Leitsatz:
Wird bei Mietvertragsabschluss im Sozialen Wohnungsbau eine Einstiegsmiete unterhalb der Kostenmiete vereinbart, weil der Eigentümer insoweit einen Mietverzicht leistet, welcher jederzeit widerrufbar sein soll, so kann er diesen Widerruf nur unter Berücksichtigung der analogen Anwendung der Kappungsgrenze des § 558 Abs. 3 BGB durchführen.
AG Tempelhof-Kreuzberg vom 2.11.2012 – 23 C 6/12 –
Mitgeteilt von RA Christoph Müller
Urteilstext
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Nachzahlung von Mietbeträgen, welche die Beklagte wegen Mietminderung einbehalten hat.
Die Klägerin ist Vermieterin, die Beklagte Mieterin der Wohnung im Vorderhaus Erdgeschoss links des Hauses … Berlin. Das Haus wurde im öffentlich geförderten sozialen Wohnungsbau errichtet.
Die anfängliche Nettokaltmiete betrug 461,92 € abzüglich „gewährter Subvention durch den Eigentümer“ von 100,- € und zuzüglich Betriebskostenvorschuss von 176,30 € und Heiz-·und Warmwasserkostenvorschuss von 80,78 €, zusammen 619 €.
Im Vertrag hieß es im Anschluss an die Berechnung der monatlichen Gesamtmiete: „Zusätzliche Subventionen sind jederzeit widerrufbar. Vorsorglich weisen wir darauf hin, dass diese Regelung keinen Rechtsanspruch begründet, auch wenn der Vermieter die Miete über einen längeren Zeitraum zusätzlich subventioniert.“ Die Miete sollte nach § 4 des Vertrages monatlich im Voraus. spätestens am dritten Werktag eines jeden Monats gezahlt werden, wobei es nicht auf die Absendung, sondern auf die Ankunft bzw. Gutschrift des Betrages ankommen sollte.
Nach 1. der Zusatzvereinbarung Anlage 1 zum Mietvertrag sollte sich die anfängliche Aufwendungshilfe der öffentlichen Förderung mit Beginn des 3. Förderungsjahres, gerechnet ab mittlerer Bezugsfertigkeit jährlich um ca. 0,13 € pro Quadratmeter Wohnfläche monatlich vermindern und entsprechend die Miete vom gleichen Zeitpunkt um den preisrechtlich zulässigen Betrag erhöhen.
Bis April2010 berechnete die Klägerin eine Nettokaltmiete von 478,25 € zuzüglich 257,08 € an Vorauszahlungen und abzüglich der sog. Subvention von 100 €, also zusammen 635,33 €.
Mit Mietänderungsschreiben vom 10.3.2010 erhöhte die Klägerin die Nettokaltmiete zum 1.4.2010 auf 488,14 €, woraus sich bei ansonsten unveränderten Beträgen eine Gesamtmiete von 645,22 € errechnete.
Mit Mietänderungsschreiben vom 10.12.2010 erhöhte die Klägerin die Nettokaltmiete zum 1.1.2011 auf 491.45 €, woraus sich bei ansonsten unveränderten Beträgen eine Gesamtmiete von 648,53 € errechnete.
Mit Mietänderungsschreiben vom 10.3.2011 erhöhte die Klägerin die Nettokaltmiete zum 1.4.2011 auf 501,35 €, woraus sich bei ansonsten unveränderten Beträgen eine Gesamtmiete von 658,43 € errechnete.
Mit Mietänderungsschreiben vom 14.10.2011 widerrief die Klägerin zum 1.11.2011 die sog. Subvention von 100,- €, da sie „sich aus finanziellen Gründen leider nicht mehr in der Lage“…sehe, diese Subvention weiter zu gewähren. Daraus errechnete sie bei ansonsten unveränderten Beträgen eine Gesamtmiete von 758,43 €.
Mit Schreiben vom 24.3.2010 bemängelte die Beklagte eine starke Beeinträchtigung des Wohnwertes durch Baumfällarbeiten und eine Baustelle und kündigte die Minderung von März 2010 bis zur Beendigung der Bauarbeiten um 30% und um 20% nach Abschluss der Bauarbeiten an. Die angekündigte Minderung für März und April verrechnete sie mit der Miete für April 2010 und überwies in diesem Monat nur 261,05 €. Von Mai 2010 bis Dezember 2010 überwies sie jeweils 451,65 €, von Januar bis März 2011 jeweils 451,65 € für April 2011 467,86 €, für Mai bis Oktober 2011 jeweils 460,90 €, für November und Dezember 2011 jeweils 530,90 € und nichts für Januar 2012.
