Leitsatz:
Zur Frage, unter welchen Umständen der Eigentümer die Anbringung eines etwa 4 Meter breiten und 1,50 Meter hohen Transparentes an der Balkonbrüstung mit der Aufschrift „Friedel54/M99/Rigaer/Köpi/Potze/Koze Wir bleiben alle! Soziale und widerständige Orte schaffen und erhalten“ dulden muss.
AG Neukölln vom 9.1.2018 – 10 C 344/17 –
Mitgeteilt von akm Rechtsanwältinnen
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
In diesem lesenswerten Urteil setzt sich das Amtsgericht lehrbuchartig mit den gegenläufigen Interessen der Mieter- und Vermieterseite bei der Gestattung beziehungsweise Untersagung von mieterseitigen Transparenten politischen Inhalts an der Hausfassade auseinander. Vorliegend verurteilte es den Vermieter aufgrund der besonderen Umstände des Falles zur Duldung des Transparents.
Es sei in einem Fall wie diesem immer eine Abwägung der Meinungsfreiheit des Mieters (Art. 5 Absatz 1 Satz 1 Alt. 1 GG) mit dem Schutz des Eigentums des Vermieters (Art. 14 Absatz 1 GG) vorzunehmen. Diese Abwägung könne nicht abstrakt erfolgen, sondern habe bei den konkreten Umständen des Einzelfalls anzusetzen.
Das Gewicht der Eigentümerinteressen beurteilte sich insbesondere nach dem Grad der substanziellen wie der optischen Einwirkung auf das jeweilige Gebäude und danach, ob der Hausfrieden durch Anbringen des Plakats gestört werde.
Demgegenüber sei für die Schutzwürdigkeit der Meinungsäußerung des Mieters entscheidend, ob das Plakat durch eine konkrete Auseinandersetzung oder sonstige auf das Mietobjekt hinreichend bezogene Geschehnisse veranlasst sei, es die Sachlage objektiv darstellte und die Meinungsäußerung insgesamt sachlich gehalten sei, insbesondere den Vermieter weder angreife noch diffamiere.
Bei Berücksichtigung dieses Maßstabs überwögen hier die Belange der Mieter in der Abwägung.
Der Text des Plakats weise mit „Friedel 54“ noch einen hinreichenden Bezug zu einer konkreten, auf das Mietobjekt bezogenen Auseinandersetzung auf. Den Anstoß zur Meinungsäußerung gaben die gegenüber dem Kiezladen im Erdgeschoss ausgesprochene Kündigung sowie die anschließende Räumung. Die Meinungskundgabe der Mieter gründe damit in der auch durch das Verhalten des Vermieters gegenüber anderen Mietern geprägten mietvertraglichen Beziehung zwischen den Parteien selbst.
Der Anlass für das Plakat sei mit der Räumung des Ladens auch nicht entfallen. Für einen mit den Geschehnissen vertrauten Passanten sei wegen der lnbezugnahme anderer Kieze beziehungsweise Häuser mit alternativen Lebensformen auf dem Plakat gerade ersichtlich, dass auf soziokulturelle Veränderungsprozesse in einem breiteren Zusammenhang hingewiesen werden solle.
Im Übrigen behalte der zugleich noch aus dem Plakat erkennbarere politische Standpunkt, dass günstige Räumlichkeiten für soziale, alternative, nicht-kommerzielle Projekte möglichst erhalten werden sollten, unabhängig von einer unmittelbaren eigenen Betroffenheit der Kläger seine Relevanz. Die Solidarisierung mit Anliegen von Mietergemeinschaften und die Auseinandersetzung mit allgemeineren Entwicklungen im Immobilienmarkt im Wege der Meinungsäußerung am Mietobjekt sei einem Mieter nicht generell verwehrt.
Darüber hinaus sei der Text des Plakats sachlich gehalten und frei von strafbaren oder sittenwidrigen Äußerungen. Eine konkrete Person, insbesondere der Vermieter, werde nicht benannt. Im Übrigen werde der Vermieter weder diffamiert noch beleidigt. Dass sein Handeln, insbesondere das Vorgehen im Wege der Räumungsklage und auch etwaige Modernisierungen, rechtlich nicht zu beanstanden sei, hindere eine sachlich gehaltene Kritik an diesem Vorgehen nicht. Die Mieter behaupteten mit dem Plakat nicht Rechtsverstöße des Vermieters, sondern nähmen in Bezug die Art und Weise, wie dieser die ihm rechtlich zustehenden Positionen ausübt. Auch die übrigen Eigentümerinteressen (Art. 14 Abs. 1 GG) würden durch die Anbringung des Plakats nicht schwerwiegend beeinträchtigt. Das Plakat lasse die Bausubstanz des Gebäudes unberührt, da die Mieter es lediglich mit Schnüren an der Balkonbrüstung befestigt hätten.
