Leitsatz:
In der Insolvenz des Vermieters besteht das Mietverhältnis nicht mit Wirkung für die Insolvenzmasse fort, wenn es in Vollzug gesetzt war, der Mieter aber den Besitz an der Wohnung bei Insolvenzeröffnung wieder aufgegeben hatte (Ergänzung zu BGHZ 173, 116; NJW 07, 3715).
BGH vom 11.12.2014 – IX ZR 87/14 –
Langfassung: www.bundesgerichtshof.de [PDF, 16 Seiten]
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Der Mieter bewohnte seit 1978 eine Wohnung im Haus des damaligen Vermieters. Jahre später erwarb ein neuer Eigentümer das Haus, um es umfangreich zu sanieren. Da die Wohnungen in dem Objekt während der geplanten Baumaßnahmen nicht mehr bewohnbar waren, schlossen der neue Vermieter und der Mieter eine Sanierungsvereinbarung ab. Danach sollte der Mieter während der Sanierungsarbeiten in eine von dem Vermieter angemietete Ersatzwohnung umziehen und nach Abschluss der Sanierung wieder in seine alte Mietwohnung zurückkehren. Gemäß der Vereinbarung zog der Mieter dann auch in die Ersatzwohnung um. Die Sanierungsarbeiten wurden aber nicht zu Ende geführt. Vielmehr wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Vermieters eröffnet.
Der Insolvenzverwalter lehnte gegenüber dem Mieter die Erfüllung des Sanierungsvertrages gemäß § 103 InsO ab und kündigte den Mietvertrag, weil es ihm infolge der zum Stillstand gekommenen Sanierungsarbeiten nicht möglich sei, dem Mieter den Mietgebrauch zu gewähren. Der Mieter trat dem entgegen und bestand auf der Einhaltung von Miet- und Sanierungsvertrag. Der Insolvenzverwalter erhob deshalb entsprechende Feststellungsklage und bekam letztendlich vom BGH Recht. Grundsätzlich gelte in der Insolvenz einer Mietvertragspartei § 108 Absatz 1 Satz 1 InsO, der § 103 Absatz 1 InsO verdrängt, soweit er anwendbar ist.
Insbesondere könne der Mieter auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Herstellung des vertragsgemäßen Zustandes der Mietsache verlangen. Denn der Anspruch des Mieters auf Herstellung des vertragsgemäßen Zustandes der Mietsache (§ 535 Absatz 1 Satz 2 BGB) begründe unabhängig davon, ob der mangelhafte Zustand vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden ist, keine Insolvenzforderung (§ 108 Absatz 3 InsO), sondern eine Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Absatz 1 Nr. 2 InsO. Mit der Fortdauer des Mietverhältnisses bestehe nämlich die Erhaltungspflicht des Vermieters nach Verfahrenseröffnung weiter und sei vertragliche Gegenleistung des vom Mieter an die Masse weiter gezahlten Mietzinses. Doch finde vorliegend § 108 Absatz 1 InsO keine Anwendung, so dass § 103 InsO nicht verdrängt werde und der Insolvenzverwalter die Erfüllung des Mietvertrages wirksam ablehnen konnte.
Da der Mieter zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung nicht Besitzer der streitgegenständlichen Wohnung war, greife § 108 Absatz 1 Satz 1 InsO nicht ein. Denn diese Regelung sei einschränkend dahin auszulegen, dass sie grundsätzlich nur zur Anwendung komme, wenn das Mietverhältnis zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entsprechend den mietvertraglichen Vereinbarungen in Vollzug gesetzt worden war und weiterhin vollzogen wurde.
Sinn und Zweck der Regelungen der §§ 103 ff, 108 ff InsO geböten eine Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 108 Absatz 1 InsO in der Insolvenz des Vermieters auf Mietverhältnisse, die im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits durch die Überlassung der Mietsache an den Mieter vollzogen sind.
Der vorliegende Sachverhalt sei dadurch gekennzeichnet, dass der Mietvertrag zwar jahrelang vor Stellung des Insolvenzantrags in Vollzug gesetzt war, andererseits aber auch dadurch, dass der Mieter den Besitz an der Wohnung – und damit auch seine insolvenzfeste, „verdinglichte“ Rechtsposition – vor Stellung des Insolvenzantrags aufgegeben habe, um dem Vermieter die umfassende Sanierung zu ermöglichen, diese Sanierung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Vermieters jedoch zum Erliegen gekommen sei. Denn die streitgegenständliche Wohnung befand sich bei Insolvenzeröffnung in einem Rohbauzustand. Der Insolvenzverwalter hätte also zunächst die über die mietvertragstypischen Instandhaltungskosten hinausgehenden Sanierungskosten aus der Insolvenzmasse vorfinanzieren und dann abwarten müssen, ob sich seine Investition während der vorgesehenen Mindestlaufzeit des Mietvertrages auszahle. Dies aber widerspreche dem Sinn des Insolvenzverfahrens.
Erst dann, wenn der Mieter die Mietsache in Gebrauch habe, sei ein berechtigtes Vertrauen auf den Fortbestand des Vertragsverhältnisses bis zum Ende der vereinbarten Mietzeit oder auf die Einhaltung vertraglicher Kündigungsfristen anzuerkennen. Zwar sei der nicht besitzende Mieter in der Insolvenz des Vermieters weniger geschützt als der besitzende Mieter. Dies sei aber auch bei der Wohnraummiete nicht unbillig; denn nur für den besitzenden Mieter bilde die Wohnung den Mittelpunkt seiner privaten Existenz. Diese Wertung liege auch den Regelungen über den Schutz der Mieter einer Wohnung in §§ 549 ff BGB zugrunde. Auch § 566 BGB setze grundsätzlich voraus, dass im Zeitpunkt des Eigentumswechsels ein wirksames Mietverhältnis besteht und sich der Mieter noch im Besitz der Wohnung befindet.
Die nach dem ausgeübten Besitz vorgenommene Unterscheidung finde ihre innere Berechtigung letztendlich in der Verfassung. Das Besitzrecht des Mieters an der gemieteten Wohnung sei als Eigentum im Sinne von Artikel 14 Absatz 1 Satz 1 Grundgesetz anzusehen und deshalb ebenso grundgesetzlich geschützt wie die Eigentumsposition des Vermieters. Dieser grundrechtliche Schutz setze aber voraus, dass der Mieter Besitzer der gemieteten Wohnung sei, dass Mietverhältnis mithin in Vollzug gesetzt sei.
Fazit: Mieter sollten bei Umsetzvereinbarungen versuchen, den weiterhin bestehenden Besitz an der zu sanierenden Wohnung vertraglich zu vereinbaren und durch den Behalt von Schlüsseln faktisch ermöglichen.
16.03.2015