens als Obergrenze der Mietbelastung an, da eine solche Kappungsgrenze nicht besteht. So ist es möglich, dass ein hoher Prozentanteil der Miete am Einkommen bei höheren Einkommen keine Härte begründet und ein niedrigerer Anteil der Miete bei geringem Einkommen eine Härte begründen kann.
Nach Ansicht des Landgerichts bestand im vorliegenden Fall keine Härte, obwohl die Gesamtmiete von 556,34 Euro um 56,49 Euro auf 612,82 Euro erhöht werden sollte und die neue Gesamtmiete rund 75 Prozent des Einkommens des Mieters betrug. Jedoch sei seine 76,78 Quadratmeter große Dreizimmerwohnung für ihn allein nicht bedarfsgerecht, sondern zu groß. Abzustellen sei dabei auf die regionalen Gegebenheiten und auf die Ausführungsvorschriften zur Gewährung von Leistungen gemäß § 22 SGB II und §§ 35 und 36 SGB XII (AV-Wohnen) des Landes Berlin.
Danach gelte ein Bedarf für eine Person von 50 Quadratmetern Wohnfläche und einer Nettokaltmiete von 6,46 Euro pro Quadratmeter sowie einer Gesamtmiete von 8,08 Euro pro Quadratmeter beziehungsweise 404,00 Euro als angemessen.
Die Wohnung des Mieters entspreche vielmehr in etwa dem Bedarf eines Dreipersonenhaushalts, für den nach der AV-Wohnen eine Wohnfläche von 80 Quadratmetern eine Nettokaltmiete von 5,94 Euro pro Quadratmeter nettokalt und eine Gesamtmiete von 7,56 Euro pro Quadratmeter beziehungsweise 604,80 Euro als angemessen erachtet werde.
Würde man im vorliegenden Fall eine wirtschaftliche Härte annehmen, dann ginge das Risiko, dass der Mieter eine Wohnung bewohnt, die über das Maß hinausgeht, dass der Sozialgesetzgeber als angemessen erachtet und für die er die Kosten übernehmen würde, einseitig zu Lasten des Vermieters. Die Willensentscheidung des Mieters für die konkrete Wohnungsgröße sei bei der Abwägung zu berücksichtigen und gehe über das in den Grenzen des § 559 Abs. 4 BGB vom Vermieter zu tragende Risiko der wirtschaftlichen Verhältnisse des Mieters hinaus.
Im Übrigen komme es für das Vorliegen einer Härte nicht darauf an, ob der Mieter Sozialleistungen bezieht. Denn auch andere Mieter mit einem vergleichbaren Haushaltseinkommen wie dem des Mieters seien in den Grenzen des Zumutbaren auf die Inanspruchnahme oder fiktive Anrechnung von Wohngeld zu verweisen. Der Umstand, dass dem Mieter nach der Mieterhöhung tatsächlich weniger frei verfügbares Einkommen als die bisherige Grundsicherung verbleibe, beruht maßgeblich auf seinem Entschluss hinsichtlich der eigenen Wohnungsgröße, die den angemessenen Bedarf für einen Einpersonenhaushalt übersteigt.
Urteilstext
Gründe:
Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf das angefochtene Urteil Bezug genommen. Von der Darstellung des Tatbestands gemäß § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO in Verbindung mit § 540 Abs.·2 ZPO wird abgesehen. Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihre Anträge weiter.
Die zulässige Berufung der Klägerin ist aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung unbegründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rückzahlung überzahlter Mieten für September 2016 bis Juni 2017 in Höhe von 10 x 56,49 EUR sowie auf Feststellung der Unwirksamkeit der Mieterhöhung vom 27.6.2016. Die geschuldete Miete hat sich gemäß § 559 Abs. 1 BGB durch die streitgegenständliche – und formwirksame – Mieterhöhungserklärung vom 27.6.2016 auf 612,82 EUR ab 1.9.2016 erhöht.
Der Einwand der Klägerin wurde dabei gemäß § 559 Abs. 5 Satz 1, 555 d Abs. 1 BGB rechtzeitig mitgeteilt. Ausschlussgründe gegen eine Abwägung liegen gemäß § 559 Abs. 4 Satz 2 BGB nicht vor.
