Leitsätze:
1. Bereits die bloße Ankündigung einer Außenmodernisierung, die ihrerseits mit einer Störung des geschützten Besitzes des Mieters verbunden sein wird (hier: Anbau eines Balkons), stellt grundsätzlich eine Besitzstörung dar, deren Unterlassung der Mieter im Wege der einstweiligen Verfügung verlangen kann.
2. Petitorische Einwendungen – wie etwa zu einer Duldungspflicht des Mieters nach § 555 a Abs. 1 BGB (Erhaltung) oder § 555 d Abs. 1 BGB (Modernisierung) können dem possessorischen Besitzschutzanspruch nach § 863 BGB nicht entgegengehalten werden.
3. In einem auf Besitzschutz gerichteten (einstweiligen Verfügung-)Verfahren obliegt es grundsätzlich dem Vermieter, darzulegen und gegebenenfalls nachzuweisen, dass sich die Beeinträchtigungen, die aus einer ohne Duldungstitel vorgenommenen oder beabsichtigten Einwirkung auf die Mietsache resultieren, als unwesentlich darstellen.
LG Berlin vom 6.11.2019 – 66 S 117/19 –
Mitgeteilt von RA Rainer Failenschmid
Anmerkungen des Berliner Mietervereins
Über eine einstweilige Verfügung erreichten die Mieter, dass dem Vermieter aufgegeben wurde, Baumaterialien im Treppenhaus und auf den Fluren auf dem Weg zur streitgegenständlichen Wohnung zu beseitigen, soweit der Vermieter nicht ausschließen kann, dass hierdurch Gefahrenquellen geschaffen wurden beziehungsweise der Zugang zur Wohnung erschwert ist. Es wurde ihm weiterhin untersagt, Baumaterialien auf dem Weg zur streitgegenständlichen Wohnung auf dem Grundstück zu lagern, soweit der Vermieter nicht ausschließen kann, hierdurch Gefahrenquellen für den Zugang zu schaffen beziehungsweise diesen zu erschweren.
Des Weiteren wurde dem Vermieter untersagt,
- den Lastenfahrstuhl, der am Schlafzimmer der streitgegenständlichen Wohnung der Mieter vorbeiführt, zu betreiben,
- in den Fluren des streitgegenständlichen Gebäudes im Bereich unmittelbar vor der von Mietern innegehaltenen Wohnung sowie vor den jeweils links und rechts neben der Wohnung belegenen Wohnungen Rigipsplatten zu verbauen, ebenso in den Fluren im 9. und 11. Obergeschoss des Gebäudes in den vorstehend bezeichneten Bereichen, solange nicht der Vermieter nachweist, dass die Beeinträchtigungen nur unerheblich sind, namentlich die in Gesetzen oder Rechtsverordnungen festgelegten Grenz- oder Richtwerte beziehungsweise die Werte in nach § 48 des Bundesimmissionsschutzgesetzes erlassenen Verwaltungsvorschriften, die den Stand der Technik wiedergeben, eingehalten werden,
- an der Fassade oder den Balkonen der neben der streitgegenständlichen Wohnung befindlichen Wohnungen Wärmedämmung anzubringen,
- in den Wohnungen über, unter oder neben der streitgegenständlichen Wohnung lärmintensive Arbeiten durchzuführen, soweit nicht die Verfügungsbeklagte nachweist, dass die Beeinträchtigungen nur unerheblich sind, namentlich die in Gesetzen oder Rechtsverordnungen, insbesondere der technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm), festgelegten Grenz- oder Richtwerte eingehalten werden
Letztlich wurde dem Vermieter auch noch aufgegeben, das aufgestellte Baugerüst, soweit sich dieses vor der streitgegenständlichen Wohnung befindet, abzubauen.
Voraussetzung für die gerichtlichen Verfügungen, die die Modernisierungsarbeiten im Haus stark einschränkten – wenn nicht gar gänzlich zum Erliegen brachten –, war zweierlei:
Erstens durften die Mieter die Maßnahmen nicht geduldet haben beziehungsweise es durfte kein Duldungstitel gegen sie ergangen sein und zweitens mussten die Beeinträchtigungen eine Besitzstörung von einiger Erheblichkeit darstellen. Die erste Voraussetzung lag hier unzweifelhaft vor und die zweite wurde vom Gericht als gegeben bewertet.
