Leitsatz:
Da es – anders als im Falle von Stellplätzen oder Garagen – in Berlin dem ortsüblichen Standard entspricht, dass eine Wohnung einen nutzbaren Keller oder vergleichbaren Abstellraum umfasst, stellt das rechtliche Konstrukt eines neben dem Wohnungsmietverhältnis bestehenden gesonderten Kellernutzungsverhältnisses, das für den Mieter während einer Mindestlaufzeit (hier: 10 Jahre) nicht unabhängig von dem Wohnungsmietverhältnis kündbar ist, eine Umgehung der Regelungen über die „Mietpreisbremse“ dar.
LG Berlin vom 12.1.2023 – 64 S 230/22 –
mitgeteilt von RA Nikolaus Krehnke
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Vorliegend waren bei Abschluss des Wohnungsmietvertrages zusätzlich 99 Euro im Monat für die Nutzung eines Kellerverschlages in einem gesonderten Vertrag vereinbart worden. Dieser Vertrag war an die Laufzeit des Wohnungsmietvertrages gekoppelt. Der Vermieter argumentierte, das Amtsgericht hätte die anteilige Miete von 99 Euro je Monat für die Nutzung des Kellerverschlags bei der Prüfung eines Verstoßes gegen die Mietpreisbremse außer Betracht lassen müssen, weil die Kellernutzung nicht Gegenstand des Wohnungsmietverhältnisses, sondern durch gesonderten Vertrag geregelt sei.
Das Landgericht hatte aber an dieser Rechtsansicht des Amtsgerichts nichts auszusetzen.
Anders als in den Fällen der vom Vermieter in Bezug genommenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Stellplatz- oder Garagenmietverträgen ermögliche die vorliegende Vereinbarung über die Kellernutzung den Parteien es durch das vorgesehene zehnjährige Kündigungsmoratorium praktisch gerade nicht, unabhängig von dem Wohnungsmietverhältnis über Abschluss, Fortführung und Beendung der Nutzung des Nebenraums zu entscheiden. Jedenfalls für die ersten zehn Jahre der Laufzeit führe das erst durch die Beendung des Wohnungsmietverhältnisses ausgelöste Kündigungsrecht zu einer derart strikten Bindung des „Kellermietvertrags“ an das Wohnungsmietverhältnis, dass die Abreden über die Nutzung des Nebenraums sich nicht mehr als eigenständiges Mietverhältnis neben dem Wohnungsmietvertrag begreifen ließen.
Urteilstext
Gründe
Der Beschluss beruht auf § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Die Kammer ist davon überzeugt, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil nicht erfordern und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Zu Recht hat das Amtsgericht die auf Räumung und Herausgabe der Wohnung gerichtete Klage vollständig sowie die auf Zahlung rückständiger Miete gerichtete Klage nahezu vollständig abgewiesen. Die zulässige Berufung der Klägerin hat aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils keine Aussicht auf Erfolg.
Das Amtsgericht hat auf das streitbefangene Mietverhältnis zu Recht die Vorschriften über die Mietpreisbremse gemäß §§ 556 d ff. BGB angewandt und die höchstzulässige Miete mit 569,21 € zutreffend ermittelt.
a)
Wie auch das zuständige Revisionsgericht in ständiger Rechtsprechung zu Grunde legt (vgl. BGH – VIII ZR 380/21 -, Urt. v. 18.05.2022, Rn. 22 m. w. N., zitiert nach juris), ist die Berliner Mietenbegrenzungsverordnung vom 28. April 2015 wirksam, insbesondere wurde sie rechtzeitig vor ihrem Inkrafttreten am 1. Juni 2015 veröffentlicht. Soweit die Klägerin dies unter Hinweis auf das Verfahren Amtsgericht Neukölln – 9 C 489/20 – bestreitet, ist die Kammer vergleichbaren Bedenken bereits im Verfahren 64 S 250/21 nachgegangen; sie nimmt auf ihre Ausführungen im Beschluss vom 24. Oktober 2022 wie folgt Bezug:
Die Drucksache Nr. 17/2272, mit der die Verordnung samt ihrer Begründung veröffentlicht wurde, datiert vom 20.5.2015 (vgl. LG Berlin – 64 S 95/19 -, Urt. v. 29.04.2020, GE 2020, 672 ff., Rn. 26 m. w. N., zitiert nach juris). Soweit die Beklagte bezweifelt, dass die Verordnungsbegründung bereits am 20. Mai 2015 über das Internet für die Öffentlichkeit zugänglich gewesen sei, verweist die Kammer zunächst auf die Überlegungen des Amtsgerichts Lichtenberg – 16 C 40/21 – in seinem Urteil vom 10. Februar 2022 (dort Rn. 30, zitiert nach juris): „Nach der Überzeugung des erkennenden Gerichts genügte es in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des VIII. Zivilsenats des BGH den Anforderungen an die Begründung der Verordnung, dass