Mit Schreiben vom 2.8.2010 ließ die Klägerin die Betriebs- und Heizkosten 2009 abrechnen. Auf den Nachzahlungsbetrag von·583,01 Euro leistete die Beklagte 483,01 €.
Mit Schreiben vom 12.9.2011 ließ die Klägerin die Betriebs- und Heizkosten 2010 abrechnen. Auf den Nachzahlungsbetrag von 759, 14 Euro leistete die Beklagte bisher nichts.
Die Klägerin behauptet, der Beklagten stehe eine Minderung nicht zu, da sie die Beeinträchtigungen nur pauschal behauptet habe. Die Bauarbeiten und·der Wegfall der ehemals vor der Wohnung der Beklagten befindlichen Grünfläche stellten·keine erhebliche Beeinträchtigung dar. Die Arbeiten seien seit dem 23.12.2011 abgeschlossen worden.
Sie beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 5971,75 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz
… [wird ausgeführt]
zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie behauptet, seit März 2010 sei der Wohnwert ihrer Wohnung durch die Straßenbauarbeiten erheblich gemindert.
Von Anfang März bis Ende Mai 2010 seien die Bäume des Grundstücks und die Straßenbäume abgeholzt und geschreddert worden, die Baumstümpfe seien mit einem Bagger aus dem Erdreich gezogen und ebenfalls geschreddert worden. Dadurch sei eine erhebliche Lärm-·und Abgasbelastung entstanden, die Fenster habe man nur noch nachts und sonntags öffnen können.
Von Ende Juli 2010 bis Anfang April2011 seien Erdaushubarbeiten zum Verlegen von Leitungen unter Einsatz eines Baggers erfolgt, wieder mit erheblicher Lärm- und Abgasbelastung.
Im März 2011 hätten die Leitungen ungeschützt herum gelegen. Ab Anfang April 2011 sei das Gelände·mit Sand verfüllt worden, was zu einer erheblichen Staubentwicklung geführt habe. Von Ende April 2011 bis Ende Mai 2011 sei der Gehweg ausgebaut worden, was zu einer erheblichen Staubentwicklung und Lärm durch Sägen von Bodenplatten und Abgrenzungssteinen sowie Abgasen durch den Einsatz von Baggern geführt habe. Von Mai bis Ende Juli 2011 seien erneut Leitungen unter Einsatz von Baggern verlegt worden, was wiederum erhebliche Belastungen durch Abgase und Staub verursacht habe. Ab August 2011 sei mit dem eigentlichen Straßenbau begonnen worden. Im Zuge dessen sei seit Anfang September 2011 kein Zugang zum Grundstück von der Straßenseite mehr möglich gewesen. Ab Ende Oktober 2011 sei der Straßenbelag aufgebracht worden, alles dies habe zu erheblichen Beeinträchtigungen durch Lärm und Abgase sowie Teergeruch geführt. Die Bauarbeiten seien (zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 12.10.2012) noch nicht abgeschlossen.
Die Wohnung. habe bei Vertragsabschluss einen Abstand zur Straße von ca. 30 m und zum Gehweg von ca. 26 m gehabt, dazwischen habe sich eine Grünfläche mit Bäumen befunden. Nunmehr verlaufe der Gehweg direkt vor der Wohnung der Beklagten, die Grünfläche sei vollständig weggefallen. Die Beklagte beruft sich ergänzend auf ihre Fotodokumentation.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und teilweise begründet.
I.
Der Klägerin steht gegen die Beklagte aus dem Mietvertrag i.V.m. §§ 535 S. 1, 556 BGB noch ein Anspruch auf Zahlung von 2333,33 € € zu.
A .
1. Gegen den Ausgangsmietzins im März 2010 von netto kalt 478,25 € hat die Beklagte Einwände nicht erhoben.
Das gleiche gilt für die weiteren von der Klägerin vorgetragenen Mieterhöhungserklärungen. Im Ausgangspunkt ist daher von den vorgetragenen Mietwerten auszugehen, obwohl sämtliche Mietänderungserklärungen nicht von oder im Namen der Klägerin sondern von einer U.-Hausverwaltungsgesellschaft mbH ohne Bezugnahme auf die Klägerin stammen. Es ist davon auszugehen, dass es der Beklagten ohne weiteres möglich war, ihre Vermieterin als Urheber der Erklärungen zu identifizieren.
