Leitsätze:
1. Die Aufrechnung mit wegen vorgenommener Mietminderung rückständiger Mieten ist verwirkt, wenn der Vermieter vier Jahre lang die Mietminderung hinnimmt und ein zwischenzeitlich zugestellter Mahnbescheid sowie eine fristlose Kündigung wegen Zahlungsrückstandes nach Widerspruch des Mieters nicht weiterverfolgt wird.
2. Verschickt der Vermieter im Abstand von 2 bis 3 Monaten ein formularmäßiges Mahnschreiben an den Mieter, ist diese Handlungsweise allein nicht geeignet, das Umstandsmoment einer Verwirkung auszuschließen.
LG Berlin, Urteil von 9.5.00 – 63 S 313/99 –
Mitgeteilt von RA Thomas Wetzel
Urteilstext
Aus den Entscheidungsgründen:
Die nach §§ 511, 516, 518 und 519 ZPO zulässige Berufung der Beklagten ist in der Sache ohne Erfolg. Die nach § 522 Abs. 1 ZPO zulässige unselbstständige Anschlussberufung der Klägerin ist dagegen in vollem Umfang begründet.
Der Klägerin steht gegen die Beklagte aus §812 Abs. 1 S. 1 BGB ein Anspruch auf Rückzahlung überzahlter Mieten für die Zeit von April 1994 bis Februar 1998 in Höhe von 6344,72 DM, d.h. über den erstinstanzlich ausgeurteilten Betrag von 5900,47 DM den mit der Anschlussberufung weiterverfolgten Betrag von 444,25 DM, zu.
In dem vorgenannten Zeitraum von April 1994 bis Februar 1998 zahlte die Beklagte an die Klägerin insgesamt 6344,72 DM zu viel Miete, was zwischen den Parteien unstreitig ist. Mit Schreiben vom 10.2.1998 teilte die Beklagte der Klägerin die Höhe dieses überzahlten Betrages als Gutschrift mit.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Rückzahlungsanspruch der Klägerin nicht durch die Aufrechnung der Beklagten mit rückständigen Mieten für die Zeit von Januar 1995 bis einschließlich Juli 1998 erloschen, denn diesen Mietzinsansprüchen steht der Einwand der Verwirkung gemäß § 242 BGB entgegen. Von der Verwirkung eines Rechtes ist dann auszugehen, wenn der Berechtigte dieses über einen längeren Zeitraum nicht geltend gemacht hat und der Verpflichtete sich nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und darauf eingerichtet hat, dass dieser seine Rechte nicht mehr geltend machen werde (vgl. insoweit Palandt-Heinrichs, BGB, 59. Aufl., §242 Rdz. 87 m.w.N. zur Rechtsprechung). Erforderlich ist danach der Ablauf eines längeren Zeitraumes (so genanntes Zeitmoment) und ein Verhalten des Berechtigten, das einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat (so genanntes Umstandsmoment). Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Klägerin minderte seit dem Jahr 1994 die Miete wegen diverser Mängel und erhöhte die Minderungsquote im Laufe 1995 und 1996 wegen weiterer aufgetretener Mängel. Auch wenn die Berechtigung zur Mietminderung und insbesondere die Höhe der einbehaltenen Beträge durchaus zweifelhaft erscheinen, ist dies für die Frage der Verwirkung unerheblich (vgl. insoweit LG Berlin, MM 1998, 312). Bei einem Minderungszeitraum von über 4 Jahren insgesamt, der dem Verjährungszeitraum nach § 197 BGB gleichkommt, ist jedenfalls das Zeitmoment erfüllt, denn wenn ein Vermieter eine Minderung über 4 Jahre hinnimmt, kann er später die Berechtigung zur Minderung nicht mehr bestreiten (vgl. insoweit Sternel, Mietrecht aktuell, 3. Aufl., Rz. 414 m.w.N.). Die Klägerin durfte auch aus dem Verhalten der Beklagten den Schluss ziehen, dass die von ihr vorgenommenen Minderungen akzeptiert werden. Denn zum einen wurde ein wegen Mietrückständen für den Zeitraum Januar 1994 bis einschließlich Januar 1995 von der Beklagten beantragter und zugestellter Mahnbescheid – 17 C 185/96 – AG Schöneberg, nach Widerspruch der Klägerin nicht weiterverfolgt und der Mahnantrag zurückgenommen. Ebenso wurde eine im Oktober 1995 ausgesprochene außerordentliche Kündigung wegen Zahlungsrückstandes nach Widerspruch durch die Klägerin unter Hinweis auf ihr Minderungsrecht nicht weiterverfolgt. Auch in dem Schreiben vom 6.2.1998, in dem der Klägerin eine Gutschrift in Höhe von 6344,72 DM mitgeteilt wurde, wurde mit keinem Wort auf noch etwaige rückständige Mietzinsansprüche eingegangen. Deshalb konnte die Klägerin darauf vertrauen, dass die Beklagte das von ihr geltend gemachte Mietminderungsrecht akzeptiert hatte.
Soweit die Beklagte vorträgt, die Klägerin sei in den Jahren 1996 und 1997 alle 2 bis 3 Monate gemahnt worden, so wurde dieses Vorbringen von der Klägerin bestritten. Eine Vernehmung des von der Beklagten angebotenen Zeugen zu den behaupteten Mahnungen wäre Erhebung eines unzulässigen Ausforschungsbeweises, da die Beklagte ihr Vorbringen nicht substantiiert hat. Es fehlen jegliche Angaben zu den genauen Daten der Mahnschreiben sowie zur Höhe der jeweils angemahnten Rückstände. Doch selbst wenn der diesbezügliche Sachvortrag der Beklagten als wahr unterstellt würde, würde die Tatsache, dass die Beklagte alle 2 bis 3 Monate ein formularmäßiges Mahnschreiben an die Klägerin geschickt hat, nicht ausreichen, um das Umstandsmoment zu erschüttern. Denn die Übermittlung formularmäßiger Mahnschreiben alle 2 bis 3 Monate, ohne aus diesen Mahnungen entsprechende Konsequenzen zu ziehen, ist grundsätzlich nicht geeignet, das Vertrauen des Mieters, dass Rückstände nicht mehr geltend gemacht würden, zu erschüttern. Auch das Schreiben vom 24.3.1998, in dem ein Mietrückstand von 1000 DM angemahnt wurde, steht der Annahme der Verwirkung nicht entgegen. Denn dieses Schreiben und der dort aufgeführte Mietrückstand betreffen nicht das hiesige Mietverhältnis. Dies ergibt sich zum einen aus der Angabe der unterschiedlichen Mietnummern. Das Schreiben vom 6.2.1998, in dem der Klägerin das Guthaben mitgeteilt wurde, betrifft die Mieternummer 330377. 8061100, während das Mahnschreiben die Mieternummer 330377.806100 betrifft. Außerdem korrespondiert der in diesem Schreiben genannte Rückstand von 1000 DM mit keiner der von der Beklagten mit Schriftsatz vom 30.9.1998 zur Aufrechnung gestellten Rückstandssummen.
Da erstmals im Schriftsatz vom 30.9.1998 durch die Aufrechnungserklärung deutlich wurde, dass die Beklagte nach wie vor gedenkt, die rückständigen Mieten einzufordern, sind jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt die Ansprüche auf rückständigen Mietzins verwirkt. …
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14.06.2016