Leitsätze:
Es ist von einer Indizwirkung für das Vorliegen einer Härte im Sinne des § 559 Abs. 4 BGB auszugehen, wenn die aufgrund der Mieterhöhung begehrte Bruttokaltmiete im Zeitpunkt der Mieterhöhungserklärung 34,6 Prozent des dem Mieter zur Verfügung stehenden Haushaltsnettoeinkommens beträgt.
Allein die Tatsache, dass sich der Vermieter bei einer Mieterhöhung gemäß § 559 Abs. 1 BGB an die Werte des einschlägigen Mietspiegels hält, steht der Geltendmachung des Härteeinwandes durch den Mieter gemäß § 559 Abs. 4 BGB nicht entgegen.
LG Berlin vom 18.2.2020 – 66 S 250/19 –
Mitgeteilt von RAin Marion Vorpahl
Urteilstext
Gründe:
Die Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Lichtenberg vom 10.09.2019, Aktenzeichen 2 C 167/17, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung der Kammer das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweisbeschluss der Kammer vom 08.01.2020 Bezug genommen. Auch die Ausführungen in der Gegenerklärung vom 05.02.2020 geben zu einer Änderung keinen Anlass.
1. Das Amtsgericht ist in seiner Entscheidung zutreffend davon ausgegangen, dass der von dem Kläger geltend gemachte Härteeinwand gemäß § 559 Abs. 4 BGB vorliegend einer Mieterhöhung nach Modernisierungsmaßnahmen entgegensteht. Die Bestimmung der wirtschaftlichen Belastungsgrenze für den Mieter im Rahmen von § 559 Abs. 4 BGB hat im jeweiligen Einzelfall unter Berücksichtigung und umfassender Abwägung aller vorliegenden Umstände zu erfolgen; eine schematische Betrachtung durch das Aufstellen einer absoluten Belastungsgrenze kommt nicht in Betracht.
Vor diesem Hintergrund hat das Amtsgericht zu Recht eine Indizwirkung für das Vorliegen der Voraussetzungen des §§ 559 Abs. 4 BGB angenommen, weil die aufgrund der Mieterhöhung begehrte Bruttokaltmiete im Zeitpunkt der Mieterhöhungserklärung 34,6 % des dem Kläger zur Verfügung stehenden Haushaltsnettoeinkommens betrug. Zwar trifft die Behauptung der Beklagten aus der Gegenerklärung vom 03.02.2020 zu, wonach sich die Bruttokaltmiete im maßgeblichen Zeitpunkt des Erhöhungsverlangens auf 376,86 € und somit auf 29,61 % des Haushaltsnettoeinkommens belief. Die mit dem Erhöhungsverlangen zukünftig geltend gemachte Bruttokaltmiete belief sich hingegen auf 440,73 € und – wie das Amtsgericht in seiner Entscheidung zutreffend ausführt- mithin auf 34,6 % des Haushaltseinkommens. Maßgeblich für die Beurteilung des Härteeinwandes aus § 559 Abs. 4 BGB ist dieser Betrag der zukünftig verlangten Bruttokaltmiete und nicht die bisherige Miete.
2. Dem Härteeinwand steht auch nicht § 559 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 BGB entgegen. Vorliegend haben sich die Beklagte aus eigenem, freien Entschluss zur Durchführung der Modernisierungsmaßnahmen entschlossen. Zwar mögen die Beklagten praktisch bei der Durchführung dieser einmal beschlossenen Modernisierungsmaßnahmen zur Einhaltung bestimmter gesetzlicher Vorgaben verpflichtet gewesen sein (sodass beispielsweise die Überarbeitung der Fassade nach den Vorgaben der EnEV zu erfolgen hatte). Dies ändert allerdings nichts daran, dass die ursprüngliche Entscheidung zur Durchführung der Modernisierungsmaßnahmen auf einen freiwilligen Entschluss der Beklagten zurückgeht. Die Beklagten haben nicht substantiiert vorgetragen, dass und warum sie unabhängig vom eigenen Entschluss zur Durchführung der Maßnahmen (z. B. aufgrund der Nachrüstpflicht gemäߧ 10 Abs. 3 EnEV) verpflichtet gewesen wären.
