Gemeinsame Pressemitteilung von
und
Hintergrundpapier zur Pressemitteilung Nr. 11/09
Das Berliner Klimaschutzgesetz ist dringend erforderlich, aber energiepolitisch nicht zielgenau und sozialpolitisch nachzubessern. Mit dieser Einschätzung unterstützen der Berliner Mieterverein e.V. (BMV) und der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND Berlin) alle Anstrengungen, fossile Energie einzusparen, Energie effizienter zu nutzen und regenerative Energien stärker einzusetzen. Ziel ist es, die Mieter durch verringerten Energiebedarf und den Energieersatz fossiler durch regenerative Energien vor zukünftigen Energiepreisexplosionen zu schützen.
Dies ist nur zu erreichen, wenn die energetische Sanierung der bestehenden Wohngebäude deutlich verstärkt wird. Denn die bisher bestehende Fokussierung der gebäudebezogenen Klimaschutzanforderungen auf den Wohnungsneubau würde wegen der derzeitig und zukünftig extrem geringen Neubauquote zu einer eklatanten Verfehlung der Klimaschutzziele führen. Aber auch die energetische Ertüchtigung bestehender Gebäude hinkt erheblich hinter den Notwendigkeiten her. Bundesweit wird nicht einmal 1 Prozent des Wohnungsbestandes pro Jahr energetisch saniert. Damit würde es noch viele Jahrzehnte dauern, bis der komplette Wohnungsbestand den energetischen Anforderungen, die für die Erreichung der Klimaschutzziele notwendig sind, entspricht. Deswegen ist es unerlässlich, auch in den Bundesländern zur Verwirklichung der klimapolitischen Ziele weitergehende Aktivitäten folgen zu lassen. Diese zusätzlichen, über die Umsetzung des Integrierten Energie- und Klimaschutzprogramms (IEKP) hinausgehenden Aktivitäten sind nach Einschätzung des BMV und des BUND unmittelbare Voraussetzung dafür, dass bundesweit die klimapolitischen Ziele erreichbar werden. Dies gilt insbesondere auch für das Ziel, bundesweit 14 Prozent bis 2020 der Endenergie für die Wärmebereitstellung durch Erneuerbare Energien abzudecken. Die Bereitstellung von Finanzhilfen für Vermieter zur energetischen Sanierung im Marktanreizprogramm und den Förderprogrammen der KfW ist wichtig, reicht aber nicht aus. Ohne verpflichtende Regelungen in den Bundesländern wird nach Ansicht von BMV und BUND das klimapolitische Konzept der Bundesregierung scheitern.
Nachbesserung am Gesetzentwurf vorgeschlagen
Der von der Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz vorgelegte Entwurf für ein Berliner Klimaschutzgesetz greift nach Auffassung des BMV und des BUND zu kurz. BMV und BUND schlagen deshalb vor, den Kern des Gesetzes, die §§ 11 bis 13, durch folgendes Stufenmodell zu ersetzen:
Die Verpflichtung zur energetischen Sanierung soll nicht eine spezielle Maßnahme wie die im Gesetzentwurf vorgesehene Verwendung regenerativer Energien beinhalten, sondern sich an einem maximal erzielbaren Energiebedarf (energetisches Ziel) und/oder einem CO2-Äquivalent (umweltpolitisches Ziel) orientieren. Die jahresspezifischen Zielfestlegungen gliedern sich in Intervallen, sodass es möglich ist, auch die auslösenden Tatbestände zeitlich zu staffeln, mit dem Ziel, die Verpflichtung für energetische Sanierung nach einer Vorbereitungszeit bereits im Jahr 2012 für Gebäude entstehen zu lassen, die einen besonders hohen Wärmebedarf bzw. Energieverbrauch haben und deren Heizanlage besonders ineffizient arbeitet. Als Orientierung können die Energieverbrauchskennziffern aus dem Berliner Mietspiegel 2009 dienen, die auch von den wohnungswirtschaftlichen Verbänden anerkannt sind.
Das BUND-BMV-Stufenmodell:
Beginnend mit dem Jahr 2012 ist die kontinuierliche und schrittweise Rückführung des Wärmeenergiebedarfs sowie der CO2-Emissionen von Bestandsgebäuden vorgesehen.
