Als „historisch einmaliges Maßnahmenpaket“ feiert Bundeskanzlerin Merkel die Ergebnisse ihres Wohngipfels vom 21. September. Der Deutsche Mieterbund (DMB) kann hingegen nur „wenig Neues, Absichtserklärungen und altbekannte Vorschläge“ erkennen. Oppositionspolitiker und Mieterorganisationen sprechen von einem „Show-Event“, einer „Alibiveranstaltung“ und einer „Farce“. Am Tag vor diesem Gipfel haben Mieter- und Sozialverbände, Gewerkschaften und Stadt-Initiativen auf einem alternativen Wohngipfel konkrete Lösungen gegen den Mietenwahnsinn erarbeitet.
Zum Wohngipfel im Bundeskanzleramt war die Bundesregierung in Mannschaftsstärke angetreten. Neben Kanzlerin Angela Merkel (CDU) waren Innen- und Bauminister Horst Seehofer (CSU), Finanzminister Olaf Scholz (SPD), Justizministerin Katarina Barley (SPD) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sowie die Ministerpräsidenten der Bundesländer anwesend. Doch weder die hochrangige Besetzung noch Horst Seehofers wiederholte Aussage „Die Wohnungsfrage ist die soziale Frage unserer Zeit“ können darüber hinwegtäuschen, dass die Bundesregierung diese Frage immer noch nicht ernst nimmt. Das zeigte schon das Programm des Wohngipfels.
Ursprünglich für einen ganzen Tag angesetzt, wurde die Sitzung auf zweieinhalb Stunden zusammengekürzt. Zudem hatte die Zusammensetzung der Runde eine eklatante Schieflage (siehe unten).
Die Ergebnisse des Wohngipfels basieren auf einem schon vorher feststehenden Eckpunktepapier der Bundesregierung. Über die Maßnahmen wurde nicht diskutiert. Die Teilnehmer vom Mieterbund und von den Gewerkschaften weisen deshalb die Darstellung des Bauministeriums zurück, das Programm sei gemeinsam vereinbart worden.
Klingt nach viel, ist aber nichts
Die Bundesregierung rühmt sich, in dieser Legislaturperiode (2018 bis 2021) über 13 Milliarden Euro für den Sozialen Wohnungsbau, das Baukindergeld, das Wohngeld und die Städtebauförderung auszugeben. „Wir setzen hier einen Investitionsschwerpunkt im Bundeshaushalt“, erklärt Horst Seehofer. Aufs Jahr gerechnet sind das allerdings weniger als 3,5 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Der Verteidigungsetat des Jahres 2018 ist mit 38,5 Milliarden Euro elfmal so hoch.
Wie bereits im Koalitionsvertrag vereinbart, sollen in dieser Legislaturperiode 1,5 Millionen neue Wohnungen gebaut werden. Die Bundesregierung setzt dabei auf das bereits eingeführte Baukindergeld, Steuerabschreibungsmöglichkeiten für den Mietwohnungsbau und eine Stärkung des Sozialen Wohnungsbaus. „Das Baukindergeld ist wohnungspolitisch unsinnig“, kritisiert DMB-Direktor Lukas Siebenkotten. „Es führt zu Mitnahmeeffekten in ländlichen Regionen und reizt in Städten allenfalls den Kauf von Eigentumswohnungen an.“ Die angekündigten Sonderabschreibungen sind an keinerlei Mietbegrenzung gebunden. Bauherren müssen für die Steuervorteile zwar die Baukosten senken, können aber weiterhin hohe Mieten fordern. „Ohne Mietobergrenzen wird das Ziel, Wohnungen im mittleren Preissegment zu bauen, nicht erreicht“, sagt Siebenkotten.
Zur „Stärkung des Sozialen Wohnungsbaus“ will die Bundesregierung fünf Milliarden Euro aufwenden. Klingt viel, ist aber viel zu wenig. Damit können in diesen vier Jahren insgesamt rund 100.000 neue Sozialwohnungen gebaut werden. Das reicht bei Weitem nicht aus, um das Abschmelzen des Sozialwohnungsbestandes auszugleichen. „Das ist keine Stärkung des Sozialen Wohnungsbaus. Die Mittel werden zurückgefahren“, erklärt Lukas Siebenkotten.