3. Der Umstand, dass die Beklagten so viele Arbeiten wie möglich in Eigenleistung erbracht und Kostenpositionen mit einem Gesamtvolumen von 123.999,32 € nicht auf die Mieter umgelegt haben, führt zu keiner anderen rechtlichen Bewertung. Nach den obigen Ausführungen ist das Amtsgericht zu Recht zu der Auffassung gelangt, dass bereits aufgrund der mit dem Mieterhöhungsverlangen umgelegten Modernisierungskosten die wirtschaftliche Belastungsgrenze für den Kläger überschritten war. Wenn die Beklagten über die umgelegten Kosten hinausgehende weitere Kosten für die Modernisierungsmaßnahmen auf die Mieter umgelegt hätten, könnte sich der Kläger insoweit – erst Recht – auf den Härteeinwand aus § 559 Abs. 4 BGB berufen.
4. Es kann ferner dahinstehen, ob die ursprüngliche Nettokaltmiete im maßgeblichen Zeitpunkt unterhalb des Wertes des vorliegend einschlägigen Mietspiegelfeldes lag. Denn anders als § 559 Abs. 4 BGB berücksichtigt der Mietspiegel gerade nicht die individuelle wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Mieters im konkreten Einzelfall. Allein die Tatsache, dass sich der Vermieter also bei einer Mieterhöhung gemäß § 559 Abs. 1 BGB an die Werte des einschlägigen Mietspiegels hält, steht der Geltendmachung des Härteeinwandes durch den Mieter gemäß § 559 Abs. 4 BGB somit nicht entgegen.
5. Auch mag die Behauptung der Beklagten zutreffen, dass die Modernisierungsmaßnahmen im Ergebnis zu Gunsten des Klägers eine Energieeinsparung begründen. Die führt im Rahmen der Bestimmung der Belastungsgrenze gemäß § 559 Abs. 4 BGB jedoch nicht zu einem anderen Ergebnis. Denn die Beklagten haben schon die konkrete Höhe einer solchen Energieeinsparung nicht substantiiert dargelegt. Im Übrigen spiegelt sich eine solche Energieeinsparung im Rahmen der Betriebskosten wider. Dementsprechend wurden die von dem Kläger laufend zu zahlenden Betriebskostenvorauszahlungen in der Entscheidung des Amtsgerichts berücksichtigt (Schmidt-Futterer/Börstinghaus, 14. Aufl. 2019, BGB § 559 Rn. 103). Auf die entsprechenden Ausführungen der Kammer im Hinweisbeschluss wird Bezug genommen.
6. Schließlich hat das Amtsgericht hinsichtlich der Kosten für das Sachverständigengutachten zu Recht von einer Kostentrennung gemäß § 96 ZPO abgesehen.
Eine Kostentrennung gemäß § 96 ZPO setzt voraus, dass es sich um ein Angriffsmittel des Klägers handelt. Zwar mag es zutreffen, dass vorliegend (auch) die Klägerseite die Einholung eines Sachverständigengutachtens als Beweismittel beantragt hat. Allerdings haben auch die Beklagten (beispielsweise im Schriftsatz vom 07.08.2017) die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis für das Vorliegen einer Energieeinsparung beantragt. Da die Beweislast für die Tatbestandsvoraussetzungen des § 559 BGB der Vermieter trägt (vgl. KG, Urteil vom 20. April 2006 – 8 U 204/05 -, juris, Rn. 16), handelt es sich bei dem Sachverständigengutachten somit im Ergebnis um ein von den Beklagten geltend zu machendes Verteidigungsmittel.
Darüber hinaus hat das Amtsgericht das Sachverständigengutachten in seinem Urteil in zweifacher Hinsicht berücksichtigt. Neben den Feststellungen des Sachverständigen zu einer Energieeinsparung lagen die Voraussetzungen für den Härteeinwand gemäß § 559 Abs. 4 BGB auch deshalb vor, weil nach dem Sachverständigengutachten eine rechnerische Quantifizierung der Energieeinsparung nicht möglich ist und somit ein (dem Härteeinwand entgegenstehender) nachhaltiger und deutlicher Zuwachs am Wohnkomfort nicht vorliegt (vgl. Punkt II. 1. d) des Urteils). Hierbei handelt es sich um eine weitere (negative) Voraussetzung des Härteeinwandes, deren Fehlen der Sachverständige zu Gunsten des Klägers festgestellt hat. Für den Kläger hat sich das Sachverständigengutachten im vorliegenden Rechtsstreit somit (jedenfalls auch) im positiven Sinne ausgewirkt. Vor diesem Hintergrund waren die entsprechenden Kosten nicht gemäß § 96 ZPO dem Kläger aufzuerlegen.
7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10 ZPO.
8. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 41 Abs. 5, 47 GKG, § 3 ZPO bestimmt; insoweit wird auf Punkt IV. des Hinweisbeschlusses Bezug genommen.
25.05.2020