Leitsatz:
Eine ordentliche Kündigung ist nicht wirksam, wenn zwar ein Rückstand von genau einer Monatsmiete über mehr als einen Monat hinweg besteht, weitere Umstände des Einzelfalles den Zahlungsverzug aber in einem „milderen Licht“ erscheinen lassen.
LG Berlin vom 11.4.2014 – 67 T 22/14 –
Mitgeteilt von RA Klaus Kallenberg
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Der Mieter war mit genau einer Monatsmiete mehrere Monate lang im Rückstand gewesen. Sein Vermieter stützte seine ordentliche Kündigung wegen Zahlungsverzugs auf die Entscheidung des BGH vom 10.10.2012 – VIII ZR 107/12, dessen Leitsatz wie folgt lautet: „Eine ordentliche Kündigung wegen Zahlungsverzugs ist auch unterhalb der für die fristlose Kündigung geltenden Grenze des § 543 Abs. 2 Nummer 3 BGB möglich. Eine nicht unerhebliche Pflichtverletzung des Mieters liegt jedoch nicht vor, wenn der Mietrückstand eine Monatsmiete nicht übersteigt und die Verzugsdauer weniger als einen Monat beträgt.“
Der Einzelrichter am Landgericht entschied, dass aus dem Urteil des BGH nicht geschlossen werden könne, dass für eine ordentliche Kündigung immer ein Rückstand von mehr als einer Monatsmiete und eine Verzugsdauer von mehr als einem Monat vorliegen müssten. Allerdings folge aus der Entscheidung andererseits nicht, dass eine ordentliche Kündigung immer begründet wäre, wenn der Rückstand im Betrag eine Monatsmiete oder in der Verzugsdauer einen Monat übersteige. Vielmehr bleibe es insoweit bei einer Einzelfallentscheidung, ob ein erhebliches Verschulden des Mieters nach § 573 Abs. 2 Nummer 1 BGB vorliege. Dieses erhebliche Verschulden sah der Richter in dem konkreten Fall nicht als gegeben an, weil der Mieter auf die Klage hin sogleich eine vollständige Zahlung aller Forderungen vorgenommen hatte, noch ehe er selbst oder sein Prozessbevollmächtigter sich bei Gericht gemeldet hatten.
Urteilstext
Gründe:
I) Die sofortige Beschwerde der Beklagten vom 3. Februar 2014 gegen die Kostengrundentscheidung zu Nr. 1) in dem Beschluss des Amtsgerichts ist gemäß § 91 a Abs. 2, §§ 567 ff ZPO zulässig.
Die sofortige Beschwerde hat zum Teil Erfolg.
Nach der übereinstimmenden Erledigungserklärung der Parteien war über die Kosten des Rechtsstreits insgesamt von Amts wegen nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands zu entscheiden, § 91 a Abs. 1 ZPO. Dies führt zu der geänderten Kostenquote.
Mit dem Vertrag vom … Juli 2010 mietete die Beklagte von der Klägerin die Wohnung Nr. in der x-Straße in Berlin. Die Wohnung hat zwei Zimmer und ist 68,6 m² groß.
Unstreitig betrug die Miete (jedenfalls) seit dem Dezember 2012
Nettokaltmiete 332,71 €
Betriebskostenvorschuss 171,30 €
gesamt 504,01 €.
Der Zugang einer Erklärung vom 26. November 2012 zur Erhöhung der Betriebskostenvorschüsse um 19,08 € monatlich ab dem Januar 2013 ist zwischen den Parteien streitig.
Unstreitig zahlte die Beklagte die Miete für Juli 2013 zunächst nicht. Die Klägerin geht davon aus, dass in den Monaten April bis August 2013 auch der oben genannte Betrag von 19,08 € monatlich offen war, sodass sie einen Rückstand von 599,42 € mit der Klage verlangt hat.
Die Klägerin kündigte unter dem 5. August 2013 und hat die Kündigung in der Räumungsklage wiederholt.
Nachdem die Beklagte am 30. Oktober 2013 alle geforderten Zahlungen geleistet hatte, hat die Klägerin die Erledigung der Hauptsache erklärt, der die Beklagte sich angeschlossen hat. Der Streit um den „Widerruf“ der Erledigungserklärung durch die Klägerin ist hier nicht mehr zu entscheiden.
Die Klägerin hatte (bis zur Zahlung Ende Oktober 2013) einen Anspruch auf Zahlung von 504,01 € für April 2013 aus § 535 Abs. 2 BGB. Hiergegen bringt die Beklagte nichts vor.
Dagegen kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin auch einen Anspruch auf Zahlung von (5 [Monate] x 19,08 € [Erhöhung des Betriebskostenvorschusses] =) 95,40 € für April bis August 2013 aus § 535 Abs. 2 BGB hatte. Hiervon ist bereits das Amtsgericht ausgegangen.
Auf das Bestreiten der Beklagten zum Zugang einer entsprechenden Erhöhungserklärung hat die Klägerin dazu nicht weiter vorgetragen. Dabei kann sogar offen bleiben, ob der Klage die entsprechende Anlage beigefügt war, denn die Klage ist erst am 14. September 2013 zugestellt worden.
