Leitsätze:
Die Zwangsräumung einer Wohnung kann im Extremfall auch bei Selbstmordgefahr eines davon betroffenen Mieters durchgesetzt werden:
1. Besteht im Fall einer Zwangsräumung bei einem nahen Angehörigen des Schuldners eine Suizidgefahr, ist diese bei der Anwendung des § 765 a ZPO in gleicher Weise wie eine beim Schuldner selbst bestehende Gefahr zu berücksichtigen.
2. Selbst dann, wenn mit einer Zwangsvollstreckung eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit des Schuldners oder eines nahen Angehörigen verbunden ist, kann eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung nicht ohne weiteres einstweilen eingestellt werden. Erforderlich ist stets die Abwägung der – in solchen Fällen ganz besonders gewichtigen – Interessen der Betroffenen mit den Vollstreckungsinteressen des Gläubigers. Es ist deshalb auch dann, wenn bei einer Räumungsvollstreckung eine konkrete Suizidgefahr für einen Betroffenen besteht, sorgfältig zu prüfen, ob dieser Gefahr nicht auch auf andere Weise als durch Einstellung der Zwangsvollstreckung wirksam begegnet werden kann. Auch der Gefährdete selbst ist gehalten, das ihm Zumutbare zu tun, um die Risiken, die für ihn im Fall der Vollstreckung bestehen, zu verringern.
BGH v. 4.5.2005 – I ZB 10/05 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 13 Seiten]
Anmerkungen
[dpa] In dem entschiedenen Fall hatte eine Sparkasse ein Haus bei einer Zwangsversteigerung erworben und anschließend über Jahre hinweg dessen Räumung betrieben. Der Bewohner weigerte sich, auszuziehen, weil sein gesundheitlich angeschlagener Vater nach Angaben der Ärzte dadurch in einen „psychischen Ausnahmezustand“ geriete und suizidgefährdet wäre. Der BGH lehnte eine vollständige Einstellung der Räumung ab. Grundsätzlich könne sich der Eigner auf die Eigentumsgarantie im Grundgesetz berufen. Entscheidend für die Durchsetzbarkeit einer Zwangsräumung sei, ob die Suizidgefahr auch durch andere Maßnahmen abgewendet werden könne. Dem Bewohner könne hier zugemutet werden, ärztliche Hilfe für seinen Vater in Anspruch zu nehmen und ihn im Krankenhaus unterzubringen.
29.12.2017