Leitsatz:
Die in der Wohnung des Mieters anlässlich der Mietvertragsbeendigung getroffene Vereinbarung, dass der Mieter die Tapeten entfernt, kann nicht nach §§ 312 Absatz 3, 355 BGB widerrufen werden.
LG Berlin vom 8.6.2004 – 65 S 26/04 –
Mitgeteilt von RAin Marion Vorpahl
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Die Mieterin hatte anlässlich der Wohnungsabnahme in der von ihr gemieteten Wohnung eine schriftliche Erklärung abgegeben, wonach sie die Tapeten entferne. Als sie einige Tage später darüber aufgeklärt wurde, dass sich diese Verpflichtung aus dem Mietvertrag selbst nicht ergebe, widerrief sie ihre Erklärung gemäß § 312 BGB (Widerrufsrecht bei Haustürgeschäften). Das Landgericht befand jedoch, dass § 312 BGB auf die vorliegende Situation nicht anwendbar sei.
Zwar stelle sich die von ihr übernommene Verpflichtung zur Entfernung von Tapeten als geldwerte Leistung dar. § 312 BGB sei grundsätzlich auch auf Mietverträge anwendbar. Das Haustürwiderrufsrecht sei jedoch auf den Fall zugeschnitten, dass ein neues Geschäft abgeschlossen werde und sich der Kunde mithin zu einem Geschäft hinreißen lasse, welches er sonst nicht abgeschlossen hätte.
Hiermit sei die vorliegende Konstellation, in der bereits gegenseitige vertragliche Pflichten bestünden, jedoch nicht vergleichbar, weil die Mieterin nicht unvorbereitet in die Verhandlungen gehe und nicht überrumpelt werde. Sie wisse nämlich, welche vertraglichen Verpflichtungen bestehen und könne somit – anders als bei einem Neugeschäft – die Wertigkeit bestimmter Leistungen einschätzen. Die Vorschrift des § 312 BGB schütze nicht jedwede Willenserklärung in einer Privatwohnung. Eine typische Überrumpelungssituation, die durch die Vorschriften über den Haustürwiderruf aufgefangen werden soll, bestehe bei der Konkretisierung der mietvertraglichen Pflichten gerade nicht.
Urteilstext
Aus den Gründen:
… Die Beklagte hat diese Vereinbarung auch nicht wirksam nach § 312 BGB widerrufen, auch wenn man das Schreiben der Beklagten vom 17. 0ktober 2002 als eine derartige Widerrufserklärung auslegen kann, weil sie damit eindeutig zum Ausdruck bringt, dass sie nicht mehr an einer Verpflichtung zur Entfernung der Tapeten an Decken und Wänden festgehalten werden will. Der Beklagten stand nämlich kein Widerrufsrecht nach den §§ 312 Abs. 3 Nr. 1, 355 BGB zu.
Zwar stellt sich die von ihr übernommene Verpflichtung entgegen der Auffassung des Amtsgerichts als geldwerte Leistung dar. Für die Annahme eines entgeltlichen Vertrags ist nämlich lediglich erforderlich, dass ein Vertrieb von Waren oder Dienstleistungen gegen ein Entgelt stattfindet (BGH, NJW 1998, 2356, EUGH, NJW 1998, 1295, 1296; Palandt-Heinrichs, BGB, 63. Aufl., § 312 Rdnr. 7). Da die Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (HausTWRL) ihren Anwendungsbereich nicht auf entgeltliche Geschäfte beschränkt und der Untertitel 2 zu Buch 2, Abschnitt 3, Titel 1 des BGB „besondere Vertriebsformen“ lautet, genügt auch ein sonstiger Vorteil im Rahmen eines einseitig den Kunden verpflichtenden Vertrages. Die Verpflichtung zur Entfernung von Tapeten stellt sich gerade als geldwerte Leistung dar. Damit ist § 312 BGB grundsätzlich auch auf Mietverträge anwendbar – obwohl diese von der HausTWRL selbst ausgenommen worden waren (Rechtsentscheid des OLG Koblenz, ZMR1994, 210 = GE 1994, 335; LG Berlin GE 1994, 1440).
Insbesondere im Hinblick darauf, dass der Gesetzgeber im neuen Schuldrecht Mietverträge von der Anwendbarkeit der Vorschriften über Haustürwiderrufsgeschäfte nicht ausgenommen hat, ist von einer grundsätzlichen Anwendbarkeit der §§ 312, 355 BGB auf Mietverträge auszugehen. Allerdings liegt vorliegend gar kein Vertrieb von Waren oder Dienstleistungen vor, vielmehr geht es um die Konkretisierung der zwischen den Parteien bestehenden Vertragspflichten und hierdurch wird der Schutzzweck der Vorschriften über Haustürwiderrufsgeschäfte gerade nicht tangiert. Die Konkretisierung laufender Leistungen aus einem bestehenden Vertrag fällt nicht unter den Zweck des Verbraucherschutzes. Zwar steht eine dauernde Vertragsbeziehung der Anwendbarkeit der Vorschriften über Haustürwiderrufsgeschäfte nicht automatisch entgegen (vgl. BGHZ 110, 308, 312). Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn aufgrund der andauernden Geschäftsbeziehungen bereits Verpflichtungen bestehen. Die HausTWRL war auf den Fall zugeschnitten, dass ein neues Geschäft abgeschlossen wird und sich der Kunde mithin zu einem Geschäft hinreißen lässt, welches er sonst nicht abgeschlossen hätte.
Hiermit ist die vorliegende Konstellation, in der bereits gegenseitige vertragliche Pflichten bestehen, jedoch nicht vergleichbar, weil der Kunde nicht unvorbereitet in die Verhandlungen geht und nicht überrumpelt wird. Er weiß nämlich, welche vertraglichen Verpflichtungen bestehen und kann somit – anders als bei einem Neugeschäft – die Wertigkeit bestimmter Leistungen einschätzen. Die Vorschrift des § 312 BGB schützt nicht jedwede Willenserklärung in einer Privatwohnung und dem Vermieter kann es nicht verwehrt sein, eine mit dem Mietvertrag im Zusammenhang stehende Frage in einem persönlichen Gespräch mit dem Mieter zu erörtern und zwischen Vermieter und Mieter besteht sogar eine Sonderverbindung, die den Vermieter berechtigt, bei Bestehen eines schutzwürdigen Interesses (das bei Beendigung des Mietverhältnisses zur Bestandsaufnahme regelmäßig besteht) vom Mieter die Erlaubnis zum Betreten der Wohnung zu verlangen. Der Mieter ist demgegenüber durch das soziale Mietrecht hinreichend geschützt, so dass eine teleologische Reduktion der Vorschriften über Haustürwiderrufsgeschäfte geboten ist (vgl. auch Drygalla, Wohnungsmietverträge als Haustürgeschäft?, NJW 1994, 3260, 3265 f). Eine typische Überrumpelungssituation, die durch die Vorschriften über Haustürwiderrufsgesetze aufgefangen werden soll, besteht bei der Konkretisierung der mietvertraglichen Pflichten gerade nicht.
Im Hinblick darauf, dass nach dem Rechtsentscheid des OLG Koblenz und der wohl herrschenden Ansicht auch im vorliegenden Fall die Vorschriften über den Abschluss von Haustürwiderrufsgeschäften anzuwenden sein dürften, hat die erkennende Kammer die Revision zugelassen. …
Anmerkung: Die Revision ist nicht eingelegt worden.
31.01.2013