Leitsatz:
Die Sperrfrist nach § 577 a Absatz 1 BGB wird durch die erste Veräußerung nach Umwandlung auch dann ausgelöst, wenn das Wohnungseigentum nicht allein aus der konkreten streitbefangenen Wohnung, sondern aus mehreren Wohnungen besteht, also en bloc begründet wurde.
AG Tempelhof-Kreuzberg vom 28.11.2014 – 25 C 272/14 –
Mitgeteilt von RA Dr. Dilip D. Maitra
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Das Urteil ist rechtskräftig. Die Berufung (LG Berlin – 65 S 560/14 –) wurde zurückgenommen, weil der (vorgebliche) Eigenbedarf zwischenzeitlich entfallen war.
Urteilstext
Tatbestand
Die Klägerin ist Vermieterin, der Beklagte mit Mietvertrag vom 08.05.1981 Mieter der im 3. OG links und Mitte gelegenen Wohnung in der M. Straße x in 10xxx Berlin.
Die streitgegenständlichen Wohnung entstand durch Zusammenlegung zweier Wohnungen nach schriftlicher Vereinbarung des Beklagten mit dem Rechtsvorgänger der Klägerin vom 21.10.1994. Die Vereinbarung enthielt unter § 2 die folgende Bestimmung:
4) Der Vermieter (bzw. der mögliche Rechtsnachfolger) verzichtet ausdrücklich dem Mieter gegenüber bis zum 31.12.2010 auf die Ausübung des Kündigungsrechts nach§ 564 b Abs. 2 Nr. 2 und 3 BGB, danach gelten die gesetzlichen Regelungen des Mieterschutzes, mindestens gilt jedoch eine Sperrfrist von 10 Jahren.
…
Mit Schreiben vom 28.04.2013 kündigte die Klägerin dem Beklagten unter Berufung auf Angehörigenbedarf zu Gunsten ihrer Nichte.
Die Klägerin behauptet, der Vater der Klägerin habe 1996 80 % des streitgegenständlichen Grundstücks vom Voreigentümer erworben und sei später Alleineigentümer geworden. Im Jahr 2004 mit Eintragung im Jahr 2005 sei die Teilung nach § 8 WEG derart erfolgt, dass das Grundstück in Wohnungseigentumseinheiten geteilt worden sei. Die streitgegenständliche Wohnung gehöre zur Wohnungseigentumseinheit Nr. 1, welche aus insgesamt zwölf Wohnungen bestünde. Im Jahr 2007 sei die Wohnungseigentumseinheit dann vom Vater der Klägerin zuerst je 1/2 auf die Mutter der Klägerin und die Klägerin selbst schenkweise übertragen worden, im Dezember 2007 dann auch der Anteil der Mutter auf die Klägerin selbst. Die Eintragungen in das Grundbuch seien in den Jahren 2008 und 2010 erfolgt.
Die Klägerin meint, die Vereinbarung in § 2 Ziff. 4 der Vereinbarung vom 21.10.1994 sehe eine zehnjährige Sperrfrist nur für den Fall vor, dass auch der Tatbestand des § 564 b Abs. 2 Nr. 2 S. BGB a. F. beziehungsweise dessen Nachfolgeregelung erfüllt sei, was vorliegend nicht zuträfe.
Die Klägerin beantragt, den Beklagten zu verurteilen, die auf dem Grundstück M. Straße x, 10xxx Berlin im 3. OG des Vorderhauses links und Mitte gelegene, aus vier Zimmern, einer Küche, einem Badezimmer, einem Flur und einem Balkon bestehende Wohnung mit einer Größe von 100,92 m² zu räumen und geräumt an die Klägerin herauszugeben.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Auffassung, die Kündigung sei bereits aufgrund des § 2 Ziff. 4 der Vereinbarung vom 21.10.1994 unwirksam, jedenfalls folge die Unwirksamkeit aus der Vereinbarung in Verbindung mit § 577 a BGB.
Entscheidungsgründe
I.
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Herausgabe der vom Beklagten innegehaltenen Wohnung weder aus § 546 Abs. 1 BGB noch aus § 985 Abs. 1 BGB zu, weil die Kündigung vom 28.04.2013 unwirksam ist.
Dabei kann dahinstehen, ob die Klausel, wie der Beklagte meint, in jedem Fall den Ausschluss einer Eigenbedarfskündigung bis zum 31.10.2020 begründet, oder aber, wie die Klägerin meint, eine Sperrfrist von mindestens 10 Jahren nur für den Fall vorsieht, dass auch der Tatbestand einer gesetzlichen Sperrfrist gemäß § 564b Abs. 2 Nr. 2 S. 2 a. F./ § 577a Abs. 1 BGB vorliegt. Eine Entscheidung hierzu braucht nicht getroffen zu werden, denn selbst wenn die Auffassung der Klägerin, wofür diese im nachgelassenen Schriftsatz vom 06.11.2014 gute Gründe genannt hat, zutrifft, verhilft dies der Kündigung nicht zum Erfolg.
Denn auch unter Zugrundelegung des klägerischen Vortrags liegen die Voraussetzungen des § 564 b Abs. 2 Nr. S. 2 a. F./§ 577 a Abs. 1 BGB vor, so dass aufgrund der vereinbarten Sperrfrist von mindestens 10 Jahren die Kündigung unwirksam ist.
