Leitsatz:
Will der Mieter die Belege der Betriebskostenabrechnung einsehen, muss er sich nicht auf die Übersendung von Fotokopien verweisen lassen, wenn sich seine Wohnung mehrere Hundert Kilometer vom Sitz des Vermieters entfernt befindet. Der Mieter hat dann vielmehr einen Anspruch auf Einsicht in die Abrechnungsbelege am Ort der Mietwohnung.
LG Freiburg vom 24.3.2011 – 3 S 348/10 –
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Ein seltener Fall: Vermieter will Kopien schicken und darf nicht … Der Mieter hatte eine Wohnung in Freiburg von einem in Karlsruhe ansässigen Vermieter angemietet. Die jetzige Vermieterin, eine auf Wohnungsbewirtschaftung spezialisierte Firma mit Sitz in Bochum, war durch Erwerb der Wohnung in das Mietverhältnis eingetreten. Der Mieter hatte zur Überprüfung einer Nebenkostenabrechnung die Vorlage der Belege in Freiburg gefordert; die Vermieterin hielt dies für unzumutbar und bot stattdessen die Übersendung von Fotokopien an. Das Landgericht gab dem Mieter Recht. Es greift die Gründe auf, mit denen der BGH (WuM 06, 200) umgekehrt das Interesse des Vermieters belegt hat, dem Mieter keine Kopien schicken zu müssen, sondern auf die Einsichtnahme verweisen zu können.
Danach ergibt sich:
– Haben Vermieter und Mieter ihren Sitz am gleichen Ort, ist die Belegeinsicht in den Räumen des Vermieters zu erfüllen.
– Befinden sich die Mietsache (beziehungsweise der Wohnsitz des Mieters) und der Sitz des Vermieters nicht am gleichen Ort, kann der Mieter Einsicht am Mietort jedenfalls dann verlangen, wenn Mietort und Sitz des Vermieters weit voneinander entfernt sind.
– Der Vermieter muss die Belege aber nicht aus der Hand geben. Er kann verlangen, dass der Mieter eine von ihm bestimmte Örtlichkeit am Ort der Mietwohnung zur Belegeinsicht aufsucht.
Urteilstext
Gründe:
Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 ZPO).
Die zulässige Berufung des Klägers hat auch in der Sache überwiegend Erfolg.
1. a) Bei der Frage, an welchem Ort die Verpflichtung zur Vorlage der Belege zur Nebenkostenabrechnung zu erfüllen ist, handelt es sich in erster Linie um eine Frage der Auslegung des jeweiligen Mietvertrags. Die Parteien können den Erfüllungsort dieser Verpflichtung jedenfalls durch individualvertragliche Vereinbarung frei bestimmen (vgl. (Schmidt-Futterer, Mietrecht, 10. Aufl. 2011, § 556 Rn. 486). Auch aus § 269 BGB ergibt sich, dass maßgeblich für den Leistungsort in erster Linie die ausdrückliche oder stillschweigende Parteivereinbarung ist. In zweiter Linie sind die Umstände des Einzelfalls maßgeblich, darunter insbesondere die Natur des Schuldverhältnisses (vgl. Grüneberg, in: Palandt, BGB, 70. Aufl. 2011, § 269 Rn. 8 ff.). Beim Wohnungsmietvertrag als gegenseitigem Verträgen mit einer Mehrzahl von Verpflichtungen gibt es insofern nicht von vornherein einen einheitlichen Erfüllungsort, vielmehr ist letzterer für jede Vertragspflicht gesondert zu bestimmen (vgl. Grüneberg a.a.O. Rn. 7 m.w.N.).
Hinsichtlich der hier streitigen Verpflichtung zur Vorlage von Belegen geht die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs davon aus, dass diese in Fällen, in denen Vermieter und Mieter ihre Wohnung bzw. ihren Sitz im gleichen Ort haben, in den Räumen des Vermieters zu erfüllen ist. Bei Unzumutbarkeit der Einsichtnahme dort für den Mieter hält der Bundesgerichtshof jedoch auch jenseits des Anwendungsbereichs von § 29 Abs. 2 Satz 1 NMV einen Anspruch auf Übersendung von Fotokopien gegen Kostenerstattung für denkbar (vgl. Urteil vom 8. März 2006 – VIII ZR 78/05, NJW 2006, S. 1419). Befinden sich die Mietsache (bzw. der Wohnsitz des Mieters) und der Sitz des Vermieters nicht am gleichen Ort, so geht eine verbreitete Auffassung in Schrifttum und Rechtsprechung dahin, dass der Mieter Einsicht am Mietort jedenfalls dann verlangen kann, wenn Mietort und Sitz des Vermieters weit voneinander entfernt sind (vgl. dazu übereinstimmend Schmidt-Futterer, a.a.O. § 556 Rn. 488; Weitemeyer, in: Staudinger, BGB, § 556 Rn. 114 [2006], jeweils m.w.N).
b) Nach diesen Grundsätzen ist Erfüllungsort der Pflicht zur Vorlage von Belegen im hier zu entscheidenden Fall der Mietort Freiburg.
