Leitsätze:
Wer eine Wohnung in einem Mehrfamilienhaus mietet, muss damit rechnen, dass die über ihm liegende Wohnung auch von einer Familie mit kleinen Kindern angemietet werden kann und sich daraus gewisse Beeinträchtigungen ergeben können. Ebenso muss damit gerechnet werden, dass der Obermieter regelmäßig Besuch empfängt und dies zu einer erhöhten Geräuschkulisse führt. Beides gehört zum normalen Mietgebrauch und ist vom Nachbarn hinzunehmen.
AG Wedding, Urteil vom 6.3.02 – 6a C 228/01 –
Mitgeteilt von RAen Christoph Müller & Ernst Warner
Urteilstext
Aus dem Tatbestand:
… Die Kläger und die Beklagten zu 1) sind Mieter im Hause der zu 2) … Die Kläger bewohnen die direkt unter der von den Beklagten zu 1) bewohnte Wohnung. Beide Wohnungen sind im Hinblick auf den Grundriss und die Größe identisch. Die Beklagten zu 1) haben Kinder im Alter von 4, 7 und 8 Jahren.
Die Kläger behaupten, aus der Wohnung der Beklagten zu 1) dringe ruhestörender Lärm, was bereits zu einer gesundheitlichen Beeinträchtigung der Klägerin zu 2) geführt habe. Der Lärm werde insbesondere durch das Toben und Lärmen der Kinder der Beklagten zu 1), die häufig durch besuchsweise anwesende weitere Kinder unterstützt würden, hervorgerufen. Es sei Getrampel und Klopfen zu hören. Überdies werde häufig gegen die Heizung geklopft und die Türen würden laut zugeschlagen. Außerdem würden die Beklagten zu 1) häufig Besuch empfangen und die Unterhaltung der Erwachsenen sei deutlich in ihrer – der Kläger – Wohnung zu hören. Gleichzeitig würden die Kinder durch die Wohnung toben. …
Der Beklagten zu 2) sei die Beeinträchtigung bekannt. Sie habe die Verpflichtung, den vertragsgemäßen Gebrauch der Mietsache, der durch die Lärmbelästigung eingeschränkt sei, zu gewährleisten.
Die Kläger beantragen,
1. die Beklagten zu 1) zu verurteilen, in der von ihnen innegehaltenen Wohnung das Trampeln auf den Fußboden, das Klopfen gegen die Heizkörper, das Toben der Kinder in allen Räumen, die über die Zimmerlautstärke hinausgehenden Unterhaltungen sowie das heftige Türenzuschlagen zu unterlassen;
2. die Beklagte zu 2) zu verurteilen, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die im Klageantrag zu Ziffer 1. genannten, von den Beklagten zu 1) ausgehenden Geräuschbelästigungen zu unterbinden.
Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.
Die Beklagten zu 1) bestreiten die Belästigung der Kläger durch unzumutbaren Lärm.
Die Beklagte zu 2) behauptet, den Beklagten zu 1) bereits vorprozessual durch entsprechende Schreiben deutlich gemacht zu haben, dass sie eventuelle Lärmbelästigungen nicht dulde. Mangels eigener Kenntnis könne sie etwaige Lärmbelästigungen nur mit Nichtwissen bestreiten.
Das Gericht hat die Wohnung der Kläger und der Beklagten zu 1) in Augenschein genommen. …
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Klage ist unbegründet.
Den Klägern steht gegen die Beklagten zu 1) der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus § 1004 BGB (entsprechend) nicht zu.
Soweit die Kläger beantragen, die Beklagten zu verurteilen es zu unterlassen, an die Heizkörper zu schlagen, sind sie bereits deshalb unterlegen, weil nicht feststeht, dass tatsächlich von den Beklagten zu 1), deren Kindern oder deren Besuchern gegen die Heizung geschlagen wird. Die Heizkörper in den Wohnungen des Hauses G.-Straße sind über alle Etagen mit Heizungsrohren miteinander verbunden. Es ist gerichtsbekannt, dass in solchen Fällen jedenfalls allein anhand der wahrzunehmenden Geräusche in einer Wohnung nicht festzustellen ist, wo gegen die Heizung oder die Rohre geschlagen wird. Die Kläger haben auch nicht dargetan, wie sie zu der Überzeugung gelangt sind, dass die in der über ihnen gelegenen Wohnung befindlichen Personen gegen die Heizung schlagen.
