Am 24. September wird nicht nur ein neuer Bundestag gewählt, sondern in Berlin auch über das Volksbegehren zur Offenhaltung des Flughafens Tegel abgestimmt. Der Berliner Mieterverein (BMV) spricht sich für die Schließung aus und empfiehlt, mit Nein zu stimmen.
Die Länder Berlin, Brandenburg und der Bund haben gemeinsam beschlossen, den Flughafen Tegel nach Eröffnung des BER zu schließen. Für einen Weiterbetrieb über diesen Zeitpunkt hinaus gibt es nur wenige Gründe: Die Bequemlichkeit der kurzen Anreise, die Befürchtung, der BER wäre zu klein, und eine West-Berlin-Nostalgie. Anlass für die starke Stimmung einer Offenhaltung von Tegel ist aber vor allem die Wut über das Planungsdesaster beim BER. Viele Bürger glauben inzwischen, dass der BER überhaupt nicht fertig wird. „Die Baugeschichte des BER ist ein politischer Skandal ersten Ranges, der zu Recht Zorn bei den Berlinern hervorruft“, erklärt BMV-Geschäftsführer Reiner Wild. „Wir dürfen aber nicht vergessen, dass die Leidtragenden dieses Politikversagens der früheren Regierungskoalitionen in Berlin vor allem die rund 300.000 Bewohner unter den An- und Abflugschneisen in Spandau, Reinickendorf, Wedding und Pankow sind.“
Die Zahl der Lärmbetroffenen ergibt sich aus der neuen Lärmkartierung der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz. „Die Zahlen zeigen, dass der Flughafen Tegel eine enorm belastende Lärmquelle für sehr viele Berlinerinnen und Berliner ist“, erklärt Senatorin Regine Günther. „Politik muss verlässlich sein. Die Anwohner vertrauen seit Jahren darauf, dass der Flughafen Tegel geschlossen wird, wenn der BER in Betrieb genommen wird.“
Die Menschen in den Schneisen leiden nicht nur unter dem Fluglärm, sondern auch unter den Abgasen in der Atemluft, die sich auch als schmieriger Film auf Fensterbrettern und Balkonen niederschlagen. Im Falle eines Absturzes sind im dichtbesiedelten Gebiet viele Menschenleben gefährdet.
Zu den 300.000 Betroffenen kommen noch weitere Fluglärmgeplagte, da die Piloten vielfach und ungeahndet von den vorgeschriebenen Flugrouten abweichen. So drehen die nach Osten startenden Maschinen oft schon über Weißensee nach Süden ab und überfliegen weitere dicht bewohnte Stadtteile in niedriger Höhe.
Ein Weiterbetrieb Tegels würde auch ein großes Zukunftsprojekt blockieren. Auf dem Gelände, das vollständig in öffentlicher Hand ist, sollen 9000 Wohnungen, Schulen und ein großer Landschaftsraum mit Sport- und Freizeitangeboten entstehen. Zudem sollen die Beuth-Hochschule und Gewerbebetriebe mit 20.000 Arbeitsplätzen hierherziehen. „Ein Potenzial, das nicht verschenkt werden darf“, meint Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher. Die dauerhafte Fortführung des Flugbetriebes würde auch außerhalb des Flughafengeländes zahlreiche Wohnungsbauvorhaben gefährden, etwa in der Wasserstadt Spandau.
Unbegrenztes Wachstum ist kein Naturgesetz
Der Senat widerspricht auch der Behauptung, der BER sei zu klein. Er ist für 360.000 Flugbewegungen im Jahr ausgelegt. Tegel und Schönefeld kamen im Jahr 2016 zusammen auf 282.000 Flugbewegungen. Dass der Luftverkehr unbegrenzt wächst, ist zudem kein unabänderliches Naturgesetz. Wenn man den Natur- und Klimaschutz ernst nimmt, geht kein Weg an der Begrenzung der Viel- und Billigfliegerei vorbei.
Jens Sethmann
Lagerwahlkampf um einen alten Flughafen
Der Volksentscheid hat im Erfolgsfall keine Gesetzeskraft, weil die Initiatoren anders als bei früheren Volksbegehren keinen Gesetzentwurf zur Abstimmung stellen, sondern nur eine Aufforderung an das Land Berlin. In Sachen Flughafenplanung ist Berlin aber nur einer von drei Vertragspartnern. Die Volksinitiative zur Tegel-Offenhaltung kommt aus Kreisen der Berliner FDP, die das Thema im letzten Wahlkampf in den Vordergrund gestellt hat. Für den Weiterbetrieb sprechen sich außerdem die AfD und nach einer 180-Grad-Wende auch die CDU aus. SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen bleiben beim Schließungsbeschluss. Eine Reihe von Bürgerinitiativen haben den Aufruf „Tegel schließen. Zukunft öffnen“ gestartet, der unter anderem vom Berliner Mieterverein, vom BUND, der Grünen Liga, dem Verkehrsclub Deutschland, dem DGB und mehreren seiner Einzelgewerkschaften sowie vielen Landes- und Bezirkspolitikern unterstützt wird.
js
Senats-Position: www.berlin.de/tegel-schliessen
Lärmkartierung 2017: www.berlin.de/senuvk/umwelt/laerm/tegel/
Der Aufruf des Initiativen-Zusammenschlusses „Tegel schließen. Zukunft öffnen” findet sich auf der Rückseite dieses MieterMagazins.
Weitere Informationen: www.tegelschliessen.de
01.05.2021