Auch die optische Wirkung des Banners auf die Gesamterscheinung sei nicht derart gewichtig, dass sie die Unterlassung der Befestigung rechtfertigen würde. Es bewirke keine erhebliche qualitative Veränderung in der äußeren Erscheinung des Gebäudes. Insbesondere dominiere es nicht die Fassade. Denn diese sei stark heterogen. Im Erdgeschossbereich dominiere Rot als Grundfarbe, welche durch großflächige, bunte Graffiti verschiedenster Formen mit vornehmlich blauen und grünen Farbanteilen durchbrochen werde.
Letztlich könne auch nicht von einer Störung des Hausfriedens ausgegangen werden. Dass andere Mieter Anstoß an dem Plakat genommen hätten, sei nach dem gerichtsbekannten Geschehen um die Räumung des Kiezladens nicht wahrscheinlich. Im Übrigen sei der Vermieter selbst nicht Teil der Hausgemeinschaft, sondern nehme eher seine formellen Eigentümerinteressen wahr.
Urteilstext
Tatbestand
Die Kläger schlossen am 20.12.2011 mit der Iuxemburgischen T. S.a.r.l. (im Folgenden: ursprüngliche Vermieterin) einen Mietvertrag über eine Wohnung im ersten Obergeschoss der F.straße xx in 12xxx Berlin. Der Vertrag sieht nach der als K1 überreichten Kopie in Anlage 1 Nr. 7 Ziff. 1 lit. c vor, dass „Schilder [… ], Aufschriften oder Gegenstände jeglicher Art in gemeinschaftlichen Räumen, am Hause, auf dem Grundstück oder in dessen unmittelbarer Nähe“ nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung der Vermieterin angebracht oder aufgestellt werden dürfen. Diese ist nach Ziff. 2 zu erteilen, „wenn Belästigungen anderer Hausbewohner und Nachbarn sowie Beeinträchtigungen der Mietsache und des Grundstücks nicht zu erwarten sind.“
Im Oktober 2015 kündigte die ursprüngliche Vermieterin ihr Mietverhältnis mit dem damals im Erdgeschoss desselben Hauses ansässigen Kiezladen „Friedel 54“. In der Folge – zu einem unter den Parteien streitigen Zeitpunkt – hängten mehrere Bewohner des Hauses Banner am Haus auf, um sich mit den Belangen des Kiezladens zu solidarisieren. Auch die Kläger brachten mit Schnüren ein Transparent an ihrer Balkonbrüstung an. Dieses war etwa 4 Meter breit und 1,50 Meter hoch und trug auf weißem Grund die grüne dreizeilige Aufschrift
„Friedel54/M99/Rigaer/Köpi/Potze/Koze Wir bleiben alle! Soziale und widerständige Orte schaffen und erhalten“. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Gestaltung wird auf die als K2 überreichte Ablichtung Bezug genommen.
Im Juni 2016 kaufte die Beklagte das Hausgrundstück und erlangte sodann das Eigentum. Im Anschluss erhob sie erfolgreich Räumungsklage gegen den Kiezladen. Nachdem dieser eine Herausgabe der Räumlichkeiten verweigert hatte, wurde der Laden im Juni 2017 geräumt.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 5. Juli 2017 forderte die Beklagte die Kläger unter Androhung der Kündigung auf, das Transparent bis zum 19. Juli 2017 zu entfernen. Dieser Aufforderung kamen die Kläger nach.
Heute hängen keine Plakate mehr an dem Haus. Die Fassade zeigt im Erdgeschoss ein großflächiges, buntes Graffiti auf rotem Untergrund, mehrere Tags sowie weitere Aufkleber. Die darüber liegenden Stockwerke sind mit einem älteren, dunkelgrauen, teilweise bröckelnden Putz versehen. Dieser ist an zahlreichen Stellen durch neuere, hellere Stellen durchbrochen. Außerdem sind einzelne Graffiti sichtbar, die aber auch teilweise übermalt sind. Für die Einzelheiten wird auf die als K3 überreichte Ablichtung der Fassade Bezug genommen.
