Wer bei einer Wohnungsbaugesellschaft wohnt, die unter der Kontrolle der öffentlichen Hand steht, sollte sicher vor den Auswüchsen des freien Wohnungsmarktes sein. Mieterhöhungen, die die Bewohner in die Flucht treiben, und Modernisierungen, die die Zahlungsfähigkeit der Mieter weit überschreiten, sind mit dem sozialen Auftrag der kommunalen Wohnungsunternehmen eigentlich unvereinbar. Die sechs Wohnungsbaugesellschaften, die dem Land Berlin gehören, konfrontieren ihre Mieter allerdings immer wieder mit solchen Zumutungen. Die Vorgaben, die ihnen vom Senat gemacht werden, sind so unverbindlich, dass die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften in ihrem Handeln kaum von privaten Immobilienunternehmen zu unterscheiden sind. Anstatt das Potenzial der insgesamt 258000 Wohnungen zu nutzen, um sozialpolitische Akzente auf dem Wohnungsmarkt zu setzen, lässt der Senat die Unternehmen beinahe nach Belieben schalten und walten. Der Berliner Mieterverein (BMV) fordert daher neue Leitlinien mit konkreten Zielen für die städtischen Wohnungsbaugesellschaften.
„Menschenwürdig und zu einem angemessenen Preis zu wohnen, ist ein Grundbedürfnis“, erklärte Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer im Juli 2007 bei der Vorstellung des Gesamtkonzepts für die städtischen Wohnungsbaugesellschaften. „Wir steuern die Wohnungspolitik in Berlin aktiv, weil wir auch für die Menschen Wohnraum zur Verfügung stellen wollen, die es ansonsten schwer hätten, eine Wohnung zu finden.“ Wirksame Aktivitäten, mit denen ihre schönen Worte in die Tat umgesetzt werden, lässt die Senatorin leider bis heute weitgehend vermissen.
Im Dezember hat die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Howoge ihren Mietern in Buch in einem zweiten Anlauf Modernisierungsmaßnahmen angekündigt, die so teuer sind, dass viele Mieter die Mietsteigerung nicht werden schultern können. Schon ein Jahr zuvor verschickte sie Modernisierungsankündigungen, die die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zurückpfeifen musste – zu offenkundig sah es nach Mietervertreibung aus. Die neuen Ankündigungen der Howoge sind nun vom Senat abgesegnet worden. Die Modernisierungsumlage wird zwar in der Weise gekappt, dass die daraus folgenden Mieterhöhungen den Senatsvorgaben entsprechen, doch sie überschreitet immer noch die Zahlungsfähigkeit vieler Bewohner.
„Die städtischen Wohnungsbaugesellschaften sollen Mieterhöhungen aufgrund von Modernisierungsmaßnahmen an der ortsüblichen Vergleichsmiete ausrichten“, heißt es im Gesamtkonzept des Senats. In der Praxis wird dafür der obere Spannenwert des jeweilig zutreffenden Mietspiegelfeldes zugrundegelegt. Zu diesem Mietspiegeloberwert darf bei energetischen Sanierungen aber noch die errechnete Einsparung bei Betriebs- und Heizkosten aufgeschlagen werden. Wenn also der Vermieter ankündigt, dass durch eine Wärmedämmung und eine effektivere Heizungsanlage die Nebenkosten um 60 Cent pro Quadratmeter sinken, dann darf die Nettokaltmiete den Mietspiegeloberwert um 60 Cent überschreiten. In Buch kommen dabei Nettokaltmieten von 5,40 Euro bis 6,60 Euro pro Quadratmeter heraus. Für Rentner oder Hartz-IV-„Bedarfsgemeinschaften“ ist das ein harter Brocken.
„Die Kopplung an die Betriebskostenersparnis halten wir nicht für sinnvoll, weil die wirkliche Einsparung erst viele Monate nach Abschluss der Maßnahme erkennbar ist“, erklärt der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins (BMV), Reiner Wild. Aufgrund von Energiepreissteigerungen könnte dieser „Mietervorteil“ außerdem sehr bald egalisiert sein. „Im Übrigen werden die Wohnungsunternehmen dadurch animiert, die ohnehin kaum nachvollziehbare Heizkostenersparnis schönzurechnen“, so Wild. Der BMV schlägt daher vor, für die städtischen Gesellschaften eine Kappung einzuführen: Bei Modernisierungen sollen nur noch acht statt elf Prozent der Investitionskosten auf die Miete umgelegt werden und die Miete soll nicht mehr als fünf Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen.
