In den Berliner Altbauquartieren gibt es ein enges Nebeneinander von Wohnen und Arbeiten. Für die meisten Bewohner ist das ein Stück Lebensqualität. Der Schuhmacher um die Ecke, die kleinen Läden und Nachbarschaftskneipen sorgen dafür, dass ein Kiez lebendig ist. Doch die traditionelle Berliner Mischung führt auch zu Konflikten. Manch Gewerbetreibender meint, er müsse keinerlei Rücksicht auf ruhebedürftige Anwohner nehmen. Bei Beschwerden heißt es dann: Wem es nicht passt, kann ja aufs Dorf ziehen.
Besonders eng ist die Nutzungsmischung in Sanierungsgebieten wie Weißensee oder Friedrichshain. Hier gibt es in Remisen oder Fabrikhöfen noch häufig Tischlereien und Autowerkstätten, während im Vorderhaus gewohnt wird. Doch allmählich verschwinden viele dieser kleinen Betriebe. Das liegt nicht nur am dramatischen Rückgang des produzierenden Gewerbes im Allgemeinen. Im Zuge der Sanierung werden viele dieser Handwerksbetriebe auch an den Stadtrand oder in Gewerbehöfe verlagert. Zwar gehört es zu den Sanierungszielen, die Mischung von Wohnen und Arbeiten zu erhalten. Gleichzeitig sollen aber auch die damit verbundenen Konflikte abgebaut werden. Lackierereien oder Schreinereien im Hinterhof sind für viele Bewohner nicht mehr akzeptabel. An ihre Stelle treten Büros und Dienstleistungsunternehmen.
Aber auch die sind nicht immer unproblematisch. Ausgerechnet ein Massagebetrieb mit angeschlossener Sauna macht einer Familie aus Prenzlauer Berg seit Jahren das Leben zur Qual. „Es riecht ständig nach medizinischer Einreibung, im Schlafzimmer ist der Geruch nach Tigerbalsam manchmal so stark, dass mir die Augen tränen“, berichtet Iris Müller*. An manchen Tagen vermischt sich der Gestank mit Knoblauch und Fisch, denn obwohl es sich nicht um einen Imbiss handelt, wird häufig für über 15 Personen gekocht, sagen die Mieter. Betrieben wird der Massagesalon von einer thailändischen Familie. Auch spätabends und am Wochenende halte sich die Großfamilie mitsamt Kindern in den Gewerberäumen auf, erzählen Iris und Peter Müller. Durchs Treppenhaus und über die Dielung und die geöffneten Fenster ziehen die Küchengerüche auch in die Wohnung. Die Müllers, die ihre Wohnung direkt über dem Massagesalon haben, sind am meisten betroffen. Aber auch die anderen Mieter beklagen sich über Lärm und Gestank. Offenbar verfügen die Räume über keine Abzugsanlage. Zudem werde auf der Straße lautstark telefoniert, und es werden am Wochenende oft Parties gefeiert. An die Hausverwaltung haben die Mieter in den vergangenen vier Jahren etliche Beschwerdebriefe geschickt. Reaktion: keine.
Geprüft wird jeder Einzelfall
In den Bezirksämtern hat man es häufig mit Beschwerden von Anwohnern wegen störendem Gewerbe zu tun – „mehr als uns lieb ist“, heißt es im Umweltamt Friedrichshain-Kreuzberg. Spitzenreiter ist hier, wie in allen Innenstadtbezirken, der Kneipenlärm. Aber auch chemische Reinigungen, KFZ-Betriebe oder Farbspritzanlagen verursachen Krach und Gerüche. Die Behörde geht nach eigenen Angaben jeder Beschwerde mittels einer Vor-Ort-Begehung nach und führt gegebenenfalls auch Messungen durch. Bei Bedarf können Auflagen erteilt werden, wie zum Beispiel Schallschutzmaßnahmen oder der Einbau einer Filteranlage. Auch Bußgelder können verhängt werden. Grundlage dafür ist das Bundesimmissionsschutzgesetz, wonach die Belästigung durch Gewerbe auf ein Mindestmaß zu reduzieren ist und zwar nach dem neuesten Stand der Technik. Bei neuen Gaststätten macht das Umweltamt einen ausreichenden Schallschutz zur Auflage. Der Spagat, einerseits den Interessen der Anwohner gerecht zu werden, aber auch die Gewerbetreibenden nicht zu vergraulen – schließlich sorgen die für Arbeitsplätze – gelingt den zuständigen Behörden nicht immer.