Die Kläger behaupten, das streitgegenständliche Transparent und andere Banner seien bereits im Oktober 2015 aufgehängt worden. Sie tragen vor, die Bewohner hätten damit auf von der bisherigen Vermieterin angekündigten Modernisierungsmaßnahmen reagiert. Diese hätten bei ihrer Realisierung zu von den Mietern finanziell nicht tragbaren Mietsteigerungen geführt und seien nur durch von der Hausgemeinschaft geführte Gerichtsprozesse abgewendet worden. Die ursprüngliche Vermieterin habe die Plakate geduldet. Auch gegenwärtig hätten die Kläger und andere Mieter noch Sorge vor einer Verdrängung durch Mietsteigerungen. Sie befänden sich insofern in andauernden Auseinandersetzungen mit der Beklagten.
Die Kläger beantragen, die Beklagte zu verurteilen, das Anbringen des Transparents mit der Aufschrift „Friedel54/M99/Rigaer/Köpi/Potse/KoZe Wir bleiben alle! Soziale und widerständige Orte schaffen und erhalten“ an der Balkonbrüstung der klägerischen Wohnung im Vorderhaus 1. OG rechts der F.straße xx, 1xxxx Berlin zu dulden.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor, in dem Haus nur einzelne Wohnungen auf einen üblichen Standard hin saniert zu haben und allein solche weiteren Sanierungen, hingegen keine Luxusmodernisierungen zu planen. Deshalb sei eine etwaige Sorge der Kläger vor einer Verdrängung jedenfalls unbegründet.
…
Entscheidungsgründe
I. Die nach Art. 24 Nr. 1 EuGVVO zulässigerweise beim hiesigen Gericht erhobene Klage ist begründet. Den Klägern steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Duldung der Befestigung des Transparents aus dem Mietvertrag i. V. m. § 535 Abs. 1 Satz 1 BGB zu. Es handelt sich insofern noch um vertragsgemäßen Gebrauch, zu dessen Gewährung die Beklagte verpflichtet ist.
1. Es kann dahinstehen, ob der zwischen den Parteien geschlossene Mietvertrag dahin auszulegen ist, dass er sich auch auf die Außenwand der Balkonbrüstung erstreckt. Denn unabhängig von der räumlichen Reichweite des jeweiligen Mietvertrags ist der Mieter einer Wohnung jedenfalls in einem begrenzten Umfang zum Gebrauch der Außenwand berechtigt. Ein solcher zulässiger Gebrauch kann auch in dem Anbringen von Plakaten politischen oder jedenfalls meinungsbildenden Charakters liegen. Die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht verlangt es, den hinreichend deutungsoffenen Begriff des vertragsgemäßen Gebrauchs (vgl. §§ 538, 541 BGB) unter Berücksichtigung der Wertung des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG meinungsfreundlich auszulegen und die Befestigung solcher Plakate nicht von vornherein auszuschließen (vgl. LG Hamburg, Urteil vom 26. März 1985 – 16 S 215/84 -, juris; AG Mitte, Urteil vom 26. Februar 2014 – 119 C 408/13 -, juris; AG Göttingen, Urteil vom 3. Juli 1987- 20 C 241/87 -, juris; AG Charlottenburg, Urteil vom 18. August 1981 -18 C 317/81 -, juris; anders AG Wiesbaden, Urteil vom 15. April 2003 – 93 C 465/03 -, juris).
2. Offen bleiben kann ebenso, ob der von den Parteien klauselmäßig vereinbarte Zustimmungsvorbehalt für das Anbringen von Schildern und anderen Gegenständen am Haus das streitgegenständliche Plakat erfasst. Denn die Beklagte war hier jedenfalls zur Erteilung einer solchen Zustimmung nach Ziff. 2 der Anlage 1 zum Mietvertrag verpflichtet. Ein das Interesse der Kläger an ihrer Meinungsäußerung überwiegender schutzwürdiger Belang aufseiten der Beklagten ist nicht erkennbar.
a) Die in Ziff. 2 der Anlage 1 benannten Verweigerungsgründe – Belästigungen anderer Hausbewohner sowie Beeinträchtigungen der Mietsache und des Grundstücks – sind nur Ausprägung der in Fällen wie dem vorliegenden stets gebotenen Abwägung der Meinungsfreiheit des Mieters (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 GG) mit dem Schutz des Eigentums des Vermieters (Art. 14 Abs. 1 GG).