Schlagzeilen macht auch das städtische Wohnungsunternehmen Gesobau in Pankow. Dort soll eine kleine Siedlung aus den 30er Jahren zwischen Döbrabergweg und Erbeskopfweg modernisiert werden. „Seit vielen Jahren ist nichts gemacht worden, und jetzt zieht man das komplette Programm durch“, sagt BMV-Rechtsberater Stefan Schetschorke. Neben einer Wärmedämmung und neuen Fenstern sollen die Wohnungen neue Heizungsanlagen und Bäder erhalten, obwohl die meisten Mieter schon auf eigene Kosten Bäder und Gasetagenheizungen eingebaut haben. Durch die Modernisierung soll die Nettokaltmiete eines BMV-Mitgliedes um 40 Prozent auf mehr als 6,52 Euro pro Quadratmeter steigen, was ebenfalls weit über dem Mietspiegel liegt. Für einige Mieter, die schon lange hier wohnen, bedeutet die Modernisierung glatt eine Verdopplung der Miete.
Wozu teure Sanierungen?
„Warum muss Wohnraum besonders teuer saniert werden?“, fragt der wohnungspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Andreas Otto. Wenn jemand einen zwei Meter hohen Fliesenspiegel im Bad haben möchte, soll dies nur im gegenseitigen Einvernehmen zwischen Vermieter und Mieter erfolgen. „Wer das nicht braucht und mit seinem Bad zufrieden ist, wird eben ausgenommen“, so Otto. Er fordert, sich bei der Modernisierung allein auf die notwendigen Klimaschutzmaßnahmen zu beschränken.
Wo weder der Senat noch die Wohnungsbaugesellschaften die Leistungsfähigkeit der Mieter beachten, müssen zuweilen die Bezirke als Hüter der Grundsätze einspringen. So bei der Sanierung eines Blocks an der Stahlheimer Straße in Prenzlauer Berg: Die Wohnungsbaugesellschaft Gewobag kündigte im November 2009 an, eine Wärmedämmung anzubringen, moderne Bäder einzubauen und die rund 200 Wohnungen an die Fernwärme anzuschließen. Die Modernisierungsumlage sollte sich auf rund drei Euro pro Quadratmeter belaufen. Rechtlich war daran nicht zu rütteln, doch etwa die Hälfte der Mieter hätte die Mieterhöhung nicht tragen können. Der alarmierte Bezirk Pankow erließ deshalb eine Umstrukturierungsverordnung, mit der die Baugenehmigung an einen Sozialplan gekoppelt wurde. Bei ALG-II-Empfängern und Wohngeldberechtigten wird die Miete über mehrere Jahre begrenzt. Die Gewobag ließ sich im Februar 2010 auf diese Härtefallregeln für die Bestandsmieter ein, von selbst wäre sie jedoch nicht auf eine solche Idee gekommen.
„An der weiteren Modernisierung von Wohnungen führt kein Weg vorbei, und auch nicht an der dazu notwendigen Erhöhung der Mieten“, meint Maren Kern vom Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU), in dem die kommunalen Gesellschaften organisiert sind. „Mit einem Landesprogramm für die Förderung energetischer Wohnungsmodernisierungen könnten die Belastungen für die Mieter aber gedämpft werden. Der Senat sollte deshalb über eine solche Landesförderung nachdenken“, so Kern. Der Ruf nach Fördergeldern trifft beim Senat jedoch auf taube Ohren und leere Kassen.
Im Allgemeinen sind die Grundsätze des Senats wohlklingend: „Vorrangige Aufgabe ist die Bewirtschaftung von Wohnungen, die nach Größe, Ausstattung und Preis für breite Schichten der Bevölkerung geeignet sind. Die öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften sollen auch zur Stabilisierung des Mietniveaus dienen.“ Angesichts der geringen Kaufkraft der Berliner sei „der Erhalt eines preiswerten Wohnungsbestandes für die soziale Ausgewogenheit in der Stadt essentiell.“
Dem Mieterverein ist das viel zu vage. „Es fehlt an einer konkreten Darlegung, wie die Unternehmen im Unterschied zu privaten gewerblichen Vermietern am Berliner Wohnungsmarkt agieren sollen“, sagt BMV-Geschäftsführer Reiner Wild. Der BMV vermisst insbesondere Aussagen über die Unterbringung von Wohnberechtigungsschein-Inhabern mit Dringlichkeit, Transfereinkommensbeziehern, kinderreichen Familien, Flüchtlingen und anderen Gruppen, die auf dem Wohnungsmarkt Versorgungsschwierigkeiten haben.
Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung geht davon aus, dass bei einem Marktanteil von etwa 15 Prozent die kommunalen Wohnungsbestände dämpfend auf das Mietniveau wirken. Daher sollte der Umfang des öffentlichen Bestandes beim derzeitigen Niveau von rund 270000 Wohnungen beibehalten werden. Allenfalls zur Eigensicherung der Unternehmen und zur Abrundung des Bestandes sollten Verkäufe noch erlaubt sein. Doch die 15-Prozent-Marke war schon 2007 bei der Verabschiedung des Papiers leicht unterschritten. Seither wurde vor allem Streubesitz veräußert, so dass die Quote noch weiter abgesunken ist. „Die Beschränkung des Verkaufs ist zu allgemein und wird nicht hinreichend geprüft“, kritisiert Reiner Wild.
Ungleiche Streuung der Wohnungsbestände
Die städtischen Wohnungen sind zudem sehr ungleich über die Bezirke verteilt. Nach dem Verkauf der GSW im Jahr 2004 ist der öffentliche Sektor in den Westbezirken deutlich unterrepräsentiert. Mehr als die Hälfte der Wohnungen liegt im Ostteil, der größte Teil davon sind Plattenbauten. In Lichtenberg gehört mehr als ein Drittel der Wohnungen zu den Städtischen. In Neukölln und Charlottenburg-Wilmersdorf liegt der Anteil hingegen unter zehn Prozent, in Steglitz-Zehlendorf untersteht nicht einmal jede 40. Wohnung der öffentlichen Hand. Bei einem solch geringen Anteil kann man im Westen keinen mietpreisdämpfenden Effekt erwarten, selbst wenn die Gesellschaften dort bei Mieterhöhungen Zurückhaltung walten ließen.
Das tun sie allerdings nicht. Die Mieten liegen bei den kommunalen Unternehmen mit durchschnittlich 4,88 Euro pro Quadratmeter schon fünf Cent über dem Gesamt-Berliner Schnitt. Weil der Senat den Berliner Wohnungsmarkt seit einem Jahrzehnt als entspannt ansieht, ist die Aufgabe der wohnungspolitischen Daseinsvorsorge völlig in den Hintergrund geraten. Statt dessen werden die Wohnungsbaugesellschaften unter dem finanziellen Aspekt betrachtet: Sie sollen Rendite bringen, ihren Schuldenstand abbauen und irgendwann einmal Geld in die klamme Landeskasse spülen. Daher ist es durchaus auch im Sinne des Senats, wenn seine Gesellschaften beim Anstieg der Mieten mitmachen.
Besonders auffällig wurde dies in den Monaten nach der Veröffentlichung des Mietspiegels 2007. Die Gesobau hat die Mieten in der Weddinger Siedlung Schillerhöhe kräftig erhöht. Gleichzeitig erhielten die Mieter der Paul-Hertz-Siedlung in Charlottenburg eine saftige Mieterhöhung von der Gewobag. Die WBM versuchte im Nikolaiviertel sogar, auf Grundlage eines Gutachtens höhere Mieten durchzusetzen als nach dem Mietspiegel zulässig waren. Und auch in der Breite haben die Städtischen die Möglichkeiten zur Mieterhöhung ausgenutzt: In dem Dreivierteljahr nach Erscheinen des Mietspiegels erhöhte die WBM für 12 Prozent ihrer Wohnungen die Mieten, die Degewo sogar für 17 Prozent.
Wenn es um ihre eigenen Interessen geht, erledigen die städtischen Wohnungsbaugesellschaften sehr wohl Aufgaben, die ihnen die Politik vorgibt, auch wenn sie sich nicht unmittelbar betriebswirtschaftlich rechnen. So wurden im Rahmen des Stadtumbaus Ost ausschließlich Wohnungen der Degewo und der Stadt und Land abgerissen. In vielen Stadtteilen engagieren sich die Wohnungsbaugesellschaften als sogenannte „starke Partner“ im Quartiersmanagement.
Außerdem sollen die Unternehmen Vorreiter bei der energetischen Sanierung und beim altersgerechten Umbau der Wohnungsbestände sein. So startete die Gesobau 2008 das Mammutprojekt zur Sanierung ihrer energetisch völlig veralteten Bestände im Märkischen Viertel – wobei betroffene Mieter immer wieder über chaotische Bauarbeiten klagen. „Die Vorgaben für die Durchführung von energetischen Modernisierungen sind so vage, dass die Wohnungsunternehmen nicht wie versprochen zu Vorreitern werden“, kritisiert Wild.