Im Übrigen ist das Gericht auf Grund der von den Klägern eingereichten Protokolle und dem eigenen Eindruck, den es sich von der Geräuschkulisse in der Wohnung der Kläger verschafft hat, der Ansicht, dass die von den Klägern vorgetragenen Beeinträchtigungen nicht so geartet sind, dass sie zu einer Unterlassensverpflichtung führen.
Aus den Aufstellungen der Kläger und ihrem Vortrag ergibt sich, dass die behaupteten Lärmbelästigungen zu einem großen Teil durch die Kinder der Beklagten zu 1) und teilweise durch besuchsweise anwesende befreundete oder verwandte Kinder verursacht werden sollen. Es werden Kindergeschrei, dumpfe Schläge, Trampeln, Rennen und Türenschlagen beschrieben.
Diese Geräusche kann das Gericht nicht als unzumutbar und rechtswidrig betrachten. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die Kläger in ein Haus mit 22 Mietparteien eingezogen sind. Schon aus diesem Grunde ist von ihnen beim Einzug eine gewisse Geräuschkulisse in Kauf genommen worden. Überdies haben Mieter eines Mehrfamilienhauses die Geräusche, die dem Bewegungs- und Spieldrang von kleineren Kindern des Wohnungsnachbarn entsprechen, hinzunehmen. Anders als Geräusche von technischen Tonwiedergabe- oder Haushaltsgeräten lassen sich Geräusche, die von kleinen Kindern ausgehen, nicht abstellen oder auf bestimmte Zeiten verlegen. Bei Kindern besteht ein starkes Bewegungs- und Spielbedürfnis. Dies ist ein kleinen Kindern immanentes Verhalten mit der Folge, dass ihnen nicht verwehrt werden kann, zu rennen, zu spielen oder zu toben. Auch bei entsprechenden Bemühungen der Eltern können bestimmte Verhaltensweisen von Kindern – wie beispielsweise das Rennen, Toben oder Schlagen von Türen – nicht in jedem Falle auf ein bestimmtes Maß reglementiert oder reduziert werden.
Soweit die Kläger das Schlagen von Türen als störend empfinden, kann auf Grund der vorgetragenen geringen Anzahl der Vorkommnisse bereits nicht von einer unzumutbaren Beeinträchtigung ausgegangen werden. Die Kläger tragen über einen Zeitraum von etwa 2 1/2 Jahren nur in zwei Fällen vor, dass Türen in der Wohnung der Beklagten zu 1) geschlagen worden sein sollen.
Überdies hat sich das Gericht von der Intensität der in die Wohnung der Kläger dringenden Geräusche einen eigenen Eindruck verschafft. Sowohl das Rennen, Toben, Schreien der drei Kinder der Beklagten zu 1) als auch die Benutzung des Rollers durch den jüngsten Sohn der Beklagten zu 1) waren in der Wohnung der Kläger zu hören. Allerdings handelte es sich insoweit um geringfügige und das normale Maß nicht überschreitende Geräusche. Sie waren nicht von einer derartigen Intensität, dass sie im Verhältnis zu einem normalen Familienablauf über das normale und hinzunehmende Maß hinaus gegangen sind und von einer unzumutbaren Beeinträchtigung auszugehen wäre. Die aus der Wohnung der Beklagten zu 1) trotz des Rennens, Springens, Rufens und Tobens der drei Kinder der Beklagten zu 1) einerseits zwar durchaus zu vernehmenden Geräusche waren jedoch andererseits so geringfügig, dass die anwesenden Personen in der Wohnung der Kläger möglichst andere Geräuschkulissen vermeiden mussten, um die Geräusche aus der darüber liegenden Wohnung zu vernehmen.
Nachdem die drei Kinder auf die Aufforderung des Gerichts anlässlich des Ortstermins regelrecht durch die Wohnung getobt sind und dies in der Wohnung der Kläger kaum zu vernehmen war, ist nicht nachvollziehbar, wie sie ansonsten einen für die Kläger unerträglichen Lärm verursachen können sollen.
Vielmehr ist das Gericht davon überzeugt, dass die Kläger die aus der über ihnen liegenden Wohnung dringenden Geräusche auch deshalb als besonders störend empfinden, weil sie derartigen Geräuschen bis zum Einzug der Beklagten zu 1) nicht ausgesetzt waren. Denn nach ihren Angaben wohnte in der derzeit von den Beklagten zu 1) innegehaltenen Wohnung zuvor ein altes Ehepaar. Nachdem der Ehemann verstorben war, zog der erwachsene Sohn dieses Paares zu seiner Mutter.