Diese Abwägung kann nicht abstrakt erfolgen, sondern hat bei den konkreten Umständen des Einzelfalls anzusetzen (vgl. AG Mitte, Urteil vom 26. Februar 2014 – 119 C 408/13, Rn. 23, juris; LG Berlin, Urteil vom 09. September 1988 – 64 S 106/88 -, juris; LG Aachen, Urteil vom 25. November 1987 – 7 S 294/87 -, Rn. 6, juris; BayObLG, Beschluss vom 04. November 1983 – ReMiet 13/83 -, juris). Das Gewicht der Eigentümerinteressen beurteilt sich insbesondere nach dem Grad der substanziellen wie der optischen Einwirkung auf das jeweilige Gebäude (AG Mitte, Urteil vom 26. Februar 2014 – 119 C 408/13, Rn. 24 ff., juris; AG Göttingen, Urteil vom 03. Juli 1987 – 20 C 241/87 -, juris) und danach, ob der Hausfrieden durch Anbringen des Plakats gestört wird (BVerfG, Urteil vom 15. Januar 1958 – 1 BvR 184/54 -, BVerfGE 7, 230; AG Göttingen, Urteil vom 03. Juli 1987 – 20 C 241/87 -, juris).
Demgegenüber ist für die Schutzwürdigkeit der Meinungsäußerung des Mieters entscheidend, ob das Plakat durch eine konkrete Auseinandersetzung oder sonstige auf das Mietobjekt hinreichend bezogene Geschehnisse veranlasst ist (AG Mitte, Urteil vom 26. Februar 2014 – 119 C 408/13, Rn. 31 ff., juris vgl. auch AG Stuttgart-Bad Cannstatt, Urteil vom 16. August 1990 – 4 C 1832/90 -, juris), es die Sachlage objektiv darstellt (vgl. LG Berlin, Urteil vom 18. April 1996 – 51 T 58/96 -, juris) und die Meinungsäußerung insgesamt sachlich gehalten ist (AG Mitte, Urteil vom 26. Februar 2014 – 119 C 408/13, Rn. 30, juris), insbesondere den Vermieter weder angreift noch diffamiert (vgl. LG Berlin, Urteil vom 9. September 1988 – 64 S 106/88 -, juris; LG München I, Urteil vom 20. Juli 1983 – 14 S 18033/81 -, Rn. 12 ff., juris; AG Charlottenburg, Urteil vom 18. August 1981 – 18 C 317/81 -, juris).
b) Bei Berücksichtigung dieses Maßstabs überwiegen die klägerischen Belange in der Abwägung.
aa) Die Kläger können ein gewichtiges Interesse an der mit dem Anbringen des Plakats verbundenen Meinungsäußerung geltend machen.
Der Text des Plakats weist mit „Friedel 54“ noch einen hinreichenden Bezug zu einer konkreten, auf das Mietobjekt bezogenen Auseinandersetzung auf. Den Anstoß zur Meinungsäußerung gaben die gegenüber dem Kiezladen im Erdgeschoss ausgesprochene Kündigung sowie die anschließende Räumung – ungeachtet des genauen Zeitpunkts der ursprünglichen Installation des Plakats. Die klägerische Meinungskundgabe gründet damit in der auch durch das Verhalten der Beklagten gegenüber anderen Mietern geprägten mietvertraglichen Beziehung zwischen den Parteien selbst.
Der Anlass für das Plakat ist entgegen der Ansicht der Beklagten mit der Räumung des Ladens auch nicht entfallen. Für einen mit den Geschehnissen vertrauten Passanten (zu diesem Maßstab AG Mitte, Urteil vom 26. Februar 2014 – 119 C 408/13, Rn. 32, juris) ist wegen der lnbezugnahme anderer Kieze bzw. Häuser mit alternativen Lebensformen auf dem Plakat gerade ersichtlich, dass auf soziokulturelle Veränderungsprozesse in einem breiteren Zusammenhang hingewiesen werden soll. Die eigene Situation in der F.straße bleibt bei einer solchen Auslegung auch nach erfolgter Räumung Beispiel für einen solchen – nun nicht mehr nur bevorstehenden, sondern teilweise eingetretenen – Veränderungsprozess. Eine solche lnbezugnahme eines größeren gesellschaftspolitischen Kontextes kann den Klägern auch nicht verwehrt werden. Denn selbst allgemeine politische Stellungnahmen auf von Mietern installierten Plakaten können zulässig sein (vgl. etwa LG Hamburg, Urteil vom 26. März 1985 -16 S 215/84 -, juris). Dann muss Entsprechendes erst recht für den vorliegenden Fall gelten, wo zugleich ein konkreter Bezug zum eigentlichen Mietobjekt noch erhalten bleibt.