Gemäß § 559 Abs. 4 Satz 1 BGB ist eine Mieterhöhung danach ausgeschlossen, soweit sie für den Mieter eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist. Ob vom Vermieter beabsichtigte Modernisierungsmaßnahmen mit Rücksicht auf die für den Mieter damit verbundenen – insbesondere finanziellen – Belastungen eine nicht zu rechtfertigende Härte bedeuten, ist unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls zu entscheiden. Generalisierende Aussagen verbieten sich daher (zu § 554 Abs. 2 Satz 2 BGB a.F. vgl. BGH, Beschluss vom 10. Dezember 2013 – VIII ZR 174/13-, juris). Es kommt danach nicht auf einen bestimmten Prozentsatz des Einkommens als Obergrenze der Mietbelastung an, da eine solche Kappungsgrenze nicht besteht. So ist es möglich, dass ein hoher Prozentanteil der Miete am Einkommen bei höheren Einkommen keine Härte begründet und ein niedrigerer Anteil der Miete bei geringem Einkommen eine Härte begründen kann. Bei der Prüfung der Härte hat sich der Mieter jedoch einen Wohngeldanspruch anrechnen zu lassen (BGH, Beschluss vom 19.2.1992 – VIII ARZ 5/91 -, NJW 1992, 1386).
Eine Härte besteht im vorliegenden Fall bei der Erhöhung der Gesamtmiete von 556,33 EUR um 56,49 EUR auf 612,82 EUR nicht. Zwar beträgt die neue Gesamtmiete rund 75% des Einkommens der Klägerin, jedoch ist ihre 76,78 qm große Drei-Zimmer-Wohnung für sie allein nicht bedarfsgerecht, sondern zu groß. Abzustellen ist dabei auf die regionalen Gegebenheiten und auf die Ausführungsvorschriften zur Gewährung von Leistungen gemäß § 22 SGB II und §§ 35 und 36 SGB XII (AV-Wohnen) des Landes Berlin. Danach gilt ein Bedarf für eine Person von 50qm Wohnfläche und einer Nettokaltmiete von 6,46 EUR/qm sowie einer Gesamtmiete von 8,08 EUR/qm bzw. 404,00 EUR als angemessen (vgl. https://www.berlin.de/sen/soziales/themen/berliner-sozialrecht/kategorie/ausfuehrungsvorschriften/
Die Wohnung der Klägerin entspricht vielmehr in etwa dem Bedarf eines Drei Personen-Haushalts für den nach der AV Wohnen eine Wohnfläche von 80qm, eine Nettokaltmiete von 5,94 EUR/qm nettokalt und eine Gesamtmiete von 7,56 EUR/qm bzw. 604,80 EUR als angemessen erachtet wird.
Würde man im vorliegenden Fall eine wirtschaftliche Härte annehmen, dann ginge das Risiko, dass die Klägerin eine Wohnung bewohnt, die über das Maß hinausgeht, dass der Sozialgesetzgeber als angemessen erachtet und für die er die Kosten übernehmen würde, einseitig zu Lasten der Beklagten. Die Willensentscheidung der Klägerin für die konkrete Wohnungsgröße ist bei der Abwägung zu berücksichtigen und geht über das in den Grenzen des § 559 Abs. 4 BGB vom Vermieter zu tragende Risiko der wirtschaftlichen Verhältnisse des Mieters hinaus.
Der Berufung ist darin zuzustimmen, dass es für das Vorliegen einer Härte nicht darauf ankommt, ob die Klägerin Sozialleistungen bezieht. Dies ist auch nicht der Fall und es liegt eine Gleichbehandlung vor. Denn auch andere Mieter mit einem vergleichbaren Haushaltseinkommen wie dem der Klägerin sind in den Grenzen des Zumutbaren auf die Inanspruchnahme oder fiktive Anrechnung von Wohngeld zu verweisen. Der Umstand, dass der Klägerin nach der Mieterhöhung tatsächlich weniger frei verfügbares Einkommen als die bisherige Grundsicherung verbleibt, beruht maßgeblich auf ihrem Entschluss hinsichtlich der eigenen Wohnungsgröße, die den angemessenen Bedarf für einen Ein-Personen-Haushalt übersteigt.
Entgegen der Berufung und der Entscheidung LG Berlin, Beschluss vom 26. April 2016 – 67 S 78/16 -, teilt die Kammer nicht die Auffassung, dass als Vergleichsmaßstab die Angabe des Statistischen Bundesamtes zur durchschnittlichen Wohnfläche eines Ein-Personen Haushaltes im Bundesgebiet heranzuziehen sei, da mit der AV Wohnen ein dem lokalen Markt angepasster Maßstab zur Schätzung zur Verfügung steht. Der der vorgenannten Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt weicht ferner insoweit ab, als dort eine Überschreitung der Wohnungsgröße der Mieterin um 5,05qm gegenüber dem Durchschnitt als gering angesehen wurde, während hier eine Abweichung der Wohnungsgröße der Klägerin um 26,78qm gegenüber den wohngeldrechtlich berücksichtigungsfähigen Wohnverhältnissen vorliegt, der mit +54% nicht als gering zu bezeichnen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung zur Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Gründe, gemäß 543 Abs. 2 ZPO die Revision zuzulassen, lagen nicht vor.
17.06.2019