Die Eigenschaft des „öffentlich geförderten Wohnraums“ ändert sich nicht (schon) dadurch, dass nach Auslaufen der Grundförderung eine Anschlussförderung überraschend nicht zustande kommt. Maßgeblich bleibt der Eintritt eines Erlöschenstatbestandes nach § 15 WoBindG, etwa die tatsächliche Rückzahlung der Fördermittel. Bis dahin bleiben die Vorschriften über die Mietpreisbremse (§§ 556 d ff. BGB) durch die Sonderregelungen für preisgebundenen Wohnraum verdrängt.
LG Berlin II vom 27.3.2024 – 66 S 213/23 –,
mitgeteilt von der ZK 66 des LG Berlin
Die Mietpreisbremse gilt für alle Wohnungsarten. Einzige Ausnahme: Sie gilt nicht für die öffentlich geförderten sog. Sozialwohnungen, bei denen die Miete sich nach dem Kostenmietprinzip bemisst. Das gilt auch bei einer unterbliebenen Anschlussförderung, die durch eine Kooperationsvereinbarung ersetzt wurde, wenn ein Beendigungstatbestand der „öffentlichen Förderung“ nicht vorliegt. Die Unanwendbarkeit der Mietpreisbremse auf solchen preisgebundenen Wohnraum ergibt sich daraus, dass die dafür maßgeblichen bundes- bzw. landesrechtlichen Vorschriften als Spezialvorschriften die Regelungen
über die Mietpreisbremse verdrängen.
Andere öffentliche Förderungen (zum Beispiel bei Modernisierungen) hindern die Anwendung der Mietpreisbremse nicht. Kriterium ist allein, ob die Wohnung den §§ 557 ff. BGB unterfällt. So unterliegen auch sog. Sozialwohnungen, die nach dem Wohnraumförderungsgesetz (WoFG) mit öffentlichen Mitteln gefördert werden, der Mietpreisbremse (BGH v. 16.1.2024 – VIII ZR 12/23 –).
Urteilstext
Gründe
I.
1
Die Klägerin hatte erstinstanzlich mit der Durchsetzung von Auskunfts- und Zahlungsansprüchen nach den §§ 556d ff. BGB keinen Erfolg. Für das streitgegenständliche 1997 errichtete Objekt war ursprünglich eine öffentliche Förderung gewährt worden. Nach Auslaufen derselben im Jahr 2012 kam eine Anschlussfinanzierung mit dem Land Berlin nicht zustande.
2
Stattdessen hatte die Vermieterin des 2020 begründeten streitgegenständlichen Mietverhältnisses im Jahr 2013 mit dem Land eine Kooperationsvereinbarung geschlossen, welche unter anderem Abreden über die Entwicklung der Mieten für die betroffenen Objekte enthielt. Die Regelungen der Kooperationsvereinbarung sind in dem hier streitgegenständlichen Mietvertrag in „§ 20 Besondere Vereinbarungen“ in Bezug genommen und zum Inhalt des Mietverhältnisses gemacht worden.
3
Anstelle des Tatbestandes wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil des Amtsgerichts Bezug genommen. Ergänzungen sind nach Maßgabe der §§ 313a Abs. 1 Satz1, 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO lediglich wie folgt veranlasst:
4
In der Kooperationsvereinbarung vom Mai 2013 war die Miethöhe in § 3 differenziert auf 7,60 €/m² (laufende Mietverhältnisse vor dem 01.04.2012 begründet) bzw. auf 8,00 €/m² (laufende Mietverhältnisse vor dem Wegfall der Förderung aber nach dem 01.04.2012 begründet). Im Übrigen hieß es zur Gestaltung der Mietpreise in den Wohnungen des betroffenen Objektes (auszugsweise) wie folgt:
5
„§ 3 Bestehende Mietverhältnisse und Mietpreisgestaltung
6
(…) Eine Erhöhung der v.g. Mieten kann die Eigentümerin entsprechend der Änderung des Preisindex (…) verlangen. Diese Erhöhung bedarf weder einer Zustimmung der Bestandsmiete noch des Landes Berlin (…). Erstmalig gilt diese Option mit Wirkung zum 01.02.2014. Mietsteigerungen nach § 558 BGB sind ausgeschlossen. Mietsteigerungen im Sinne des § 549 BGB sind erlaubt.
7
§ 4 Neue Mietverhältnisse
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Die freien und die zukünftig freiwerdenden Wohnungen können und dürfen zu am Markt zu erzielenden Mieten vermietet werden. Das durchschnittliche Mietniveau für die gesamten Objekte darf die Kostenmiete nicht übersteigen. (…)
9
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen und angenommen, das streitgegenständliche Mietverhältnis betreffe öffentlich geförderten Wohnraum, weshalb die Vorschriften über die Mietpreisbremse keine Anwendung fänden.
