Die ersten Wahlen zu Mieterräten bei den städtischen Wohnungsbaugesellschaften sorgten für Aufruhr. Von einer Farce spricht die Initiative Mietenvolksentscheid, die das neue Mitbestimmungsgremium überhaupt erst auf den Weg gebracht hatte. Der „massenhafte Ausschluss“ aktiver, sprich kritischer Mieter sei ein Skandal. Auch beim Berliner Mieterverein sieht man erheblichen Nachbesserungsbedarf.
Über 100 Bewerber wurden nicht als Kandidaten zugelassen, darunter drei vom Mieterforum Pankow. Einer von ihnen ist Tilo Trinks, der sich gegen preistreibende energetische Modernisierungen zur Wehr setzt. Das Wohnungsbauunternehmen Gesobau sagt, der Ausschluss habe nichts mit seinem Engagement für das Mieterforum, sondern mit seinem Verhalten als Mieter zu tun. Was damit genau gemeint ist, kann Trinks nur vermuten: „Ich habe lediglich meine Rechte wahrgenommen und der Modernisierung zunächst nicht zugestimmt.“ Wegen verkleinerter Fensterflächen hat er zudem die Miete gemindert. Fassungslosigkeit auch bei Christine Wußmann-Nergiz, einer engagierten Degewo-Mieterin aus der Wohnanlage Schlangenbader Straße. Begründung für ihren Ausschluss: ein Rechtsstreit um die Stilllegung der Müllabwurfanlage.
Nach der Wahlordnung gibt es neben formalen Voraussetzungen – Alter des Bewerbers, Dauer des Mietverhältnisses und so weiter – nur drei Kriterien, die einen Ausschluss rechtfertigen: Verstöße gegen das friedliche Zusammenleben, gegen die Hausordnung oder eine Verletzung der mietvertraglichen Pflichten. „Mietrechtliche Auseinandersetzungen als Verletzung der mietvertraglichen Pflichten einzustufen, ist nicht hinnehmbar“, sagt Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins. Offenbar seien im Mieterrat nur Ja-Sager erwünscht. Der demokratischen Mitbestimmung werde damit ein Bärendienst erwiesen.
Von einem Ausschluss besonders kritischer oder unbequemer Mieter könne keine Rede sein, heißt es dagegen beim Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU). Weil künftig ein Mitglied des Mieterrats im Aufsichtsrat des Wohnungsunternehmens vertreten ist, müsse man genau prüfen, ob eine Interessenkollision vorliegt, so Sprecher David Eberhart. Auch die Kritik, wonach ganze Wohnblöcke keine Wahlunterlagen bekommen haben, weist er mit Nachdruck zurück. „Im Einzelfall kann das vorgekommen sein, insgesamt haben die Wohnungsbaugesellschaften jedoch einen Riesenaufwand betrieben.“ Allein in der Siedlung Ernst-Thälmann-Park sollen allerdings 300 Mieter der Gewobag keine Stimmzettel erhalten haben.
In die lange Reihe der Kritiker reiht sich auch die Berliner Datenschutzbeauftragte ein. Sie äußerte Bedenken, weil sensible Daten aus dem Mietverhältnis an die Wahlkommission weitergegeben wurden. Dieses Gremium, das aus Mietern und Vertretern des Wohnungsunternehmens besteht, hatte über die Zulassung der Kandidaten zu entscheiden – und musste dafür mit entsprechenden Informationen über Mietschulden, Widerspruch gegen Mieterhöhungen und so weiter versorgt werden.
Beim Senat räumte man „Anlaufschwierigkeiten“ ein. Man wolle sich „die Dinge nun sehr genau anschauen“.
Birgit Leiß
Lesen Sie auch zu diesem Thema:
Mieterräte Blick über die Schulter oder echte Mitbestimmung?
Wahlen zu Unternehmensmieterräten: Mieterverein empfiehlt Mietern die Teilnahme
10.10.2016