1. Gemäß § 564 b Abs. 2 Nr. S. 2 a. F. /§ 577 a Abs. 1 BGB kann sich ein Vermieter erst nach Ablauf einer Sperrfrist auf berechtigte Interessen gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 2 oder 3 BGB berufen, wenn an vermieteten Wohnräumen nach der Überlassung an den Mieter Wohnungseigentum begründet und das Wohnungseigentum veräußert wurde. Diese Voraussetzungen liegen vor.
a) An der klägerischen Wohnung wurde mit Eintragung im Jahr 2005 Wohnungseigentum begründet. Wohnungseigentum kann entweder nach § 3 WEG oder – wie nach dem klägerischen Vortrag im Streitfall – nach § 8 WEG erfolgen (vgl. Schmidt-Futterer/Blank, 10. Auflage 2011, § 577a Rn. 11).
Der Begründung von Wohnungseigentum an der Wohnung des Beklagten steht entgegen der Auffassung der Klägerin nicht entgegen, dass die Wohnung zu einer größeren Wohnungseigentumseinheit gehört, dass also Wohnungseigentum „en bloc“ für mehrere Wohnungen (hier die Wohnungen Nr. 1 bis 12) begründet wurde.
Aus dem Wortlaut der Norm geht die von der Klägerin angestrebte Differenzierung nicht hervor, denn dieser stellt ja gerade nur auf die Begründung von Wohnungseigentum an vermieteten Wohnräumen ab, ohne eine Einschränkung dahingehend vorzunehmen, dass das Wohnungseigentum lediglich eine Wohnung umfassen darf. Der entgegengesetzten Auffassung des Amtsgerichts Charlottenburg in der Entscheidung vom 09.10.2013, Az.: 213 C 211/13, ist deswegen nicht zu folgen.
Dies folgt zudem auch aus dem Sinn und Zweck der Norm, die Mieter gegen die (wohnungspolitisch unerwünschte) Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen besonders schützen will (Blank/Börstinghaus, 4. Auflage 2014, § 577a Rn. 3). Auch wenn die streitgegenständliche Wohnung als Teil einer größeren Einheit in Wohnungseigentum umgewandelt wird, kann diese Einheit nunmehr separat veräußert werden und ist für potentielle Käufer interessant, die es (auch) zur Befriedigung des eigenen Wohnbedarfs oder des der Angehörigen erwerben wollen. Das Risiko des Eintritts eines solchen Falles ist immer dann gegenüber dem Fall des Verkaufs des gesamten Grundstücks erhöht, wenn, wie hier, die neue Wohnungseigentumseinheit weniger Wohnungen umfasst, als das Grundstück insgesamt.
Das Gericht folgt damit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshof zu § 577 BGB, wonach es auch für die Entstehung des Vorkaufsrechts des Mieters im Fall der Umwandlung in Wohnungseigentum nach Überlassung an den Mieter nicht darauf ankommt, ob das Wohnungseigentum nur die einzelne Wohnung des Mieters umfasst. So hat der Bundesgerichtshof in der Entscheidung vom 22.06.2007 entschieden, dass einem Mieter auch im Falle eines Verkaufs einer umgewandelten Wohnung „en bloc“ mit anderen Wohnungen in Ansehung des Schutzzwecks des § 577 BGB ein Vorkaufsrecht zusteht (BGH Urt. v. 22.06.2007, Az.: V ZR 269/06, Rn. 11, NJW 2007, 2699; vgl. auch BGH Urt. v. 23.06.2010, Az.: VIII ZR 325,09, Grundeigentum 2010,1055; Schmidt-Futterer/Blank, 10. Auflage 2011, § 577 Rn. 18). Ein Verkauf „en bloc“ liegt immer dann vor, wenn Grundstücke veräußert werden, die mit nicht aufgeteilten Mehrfamilienhäusern bzw. mehreren Einfamilienhäusern bebaut sind oder wenn es – wie im Streitfall – um die Veräußerung von Wohnungseigentumseinheiten, die mehrere Mietwohnungen umfassen, geht (Dr. Hannes Klühs: Mietervorkaufsrecht bei en-bloc-Verkauf, NZM 2013, 809 m. w. Nw.).
b) Die Begründung von Wohneigentum im Jahr 2005 erfolgte auch nach der Überlassung des Wohnraums an den Beklagten in den Jahren 1981 und 1983.
c) Das Wohnungseigentum wurde nach Umwandlung mit Eintragung in den Jahren 2008 und 2010 veräußert. Eine Veräußerung i. S. v. § 577a BGB liegt in allen Fällen vor, in denen der Eigentümerwechsel auf Rechtsgeschäft beruht, so also insbesondere bei Verkauf oder – wie hier – bei der Schenkung.
Die damit eingreifende Sperrfrist beginnt mit Eintragung des Erwerbers – hier der Klägerin und ihrer Mutter – in das Grundbuch und läuft gemäß der vertraglichen Vereinbarung in § 2 Ziff. 4 zehn Jahre. Damit ist auch bei Maßgeblichkeit der Eintragung von 2008 die Sperrfrist noch nicht abgelaufen. Gegen die Wirksamkeit der Vereinbarung einer längeren Sperrfrist bestehen vorliegend keine Bedenken. Insbesondere ist sie nicht gemäߧ 577 a Abs. 3 BGB unwirksam, weil diese Regelungen nur Abweichungen zum Nachteil des Mieters umfasst.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 7, 711, 709 S. 2.
29.03.2022