10
Mit ihrer Berufung tritt die Klägerin diesem Standpunkt entgegen; die Regelungen des Kooperationsvertrages (besonders in § 4) seien dahingehend zu verstehen, dass grundsätzlich die Marktmiete vereinbart werden darf, allerdings (zusätzlich) gedeckelt durch die Grenze, über der die Kostenmiete überschritten werden würde. Gleichwohl sei im Sinne dieser Regelung die am Markt zu erzielende Miete derzeit die sich nach §§ 556d ff. BGB ergebende regulierte höchstzulässige Nettokaltmiete. Die Klagebegehren erster Instanz seien deshalb nach den anwendbaren Vorschriften über die Mietpreisbremse begründet gewesen.
11
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt die Zurückweisung der Berufung.
12
Für weitere Einzelheiten des Vorbringens in der Berufungsinstanz wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst den Anlagen verwiesen.
II.
13
Die Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 511 ff. ZPO zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und rechtzeitig begründet worden. Das Rechtsmittel bleibt aber in der Sache ohne Erfolg.
14
Die Kammer teilt die Einschätzung des Amtsgerichts, wonach auf das streitgegenständliche Mietverhältnis die Vorschriften über die Mietpreisbremse nicht anwendbar sind, weil es sich um öffentlich geförderten Wohnraum handelt.
15
1. Der rechtserhebliche Ausgangspunkt ist zwischen den Parteien dahingehend unstreitig, dass die streitgegenständliche Wohnung in einem Objekt liegt, welches im Jahr 1997 als öffentlich geförderter Wohnraum unter Geltung entsprechender Förderbestimmungen errichtet worden ist. Auf die mit Recht im unstreitigen Tatbestand getroffenen Feststellungen des Amtsgerichts wird verwiesen.
16
Öffentlich geförderter Wohnraum ist zwar nicht nach dem Wortlaut der §§ 556d ff. BGB von deren Geltungsbereich ausgenommen; es besteht aber Einigkeit, dass die Unanwendbarkeit der Mietpreisbremse auf preisgebundenen Wohnraum sich daraus ergibt, dass die dafür maßgeblichen bundes- bzw. landesrechtlichen Vorschriften als Spezialvorschriften die Regelungen über die Mietpreisbremse verdrängen (vgl. nur Blank/Börstinghaus/Siegmund, BGB § 556d Rn. 12 m.w.N.). Dies trifft auch nach Ansicht der Kammer zu.
17
2. Diese Rechtslage hat sich auch seit der Errichtung der Objekte 1997 nicht geändert. Weder auf Grundlage geltender Gesetze, noch im Kontext der entsprechend § 7 Abs. 4 WoBindG zu behandelnden Kooperationsvereinbarung vom Mai 2013 ist die Anwendbarkeit der §§ 556d ff. BGB für die streitgegenständliche Wohnung eröffnet worden.
a)
18
Aus dem Vorbringen der Berufungsklägerin ergibt sich kein rechtserheblicher Grund, warum der streitgegenständliche Wohnraum die Eigenschaft „öffentlich gefördert“ verloren haben könnte. Das Ende dieser Eigenschaft ist in § 15 WoBindG geregelt; einer der dort kodifizierten Erlöschenstatbestände liegt aber nicht vor.
19
Die öffentliche Förderung wurde vereinbart, bei der Errichtung des Objekts in Anspruch genommen und war anschließend Gegenstand des Zeitraums der Grundförderung, die 2012 ausgelaufen ist. Zwar ist (nach dem Vortrag der Beklagten zur Überraschung aller Beteiligten) eine ursprünglich erwartete Anschlussförderung nicht zustande gekommen, beide Umstände (Ende der Grundförderung und Scheitern der Anschlussförderung) sind aber nach § 15 WoBindG nicht mit rechtlichen Folgen verknüpft. Wenn nach der Förderung eine Anschlussförderung nicht zustande gekommen ist, beendet dies die Eigenschaft „öffentlich gefördert“ ebenso wenig, wie es beispielsweise die Veräußerung des geförderten Wohnraums an einen Dritterwerber täte (vgl. dazu VG Berlin, Urteil vom 23. März 2017 – 8 K 61.16 -, juris Rz. 56).
20
Die vorliegend in Betracht zu ziehenden Beendigungstatbestände für die Eigenschaft „öffentlich gefördert“ knüpfen stattdessen sämtlich an die Rückzahlung des in Anspruch genommenen Darlehens an. Diese ist nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten aus dem erstinstanzlichen Schriftsatz vom 14.08.2023 nicht eingetreten. Stattdessen ergibt sich aus der mit dem Schriftsatz vorgelegten Anlage B6, dem Schreiben der Investitionsbank Berlin vom 08.08.2023, dass „die öffentlichen Mittel noch in voller Höhe valutieren“. Eine Rückzahlung des Darlehens hat danach nicht einmal begonnen.
b)
21
Aus der Kooperationsvereinbarung vom Mai 2013 folgt nichts Anderes.