diese seitens des Berliner Senats dem Berliner Abgeordnetenhaus zugeleitet und von diesem als Drucksache erstellt und den Abgeordneten noch vor Inkrafttreten der Verordnung zur Verfügung gestellt und so auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Der Intention des Gesetzgebers, durch eine – der Öffentlichkeit gegebene – Begründung der Verordnung diese nachvollziehbar und transparent zu machen ist insoweit Genüge getan. Drucksachen des Berliner Abgeordnetenhauses sind allgemein zugänglich, von daher konnte auch die Verordnungsbegründung – sofern noch nicht im Internet in der entsprechenden Datenbank des Abgeordnetenhauses abrufbar – jedenfalls durch telefonische oder elektronische Anfrage an das Abgeordnetenhaus eingesehen werden.“
Tatsächlich ist aber auch nach dem Vortrag der Beklagten nicht zu bezweifeln, dass die Verordnung samt ihrer Begründung jedenfalls seit dem 20. Mai 2015 über das parlamentarische Dokumentationssystem des Abgeordnetenhauses für die Öffentlichkeit zugänglich ist. Die Beklagte hat selbst die in dem Rechtsstreit AG Lichtenberg – 14 C 101/20 – erteilte Auskunft des Abgeordnetenhauses vom 14. September 2021 eingeführt, wonach der die Verordnung betreffende Datensatz im System „PARDOK“ seit dem 20. Mai 2015 nicht mehr verändert wurde. Soweit die Beklagte darüber hinaus weitere Belege einfordert und Zeugen vernommen wissen will, übersieht sie, dass eine amtliche Auskunft bereits ein Beweismittel ist (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 273 Rn. 7); es verhält sich also bei einer der einen Prozesspartei inhaltlich ungenehmen Auskunft nicht so, dass der Prozessgegner dann auf bloßes Bestreiten hin beweisen müsste, dass die Auskunft inhaltlich zutreffend sei.
Die von der Beklagten im ersten Rechtszug eingeführte Stellungnahme des Zeugen S. vom 5. Oktober 2020 ist unbehelflich, um die Auskunft des Abgeordnetenhauses zu widerlegen. Es dürfte zwar zutreffen, dass die „Dokumenteneigenschaften der im PARDOK System hinterlegten“ .pdf-Datei mit dem Text der Verordnungsbegründung nicht zu belegen vermögen, seit wann die Datei öffentlich zugänglich ist. Die Auskunft des Abgeordnetenhauses bezieht sich aber nicht auf die „Dokumenteneigenschaften“ der .pdf-Datei, sondern auf einen Datensatz des PARDOK Systems, der seit dem 20. Mai 2015 nicht mehr geändert wurde und seitdem auf die im System abgelegte pdf-Datei mit dem Text der Verordnungsbegründung verweist: Wenn die Datei dank des unveränderten Datensatzes heute über das PARDOK System öffentlich zugänglich ist, muss sie es bei im wesentlichen identischer Funktionsweise des Systems auch schon am 20. Mai 2015 gewesen sein. Darauf, dass es denkbar und technisch möglich sein mag, eine seit 2015 im PARDOK System unverändert referenzierte Datei inhaltlich zu ändern oder durch eine andere Datei mit dem selben Namen zu ersetzen, kommt es nicht an; denn es gibt überhaupt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Computersysteme und Server des Abgeordnetenhauses entsprechend kompromittiert worden wären oder etwa jemand mit entsprechenden Befugnissen und Zugriffsrechten die in Frage stehende Datei solchermaßen manipuliert hätte.
Ebenso unbehelflich ist der Hinweis der Beklagten darauf, dass sich die URL, mittels derer das PARDOK System über das Internet erreichbar ist, seit Mai 2015 geändert haben mag. Die Recherche der Beklagten in der Wayback-Datenbank belegt nicht, dass das System PARDOK entgegen der amtlichen Auskunft des Abgeordnetenhauses Berlin im Mai 2015 noch nicht existiert hätte oder es für die Öffentlichkeit damals noch nicht zugänglich gewesen wäre. Vielmehr ist an Hand des von der Beklagten im ersten Rechtszug in Bezug genommenen „Snapshots“ aus der Wayback-Datenbank vom 17. Juni 2015 nachvollziehbar, dass das PARDOK System damals über das rechts unten abgebildete Link „Parlamentsdokumentation“ unterhalb des blau unterlegten Textes „zur Suche“ und die URL „pardok.parlament-berlin.de/starweb/AHAB/“ erreichbar war. Dass der älteste „Snapshot“ in der Wayback-Datenbank für diese URL erst vom Oktober 2015 datiert, indiziert nicht, dass es das PARDOK System bis dahin nicht gab, sondern nur, dass der Inhalt der URL eben bis dahin nicht durch sequentielles Auslesen archiviert wurde.