Inzwischen sind die Kläger im Hinblick auf die Geräusche aus der Wohnung der Beklagten zu 1) derart sensibilisiert, dass sie offenkundig auch als normal hinzunehmende Wohngeräusche als störend empfinden. Das zeigen der Inhalt und Umfang ihrer Aufzeichnungen. So wird die Geräuschkulisse beispielsweise einzelnen Personen zugeordnet (z.B. der Beklagten zu 1)), obwohl die Kläger nicht wissen können, wer in der über ihnen liegenden Wohnung welche Geräusche verursacht. Auch gehen die Kläger inzwischen so weit zu behaupten, die Beklagte zu 1) fordere ihre Kinder regelrecht zum Toben auf. Nicht erklärbar ist, woher die Kläger ihre Erkenntnis haben.
Nachdem die Kläger eine Wohnung in einem Mehrfamilienhaus gemietet haben, mussten sie damit rechnen, dass die über ihnen liegende Wohnung auch von einer Familie mit kleinen Kindern angemietet werden würde und sich daraus gewisse Beeinträchtigungen ergeben könnten.
Das Gericht verkennt auch nicht, dass der aus der Wohnung der Beklagten zu 1) dringende Geräuschpegel höher sein wird, wenn sich zusätzlich zu den Familienmitgliedern der Beklagten zu 1) weitere Kinder und erwachsene Personen in der Wohnung aufhalten. Es gehört jedoch zum normalen Mietgebrauch, Besuch in der Wohnung zu empfangen. Auch damit muss ein Mieter, der in ein Mehrfamilienhaus einzieht, rechnen.
Auch soweit die Kläger vortragen, es werde Lärm durch Unterhaltungen aus der Wohnung der Beklagten zu 1) verursacht, dringen sie nicht durch. Insoweit ist nicht ersichtlich, dass die Beklagten zu 1) ihre Wohnung in unzumutbarer Weise und/oder vertragswidrig nutzen.
Anlässlich des Ortstermins in der Wohnung – hier im Wohnzimmer der Kläger – war Stimmengemurmel zu vernehmen, als sich in der Wohnung der Beklagten zu 1) etwa 6 Erwachsene befanden und in Zimmerlautstärke unterhielten. Insoweit ist nachvollziehbar, dass Geräusche infolge der Unterhaltung von mehreren Personen durchaus in die Wohnung der Kläger dringen. Die Kläger fühlen sich insbesondere dann gestört, wenn die Beklagten zu 1) Besuch empfangen, weil dann die Unterhaltungen der Erwachsenen deutlich in ihrer – der Kläger – Wohnung zu hören ist. Wie bereits ausgeführt gehört der Empfang von Besuch zum Gebrauch einer Wohnung. Ebenfalls üblich und normal ist es, sich zu unterhalten. Auch wird der Geräuschpegel höher sein, je mehr Personen sich in der Wohnung aufhalten. Die Kläger tragen jedoch lediglich vor, dass sie sich durch die auf Grund der Unterhaltung erzeugten Geräusche gestört fühlen. Es ist nicht vorgetragen oder ersichtlich, dass die Beklagten zu 1) oder deren erwachsene Gäste laute Musik spielen oder herumschreien. Vielmehr tragen die Kläger selbst vor, dass sie die Unterhaltungen als störend empfinden.
Auch ergibt sich aus dem Vortrag der Kläger, dass, von einigen Ausnahmen abgesehen, weder früh am Morgen noch spät am Abend oder in der Zeit der Mittagsruhe Lärm in ihre Wohnung dringt. Dass während des Tages eine größere Zahl von Geräuschen in die Wohnung der Kläger dringt, ist in einem Mehrfamilienhaus üblich und muss, wie beispielsweise etwa eindringender Straßenlärm, hingenommen werden.
Insgesamt verkennt das Gericht nicht, dass auf Grund der festgestellten Umstände eine für die Kläger als Beeinträchtigung empfundene Geräuschkulisse vorhanden ist. Das Gericht geht ebenfalls davon aus, dass die Geräuschkulisse größer ist, wenn die Beklagten zu 1) Besuch empfangen. Das sollte für die Beklagten zu 1) Anlass zu größerer Rücksichtnahme sein. Allerdings kann nicht festgestellt werden, dass die Beklagten zu 1) die Wohnung in unzumutbarer Weise und vertragswidrig nutzen.
Da bereits der Anspruch gegen die Beklagten zu 1) nicht besteht, scheitert auch die Klage gegen die Beklagte zu 2). …
16.03.2013