Auf und unter den Berliner Dächern steckt ein großes Wohnraumpotenzial. Durch den Ausbau von ungenutzten Dachböden und die Aufstockung von Wohngebäuden könnten zehntausende Wohnungen geschaffen werden. Obwohl dies eine relativ stadtverträgliche und kostensparende Form der innerstädtischen Nachverdichtung ist, werden die Möglichkeiten längst nicht ausgeschöpft. Der Teufel steckt oft in rechtlichen und technischen Details. Und die so schmerzlich vermissten günstigen Neubauwohnungen werden in den Dachgeschossen auch nicht entstehen.
Im Grundsatz sind sich alle darüber einig, dass man die Möglichkeiten von Dachausbauten und Aufstockungen besser nutzen muss. „Mit einer maßvollen Verdichtung in den gefragten Innenstadtlagen können neue Wohnungen entstehen, ohne zusätzliche Flächen zu versiegeln“, erklärt Bundesbauministerin Barbara Hendricks. Auch der Berliner Mieterverein (BMV) sieht darin große Chancen. „Im Prinzip ist eine Ausweitung des Wohnungsangebots als Nachverdichtung im Bestand sinnvoll“, sagt BMV-Geschäftsführer Reiner Wild, „in der Praxis gibt es aber eine ganze Reihe von Problemen.“
Die ausbaubaren Dachgeschosse befinden sich meist in Altbauten aus der Gründerzeit, die sich überwiegend im Besitz privater Eigentümer befinden. Die städtischen Wohnungsbaugesellschaften, auf die der Senat Einfluss nehmen kann, haben hingegen überwiegend Nachkriegsneubauten mit Flachdächern. Dachböden, die sich zum Ausbau für Wohnzwecke eignen, sind in ihren Beständen kaum vorhanden.
Aufstockung im Plattenbau
Die städtische Wohnungsbaugesellschaft WBM setzt deshalb auf Aufstockungen: An der Stralauer Allee in Friedrichshain will sie zwölf viergeschossigen Plattenbauten des Typs Q3A gleich drei Etagen aufsetzen. Auf den vorhandenen 392 Wohnungen sollen mit vorgefertigten Bauelementen 298 neue Wohneinheiten entstehen. Die WBM plant, das Modellprojekt im April 2019 fertigzustellen. Das dreifache Aufstocken ist für Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel ein „ebenso einfacher wie innovativer Ansatz“. Vom Typ Q3A sind in Ost-Berlin zwischen 1957 und 1969 Häuser mit insgesamt 28.600 Wohnungen gebaut worden. Auch andere Plattenbautypen wie QP64 und P2 eignen sich zur Aufstockung.
Eine Studie des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) kommt zu dem Ergebnis, dass Dachausbauten und Aufstockungen angespannte Wohnungsmärkte entlasten können – allerdings entstehen so keine günstigen Mietwohnungen. In den untersuchten Fallbeispielen lagen die Baukosten für neue Dachwohnungen in der Regel um 2000 Euro pro Quadratmeter. Daraus würden sich Kostenmieten in Höhe von mindestens 9 Euro pro Quadratmeter nettokalt ergeben. „Dachausbauten und Dachaufstockungen können mittel- bis langfristig die Ausweitung des Wohnungsangebots vor allem im mittleren und höheren Preisspektrum unterstützen“, sagt BBSR-Direktor Harald Herrmann. „Über Sickereffekte profitieren indirekt auch Wohnungssuchende im unteren Preissegment“, meint Herrmann.
Dachausbauten sind für Bauherren eine Kostenfrage. Sie müssen zwar kein Grundstück kaufen und keine Grunderwerbsteuer entrichten. Der Kostenvorteil schwindet aber, weil das Bauen auf dem Dach aufwendiger ist als zu ebener Erde. „Rechtliche Anforderungen der Länder und Kommunen, wie etwa die Stellplatzpflicht oder die Pflicht, einen Aufzug einzubauen, wirken als Preistreiber“, sagt Harald Herrmann. Eigentümer nehmen Dachausbauten und Aufstockungen in aller Regel nur dann in Angriff, wenn ohnehin eine Sanierung des gesamten Gebäudes ansteht. „Wir heben bisher nur einen Bruchteil der Potenziale, die Dachaufstockungen und Dachausbauten bieten“, stellt Harald Herrmann fest.
Eine Untersuchung der Technischen Universität Darmstadt und des Pestel-Instituts im Auftrag von elf Bau- und Immobilienverbänden ergab, dass es in den deutschen Wachstumsregionen möglich ist, 1,5 Millionen Wohnungen durch Dachausbau und Aufstockung zu schaffen: etwa 1,1 Millionen auf Gebäuden, die zwischen 1950 und 1990 errichtet wurden, und 400.000 auf älteren Häusern. „Das Potenzial ist enorm. Und das, obwohl bei der Auswahl der Gebäude, die für eine Dachaufstockung in Frage kommen, sowohl der Denkmalschutz als auch der Erhalt des Stadtbildes in der Studie berücksichtigt sind“, sagt Karsten Tichelmann von der TU Darmstadt.