Im jeweiligen Zieljahr muss demnach eine der folgenden Bedingungen erfüllt sein, wobei zunächst folgende Definitionen gelten:
A = Basiswert eines Ausgangsjahres für die Kenngröße kWh/m²/a
B = Prozentwert um den der Basiswert A reduziert wird
X = Basiswert eines Ausgangsjahres für die Kenngröße CO2-Äquivalent in kg pro kWh
Y = Prozentwert um den der Basiswert X reduziert wird
kWh/m²/a = theoretischer Wert, den ein Gebäude zur Beheizung sowie zur Warmwasserbereitung benötigt (Wärmeenergiebedarf). Damit wird maßgeblich der Sanierungszustand eines Gebäudes charakterisiert. Ein Einhalten dieses Wertes wird durch eine Dämmung des Gebäudes und/oder durch eine Verbesserung der Anlagentechnik erreicht.
CO2-Äquivalent in kg pro kWh = CO2-Emission, die bei der Deckung des Wärmeenergiebedarfs eines Gebäudes entstehen. Wesentliche Parameter dafür sind die Brennstoffart bzw. der Energieträger (z.B. Erdgas, Heizöl, Fernwärme, Biogas usw.) sowie die Qualität/Effizienz zur Erzeugung des Wärmeenergiebedarfs. Ein Einhalten dieses Parameters kann durch die Wahl des Energieträgers (z.B. durch den Einsatz erneuerbarer Energien), aber auch durch die Wahl der Qualität der Technik zur Wärmeerzeugung (z.B. Niedertemperaturkessel, Brennwertkessel, solarthermische Anlage) erreicht werden.
Die gewählten Kenngrößen orientieren sich dabei an bereits eingeführten Parametern wie z.B. des Energieausweises, der Energieeinsparverordnung und des Bundesimmissionsschutzgesetzes.
Die oben beschriebenen Basiswerte können nochmals hinsichtlich Gebäudetypologisierung (Wohn- und Nicht-Wohngebäude) differenziert werden und damit auch abweichende Zielwerte haben.
Folgende Bedingungen müssen im jeweiligen Zieljahr erreicht werden:
1) Der Wärmeenergiebedarf eines Gebäudes darf maximal nur noch einen bestimmten Basiswert (A) an Kilowattstunden pro Quadratmeter Nutzfläche im Jahr (kWh/m²/a) betragen, und zusätzlich maximal einen bestimmten Wert X an Kilogramm CO2-Äquivalent (kg CO2 pro kWh) im Jahr in die Atmosphäre abgegeben.
oder
2) der Wärmeenergiebedarf eines Gebäudes darf maximal nur noch einen bestimmten Basiswert (A) an kWh/m²/a betragen, wenn dieser um einen Prozentwert B (A-B) reduziert wird. Die Erfüllung eines bestimmten Wertes X entfällt somit.
oder
3) der Ausstoß von CO2-Äquiv. pro kWh (X) beträgt einen um Y reduzierten Wert. Eine Bedingung hinsichtlich des Wärmeenergiebedarfs entfällt somit.
Zieljahr | Varianten | Kenngrößen | Bedingungen | |
kWh/m²/a | CO2-Äquivalent in kg pro kWh | |||
2012 |
1 |
A |
X |
beide müssen erfüllt sein |
oder 2 |
A – B |
— |
eine muss erfüllt sein |
|
oder 3 |
— |
X – Y |
eine muss erfüllt sein |
Die drei gleichberechtigten Varianten gelten ab 2012 für jeweils fünf Jahre und sollten langfristig möglichst sogar bis 2050 fortgeschrieben werden. Dabei sinken die jeweiligen Basiswerte A und X für das jeweilige Zieljahr kontinuierlich um noch festzulegende Werte „γ“ bzw. “ δ “ mit dem Ziel für den Wärmeenergiebedarf im Jahr 2050 einen noch festzulegenden Wert im Bereich Passivhaus, sowie eine annährende Rückführung der CO2-Emissionen auf null.