Die Ansprüche der Mieter als Verfügungskläger ergaben sich aus §§ 862 Abs. 1, 858 Abs. 1 BGB. Nach § 862 Abs. 1 BGB – so das Landgericht – könne der Mieter als der Besitzer, der in seinem Besitz durch verbotene Eigenmacht gestört werde, von dem Störer die Beseitigung der Störung verlangen; seien weitere Störungen zu erwarten, könne er den Unterlassungsanspruch einklagen oder – wie hier – auch im Wege des einstweiligen Verfügungsverfahrens geltend machen. Die Definition des Begriffs der verbotenen Eigenmacht knüpfe bei Besitzentziehung und -störung nach § 858 Abs. 1 BGB an den fehlenden Willen des Besitzers an. Petitorische Einwendungen – wie etwa zu einer Duldungspflicht des Mieters nach § 555 a Abs. 1 BGB (Erhaltung) oder § 555 d Abs. 1 BGB (Modernisierung) könnten dem possessorischen Besitzschutzanspruch nach § 863 BGB nicht entgegengehalten werden. Einen Duldungstitel gegenüber den Verfügungsklägern (den Mietern) habe der Verfügungsbeklagte (der Vermieter) hinsichtlich der angekündigten Instandhaltungs- und Modernisierungsarbeiten bislang unstreitig nicht erwirkt.
Eine Störung des Besitzes sei bei jeder Beeinträchtigung der Sachherrschaft unterhalb der Schwelle des Sachentzugs gegeben. Zu den möglichen Eingriffen gehörten Störungen der Gebrauchs- und Nutzungsmöglichkeiten aller Art, im Bereich des Wohnraummietrechts etwa Lärm-, Staub- und Geruchsimmissionen, Einschränkungen des Zugangs zur Wohnung (etwa durch Arbeiten im Eingangsbereich oder Treppenhaus), der Ausschluss des Zugangs zur Wohnung überhaupt sowie Einschränkungen der Belichtung und der Privatheit der Wohnung durch das Aufstellen eines Baugerüstes.
Anerkannt sei, dass unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens des § 906 BGB nur erhebliche Beeinträchtigungen der Besitzausübung Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche nach den §§ 858 ff. BGB auslösen könnten, während unerhebliche Beeinträchtigungen des Gebrauchs hinzunehmen seien. Wann eine Beeinträchtigung wesentlich sei, beurteile sich nach dem Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen; die Bestimmung der Wesentlichkeitsgrenze sei dabei Ergebnis einer wertenden Betrachtung.
Hierbei obliege in einem auf Besitzschutz gerichteten (einstweiligen Verfügung-)Verfahren es grundsätzlich dem Vermieter, darzulegen und gegebenenfalls nachzuweisen, dass sich die Beeinträchtigungen, die aus einer ohne Duldungstitel vorgenommenen oder beabsichtigten Einwirkung auf die Mietsache resultieren, sich als unwesentlich darstellten.
Bei der Beurteilung der oben genannten Sachverhalte kam das Gericht in jedem Fall zu dem Ergebnis, dass eine erhebliche – nicht hinzunehmende – Besitzstörung vorlag. Für Rechtsanwender sei diesbezüglich die Lektüre der Entscheidung im Wortlaut empfohlen. Die dieser Entscheidung zugrundeliegende – zutreffende – Rechtsansicht führt zu der Konsequenz, dass kein Vermieter mit (umfangreichen) Bauarbeiten beginnen sollte, solange nicht alle Mieter im Hause ihre Duldung erklärt haben oder aber erfolgreich auf Duldung verklagt worden sind.
Urteilstext
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 16. April 2019 verkündete Urteil des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg – 13 C 1003/19 – unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen wie folgt geändert und neu gefasst:
1. Der Verfügungsbeklagten wird aufgegeben, die Baumaterialien im Treppenhaus und auf den Fluren auf dem Weg zur streitgegenständlichen Wohnung im Haus L.straße xx in 10xxx Berlin zu beseitigen, soweit die Verfügungsbeklagte nicht ausschließen kann, dass hierdurch Gefahrenquellen geschaffen wurden bzw. der Zugang zur Wohnung erschwert ist; es wird ihr untersagt, Baumaterialien auf dem Weg zur streitgegenständlichen Wohnung auf dem Grundstück zu lagern, soweit die Verfügungsbeklagte nicht ausschließen kann, hierdurch Gefahrenquellen für den Zugang zu schaffen bzw. diesen zu erschweren.