22
Insbesondere schließt sich die Kammer nicht der von der Berufungsklägerin favorisierten Auslegung der dort getroffenen Abreden an. Das streitgegenständliche Mietverhältnis ist 2020 begründet worden; es unterfällt damit nicht den konkret bezifferten Vorgaben in § 3 für Mietverhältnisse, die bei Abschluss der Vereinbarung im Mai 2013 bereits liefen, sondern der Regelung für „Neue Mietverhältnisse“ in § 4. Die dort von den Parteien gewählte Formulierung erklärt im Grundsatz ausdrücklich die „die am Markt zu erzielenden Mieten“ für maßgeblich. Die These der Klägerin, dass dies als Verweis auf die regulierte Miete nach den Maßstäben von § 556d ff. BGB aufzufassen sein soll, überzeugt nicht.
23
Die Vorschriften der Mietpreisbremse sind am Begriff der ortsüblichen Vergleichsmiete ausgerichtet. Diese wird überzeugend zwar als „marktorientierte modifizierte Durchschnittsmiete“ bezeichnet, stellt damit aber schon begrifflich keine „Marktmiete“ darstellt. Gegenüber Letzterer unterscheidet sich die ortsübliche Vergleichsmiete dadurch, dass in diese das Neuvermietungsniveau der letzten 6 Jahre einfließt (zu den Begrifflichkeiten MüKo/Artz; Rz. 7 zu § 558 BGB).
24
Der in der Kooperationsvereinbarung als Marktmiete bezeichnete Wert beinhaltet diese oder vergleichbare Einschränkungen nicht, sondern nimmt nach der verwendeten Begrifflichkeit und dem Regelungszusammenhang zunächst den allein von Angebot und Nachfrage bestimmten Neuvermietungspreis in Bezug.
25
Die Parteien haben in § 4 der Kooperationsvereinbarung zwar einen eigenen Maßstab für eine gewisse Regulierung der Ergebnisse reiner Marktmieten bestimmt, indem ein durchschnittliches Mietniveau für „die gesamten Objekte“ die Kostenmiete nicht übersteigen darf. Diese Möglichkeit für eine Abweichung von reinen Marktmieten verweist aber nicht auf das allgemeine System ortsüblicher Vergleichsmieten. Die „neuen Mietverhältnisse“ werden in § 4 der Vereinbarung gerade nicht als Teil eines allgemeinen von Ortsüblichkeiten geprägten Marktes angesprochen, sondern verbleiben in der engen Verbindung zu den im Mai 2013 bereits bestehenden Altmietverhältnissen (allein) in den vertragsgegenständlichen Objekten.
26
Die teilweise in § 3 festgeschrieben Miethöhen von 7,60 € bzw. 8,00 € sind hier weit unterhalb der Kostenmiete bemessen worden. Daran anknüpfend wird dann (in § 4) für die Wohnungen in ihrer Gesamtheit eine Orientierung am Durchschnitt einer Kostenmiete etabliert; bei dieser (möglichen) Regulierung kann es aber stets allein auf die Mietverhältnisse im unmittelbaren Geltungsbereich der konkreten Kooperationsvereinbarung ankommen. Der Maßstab des Durchschnitts einer konkret objektbezogenen Kostenmiete verweist auf das Regelungssystem von Preisbindungen im öffentlich geförderten Wohnungsbau. Es soll die Möglichkeit zur Herstellung einer Gesamtbalance zwischen den alten Bestandsmietverhältnissen (§ 3) einerseits und den neuen Mietverhältnissen (§ 4) andererseits eröffnet werden; alleinige Relevanz haben dabei aber die Verhältnisse innerhalb der konkret von der Vereinbarung betroffenen Objekte. Ein allgemeiner Bezug zur „ortsüblichen Vergleichsmiete“ ist nicht begründbar. Das eingerichtete System unterscheidet sich so grundlegend von dem System aus § 558 BGB, dass (auch) die Vorschriften der Mietpreisbremse nicht anwendbar sind.
27
3) Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Nr. 10, 713 ZPO.
28
Die Revision wurde nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Der Entscheidung liegt die Würdigung der besonderen Umstände des konkreten Einzelfalls zugrunde, insbesondere die Auslegung der von den Parteien der Kooperationsvereinbarung in den §§ 3 und 4 getroffenen Regelungen. Eine generelle Klärung besonders praxisrelevanter Fragen macht die Entscheidung ebenso wenig erforderlich, wie eine Abweichung von tragenden Rechtssätzen obergerichtlicher Entscheidungen.
28.11.2024