In den Leitlinien gibt es auch keine Aussagen über die Miethöhen bei Neuvermietungen. Nach jetziger Gesetzeslage können diese frei festgesetzt werden. Nach Ansicht des Berliner Mietervereins sollten die Neuvermietungsmieten höchstens zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen. Im Übrigen sollte der Senat bei seinen Unternehmen durchsetzen, was er mit seiner Gesetzesinitiative im Bundesrat beabsichtigt hat: Seit November wird im Bundesrat ein Berliner Gesetzentwurf verhandelt, demzufolge die Mieten innerhalb von vier Jahren nur noch um 15 Prozent angehoben und die Modernisierungsumlage von elf auf neun Prozent gesenkt werden sollen. Außerdem soll der Energieausweis künftig Bestandteil des MietvertragEnergieausweis künftig Bestandteil des Mietvertrages sein.
Berlin geht jedoch nicht mit gutem Beispiel voran. Die landeseigenen Unternehmen verlangen die Mieten, die die jetzige Rechtslage hergibt und geben Mietinteressenten auch nur dann eine Kopie des Energieausweises, wenn diese direkt danach fragen. Die Gewobag gewährt ihnen selbst dann nur einen Einblick in das Dokument, gibt aber keine Kopien heraus. Ein Vorbild, mit dem Berlin bundesweit für die beabsichtigten Mietrechtsänderungen werben könnte, sieht anders aus.
Jens Sethmann
MieterMagazin 3/11
In Wort und Tat klafft eine deutliche Diskrepanz: Berlins Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer
alle Fotos: Christian Muhrbeck
Gesobau-Modernisierung am Döbrabergweg in Pankow: Für manchen Mieter verdoppelt sich jetzt die Miete
Gewobag-Sanierung in der Stahlheimer Straße in Prenzlauer Berg: Für die Hälfte der Mieter war die beabsichtigte Mieterhöhung nicht zu schultern
Wo ihre eigenen Interessen bedient werden, reagiert die landeseigene Wohnungswirtschaft auf Vorgaben der Politik: Abriss im Rahmen des Stadtumbaus Ost in Marzahn
Im Nikolaiviertel versuchte das Wohnungsunternehmen WBM den Mietspiegel auszuhebeln, um teure Mieterhöhungen durchzusetzen
Kein Vorbild in Sachen energetische Sanierung: Gesobau-Modernisierung im Märkischen Viertel
Zum Thema
Gemeinnützigkeit als vergessene Tradition
Die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften haben ihre Wurzeln im Jahr 1924: In diesem Jahr wurde eine Reihe gewerkschaftlich getragener, gemeinnütziger Wohnungsunternehmen gegründet, unter anderem die Degewo, die Gewobag sowie Stadt und Land. Diese Unternehmen haben im Wesentlichen das fortschrittliche Wohnungsbauprogramm der Weimarer Republik getragen. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Gesellschaften in West-Berlin zu großen Teilen für den Wiederaufbau, die Stadtsanierung und den Sozialen Wohnungsbau verantwortlich. 1981 gehörte fast jede vierte West-Berliner Mietwohnung den Gemeinnützigen.
Nachdem die Bundesregierung 1990 die Wohnungsgemeinnützigkeit abgeschafft hatte, wurden in den Satzungen der städtischen Gesellschaften Berlins die Beschränkung der Dividende und das Prinzip der Kostendeckung festgeschrieben.
Nach der Wende wurde in jedem Ostbezirk eine städtische Wohnungsbaugesellschaft gegründet, die den Bestand der Kommunalen Wohnungsverwaltung übernahm. Durch Rückübertragungen und Verkäufe nach dem Altschuldenhilfegesetz schrumpften deren Bestände jedoch rapide. Es folgten Zusammenschlüsse und vom Senat angeordnete „In-sich-Geschäfte“, bei denen ein landeseigenes Unternehmen ein anderes kaufte. Nachdem die Gehag 1998 und die GSW 2004 zur Haushaltskonsolidierung komplett an Finanzinvestoren verkauft worden sind, blieben sechs städtische Wohnungsbaugesellschaften mit rund 275.000 Wohnungen übrig. Durch weitere Einzelverkäufe ist der Bestand mittlerweile auf 258.000 geschrumpft.
js
05.02.2018