2. Der Verfügungsbeklagten wird untersagt,
2.1. den Lastenfahrstuhl, der am Schlafzimmer der streitgegenständlichen Wohnung der Verfügungskläger vorbeiführt, zu betreiben,
2.2. in den Fluren des streitgegenständlichen Gebäudes im Bereich unmittelbar vor der von den Verfügungsklägern innegehaltenen Wohnung sowie vor den jeweils links und rechts neben der Wohnung belegenen Wohnungen Rigipsplatten zu verbauen, ebenso in den Fluren im 9. und 11. Obergeschoss des Gebäudes in den vorstehend bezeichneten Bereichen, solange nicht die Verfügungsbeklagte nachweist, dass die Beeinträchtigungen nur unerheblich sind, namentlich die in Gesetzen oder Rechtsverordnungen festgelegten Grenz- oder Richtwerte bzw. die Werte in nach § 48 des Bundesimmissionsschutzgesetzes erlassenen Verwaltungsvorschriften, die den Stand der Technik wiedergeben, eingehalten werden,
2.3. an der Fassade oder den Balkonen der neben der streitgegenständlichen Wohnung befindlichen Wohnungen Wärmedämmung anzubringen,
2.4. in den Wohnungen über, unter oder neben der streitgegenständlichen Wohnung lärmintensive Arbeiten durchzuführen, soweit nicht die Verfügungsbeklagte nachweist, dass die Beeinträchtigungen nur unerheblich sind, namentlich die in Gesetzen oder Rechtsverordnungen, insbesondere der technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm), festgelegten Grenz- oder Richtwerte eingehalten werden.
3. Der Verfügungsbeklagten wird aufgegeben, das aufgestellte Baugerüst, soweit sich dieses vor der streitgegenständlichen Wohnung befindet, abzubauen.
4. Im Übrigen wird der Antrag auf .Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Der weitergehende Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung im Umfang der Antragserweiterung in der Berufungsinstanz wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens in 1. und 2. Instanz werden gegeneinander aufgehoben.
Soweit die Verfügungskläger die Berufung hinsichtlich der Berufungsanträge zu 2) und 3) aus dem Schriftsatz vom 20. Mai 2019 vollumfänglich sowie hinsichtlich des ursprünglichen Berufungsantrages zu 1) nach Maßgabe der modifizierten Berufungsanträge aus dem Schriftsatz vom 9. September 2019 teilweise zurückgenommen haben, werden sie des Rechtsmittels für verlustig erklärt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
I.
Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß §§ 313 a Abs. 1, 540 Abs. 2, 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO abgesehen.
II.
1. Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden. Sie ist nach teilweiser Berufungsrücknahme gemäß § 516 Abs. 1 ZPO – in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die der Entscheidung zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen insoweit eine andere Entscheidung, §§ 513, 529, 546 ZPO.
Im Einzelnen:
1.1. Die Verfügungskläger haben gegen die Verfügungsbeklagte gemäß §§ 862 Abs. 1, 858 Abs. 1 BGB einen Anspruch darauf, es zu unterlassen, Baumaterialien im Gebäude auf den Zuwegungen zu der streitgegenständlichen Wohnung zu lagern. Nach § 862 Abs. 1 BGB kann der Besitzer, der in seinem Besitz durch verbotene Eigenmacht gestört wird, von dem Störer die Beseitigung der Störung verlangen; sind weitere Störungen zu erwarten, kann er den Unterlassungsanspruch einklagen oder – wie hier – auch im Wege des einstweiligen Verfügungsverfahrens geltend machen. Die Definition des Begriffs der verbotenen Eigenmacht knüpft bei Besitzentziehung und -störung nach § 858 Abs. 1 BGB an den fehlenden Willen des Besitzers an. Petitorische Einwendungen – wie etwa zu einer Duldungspflicht des Mieters nach § 555 a Abs. 1 BGB (Erhaltung) oder § 555 d Abs. 1 BGB (Modernisierung) können dem possessorischen Besitzschutzanspruch nach § 863 BGB nicht entgegengehalten werden (LG Berlin, Beschluss vom 13.5.2014 – 67 S 105/14 -, NZM 2014, 826 m.w.N.). Einen Duldungstitel gegenüber den Verfügungsklägern hat die Verfügungsbeklagte hinsichtlich der unter dem 30. Oktober 2018 angekündigten Instandhaltungs- und Modernisierungsarbeiten, deren Ausführung auch die Lagerung der Baumaterialien dient, bislang unstreitig nicht erwirkt.
Eine Störung des Besitzes ist bei jeder Beeinträchtigung der Sachherrschaft unterhalb der Schwelle des Sachentzugs gegeben. Zu den möglichen Eingriffen gehören Störungen der Gebrauchs- und Nutzungsmöglichkeiten aller Art, im Bereich des Wohnraummietrechts etwa Lärm-, Staub- und Geruchsimmissionen, Einschränkungen des Zugangs zur Wohnung (etwa durch Arbeiten im Eingangsbereich oder Treppenhaus), der Ausschluss des Zugangs zur Wohnung überhaupt (vgl. dazu Hau NZM 2014, 809, 812) sowie Einschränkungen der Belichtung und der Privatheit der Wohnung durch das Aufstellen eines Baugerüstes (Joost in: MünchKomm/BGB, 5. Aufl., § 858 Rn. 5, m. w. N.; Gutzeit in: Staudinger, BGB, 2012, § 858 Rn. 14, m. w. N.).