Zieljahr |
Varianten |
Kenngrößen |
Bedingungen |
|
kWh/m²/a |
CO2-Äquivalent in kg pro kWh |
|||
2017 |
1 |
A- γ |
X- δ |
beide müssen erfüllt sein |
oder 2 |
A – B- γ |
— |
eine muss erfüllt sein |
|
oder 3 |
— |
X – Y- δ |
eine muss erfüllt sein |
|
2023 |
… |
… |
… |
… |
2028 |
… |
… |
… |
… |
fortlaufend bis | ||||
2050 |
Passivhausstandard |
CO2-Vermeidung |
beide müssen erfüllt sein |
Die Kenngrößen zur Bewertung der Wärmeversorgung von Gebäuden erfolgen somit anhand energetischer (kWh/m²/a) und umweltbezogener Kriterien (CO2-Äquivalent pro kWh/m²/a) bei völliger Technologieoffenheit (Varianten 1 oder 2 oder 3) und langfristiger Zielsetzung (Anpassung in 5-Jahresschritten fortlaufend bis min. 2028).
In Zahlen:
Das energetische Ziel orientiert sich zunächst am Neubaustandard der Energieeinspar-Verordnung (Niedrigenergiehausstandard, 60-70 kWh/m 2/a) und sollte den sich stetig verschärfenden gesetzlichen Anforderungen regelmäßig angepasst werden. Für den Wohnungsbestand wird im Jahre 2050 der Standard von Passivhäusern (<30 kWh/) angestrebt.
Als Endstufe wird vorgeschlagen, dass nach der energetischen Sanierung ein Energiebedarf von 30 kWh/m 2/a bzw. ein Energieverbrauchskennwert von 50 kWh/m 2/a nicht überschritten wird. Für Wohngebäude mit einem Energieverbrauchskennwert von mehr als 230 kWh/qm/Jahr würde der Erneuerungszwang bereits ab 2012 wirksam werden. Dieser Höchstwert bildet die beiden schlechtesten Stufen des energetischen Zustands, wie sie im Berliner Mietspiegel 2009 wiedergegeben sind, ab. Nach Schätzungen von BMV und BUND könnten damit für den ersten Sanierungszyklus bis 2012 ca. 10-15% des Berliner Wohngebäudebestandes erfasst werden. Genauere Erkenntnisse zum Energiebedarf für den gesamten Berliner Gebäudebestand stehen derzeit nicht zur Verfügung.
Damit wird eine im Grundsatz technologieoffene Lösung favorisiert, die den Wohnungsanbietern auch Planungssicherheit verschafft. Soweit technisch sinnvoll, können hierdurch Maßnahmen an der Heizanlage, die Verwendung regenerativer Energie und Wärmedämmungen optimal kombiniert und unterschiedlichen Ausgangssituationen Rechnung getragen werden. Der BMV und der BUND sehen damit auch die Chance, dass über die im Referentenentwurf festgelegte Zielvorgabe hinaus der Anteil an solarer Strahlungsenergie am Energiebedarf für Raumwärme und Warmwasser auf 15% ansteigen kann. Es ist denkbar das Stufenmodell mit Bonus-Regelungen zu kombinieren.
Rechtliche Zulässigkeit
Sowohl das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz (EEWärmeG) wie auch die Energieeinspar-Verordnung (EnEV) des Bundes ermöglichen landesrechtliche Regelungen, weil der Bund in beiden Fällen für bestehende Wohngebäude keine abschließenden Vorgaben getroffen hat. Im EEWärmeG (§ 3 Abs. 2) wird explizit auf landesrechtliche Möglichkeiten zur Nutzungsverpflichtung Erneuerbarer Energien in bestehenden Wohngebäuden verwiesen. Die Anforderungen für Energiestandards, wie sie BMV und BUND vorschlagen, dürfen allerdings aus rechtlicher Sicht die Anforderungen, die für den Neubau in der Energieeinspar-Verordnung bzw. dem Wärmegesetz festgeschrieben sind, nicht überschreiten.
Vorteile des Stufenmodells
Das von BUND und BMV vorgeschlagene Stufenmodell stellt die notwendigen Anforderungen an die Reduzierung der CO2-Emissionen und führt zu einer kontinuierlichen Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien am Wärmeenergiebedarf von Gebäuden. Es bindet alle Gebäudetypen mit ein und ermöglicht eine Differenzierung von Wohn- und Nichtwohngebäuden. Welche Technologien bei der Reduzierung des Wärmeenergiebedarfs und der Reduzierung der CO2-Emissionen zum Einsatz kommen, wird den Eigentümern überlassen. Damit bietet das Stufenmodell Technologieoffenheit bei größtmöglicher Entscheidungsfreiheit. Die gesetzten Zielvorgaben verschaffen zudem die für die Wirtschaft und Eigentümer erforderliche langfristige Investitions- und Planungssicherheit.
