Im April wurde das Friedrichshainer Sanierungsgebiet Warschauer Straße aufgehoben. Nach 16 Jahren Stadterneuerung hat sich das Viertel stark verändert. Sowohl die Häuser als auch die Bewohnerstruktur haben eine durchgreifende Umwälzung durchgemacht – eine Entwicklung, die auch nach dem Ende der Sanierung weitergehen wird.
Die meisten Altbauten sind modernisiert, fast alle Baulücken mit Neubauten geschlossen. Produktionsbetriebe sind aus den Gewerbehöfen nahezu verschwunden. Auf der anderen Seite sorgt die Ende der 90er Jahre entstandene Kneipenmeile Simon-Dach-Straße und die vielen Hostels, die sich daraufhin im Kiez ansiedelten, für Ärger mit den Anwohnern. Die mit den Schlagworten „Gentrifizierung“ und „Touristifizierung“ beschriebenen Entwicklungen treten in dem Quartier gleichzeitig auf.
Im Gebiet Warschauer Straße ist die Kluft zwischen Arm und Reich besonders groß – und sie wächst weiter. Das zeigt die Sozialstudie der Mieterberatungsgesellschaft ASUM von 2009. Ab 2003 stieg das mittlere Haushaltsnettoeinkommen von 1100 Euro auf 1800 Euro rasant an. Während 30 Prozent der Haushalte mehr als 2600 Euro im Monat zur Verfügung haben, beziehen elf Prozent der Bewohner Hartz-IV-Leistungen. Die Einkommenssteigerungen sind vor allem mit dem Zuzug von gut verdienenden Erwerbstätigen zu erklären.
In den letzten acht Jahren sind nicht nur viele Wohnungen modernisiert worden. Es wurden in der Warschauer, Boxhagener, Grünberger und Kadiner Straße auch mehrere Hinterhof-Fabrikgebäude in Wohnlofts umgebaut, deren Mieten ein überdurchschnittliches Einkommen erfordern. Dabei sind selbstnutzende Wohnungseigentümer auf dem Vormarsch: Haben 2003 nur ein Prozent der Bewohner angegeben, Eigentümer ihrer Wohnung zu sein, so waren es 2009 schon sieben Prozent.
Die durchschnittliche Nettokaltmiete lag 2009 für eine Vollstandardwohnung bei 5,01 Euro pro Quadratmeter und damit schon über dem Mietspiegel-Durchschnitt. Bei Neuvermietungen wird noch kräftig draufgeschlagen: Besonders bei familiengerechten größeren Wohnungen verlangen die Vermieter Preise, die um 40 Prozent über dem Mietspiegel liegen. Durch diese ganz legalen Preissprünge wird das allgemeine Mietniveau nach oben gedrückt. „Das wird eine gewaltige soziale Verschiebung verursachen“, sagt Friedrichshain-Kreuzbergs Bürgermeister Franz Schulz. „Wenn man nicht eingreift, werden wir in 10 oder 15 Jahren in der Innenstadt keine geringverdienenden Mieter mehr haben.“
Die ASUM-Studie bezeichnet elf Prozent der jetzigen Bevölkerung als stark verdrängungsgefährdet. Dazu zählen vor allem die Bewohner unsanierter Häuser mit einem geringen Einkommen, die im Falle einer Modernisierung die Miete für ihre Wohnung nicht mehr tragen könnten. Der Bezirk diskutiert deshalb über eine Milieuschutzverordnung für die drei aufgehobenen Sanierungsgebiete in Friedrichshain.
Die Sanierung der Infrastruktur geht weiter
Die Erneuerung der öffentlichen Einrichtungen im Quartier Warschauer Straße kam erst ab 2002 in Gang. Zur Behebung des Gründefizits wurden alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Da es kaum öffentliche Flächen zum Neubau von Spielplätzen oder Grünanlagen gab, wurden auch Blockinnenbereiche dafür genutzt.
Die Sanierung der Schulgebäude ist noch längst nicht abgeschlossen, und auch der Umbau der Straßenräume, etwa der Warschauer Straße, beginnt erst jetzt. Das alles muss in den kommenden drei Jahren geschafft sein, später können hier keine Städtebaufördermittel mehr eingesetzt werden. Der Bezirk hätte sich deshalb gewünscht, dass das Sanierungsgebiet noch etwas länger bestehen bleibt.
Jens Sethmann
MieterMagazin 9/11
Viele ehemalige Fabrikgebäude rund um die Warschauer Straße wurden in attraktive, aber kostspielige Lofts umgebaut
Foto: Christian Muhrbeck
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Das Gebiet in Zahlen
Ende 1994 wurden neun Straßenblöcke beiderseits der Warschauer Straße zum Sanierungsgebiet erklärt. Das Gebiet ist 38 Hektar groß und umfasste anfangs 5100 Wohnungen. Nach Wohnungszusammenlegungen und einzelnen Abrissen einerseits und Neubauten und Dachgeschossausbauten andererseits erhöhte sich die Zahl der Wohnungen bis Ende 2009 auf 5600 – per Saldo ein Plus von zehn Prozent. Die Einwohnerzahl erhöhte sich in diesem Zeitraum um ein Drittel auf 8600. Von den Altbauten sind 64 Prozent vollsaniert. 950 Wohnungen wurden mit öffentlicher Förderung erneuert und unterliegen deshalb einer langfristigen Mietpreis- und Belegungsbindung.
js
03.03.2018