Spürbare Mietrechtsverbesserungen wird es auch nach dem Wohngipfel nicht geben. Das völlig unzureichende Mietrechtsanpassungsgesetz, mit dem die Mietpreisbremse nur ansatzweise verschärft wird und die Modernisierungsumlage nur minimal sinkt, wird nicht nachgebessert. Neu angekündigt wurde eine Gesetzesänderung für den Mietspiegel: Es sollen nicht mehr nur die neu vereinbarten und erhöhten Mieten der letzten vier Jahre in die Berechnung einfließen, sondern die der letzten sechs Jahre. Das ist nur ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. „Wir fordern, dass alle Vertragsabschlüsse in den Betrachtungszeitraum einfließen müssen, zumindest aber die der letzten zehn Jahre“, so Siebenkotten. „Dies hätte eine stärker preisdämpfende Wirkung für die Mietpreisentwicklung im Wohnungsbestand.“
Außerdem hat die Bundesregierung angekündigt, im Jahr 2020 das Wohngeld zu erhöhen. Der DMB begrüßt das, fordert aber, das Wohngeld regelmäßig an die steigenden Kosten anzupassen. „Es reicht nicht aus, das Wohngeld immer mal wieder nach ein paar Jahren zu erhöhen“, sagt Mieterbund-Direktor Siebenkotten. In jedem Jahr, in dem die Zuwendung nicht erhöht wird, rutschen Tausende Wohngeldempfänger in den Hartz-IV-Bezug ab.
„Mager und extrem enttäuschend“ nennt Reiner Wild, Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, die Ergebnisse. „Der Wohngipfel von Seehofer und Merkel war nichts anderes als eine PR-Show. Die Interessen von Millionen Mietern und Wohnungslosen sind der Bundesregierung egal“, erklärt Wild.
Es fehlt der politische Wille
„Dabei könnte viel gemacht werden“, so Wild. „Lösungsvorschläge liegen auf dem Tisch.“ Am Tag vor dem Wohngipfel haben der DMB, der DGB, der Paritätische Gesamtverband, der Sozialverband VdK, die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe und das #Mietenwahnsinn-Bündnis einen alternativen Wohngipfel einberufen. Rund 300 Vertreter von mieten- und stadtpolitischen Initiativen, Stiftungen und anderen Organisationen, Wissenschaftler und Fachpolitiker haben neun Stunden lang konstruktiv über Wege aus der Wohnungskrise diskutiert. Das Ergebnis sind 55 zentrale Forderungen, die auch am Tag des Wohngipfels bei einer Kundgebung am Hauptbahnhof präsentiert wurden (das MieterMagazin berichtete in seiner Ausgabe 10/2018, Seite 7.) „Der Markt wird’s nicht richten“, fasste der Stadtsoziologe Andrej Holm zusammen. Vorschläge für eine soziale Wohnungspolitik gebe es genug. „Was fehlt, ist allein der politische Wille“, so Holm.
Zum Abschluss des alternativen Wohngipfels diskutierten die Mietenpolitiker der Bundestagsfraktionen die Lage. „Das Mietrecht ist in eine Schieflage geraten“, sagte Chris Kühn (Grüne). Caren Lay (Linke) präzisierte: „Der Kündigungsschutz ist ein ganz entscheidender Punkt, wir müssen die Bestandsmieten deckeln, und die Modernisierungsumlage muss weg.“ Klaus Mindrup von der mitregierenden SPD ist mit der bisherigen Mietenpolitik ebenfalls unzufrieden: „Bei der Mietpreisbremse müssen die Ausnahmen weg, aber darüber ist mit unserem Koalitionspartner ganz schwer zu reden.“ Alle drei Abgeordneten ermunterten die Mieter, noch mehr Druck auf die Regierung zu machen. Die eingeladenen Vertreter von CDU/CSU und FDP blieben dem alternativen Wohngipfel bezeichnenderweise fern.
„Der alternative Wohngipfel ist nur ein Anfang“, sagt Reiner Wild. „Die Diskussionen und Aktionen werden weitergehen.“
Jens Sethmann
60 Sekunden Gehör für die Mieter
Zum Wohngipfel hatte die Bundesregierung neben vielen Repräsentanten von Kommunen und Ländern sieben Vertreter von Immobilien- und Eigentümerverbänden, vier Baulobbyisten und drei Angehörige von Ingenieurs- und Architektenorganisationen eingeladen – also 14 Verbände, die am Wohnen und Bauen verdienen wollen. Ihnen gegenüber standen nur drei Verbände für die Wohnenden: der Deutsche Mieterbund (DMB), der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Industriegewerkschaft Bauen Agrar Umwelt. Dem DMB-Präsidenten Franz-Georg Rips wurde nur eine Minute Redezeit zugebilligt, um die Belange der 45 Millionen Mieter vorzutragen. Sozialverbände, Wohnungslosenorganisationen, stadtpolitische Initiativen und Umweltverbände, die ebenfalls Wesentliches zur aktuellen Wohnungsfrage zu sagen hätten, waren gar nicht erst eingeladen worden. Der Wohngipfel der Bundesregierung war schon vom Ansatz her vor allem ein Immobiliengipfel.
js
29.10.2018