Schlafen nur mit Ohropax
Das zeigt ein Fall aus Schöneberg. Seit über einem Jahr wehren sich einige Bewohner der Kleiststraße 4A gegen die Lärmbelästigung durch eine Diskothek. Auch Wirtschaftsamt und Umweltamt wurden eingeschaltet – bisher ohne Erfolg. Seit die „Wu-Wu-Bar“ im Herbst 2004 eröffnet hat, müssen die Mieter Nacht für Nacht das Gewummere der Bässe ertragen. „Das dröhnt in allen Räumen, man wird schier verrückt“, sagt ein Mieter. Der Stahlbetonbau des Hochhauses leitet den Schall über Schächte bis ins siebte Stockwerk. Obwohl die Hausverwaltung das wusste – auch mit dem vorigen Pächter einer Bar gab es erhebliche Probleme – wurde an die Disko vermietet. Einige Mieter schlafen nur noch mit Ohropax, andere ziehen öfter mal zu Freunden, um sich auszuschlafen. Der Berliner Mieterverein, der einige Bewohner vertritt, hat die Hausverwaltung in diversen Schreiben aufgefordert, endlich für Abhilfe zu sorgen. Weder diese Schreiben noch die Mietminderung in Höhe von 30 Prozent haben irgendetwas bewirkt. Die Hausverwaltung steht klar auf Seiten der Gewerbemieter – schließlich geht es um beträchtliche Mieteinnahmen. „Die Hausverwaltung unterstellt uns, wir seien überempfindlich und uns würde es nur um Mietminderung gehen“, empört sich Klaus Braun*. Das Umweltamt hat in den Wohnungen bereits mehrere Messungen durchgeführt. Merkwürdigerweise war es bei diesen Terminen immer ungewöhnlich ruhig. Ob die Betreiber der Disko einen Tipp bekommen haben, bleibt Spekulation. Auch die Polizei wurde mehrmals wegen Ruhestörung gerufen. Immer wenn sie im Anmarsch war, wurde die Anlage leiser gestellt. Erst als die Mieter die Polizei ausdrücklich baten, einen anderen Eingang zu nehmen – der Durchgang wird von der Wu-Wu-Bar videoüberwacht – hämmerten die Bässe in der gewohnten Lautstärke. Mittlerweile wurden diejenigen, die eine Mietminderung vorgenommen haben, wegen Mietrückstand verklagt. Was die Betroffenen besonders freut: Auch die Nachbarn, die sich nicht wehren, weil sie nicht rechtsschutzversichert sind, wollen vor Gericht als Zeugen aussagen. In den Sozialwohnungen leben viele Migrantenfamilien. „Viele haben uns gesagt, dass sie wegen des Krachs nicht schlafen können, ein Kind ist sogar deswegen in der Schule abgerutscht“, berichtet Klaus Braun. Doch selbst ein erneuter Sieg vor Gericht würde das Problem nicht lösen. Ob eine technische Lösung möglich wäre, ist ebenso fraglich. Die Schallübertragung ist ein Baumangel, wahrscheinlich müsste man das ganze Haus abreißen.
Die größten Konflikte gehen zweifellos von Kneipen aus. Nicht nur in der Simon-Dach-Straße laufen die Bewohner Sturm gegen Biergartenbetrieb bis tief in die Nacht. „Manche Kneipenbesitzer scheinen zu vergessen, dass hier auch Menschen wohnen, nicht nur Touristen und Vergnügungssüchtige“, meint eine Anwohnerin des Hackeschen Marktes. Die Verwaltung bemüht sich, durch Absprachen über Schließzeiten und Parkregelungen beiden Seiten gerecht zu werden. Nicht immer klappt das.
Fest steht: Gegenseitige Rücksichtnahme und Toleranz könnten in vielen Fällen die Konflikte lösen. In einer Schlafstadt will schließlich niemand wohnen.
Birgit Leiß
* Name von der Redaktion geändert
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MieterMagazin 11/05
Wenn die Bässe wummern: Lärmverursacher Nummer eins sind Diskos und Kneipen
Foto: Rolf Schulten
Geruch, dass einem die Augen tränen: Massagebetrieb in Prenzlauer Berg
Foto: Kerstin Zillmer
Lärm zum Verrücktwerden: Disko in Schöneberg
Foto: Kerstin Zillmer
Welche Behörde ist zuständig?
Wer sich über störendes Gewerbe beschweren will, wird mit einem Wirrwarr von Zuständigkeiten und Gesetzen konfrontiert. Bei den meisten Bezirken nimmt das Umweltamt Beschwerden über Krach oder Gerüche durch Gewerbe entgegen (Adressen siehe Gelbe Seiten unter „Bezirksämter“). Handelt es sich jedoch um eine Gaststätte, ist das Wirtschaftsamt (manchmal auch Gewerbeamt genannt) zuständig. In manchen Bezirken kümmern sich die neu gegründeten Ordnungsämter um das Problem. Da hilft nur: durchfragen! In dringenden Fällen (nachts oder am Wochenende) können Mieter auch die Polizei rufen und Anzeige gegen den Ruhestörer erstatten.
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Ihr gutes Recht
Wer sich durch Gewerbelärm oder Gerüche gestört fühlt, kann von seinem Vermieter verlangen, dass er Abhilfe schafft. Hierbei spielt, es keine Rolle, ob der Vermieter an den betreffenden Betrieb verpachtet hat oder ob dieser sich in der Nachbarschaft befindet. Dem Mieter steht das Recht auf Mietminderung zu. Wie bei allen Wohnungsmängeln setzt das voraus, dass er den Schaden schriftlich gemeldet hat. Eine Tabelle, um wie viel Prozent man bei welchem Problem kürzen kann, gibt es nicht. Man sollte sich immer zuerst beim Berliner Mieterverein beraten lassen.
In Extremfällen können Geruchsbelästigungen, zum Beispiel durch eine Toilettenanlage in anliegenden Gewerberäumen, zur fristlosen Kündigung berechtigen. Auch wenn die Gesundheit des Mieters gefährdet ist, kann er fristlos kündigen. Dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn andauernd aus einer unter der Wohnung liegenden Gaststätte die Nachtruhe gestört wird (AG Kerpen, WM 78/68).
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14.06.2016