Aus ähnlichen Gründen kann auch dahinstehen, inwieweit die Kläger selbst von Verdrängungsprozessen, namentlich von etwaigen künftigen Mietsteigerungen, betroffen sind. Tatsächlich haben die Kläger insofern keine konkreten Maßnahmen der ursprünglichen Vermieterin oder der Beklagten vorgetragen. Jedoch räumt die Beklagte selbst ein, dass sie Sanierungen weiterer Wohnungen im Haus plant. Auch wenn es sich dabei nicht um sogenannte Luxusmodernisierungen handeln mag, gehen auch reguläre Modernisierungen zwangsläufig mit Mietsteigerungen einher. Dass diese angesichts der Lage auf dem Berliner Wohnungsmarkt unter Umständen noch vergleichsweise moderat erscheinen mögen, bleibt für die durch das Plakat verkörperte Meinungsäußerung unerheblich. Denn der mit dem Text „Wir bleiben alle“ von den Klägern zum Ausdruck gebrachte Wunsch, in der Wohnung wohnen bleiben zu können, könnte je nach persönlicher finanzieller Situation schon durch solche unter dem Niveau der Luxussanierung bleibende Mietsteigerungen auf einen für Neuvermietungen mittlerweile üblichen Zins gefährdet werden. Im Übrigen behält der zugleich noch aus dem Plakat erkennbarere politische Standpunkt, dass günstige Räumlichkeiten für soziale, alternative, nicht-kommerzielle Projekte möglichst erhalten werden sollten, unabhängig von einer unmittelbaren eigenen Betroffenheit der Kläger seine Relevanz. Die Solidarisierung mit Anliegen von Mietergemeinschaften und die Auseinandersetzung mit allgemeineren Entwicklungen im Immobilienmarkt im Wege der Meinungsäußerung am Mietobjekt ist einem Mieter nicht generell verwehrt (vgl. LG Kassel, Urteil vom 22. Januar 1981 – 1 S 228/80-, juris; AG Schöneberg, Urteil vom 28. Juni 2001 – 10 C 183/01 -, juris).
Schließlich ist die Schutzwürdigkeit der von den Klägern beabsichtigten Meinungskundgabe auch nicht aus anderen Gründen herabgesetzt. Insbesondere ist der Text des Plakats sachlich gehalten und frei von strafbaren oder sittenwidrigen Äußerungen. Eine konkrete Person, insbesondere die Beklagte, wird nicht benannt. Zwar ist für den Passanten nicht zuletzt wegen des Hinweises auf „Friedel 54“ gerade erkennbar, dass mit dem Banner auch auf die Situation in gerade diesem Haus hingewiesen werden soll und die Kläger augenscheinlich das mietvertragliche Verhalten von dessen Eigentümerin ebenso kritisieren. Dass Eigentümerin aber gerade die Beklagte ist, ist für die Allgemeinheit potentieller Betrachter nur mit erheblichem zusätzlichen Aufwand zu ermitteln. Im Übrigen wird die Beklagte weder diffamiert noch beleidigt. Dass ihr Handeln als Vermieterin, insbesondere das Vorgehen im Wege der Räumungsklage und auch etwaige Modernisierungen, rechtlich nicht zu beanstanden ist, hindert eine sachlich gehaltene Kritik an diesem Vorgehen nicht. Die Kläger behaupten mit dem Plakat nicht Rechtsverstöße der Beklagten, sondern nehmen in Bezug die Art und Weise, wie diese die ihr rechtlich zustehenden Positionen ausübt. Auch solches Handeln innerhalb der Grenzen der Rechtsordnung ist aber, wie auch in anderen Zusammenhängen, tauglicher Gegenstand kritischer Betrachtung nach außerrechtlichen – etwa moralischen, religiösen, rechtspolitischen Maßstäben. Das gilt hier umso mehr, da das von der Beklagten insofern in Anspruch genommene allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG) für sie als Gesellschaft von vornherein nur ohne das besondere Gewicht der auf natürliche Personen beschränkten Fundierung in der Menschenwürde und damit nur mit geminderter Schutzintensität gilt (vgl. etwa BGH, Urteil vom 08. Februar 1994 – VI ZR 286/93 -, Rn. 23, juris).
