Leitsätze:
1. Die Nutzung einer Wohnung als Zweitwohnung stellt keine Vermietung „nur zum vorübergehenden Gebrauch“ im Sinne des § 549 Abs. 2 Nr. 1 BGB dar.
2. Das Nichtnutzen der Zweitwohnung stellt auch angesichts der Wohnungsknappheit in Berlin und dem Zweckentfremdungsverbot kein berechtigtes Interesse im Sinne des § 573 BGB dar.
LG Berlin vom 5.1.2021 – 63 S 19/20 –
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Der Vermieter kündigte dem Mieter die Wohnung, die dieser als Zweitwohnung innehatte und – nach Ansicht des Vermieters: zu – selten nutzte. Das Landgericht wies die Räumungsklage ab.
Entgegen der Auffassung des Vermieters unterfalle das vorliegende Mietverhältnis nicht dem Anwendungsbereich des § 549 Abs. 2 Nr. 1 BGB als Ausnahmevorschrift. Der Vermieter gehe unzutreffenderweise davon aus, das Wohnraummietverhältnis bestehe wegen der Nutzung als Zweitwohnung „nur zum vorübergehenden Gebrauch“. Vorliegend hätten die Parteien aber ein unbefristetes Wohnraummietverhältnis begründet, wie sich aus dem Mietvertrag ergebe. Ob der Mieter die streitgegenständliche Wohnung nur als Zweitwohnung zeitweise nutze, sei in diesem Zusammenhang unerheblich. Der „vorübergehende Gebrauch der Mietsache“ setze die zeitliche Begrenzung der Nutzungsabsicht der Mietsache bei Vertragsschluss voraus, nicht – wie bei einer Zweitwohnung – die dauerhafte temporäre Nutzung. Der Wegfall des Sonderbedarfs müsse in zeitlicher Hinsicht sicher feststehen. Dies sei bei unbefristeten Wohnraummietverhältnissen – auch lediglich als Zweitwohnung zur gelegentlichen Nutzung – nicht der Fall.
Auch eine analoge Anwendung des § 549 Abs. 2 Nr. 1 BGB komme nicht in Betracht.
Zum einen spreche gegen eine analoge Anwendung bereits der Ausnahmecharakter der Norm, der nach dem Wortlaut eine abschließende Aufzählung der Ausnahmen enthalte; zum anderen fehle es an einer planwidrigen Regelungslücke, die eine Analogie geböte. Die Ausnahmen hätten ihren Sinn und Zweck in der mangelnden Schutzbedürftigkeit eines Mieters in einem zeitlich begrenzten Mietverhältnis, das kein Zeitmietvertrag sei, weil seine Interessen durch den Entzug des Mietgebrauchs nicht wesentlich beeinträchtigt würden.
Der Vermieter habe schließlich auch kein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses im Sinne des § 573 BGB.
Das Nichtnutzen der Wohnung durch den Mieter stelle auch angesichts der Wohnungsknappheit in Berlin und dem Zweckentfremdungsverbot kein berechtigtes Interesse im Sinne des § 573 BGB dar. Hierbei handele es sich um öffentliche Interessen, deren Durchsetzung nicht dem Vermieter obliege. Ein eigenes berechtigtes Interesse des Vermieters sei nicht ersichtlich.
Urteilstext
Gründe
I.
Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf das angefochtene Urteil Bezug genommen
II.
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Räumung aus § 546 BGB gegen die Beklagte zu.
Die Kündigung vom 26.07.2018 hat das Mietverhältnis nicht beendet.
Entgegen der Auffassung der Klägerin unterfällt das vorliegende Mietverhältnis nicht dem Anwendungsbereich des § 549 Abs. 2 BGB als Ausnahmevorschrift.