2. Einzig der Ausgangsmietzins ab 1.11.2011 beträgt nicht wie von der Klägerin angegeben 501,35 € netto kalt, sondern lediglich 434,30 € netto kalt.
Denn durch die Mietänderungserklärung vom 14.10.2011 wurde die bisherige Nettokaltmiete von 501,35 € abzüglich 100,- € sog. Subvention = 401,35 € lediglich um 32,95 € angehoben (§ 558 Abs. 3 BGB analog).
a) Zwar unterliegt das Mietverhältnis der Parteien grundsätzlich dem sozialen Mietrecht und damit den Vorschriften des WoBindG, neben welchem die Regelungen des BGB für preisfreien Wohnraum grundsätzlich nicht anwendbar sind. Hiernach kann höchstens die Kostenmiete verlangt werden. Auf der anderen Seite muss von der Vermieterin nicht die Kostenmiete verlangt werden, sondern ein unterhalb dieses Höchstsatzes liegender Betrag ist ebenfalls möglich. Zwar enthält das WoBindG detaillierte Regelungen für die Mieterhöhung infolge der Reduzierung der öffentlichen Förderung, doch besteht keine Regelung für den Fall, dass der Vermieter ohne einen im sozialen Mietrecht wurzelnden Grund die Miete anhebt. Die einzige vorhandene Deckelung, nämlich diejenige durch die Kostenmiete, schützt die Mieter allenfalls vor einem insgesamt überhöhten Mietpreis. Sie schützt aber nicht vor unvertretbaren Sprüngen der Nettokaltmiete. Würde man nämlich die genannte Regelungslücke nicht schließen, so könnte ein Vermieter im Rahmen des Wohnungsbindungsgesetzes jederzeit von einem in seinem Belieben stehenden unter der Kostenmiete liegenden Betrag bis zur Kostenmiete gelangen. Dies kann sich theoretisch zu einer Mieterhöhung bis zu 100% und mehr auswirken, je nachdem wie stark die zuvor vereinbarte Miete hinter der Kostenmiete zurückblieb. Auch die Klägerin hat eingeräumt, dass sich der sog. Subventionswiderruf ebenso auswirke wie eine Mieterhöhung. Für den Mieter ist diese mangelnde Berechenbarkeit seiner Mietbelastung untragbar, ganz gleich ob ursprünglich um deklariert eine unter der Kostenmiete liegende Miete vereinbart war oder der Vermieter die Miethöhe auf andere Weise erklärt hat, etwa wie hier mit einer so genannten „Eigentümersubvention“.
b) Der Leitgedanke des sozialen Mietrechts, preiswerten Wohnraum für die weniger finanzkräftigen Bevölkerungsschichten zur Verfügung zu stellen, gebietet es, die vorhandene Regelungslücke durch eine analoge Anwendung der Kappungsgrenze des § 558 Abs. 3 BGB zu schließen.
Die Regelung selbst stellt einen ausgewogenen Kompromiss zwischen den Investitionsinteressen der Vermieter und sozialem Schutz der Mieter dar und eignet sich aus diesem Grund zur Analogie auch im preisgebundenen Mietrecht Die Interessen des Vermieters daran, seine Investitionen innerhalb angemessener Zeit zu amortisieren harmonisiert die Vorschrift mit den Schutzinteressen des Mieters an der Vermeidung allzu heftiger und zu dicht folgender Sprünge in der Miete. Gerade im Hinblick auf die Interessen des Vermieters ist die Heranziehung von § 558 Abs. 3 BGB gerechtfertigt. Denn die Kappungsgrenze nimmt ihm die Möglichkeit der Erhöhung nicht, sondern führt nur zu einer zeitlichen Dehnung. Diese ist dem Vermieter zuzumuten; denn das Zurückbleiben der Ausgangsmiete hinter der Kostenmiete ist in aller Regel damit motiviert, den vom preisgebundenen Mietrecht angezielten Mieterkreis zum Anmieten einer bezahlbaren Wohnung zu veranlassen, dient also soz. Werbezwecken. Es erscheint im Hinblick auf diesen Werbevorteil des Vermieters verhältnismäßig, die Rücknahme der werbenden Vergünstigung für den Mieter berechenbar zu gestalten, auch wenn damit auf Zeit eine Deckelung der Erhöhungsmöglichkeit verbunden ist.