bb) Auch die übrigen Eigentümerinteressen der Beklagten (Art. 14 Abs. 1 GG) werden durch die Anbringung des klägerischen Plakats nicht schwerwiegend beeinträchtigt. Das Plakat lässt die Bausubstanz des Gebäudes unberührt, da die Kläger es in der Vergangenheit lediglich mit Schnüren an der Balkonbrüstung befestigt haben und nun abermals eine solche Befestigung beabsichtigen. Insoweit war der Klageantrag lediglich hinsichtlich Größe und Befestigungsart zu konkretisieren, ohne dass er dadurch inhaltlich verändert würde.
Auch die optische Wirkung des Banners auf die Gesamterscheinung ist nicht derart gewichtig, dass sie die Unterlassung der Befestigung rechtfertigen würde. Zwar hat das Plakat eine durchaus erhebliche Größe; es verdeckt seinen Ausmaßen nach die gesamte Balkonbrüstung und setzt sich sogar noch in durchaus erheblichem Umfang unterhalb derselben fort. Damit ist es von der Straße aus prägnant wahrzunehmen. Es bewirkt aber keine erhebliche qualitative Veränderung in der äußeren Erscheinung des Gebäudes. Insbesondere dominiert es nicht die Fassade. Denn diese ist schon jetzt stark heterogen. Im Erdgeschossbereich dominiert Rot als Grundfarbe, welche durch großflächige, bunte Graffiti verschiedenster Formen mit vornehmlich blauen und grünen Farbanteilen durchbrachen wird. Zwar ist der Beklagten zuzugeben, dass der davon abgesetzte Fassadenbereich darüber mit Grau- bis Weißtönen insgesamt etwas homogener erscheint; insbesondere hängen an den anderen Balkons keine Plakate. Indes weist das Grau auch hier fleckig unterschiedliche Töne auf. Es ist vor allem an den oberen Balkonbrüstungen durch große weiße Flächen durchbrochen. ln diese Farbgebung fügt sich die weiße Grundfläche des streitgegenständlichen Plakats durchaus ein. Entsprechendes gilt für die grün gehaltene Schrift. Denn das Grün findet sich nicht nur in den unmittelbar darunter befindlichen Graffiti, sondern auch in einem Graffiti-Rest rechts oberhalb des klägerischen Balkons – zwischen dem ersten und zweiten Obergeschoss – wieder.
Insoweit die Beklagte darüber hinaus ganz allgemein eine Störung des Hausfriedens behauptet, fehlt es an substantiiertem Vortrag. Dass andere Mieter Anstoß an dem Plakat genommen hätten, ist nicht dargelegt und nach dem gerichtsbekannten Geschehen um die Räumung des Kiezladens auch nicht wahrscheinlich. Im Übrigen ist die Beklagte selbst nicht Teil der Hausgemeinschaft, sondern nimmt eher ihre formellen Eigentümerinteressen wahr. Auch die von der Beklagten selbst in Bezug genommene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts macht aber deutlich, dass solche Eigentümerinteressen gerade nicht mit der Wahrung des Hausfriedens deckungsgleich sind, sondern dieser im Range nachgehen (vgl. BVerfG, Urteil vom 15. Januar 1958 -1 BvR 184/54 – Rn. 21, juris).
Soweit die Beklagte einwendet, in der Möglichkeit zur Vermietung beeinträchtigt zu sein, hat sie dies nicht näher konkretisiert. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass der Inhalt des Plakates geeignet wäre, etwaige konkrete Mietinteressenten von einer Anmietung abzuhalten. Selbst wenn ein potentieller Mieter wie die Beklagte meint durch das Plakat den Eindruck gewinnen würde, die Beklagte wolle die Bewohner verdrängen, so würde sich dies wohl nicht auf potentielle Neumieter beziehen.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Der Ausspruch zur Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.
Der Streitwert war nach dem Interesse der Kläger an des konkreten Handlung auf 500,00 € festzusetzen. Eine weitergehende Bedeutung ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Berufung war nicht zuzulassen, da es sich um eine Entscheidung nach den konkreten Umständen des Einzelfalls handelt.
26.03.2021