In Betracht kommt lediglich der Ausnahmetatbestand des § 549 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Sofern die Klägerin jedoch meint, das Wohnraummietverhältnis bestehe wegen der Nutzung als Zweitwohnung „nur zum vorübergehenden Gebrauch“, ist dies unzutreffend. Die Parteien haben ein unbefristetes Wohnraummietverhältnis begründet, wie sich aus dem Mietvertrag ergibt. Ob die Beklagte die streitgegenständliche Wohnung nur als Zweitwohnung zeitweise nutzt, ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Der „vorübergehende Gebrauch der Mietsache“ i.S.d. vorzitierten Norm setzt die zeitliche Begrenzung der Nutzungsabsicht der Mietsache bei Vertragsschluss voraus, nicht – wie bei einer Zweitwohnung – die dauerhafte temporäre Nutzung. Der Wegfall des Sonderbedarfs muss in zeitlicher Hinsicht sicher feststehen. Dies ist bei unbefristeten Wohnraummietverhältnissen – auch lediglich als Zweitwohnung zur gelegentlichen Nutzung nicht der Fall (vgl. Schmidt-Futterer/Blank, 14. Aufl. 2019, BGB § 549 Rn. 4).
Im Übrigen haben sich die Parteien ungeachtet der tatsächlichen Nutzung der Wohnung zumindest konkludent auf die Anwendbarkeit der Wohnraummietrechtsvorschriften geeinigt.
Maßgebend für eine Vereinbarung ist der wirkliche Wille der Vertragsparteien (§§ 133, 157 BGB), bei dessen Ermittlung neben dem Erklärungswortlaut die beiderseits bekannten Umstände wie insbesondere die Art und Weise des Zustandekommens der Vereinbarung, deren Zweck sowie die Interessenlage der Vertragsparteien heranzuziehen sind (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 11. Mai 2014 – VI ZR 18/14, NJW 2015, 1246 Tz. 9). Gemessen daran haben sich die Vertragsparteien zumindest konkludent auf die Geltung des Wohnraummietrechts und die damit verbundenen gesetzlichen Kündigungsmöglichkeiten geeinigt.
Das folgt zunächst aus dem Erklärungswortlaut der Mietvertragsurkunde, in welcher angekreuzt ist, dass die Vermietung als „Wohnung ausschließlich zu Wohnzwecken“ erfolgt. Die Bezeichnung des Mietverhältnisses im verwandten Vertragsformulars ist nicht nur für die Frage des vorherrschenden Vertragszweckes bei einem Mischmietverhältnis von Bedeutung (vgl. dazu BGH, Urt. v. 9. Juli 2014 – VIII ZR 376/13, NJW 2014, 2864 Tz. 37), sondern auch für die Ermittlung des Parteiwillens hinsichtlich der Anwendung der Vorschriften des Wohnraummietrechts auf ein bestehendes Mietverhältnis (vgl. OLG Hamburg, Urt. v. 29. Oktober 1997 – 4 U 61/97, NZM 1998, 407; KG, Urt. v. 27. August 2015 – 8 U 192/14, juris Tz. 32). Ferner haben die Parteien ausdrücklich im Vertrag geregelt, dass eine Kündigung lediglich unter Angabe der (dann notwendigen) Kündigungsgründe möglich ist, und Bezug auf die im Wohnraummietrecht geltenden Kündigungsfristen genommen. Mithin haben die Parteien ausdrücklich die Anwendbarkeit der Wohnraumschutzvorschriften vereinbart (vgl. auch LG Berlin, Urteil vom 15. Oktober 2015 – 67 S 187/15 -, Rn. 21, juris, nachgehend BGH, 30. Juni 2016, XII ZR 121/15 zu einem vergleichbaren Vertrag).
Auch eine analoge Anwendung des § 549 Abs. 2 Nr. 1 BGB kommt nicht in Betracht.
Zum einen spricht gegen eine analoge Anwendung bereits der Ausnahmecharakter der Norm, der nach dem Wortlaut eine abschließende Aufzählung der Ausnahmen enthält; zum anderen fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke, die eine Analogie geböte. Die Ausnahmen haben ihren Sinn und Zweck in der mangelnden Schutzbedürftigkeit eines Mieters in einem zeitlich begrenzten Mietverhältnis, das kein Zeitmietvertrag ist, weil seine Interessen durch den Entzug des Mietgebrauchs nicht wesentlich beeinträchtigt werden (Schmidt-Futterer/Blank, 14. Aufl. 2019, BGB § 549 Rn. 4).