Anerkannt ist, dass unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens des § 906 BGB nur erhebliche Beeinträchtigungen der Besitzausübung Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche nach den §§ 858 ff BGB auslösen können, während unerhebliche Beeinträchtigungen des Gebrauchs hinzunehmen sind (st. Rspr.; eingehend hierzu zuletzt etwa LG Berlin, Urteil v. 20.4.2016 – 65 S 424/15 -, GE 2016, 860, m.zahlr.w.N.). Wann eine Beeinträchtigung wesentlich ist, beurteilt sich nach dem Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen; die Bestimmung der Wesentlichkeitsgrenze ist dabei Ergebnis einer wertenden Betrachtung (vgl. BGH, Urteil v. 16.1.2015 – V ZR 110/14 -, WuM 2015, 368; Urteil v. 27.10. 2006 – V ZR 2/06 – ,WuM 2007, 147; Urteil v. 8.10.2004 – V ZR 85/04 -, NZM 2004, 957, jew.m.w.N.).
Nach dem substantiierten und durch eidesstattliche Versicherungen gemäß §§ 936, 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO glaubhaft gemachten Vorbringen der Verfügungskläger sehen sich diese durch die teilweise unsachgemäße Lagerung von Material im Gebäude und auf der Zuwegung davor in erheblicher Weise im gefahrlosen Zugang zu der von ihnen innegehaltenen Wohnung gehindert. Dies müssen sie nicht hinnehmen, zumal die Schaffung von Gefahrenlagen, von denen sich die Kammer anhand der zur Akte gereichten Fotografien überzeugen konnte, auch unter dem Gesichtspunkt des Bestehens einer Verkehrssicherungspflicht einen Unterlassungsanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB begründet.
Soweit der Tenor der einstweiligen Verfügung von dem gestellten Antrag abweicht, hat die Kammer den Antrag ausgelegt bzw. von der Möglichkeit des § 938 Abs. 1 ZPO Gebrauch gemacht, ohne dass damit eine Teilzurückweisung verbunden wäre. Der Ausspruch im Tenor zu 1 trägt vielmehr dem Umstand Rechnung, dass in einem auf Besitzschutz gerichteten (einstweiligen Verfügung-)Verfahren es grundsätzlich dem Vermieter obliegt, darzulegen und gegebenenfalls nachzuweisen, dass sich die Beeinträchtigungen, die aus einer ohne Duldungstitel vorgenommenen oder beabsichtigten Einwirkung auf die Mietsache resultieren, sich als unwesentlich darstellen (BGH, Urteil v. 20.11.1992 – V ZR 82/91 -, NJW 1993, 925; LG Berlin, Beschluss v. 13.5.2014 – 67 S 105/14 -, NZM 2014,826).
1.2. Die Verfügungskläger haben weiter Anspruch auf Untersagung des Betriebs des Lastenfahrstuhls, der am Schlafzimmer der streitgegenständlichen Wohnung vorbeiführt, gemäß § 862 Abs. 1 BGB. Auch insoweit ist eine wesentliche Beeinträchtigung in dem vorstehend beschriebenen Umfang dargetan und glaubhaft gemacht. Die mit der Nutzung·eines solchen Aufzuges verbundene Geräuschentwicklung liegt auf der Hand und ist dem Gericht darüber hinaus aus eigener Anschauung in vergleichbaren Fällen bekannt. Die Lage des Transportmittels unmittelbar vor dem Schlafzimmerfenster wiegt besonders schwer, da dessen Nutzung als besonders schützenswerter Ruhe- und Rückzugsraum tagsüber erheblich beeinträchtigt ist.
Da mit der Untersagung des Betriebes des Lastenaufzuges zugleich gewährleistet ist, dass mit diesem keine Wärmedämmmaterialien mehr auf das Dach transportiert werden, bedurfte es eines gesonderten Ausspruches hinsichtlich des nunmehrigen Berufungsantrags zu 6 nicht.