Eine ausdrückliche oder konkludente Regelung über den Erfüllungsort ist dem Mietvertrag (As. I 9 ff.) vorliegend nicht zu entnehmen. Die Kammer schließt aber anders als das Amtsgericht aus den Umständen des Mietverhältnisses im Einzelfall unter Berücksichtigung von Treu und Glauben, dass die Belege in Freiburg vorzulegen sind. Insofern würdigt die Kammer, dass der Mietvertrag zwischen dem Kläger und der Rechtsvorgängerin der Beklagten, die ihren Sitz in Karlsruhe hatte, abgeschlossen wurde; die in Bochum ansässige Beklagte ist in den Vertrag eingetreten. Der Kläger hat ein schutzwürdiges Interesse, sich zur Einsichtnahme nicht nach Bochum begeben zu müssen, zumal er mit einer solchen Möglichkeit beim Abschluss des Vertrags auch nicht rechnen musste.
Im Übrigen gilt: Schon der ursprünglichen Vermieterin, einer gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft, dürfte es ohne Weiteres zuzumuten gewesen sein, die die Wohnung betreffenden Belege auf Anforderung in Freiburg zur Verfügung zu stellen, zumal diese ein Objekt in Freiburg und nicht in Karlsruhe oder anderswo betreffen. Für die Beklagte, eine ausweislich ihrer Firma auf Wohnungsbewirtschaftung spezialisierte GmbH & Co. KG, gilt nichts anderes, zumal sich die Beklagte für die Durchführung der Nebenkostenabrechnung ersichtlich der Hilfe eines verbundenen Unternehmens – der … Kundenservice GmbH – bedient, so dass von einer gewissen organisatorischen Leistungsfähigkeit ohne Weiteres ausgegangen werden kann. Bestätigt wird dies durch die Tatsache, dass die Beklagte es jedenfalls ursprünglich nicht für problematisch hielt, die Belege bei der Hausverwaltung … in Freiburg vorzulegen. Ihr nicht weiter begründetes Vorbringen in erster Instanz und im Berufungsverfahren, wonach die Einsichtnahme in Freiburg mangels eigenen Büros der Beklagten dort unzumutbar sei, erschließt sich der Kammer schon vor diesem Hintergrund nicht ganz. Zudem weist die Berufung zu Recht darauf hin, dass an die Räumlichkeiten, die vorhanden sein müssten, keine besonderen Anforderungen zu stellen sind. Im Grunde benötigt die Beklagte lediglich eine Person, die den Gewahrsam über die Originalbelege ausübt, während der Kläger oder sein Bevollmächtigter die Belege einsehen; besondere Sachkenntnis braucht diese Person nicht zu haben. Es ist nicht erforderlich, dass die Beklagte die Belege aus der Hand gibt; sie kann vom Kläger verlangen, dass dieser eine von ihr zu bestimmende Örtlichkeit in Freiburg aufsucht.
Nach alledem muss der Kläger sich auch nicht auf die Übersendung von Fotokopien verweisen lassen, gleich ob mit oder ohne Kostenerstattungspflicht. Wenn der Vermieter ein legitimes Interesse haben kann, dass der Mieter die Originale einsieht, bevor in großem Umfang Kopien gefertigt werden, die möglicherweise zu einem großen Teil gar nicht erforderlich sind und zudem schnell unübersichtlich werden können (dazu BGH a.a.O.), so kann der Mieter umgekehrt ebenso Interesse daran haben, zunächst Einsicht in die Originale zu erhalten, um sich zügig von der Richtigkeit der Abrechnung zu überzeugen oder aber etwaige Einwendungen von vornherein punktgenau vorbringen und beschränken zu können.
Soweit die Beklagte vorliegend geltend macht, sie habe die Belege gescannt, ändert dies nach Auffassung der Kammer zunächst nichts an der Verpflichtung zur Vorlage der Originale. Die Beklagte hat nämlich nicht behauptet, dass sie zur Vorlage der Originale nicht mehr oder nur unter erschwerten Bedingungen in der Lage sei. Unter diesen Umständen besteht aber kein Anlass, der Frage der Gleichstellung von Original und Scanausdruck – ggf. durch Einholung eines Sachverständigengutachtens (vgl. LG Hamburg, Urteil vom 5. Dezember 2003 – 311 S 123/02 -, juris) – näher nachzugehen.
3. Vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten (in Höhe von 70,39 Euro) sind nicht geschuldet, weil das Einsichtnahmeverlangen – soweit ersichtlich – erstmals nach Beauftragung des klägerischen Prozessbevollmächtigten durch diesen selbst geäußert wurde (vgl. S. 3 der Klageschrift vom 28. Juli 2010, As. I 5, nebst Anlage K 6-9); verzugsbedingt sind die entstandenen Anwaltskosten daher nicht.
Die Kostenentscheidung in beiden Instanzen ergibt sich aus § 92 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 708 Nr. 10 i.V.m. § 713 ZPO. Gründe für die (von keiner Seite beantragte) Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor, nachdem es entscheidend um Vertragsauslegung bzw. Würdigung der Umstände des Einzelfalls geht.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 63 Abs. 2 GKG, sie folgt den Angaben des Klägers in erster Instanz (1/4 der mit den streitauslösenden Abrechnungen abgerechneten Kosten).
26.10.2017