Pressemitteilung Nr. 07/06
Kleinvermieter P. aus Zehlendorf gefällt sich in der Rolle des „Kämpfers gegen political correctness“. Anlässlich einer Wohnungsbesichtigung erklärt er den zahlreichen und staunenden Wohnungsbewerbern
a) „An Ossis vermiete ich ohnehin nicht,
b) an Bayern natürlich auch nicht
c) und die Prolls aus dem Märkischen Viertel brauchen hier erst gar nicht aufzukreuzen.“
Einige der Anwesenden nicken zustimmend, andere fragen nach ihren Rechten nach dem AGG.
Die Antwort und weitere aus dem Mieteralltag gegriffene Beispiele finden Sie unter
Gesetzestext und Beispiele
„Wir haben keine sehr hohen Erwartungen an das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Nur in Fällen offensichtlicher Diskriminierung können sich Mieter auf das AGG berufen. Wir hoffen aber, dass es allein durch seine Existenz positive Wirkungen entfalten wird“, kommentierte der Hauptgeschäftsführer des Berliner Mieterverein e.V. Hartmann Vetter das neue Gleichbehandlungsgesetz.
1. Das Gesetz zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung [Art. 1: Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)] ist am 18.08.2006 in Kraft getreten (BGBl. I, 1897). Es bleibt abzuwarten, ob und welche konkreten Auswirkungen es in der Rechtswirklichkeit entfalten wird. Es sind Illusionen über den Erfolg des AGG zu vermeiden, gerade im Hinblick auf die schwierige Abschichtung eines z.B. fremdenfeindlichen Motivs von zulässigen sozialen und ökonomischen Motiven. In jedem Fall wird es das Klima zwischen den Vertragsparteien auch im Mietrecht beeinflussen: positiv oder negativ? Dies wird die Zukunft erweisen.
2. Die einzelnen Diskriminierungsgründe nach § 1 AGG sind Rasse, ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexuelle Identität. In § 19 Abs. 1 AGG hingegen ist der Begriff Weltanschauung gestrichen worden, um nicht rechtsradikales Gedankengut zu schützen.
3. Von wohnungswirtschaftlicher/mietrechtlicher Bedeutung ist § 2 Ziff. 8 AGG, wonach Benachteiligungen aus einem in § 1 AGG genannten Grund unzulässig sind in Bezug auf den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen, die der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen, einschließlich von Wohnraum.
4. Diskriminierungsverbote können auch durch Vertragsbedingungen verletzt werden. Individualvereinbarungen sind im Lichte des AGG an § 138 BGB (wohl auch an § 134 BGB) zu messen, während Formularvereinbarungen bei einem Verstoß gegen das AGG eine unangemessene Benachteiligung gemäß § 307 Abs. 1 BGB darstellen und unwirksam sind.
5. Für den Zivilrechtsverkehr kommt dem § 19 AGG eine entscheidende Bedeutung zu. Diese Vorschrift definiert den Anwendungsbereich der Diskriminierungstatbestände. Es gibt drei spezielle wohnungswirtschaftliche Ausnahmen vom Diskriminierungsverbot: § 19 Abs. 3 AGG (Zielvorstellungen des § 6 WoFG: „Durchmischung“ und „sozialstabile Bewohnerstrukturen“. Frage: Ablehnung eines Juden in einem überwiegend mit Palästinensern bewohnten Haus zulässig?); § 19 Abs. 5 Satz 1 und 2 AGG („Familie“ und „Nähe“); § 19 Abs. 5 Satz 3 AGG („Kleinvermieter“, nur Vermutungswirkung!).
6. Zulässige unterschiedliche Behandlung nach § 20 AGG: Die zulässige unterschiedliche Behandlung beschränkt sich auf ganz bestimmte Merkmale, nämlich auf die Merkmale Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter, sexuelle Identität oder Geschlecht. Ausgenommen sind die Merkmale der Rasse und ethnischen Herkunft.
7. Ansprüche des Diskriminierten: Gemäß § 21 Abs. 1 AGG kann der Benachteiligte bei einem Verstoß gegen ein Benachteiligungsverbot u.a. die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Ein Kontrahierungszwang wird aus der Verpflichtung zur Naturalrestitution abgeleitet. Ist der Vermieter zum Vertragsschluss nicht mehr in der Lage, weil er z.B. die Wohnung inzwischen weiter vermietet hat, kommt ein Schadenersatzanspruch gemäß § 826 BGB oder §§ 280, 283 BGB oder ein Aufwendungsersatzanspruch nach § 284 BGB in Betracht. Im Übrigen kann der Benachteiligte auf Unterlassung klagen.
Der Schaden kann z.B. in einem längeren Hotelaufenthalt oder in der Verzögerung der Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit bestehen. Der Ersatz des Nichtvermögenschadens verlangt eine verhältnismäßige und abschreckende Sanktion. Es bleibt abzuwarten, wie die Rechtsprechung hiermit umgeht.
8. Beachte die 2-Monats-Ausschlussfrist des § 21 Abs. 5 AGG! Schwierigkeiten bei der Fristberechnung dürften sich einstellen.
9. Die Beweislast ist in § 22 AGG geregelt. Die Beweislast für die Benachteiligung trifft denjenigen, der sich diskriminiert glaubt. Bei den zu beweisenden Indizien handelt es sich um Hilfstatsachen, d.h. tatbestandsfremde Umstände, die den Schluss auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen des Tatbestandsmerkmals selbst rechtfertigen. Bewiesen werden muss daher zunächst, dass der Benachteiligte gegenüber einer anderen Person ungünstig behandelt worden ist. Damit ist ein Indiz für die Ungleichbehandlung aber noch nicht bewiesen. Dies ist erst dann der Fall, wenn ergänzend so genannte Vermutungstatsachen vorgetragen werden, aus denen sich schließen lässt, dass die unterschiedliche Behandlung auf einem nach § 1 Abs. 1 AGG unzulässigen Grund beruht. Dann erst ist der Anscheinsbeweis erbracht und ein Indiz für die vermutete Benachteiligung bewiesen.
Da ein abgewiesener Bewerber aber in der Regel solche Vermutungstatsachen nicht vortragen kann – kein seriöser Vermieter wird bei der Vermietung äußern, dass er beispielsweise nicht an Ausländer oder Farbige vermietet -, wird die Durchsetzung der Ansprüche abgewiesener Bewerber nicht so einfach. Hier bleibt die Rechtsprechung abzuwarten. Auf jeden Fall ist bei Bewerbungsgesprächen und ähnlichem die Mitnahme einer zweiten Person, die später als Zeuge fungieren kann, anzuraten.
10. Völlig offen ist auch noch die Rolle und Wirkungsweise der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (vgl. § 25 AGG).
02.01.2014