Der Vorschlag wird somit den Anforderungen an wirtschaftliche Maßstäbe, den Klimaschutzzielen im Handlungsfeld Gebäude, ökonomischen Anreizen für Arbeit und Beschäftigung bei Berücksichtigung der sozialen Verträglichkeit gerecht.
Kosten begrenzen – BMV und BUND warnen vor Klimaschutzsegregation
Nach Maßnahmen zur Energieeinsparung kann (muss aber nicht!) der Vermieter ebenso wie bei üblichen Modernisierungen 11% der Baukosten jährlich als Mieterhöhung geltend machen. Im Idealfall, insbesondere unter Verwendung öffentlicher Fördermittel, kann diese Mieterhöhung durch die Heizkostenersparnis vollständig aufgefangen werden (Warmmietenneutralität). Mit dem Einbau solarthermischer Anlagen (SEZ) und der Unterstützung durch Gasbrennwertkessel ist nach den Berliner Erfahrungen (DEGEWO, GHG, Märkische Scholle, Charlottenburger Baugenossenschaft) eher eine Warmmietenneutralität zu erzielen als mit aufwendigen Wärmedämmungen. Der Solarzentralenbetreiber Parabel gibt für diverse Berliner Projekte eine durchschnittliche Energieverbrauchseinsparung von 34% an.
Gleichwohl überschreiten die aus den Energiesparmaßnahmen resultierenden Belastungen wegen der oft niedrigen Haushaltseinkommen vielfach das erträgliche Maß. Ein hoher Kostenaufwand ergibt sich in der Regel bei einer Kombination von Heizungserneuerung, Wärmedämmung und Einsatz erneuerbarer Energien.
Der BMV und BUND schlagen zur Vermeidung sozialer Härten vor:
Nettokaltmietensteigerungen nach Energieeinsparungen oder Modernisierungen von 20% sind keine Seltenheit. Haushalten mit geringem Einkommen (auch ALG-II und Wohngeldempfängern) droht der Zwang zum Umzug in eine preiswerte, nicht sanierte Wohnung. Um unerwünschte für die Kommune kostenträchtige Segregationen („arme Mieter in schlechten Wohngebäuden mit hohen Energiekosten“) zu vermeiden, sollen die Klimaschutzkosten für Haushalte mit niedrigem Einkommen abgefedert werden. Dazu legt das Land Berlin im Rahmen eines Anreizprogramms ein
„Klimawohngeld“ für Haushalte, die nicht Arbeitslosengeld II beziehen, auf. ALG II-Empfänger können bei der Mietkostenübernahme einen Energiesparbonus erhalten. Die Richtwerte für die Mietkostenübernahme könnten bei energetischer Sanierung, die einem bestimmten Verhältnis zur Heizkosteneinsparung stehen muss, überschritten werden.
Darüber hinaus trägt zur Vermeidung erheblicher Mietsteigerungen bei, dass die Verpflichtung zur energetischen Sanierung jeweils immer auf die Gebäude mit dem schlechtesten energetischen Zustand bezogen wird.
Vollzug sichern
BUND und BMV verlangen im Rahmen des Klimaschutzes eine effiziente Vollzugskontrolle.
Der Vollzug bzw. die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten muss dabei an die bereits im vorliegenden Referentenentwurf gemachten Vorschläge anknüpfen.
1 Der BBU gibt für den Bestand von 60 Prozent der Wohnungsbauunternehmen einen Energiebedarf von durchschnittlich 140 kWh/m²*a an. Im CO2-Gebäudereport 2007 im Auftrag des Bundesministeriums für Bau, Verkehr und Stadtentwicklung ist festgehalten, dass der Endenergieverbrauch von kleineren Mehrfamilienhäusern älteren und neueren Baujahrs (vor und nach 1960) zwischen 99 und 200 kWh/m²*a schwankt. In der BUND-Studie zur alternativen Wärmeversorgung der Bezirke Marzahn-Hellersdorf, Lichtenberg und Friedrichshais-Kreuzberg, erarbeitet 2009 unter Leitung der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft wird ein durchschnittlicher spezifischer Wärmebedarf von durchschnittlich 138,69 kWh/m²*a zugrunde gelegt. Die Studie des Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie von 2009 für ein CO2-freies München spricht von einem Heizwärme-bedarfszielwert von unter 30 kWh/m²*a im Jahr 2058.
05.02.2018