Die Bauverbände fordern, Hindernisse zu beseitigen: So sollen Bauhöhenbeschränkungen in Bebauungsplänen nicht für Aufstockungen gelten, die Mindestabstände von Gebäuden reduziert werden, die Autostellplatzpflicht und die Barrierefreiheit entfallen und die Mieter zur Duldung verpflichtet werden. Zudem verlangen die Verbände eine steuerliche Förderung per Sonderabschreibung, wie der Bund sie für Neubauten anstrebt.
Der Berliner Mieterverein lehnt eine solche Förderung ab, weil damit keine Mietobergrenzen verbunden sind. „Wenn eine Förderung des Dachgeschossausbaus, dann nur im Rahmen der üblichen Förderung des Sozialen Wohnungsbaus“, sagt BMV-Geschäftsführer Reiner Wild. Die übrigen Forderungen sind nach der Berliner Bauordnung weitgehend obsolet: In Berlin gibt es weder eine Aufzugs- noch eine Stellplatzpflicht, die Abstandsflächen sind schon bis über die Schmerzgrenze hinaus verringert worden, und Befreiungen von Bebauungsplan-Festsetzungen sind keine Seltenheit. Eine Duldungsverpflichtung für Mieter besteht auch schon. Allerdings kommt in Berlin der Bau von Dachwohnungen trotzdem nicht recht in Gang. In den Jahren 2011 bis 2014 sind hier jeweils rund 500 solcher Wohnungen entstanden. Das entspricht sieben Prozent aller in diesem Zeitraum fertiggestellten Wohnungen.
BMV: Keine besondere Förderung
Bautechnisch stellt ein Dachgeschossausbau kein großes Problem dar, wenn der Raum hoch genug ist. Nach der Berliner Bauordnung müssen Aufenthaltsräume unter dem Dach über mindestens der Hälfte der Grundfläche wenigstens 2,30 Meter hoch sein. Die Steigleitungen für Wasser, Strom, Heizung und eventuell Gas haben in der Regel eine ausreichende Kapazität und können einfach verlängert werden. Für den Kälte- und Wärmeschutz muss man allerdings wegen der vielen Außenflächen einen hohen Aufwand betreiben. Ein Problem ist gelegentlich der zweite Fluchtweg, der von der Bauordnung gefordert wird. Dies darf ein Fenster sein, das von der Drehleiter der Feuerwehr erreicht werden kann. Bei Höhen bis zu 23 Metern ist das keine Schwierigkeit. Wenn aber vor dem Haus Autos quer parken, könnte es sein, dass die Feuerwehrfahrzeuge nicht nah genug heranfahren können. Dann wäre eine Änderung der Parkordnung nötig.
Wenn mehr als ein Geschoss aufgestockt werden soll, wird es schwieriger. Hier muss man prüfen, ob die Mauern die zusätzliche Last tragen können und ob die vorhandene Heizungsanlage und die Versorgungsleitungen ausreichen.
Obwohl ein Aufzug bei einem nachträglichen Dachgeschossausbau laut Bauordnung nicht installiert werden muss, wird das in der Praxis meist getan, denn aus Sicht der Vermieter gehört zu einer hochwertigen Wohnung im fünften Stock ein Fahrstuhl einfach dazu. Der Anbau eines Aufzugs ist aber für die Bestandsmieter oft ein Ärgernis: Sie müssen den Aufzug über die Modernisierungsumlage mitbezahlen – egal, ob sie ihn haben wollen oder nicht. Die Aufzugsanbauten verengen und verdunkeln oft noch den Hinterhof, und in aller Regel hält der Lift im Treppenhaus auf den Zwischenpodesten und ist deshalb nicht barrierefrei. Zu allem Überfluss schlagen sich die teuren Betriebs- und Wartungskosten des Aufzugs auch noch in der jährlichen Nebenkostenabrechnung aller Mieter nieder.
Jens Sethmann
Dach über dem Kopf für 200.000 Bewohner?
Es gibt für Berlin keine genauen Daten, wie viel Wohnraumpotenzial unter den Dächern existiert. Einer Erhebung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zufolge könnten in den Gebäuden, die in der Gründerzeit und in den 20er und 30er Jahren errichtet wurden, knapp 52.000 Wohnungen durch Dachgeschossausbau oder Aufstockung geschaffen werden. Für neuere Gebäude gibt es noch keine Erhebung. Schätzungsweise könnte sich durch sie die Zahl auf bis zu 100.000 erhöhen. Darin wäre Platz für rund 200.000 Bewohner.
js
BBSR-Studie „Potenziale und Rahmenbedingungen
von Dachaufstockungen und Dachausbauten“:
www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/Veroeffentlichungen/
BBSROnline/2016/bbsr-online-08-2016.html
21.12.2018