c) Die Anwendung von § 558 Abs. 3 BGB ist seinem Wortlaut nach nicht auf das preisfreie Mietrecht beschränkt, wenn auch die gesetzliche Überschrift des § 558 auf die ortsübliche Vergleichsmiete, also einen Begriff aus dem preisfreien Mietrecht, verweist. Aus Abs. 4 der Vorschrift, wonach die Kappungsgrenze nicht gelten solle, wenn eine Verpflichtung des Mieters zur Ausgleichszahlung nach den Vorschriften über den Abbau der Fehlsubventionierung im Wohnungswesen wegen des Wegfalls der öffentlichen Bindung erloschen ist, könnte man sogar schließen, dass die Vorschrift direkt im preisgebundenen Mietrecht anzuwenden wäre. Die Entstehungsgeschichte dieser Norm zeigt allerdings. dass der Passus auf den Wegfall der Fehlbelegungsabgabe nach dem Ende einer öffentlichen Bindungszeit gemünzt ist (Gramlich, Mietrecht, 10. Aufl. 2011, Nr. 7 zu § 558 BGB)
Die Norm zeigt aber, dass eine systematische Brücke vom preisgebundenen zum preisfreien Mietrecht führt und die Analogie somit keinen systematischen Bedenken begegnet. ·
d) Nach Kunze/Tietzsch (Miethöhe und Mieterhöhung, 2006 II Rz. 783) sollen bei Vereinbarung einer niedrigeren als der Kostenmiete für die Erhöhung neben den Vorschriften des Wohnungsbindungsgesetzes die §§ 558 ff BGB gelten. Auch den Entscheidungen des BGH (z.B. v. 7.7.2010, VIII ZR 279/09) ist zu entnehmen, dass die Vorschriften über die Mieterhöhung bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete anzuwenden sind, wenn das Regime einer anderen Kostenregelung ausfällt. Der Klägerin ist zuzugeben, dass dies noch kein Argument für die Analogie darstellt, doch ergibt sich aus dieser Rechtsprechung auch kein Argument in der Gegenrichtung.
e) Die Miete drei Jahre vor der hier fraglichen Erhöhung, also zum 1.11.2008 war die Ausgangsmiete laut Mietvertrag von (461,92 € -100 € =) 361,92 €. Die gesamten von der Klägerin unwidersprochen vorgetragenen Erhöhungen der monatlichen Nettokaltmiete bis zum November 2011 summieren sich auf 39,43 €. Damit verbleibt bei Anwendung der Kappungsgrenze von 20 % (20 % von 361,92 € = 72,38 €) ein Erhöhungsspielraum von 32.95 €. Die Überschreitung der Kappungsgrenze führt, da sie kein gesetzliches Verbot nach § 134 BGB ist, nicht zur Unwirksamkeit der Erhöhungserklärung – sondern nur zur Deckelung (Schmid/Futterer-Börstinghaus, 10. Auflage 2011, Rz. 197 f zu § 558 BGB).
Nur um 32,95 € konnte daher Mietänderungserklärung vom 14.10.2011 die Nettokaltmiete der Beklagten erhöhen.
f) Die Anwendung der Kappungsgrenze steht auch nicht in Widerspruch zur Regelung des Mietvertrages, wonach die „Subvention“ widerruflich sein sollte und ein Rechtsanspruch des Mieters auf Beibehaltung auch bei längerer Gewährung der Absenkung nicht entstehen sollte. Denn die Kappungsgrenze limitiert die Geltendmachung der vollen Erhöhung nur auf Zeit und nicht dauerhaft. Es kann dahinstehen, ob die weitere Erhöhung über die Deckelung nach § 558 Abs. 3 BGB hinaus nunmehr ohne weitere Erklärung der Klägerin nach Ablauf der Frist eintritt, endgültig gesperrt ist sie jedenfalls in Einklang mit der mietvertraglichen Regelung nicht.
B.
Der jeweilige Ausgangsmietzins war doch nach § 536 Abs. 1 Satz 2 BGB während der überwiegenden streitigen Zeit gemindert. … [wird ausgeführt]
20.04.2015