Das Eigentumsrecht ist ein hohes Gut, jedoch gilt es nicht bedingungslos, denn das Grundgesetz verpflichtet es auf das Allgemeinwohl. Dies ist am Berliner Mietwohnungsmarkt längst auf der Strecke geblieben. Können Enteignungen einen Beitrag zur Lösung der Wohnungsfrage leisten?
Wenn Grundstücke für Infrastrukturvorhaben benötigt werden, beispielsweise für Autobahnen oder Schulen, und Eigentümer sich weigern zu verkaufen, dann können sie enteignet werden. In Berlin werden solche Verfahren von einer Enteignungsbehörde durchgeführt, die der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zugeordnet ist.
Wenn Häuser jahrelang leer stehen und verwahrlosen, dann könnte das im April 2018 geänderte Zweckentfremdungsverbotgesetz zur Anwendung kommen. Es zielt vorrangig auf Ferienwohnungen, soll jedoch auch Leerstand jeder Art bekämpfen. Wenn Eigentümer sich nicht um ihre Immobilie kümmern, kann die öffentliche Hand ihnen die Verfügung darüber entziehen, und zur Wiederherstellung für Wohnzwecke einen Treuhänder einsetzen. Das ist keine Enteignung im engeren Sinne, denn gegen Erstattung der Sanierungsaufwendungen würden die Eigentümer ihre Immobilie zurückbekommen. Ob und wie das umgesetzt wird, wird auch von der Personalausstattung der Bezirksämter abhängen, denen es schon bisher oft schwer fällt, Zweckentfremdungsanzeigen zeitnah nachzugehen. Die Sprecherin für Wohnen und Mieten der Grünen im Abgeordnetenhaus, Katrin Schmidberger, schlägt vor, „eine Task Force einzusetzen, die zusammen mit Finanzbehörden, Zoll, Polizei und so weiter ressortübergreifend das Problem in Angriff nimmt, zusammen mit den Bezirken. Und dann eben auch erforderlichenfalls enteignet.“
„Deutsche Wohnen enteignen“
Für manchen drängt sich angesichts der Mietensituation in Berlin die Frage auf, ob Enteignungen nicht auch ein Mittel gegen überzogene Mietsteigerungen und Verdrängung sein könnten. Darauf zielt der Volksentscheid „Deutsche Wohnen enteignen“. Für die Berliner Bundestagsabgeordnete Cansel Kiziltepe (SPD) ist Enteignung dann eine Option, „wenn der ungebremste Mietpreisanstieg anders nicht schnell genug aufgehalten werden kann.“ Sie hält es jedoch „für falsch, die Forderung nach Enteignung nur auf die Deutsche Wohnen oder wenige große börsennotierte Unternehmen zu reduzieren“, da sich „hunderte kleinere Fonds, Portfolio-Investoren und private Renditejäger“ in den Markt eingekauft hätten, die ebenfalls „der Sozialbindung des Eigentums nicht gerecht werden“.
Aus Sicht von Katrin Schmidberger startet der Volksentscheid „eine Debatte, die richtig ist und dringend geführt werden muss“. Sie betont: „Das Geschäftsmodell, mit Wohnraum zu Lasten des Allgemeinwohls zu spekulieren, gehört abgeschafft.“ Auch die Sprecherin für Stadtentwicklung der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, Katalin Gennburg, spricht sich für den Volksentscheid aus. Sie stellt fest: „Enteignungen haben viele Formen und Gesichter“ und weist auf „die faktischen Enteignungen von Mieterinnen und Mietern durch Mietwucher“ hin. Allerdings sei „eine Enteignung von Aktiengesellschaften in der deutschen Gesetzessystematik nicht angelegt“, nach dem Berliner Enteignungsgesetz könne nur ein Grundstück enteignet werden, nicht eine ganze Aktiengesellschaft. Im Fall Deutsche Wohnen „wären also tausende Grundstücke auf einmal zu enteignen“.
Der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, Reiner Wild, hält Enteignungen schon aus rechtlichen Gründen nur für das letzte Mittel, wenn alle anderen Wege ausgeschöpft sind. Er betont: „Unsere Verfassung benennt ausdrücklich auch Gemeineigentum und Gemeinwirtschaft. Beides muss bei der Nutzung von Grund und Boden wieder stärker berücksichtigt werden. Dafür muss der Gesetzgeber neue Rahmenbedingungen schaffen.“
Elisabeth Voß
Das sagt das Grundgesetz
Artikel 14 des Grundgesetzes sagt: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“ und: „Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt.“ Ob und in welchem Umfang die bereits vorhandenen gesetzlichen Grundlagen angewendet werden, ist auch eine politische Frage.
ev
09.07.2019