Die Kammer weist ergänzend darauf hin, dass sie die Entscheidung des Amtsgerichts Neukölln – 9 C 489/20 – vom 16. November 2022 (vgl. WuM 2022, 743 ff.) zur Kenntnis genommen hat, aber dessen Ansicht nicht teilt, dass die Verordnungsbegründung bereits am 1. Juni 2015 über externe Internet-Suchmaschinen wie „google“ hätte auffindbar sein müssen. Sie hält gleichzeitig nicht für plausibel, dass die Verordnungsbegründung am 1. Juni 2015 nur bei bereits vorhandener Kenntnis eines kryptischen Links auffindbar gewesen sei, denn das PARDOK System stellte – das ist im Sinne des § 291 ZPO gerichtsbekannt – auch schon im Jahr 2015 eine Suchfunktion bereit.
b)
Die Kammer teilt auch nicht die grundlegenden Bedenken der Klägerin gegen die Qualität der Berliner Mietspiegel 2017 (vgl. LG Berlin, Urteil vom 14. Februar 2018 – 64 S 74/17 -, ZMR 2018, 755 ff., zitiert nach juris) und 2019 sowie gegen die Anwendbarkeit des Mietspiegels 2021. Vielmehr hat sie im Verfahren 64 S 99/21 bereits entschieden, dass der Berliner Mietspiegel 2021 nach den Überleitungsvorschriften im EGBGB als Fortschreibung des (einfachen) Mietspiegels 2019 erstellt werden durfte, vom Zeitpunkt seiner Veröffentlichung an bis zu zwei Jahre lang angewendet werden darf und als Schätzgrundlage zur Ermittlung der höchstzulässigen Miete geeignet ist (vgl. LG Berlin – 64 S 99/21 -, Urt. v. 07.09.2022, GE 2022, 1263 ff., Rn. 17 ff., zitiert nach juris). Sie nimmt auf ihre dortigen Ausführungen wie folgt Bezug:
[wird ausgeführt]
c) Erfolglos bleibt schließlich auch der Einwand der Berufung, das Amtsgericht hätte die anteilige Miete von 99,00 € je Monat für die Nutzung des Kellerverschlag außer Betracht lassen müssen, weil die Kellernutzung nicht Gegenstand des Wohnungsmietverhältnisses, sondern durch gesonderten Vertrag geregelt sei. Anders als in den Fällen der von der Klägerin in Bezug genommenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Stellplatz- oder Garagenmietverträgen ermöglicht die vorliegende Vereinbarung über die Kellernutzung den Parteien es durch das abseits der Sonderkündigungsrechte vorgesehene zehnjährige Kündigungsmoratorium praktisch gerade nicht, unabhängig von dem Wohnungsmietverhältnis über Abschluss, Fortführung und Beendung der Nutzung des Nebenraums zu entscheiden. Jedenfalls für die ersten zehn Jahre der Laufzeit führt das erst durch die Beendung des Wohnungsmietverhältnisses ausgelöste Sonderkündigungsrecht zu einer derart strikten Bindung des „Kellermietvertrags“ an das Wohnungsmietverhältnis, dass die Abreden über die Nutzung des Nebenraums sich nicht mehr als eigenständiges Mietverhältnis neben dem Wohnungsmietvertrag begreifen lassen.
Da es – anders als im Falle von Stellplätzen oder Garagen – in Berlin dem ortsüblichen Standard entspricht, dass eine Wohnung einen nutzbaren Keller oder vergleichbaren Abstellraum umfasst, folgt die Kammer ferner den Erwägungen des Amtsgerichts Kreuzberg in seiner von der Beklagten eingeführten Entscheidung (vgl. AG Kreuzberg – 13 C 119/21 -, Urt. v. 30.11.2021, WuM 2022, 617 f., Rn. 24 ff., zitiert nach juris), wonach das von der Klägerin vorgestellte rechtliche Konstrukt eines neben dem Wohnungsmietverhältnis bestehenden gesonderten Kellernutzungsverhältnisses, das für den Mieter während einer Mindestlaufzeit nicht unabhängig von dem Wohnungsmietverhältnis kündbar ist, auf eine Umgehung der Regelungen über die „Mietpreisbremse“ hinausliefe.
Die Kammer regt deshalb an, die Berufung zurückzunehmen und weist vorsorglich darauf hin, dass sich die Gerichtsgebühren für das Berufungsverfahren in diesem Falle halbieren würden (vgl. Nr. 1220, 1222 Kostenverzeichnis zum Gerichtskostengesetz).
Die Parteien erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen.
24.03.2023