Unerheblich ist hier weiter, dass diese Anlage als Gesamtmiete ab Januar 2013 nicht 504,01 € oder 523,09 €, sondern nur 485,70 € ausweist. Der Vortrag der Klägerin im Beschwerdeverfahren zu einem früheren Vollstreckungsbescheid führt zu keiner anderen Einschätzung, denn der Vollstreckungsbescheid ersetzt die Erhöhungserklärung nicht.
Es kann weiter nicht davon ausgegangen werden, dass die Beklagte zur Räumung und Herausgabe der Wohnung aus § 546 Abs. 1 BGB verpflichtet war: Die Kündigungen vom 5. August 2013 und aus der Klage waren unwirksam. Nach den obigen Ausführungen kann nur von einem Rückstand in Höhe von 504,01 € für April 2013 – genau einer Monatsmiete – ausgegangen werden. Eine fristlose Kündigung war nicht möglich, weil die in § 543 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. a) bzw. b) BGB gegebenen Varianten immer einen Rückstand voraussetzen, der sich aus mehr als einem Monat ergibt. Auch die ordentliche Kündigung war im konkreten Fall hier nicht möglich. Der Einzelrichter hat dazu bereits in der Verfügung vom 25. Februar 2014 auf das am 10. Oktober 2012 verkündete Urteil des Bundesgerichtshofes – VIII ZR 107/12 – hingewiesen. Der Bundesgerichtshof hat dort entschieden, dass grundsätzlich eine ordentliche Kündigung in Betracht kommt, auch wenn die Voraussetzungen einer fristlosen Kündigung nicht erfüllt sind. Der Bundesgerichtshof führt aus (Rn. 19f.):
„cc) Der Auffassung, dass auch unterhalb der in § 543 Abs. 3 Nr. 2 BGB festgelegten Grenzen eine ordentliche Kündigung wegen Zahlungsverzugs möglich ist, gebührt der Vorzug. Die fristlose Kündigung setzt voraus, dass dem Vermieter unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls die Fortsetzung des Vertrags nicht bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist zugemutet werden kann. Demgegenüber knüpft die ordentliche Kündigung an eine nicht unerhebliche Vertragsverletzung des Mieters an, die dem Vermieter die Lösung vom Vertrag nur unter Beachtung gesetzlicher oder vereinbarter Kündigungsfristen erlaubt. Angesichts dieser unterschiedlichen Anforderungen an die fristlose und die ordentliche Kündigung besteht kein Grund, die vom Gesetzgeber für die fristlose Kündigung wegen Zahlungsverzugs festgelegten Grenzen auf die ordentliche Kündigung zu übertragen. Hiervon geht auch das Berufungsgericht im Ansatzpunkt zutreffend aus. Allerdings muss bei der Bewertung einer Pflichtverletzung als „nicht unerheblich“ die Dauer und die Höhe des Zahlungsverzugs berücksichtigt werden. Nicht jeder geringfügige oder nur kurzfristige Zahlungsverzug rechtfertigt die Annahme einer nicht unerheblichen Pflichtverletzung. In Anlehnung an die überwiegend vertretenen Auffassungen erscheint dem Senat die Erheblichkeitsgrenze nicht überschritten, wenn der Rückstand eine Monatsmiete nicht übersteigt und zudem die Verzugsdauer weniger als einen Monat beträgt. Hier befand sich der Beklagte im Zeitpunkt der Kündigung vom 12. November 2010 mit der Miete für November neun Tage in Verzug, so dass die Grenze zur „nicht unerheblichen“ Pflichtverletzung noch nicht überschritten war.“
Aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofes kann nach der Auffassung des Einzelrichters einerseits nicht geschlossen werden, dass für eine ordentliche Kündigung immer ein Rückstand über einer Monatsmiete und eine Verzugsdauer von mehr als einem Monat vorliegen müssten. Allerdings folgt aus der Entscheidung andererseits nicht, dass eine ordentliche Kündigung immer begründet wäre, wenn der Rückstand im Betrag eine Monatsmiete oder in der Verzugsdauer einen Monat übersteigt. Vielmehr bleibt es insoweit bei einer Einzelfallentscheidung, ob ein erhebliches Verschulden des Mieters – hier der Beklagten – nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB vorliegt. Dieses erhebliche Verschulden ist in dem konkreten Fall hier noch nicht gegeben. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass – wie ausgeführt – allein die Miete April 2013 als offen angesehen werden kann. Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte der vorgerichtlichen Kündigung vom 5. August 2013 keine konkreten Angaben zu geltend gemachten Rückstanden entnehmen konnte.
Auf die Klage hin, die eine detaillierte Aufstellung für die Beklagte nach dem Inhalt der Akten erstmals enthalten hat, hat die Beklagte sogleich eine vollständige Zahlung aller Forderungen vorgenommen, noch ehe sie selbst bzw. ihr jetziger Prozessbevollmächtigter sich bei Gericht gemeldet haben. Wenn ein solches Verhalten schon dann die ordentliche Kündigung entfallen lassen kann, wenn zuvor sogar eine fristlose Kündigung gegeben war (Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zum sogenannten milderen Licht), so erscheint im vorliegenden Fall das Verschulden der Beklagten noch nicht als so schwerwiegend, dass das Mietverhältnis hätte beendet werden können bzw. müssen. …
07.05.2017