Die Klägerin hat kein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses i.S.d. § 573 BGB.
Das Nichtnutzen der Wohnung durch die Beklagte, das zugunsten der Klägerin unterstellt werden kann, stellt auch angesichts der Wohnungsknappheit in Berlin und dem Zweckentfremdungsverbot kein berechtigtes Interesse i.S.d. § 573 BGB dar.
Hierbei handelt es sich um öffentliche Interessen, deren Durchsetzung nicht dem Vermieter obliegt. Ein eigenes berechtigtes Interesse der Klägerin ist nicht ersichtlich. Insofern kann diesbezüglich auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen werden.
Die Wahrnehmung rechtlicher Interessen begründet grundsätzlich keine Vertragsverletzung des Mieters.
Auch ist der Kündigungsgrund der Vernachlässigung der Mietsache nicht gegeben.
Eine Vernachlässigung der Mietsache, die ein Ausmaß erreicht, dass eine Kündigung gerechtfertigt ist, ist durch die Klägerin weder dargetan noch aus den Fotos ersichtlich. Erforderlich ist eine Sorgfaltspflichtverletzung, aus welcher eine erhebliche Gefährdung (der Substanz) der Mietsache folgt. Im Übrigen hätte es jedenfalls auch im Rahmen einer ordentlichen Kündigung einer Abmahnung bedurft, um die hinreichende Schwere des Vertragsverstoßes zu begründen (BGH, Urteil vom 28. November 2007 – VIII ZR 145/07 -, juris). Das Unterlassen von Schönheitsreparaturen stellt ebenfalls keine zur Kündigung berechtigende Pflichtverletzung dar (vgl. Schmidt-Futterer/Blank, 14. Aufl. 2019, BGB § 543 Rn. 60 mit vielen Nachweisen aus der Rechtsprechung). Zum einen enthält der Mietvertrag im Übrigen bereits keine entsprechende Abwälzung der Schönheitsreparaturen auf die Beklagte, zum anderen fehlt es jedenfalls an einer Aufforderung zur Durchführung, bzw. einer Abmahnung für das Unterlassen der Durchführung.
Auch ist nicht dargetan, wann die Beklagte den Zutritt trotz notwendiger Ankündigung und berechtigtem Interesse verweigert haben sollte (BGH, Versäumnisurteil vom 15. April 2015 – VIII ZR 281/13 -, juris; KG Berlin, Urteil vom 27. August 2015 – 8 U 192/14 -, juris). Die Kündigung ist diesbezüglich bereits nicht hinreichend begründet, § 573 Abs. 3 BGB. In der gesamten streitgegenständlichen Kündigung findet sich lediglich der Hinweis, die Klägerin habe „vertragswidrig keine Schlüssel“. Eine Pflicht zum Überlassen eines Schlüssels besteht indes nicht.
Weder hat die Klägerin, wie erforderlich, gegenüber der Beklagten den Zutritt schriftlich mit einer Ankündigung und einer angemessenen Fristsetzung unter Benennung konkreter Termine und Ausweichtermine und eines zum Zutritt berechtigenden Interesses dargetan, noch hat sie dargetan, dies getan zu haben und zu den genannten Terminen vergeblich erschienen zu sein.
Sofern die Klägerin nunmehr ausführt, die Beklagte habe seit dem 19.02.2020 an weiteren 5 Terminen trotz Ankündigung den Zutritt verweigert, kann dies unterstellt werden. Jedenfalls hat dies keinen Einfluss auf die Kündigung vom 26.07.2017, da nachträgliche Gründe, bzw. ein Nachschieben von Gründen nicht möglich ist, § 573 Abs. 3 BGB.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
Die Entscheidung zur Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
19.09.2021