1.3. Ebenfalls aus § 862 Abs. 1 BGB folgt ein Anspruch der Verfügungskläger auf Unterlassung von Rigipsarbeiten in den unmittelbar im·Umfeld der streitgegenständlichen Wohnung liegenden Flurbereichen sowie den entsprechenden Bereichen in den ober- und unterhalb der Wohnung befindlichen Geschossen, soweit es sich um wesentliche Beeinträchtigungen nach Maßgabe der vom Bundesgerichtshof zu § 906 BGB entwickelten Maßstäbe handelt. Die Durchführung der Arbeiten als solche ist unstreitig. Die Verfügungskläger haben dargetan und glaubhaft gemacht, dass von diesen erhebliche Lärm- und (vor allem) Staubemissionen ausgehen. Sie können daher Untersagung der Arbeiten verlangen. Es obläge der Verfügungsbeklagten, darzulegen und gegebenenfalls nachzuweisen, dass sich die damit einhergehenden Beeinträchtigungen als unwesentlich darstellen (BGH, Urteil v. 20.11.1992 – V ZR 82/91 -, NJW 1993, 925). Erst wenn feststeht, dass sich die Emissionen innerhalb der in § 906 Abs. 1 Satz 2, 3 BGB genannten Grenz- oder Richtwerte halten, käme eine – danach ggf. von den Verfügungsklägern zu erschütternde – Zulässigkeit in Betracht (vgl. BGH, Urteil v. 8.10.2004, a.a.O.). Der Umfang der Tenorierung trägt dem Rechnung. Er war darüber hinaus insofern zu beschränken, als die Kammer eine Wesentlichkeit der Beeinträchtigung nur feststellen konnte, soweit das unmittelbare Umfeld der streitgegenständlichen Wohnung durch die Arbeiten betroffen ist. Die Kammer hat auch insoweit von der Möglichkeit des § 938 Abs. 1 ZPO Gebrauch gemacht, ohne dass damit jedoch bei wertender Betrachtung eine Teilzurückweisung verbunden wäre.
1.4. Aus vorstehenden Gründen besteht ein weiterer Anspruch auf Unterlassung der im unmittelbaren räumlichen Umfeld der streitgegenständlichen Wohnung stattfindenden Wärmedämmarbeiten gemäß § 862 Abs. 1 BGB. Dabei hat die Kammer von Amts wegen eine geringfügige, klarstellende Korrektur des Berufungsantrages zu 7) vorgenommen, da die Wärmedämmarbeiten ausweislich der Modernisierungsankündigung vom 30.10.2018 nicht „in“ den Wohnungen, sondern an den Balkonen bzw. der Fassade außen am Gebäude durchgeführt werden. Die Kammer geht nach dem Sachvortrag davon aus, dass sich der Antrag – dort insoweit uneindeutig formuliert – nicht nur auf die über und unter der streitgegenständlichen Wohnung liegenden Nachbarwohnungen bezieht, sondern auch und gerade auf die benachbarten Wohnungen auf der Ebene der streitgegenständlichen Räumlichkeiten. Die Erheblichkeit der Beeinträchtigung im 10. Obergeschoss erweist sich für die Kammer trotz des insoweit sehr knappen Vortrags der Verfügungskläger als offenkundig (vgl. § 291 ZPO) im Zusammenhang mit den eingereichten Fotos. Danach liegen die betreffenden Balkone unmittelbar nebeneinander. Zum Zwecke der Ausführung·der Balkon- und Fassadenarbeiten in dem aus dem Tenor ersichtlichen Bereich muss das unmittelbar vor dem Fenstern der Wohnung der Verfügungskläger stehende Baugerüst betreten werden. Die dabei eröffnete Möglichkeit des Einblicks in die Wohnung vom Baugerüst aus stört die Verfügungskläger in ihrem Besitz an der Wohnung unter dem Gesichtspunkt ihres Anspruchs auf Privatheit. Dies begründet die Erheblichkeit der Beeinträchtigung. Eine weitergehende Beeinträchtigung durch Emissionen betrifft jedoch (mangels substantiierten Sachvortrags der Verfügungskläger) dann nur noch Arbeiten, die unmittelbar neben der streitgegenständlichen Wohnung, also im 10. Obergeschoss ausgeführt werden, nicht jedoch das 9. und 11. Obergeschoss. Insoweit unterlag die Berufung der Zurückweisung.
1.5. Schließlich können die Verfügungskläger von der Verfügungsbeklagten den Abbau des aufgestellten Baugerüsts, soweit sich dieses vor der streitgegenständlichen Wohnung befindet, verlangen. Auch insoweit liegen die Voraussetzungen der §§ 862 Abs. 1, 858 Abs. 1 BGB vor. Das Aufstellen eines Gerüstes von den zur Miete überlassenen Wohnräumen ist regelmäßig nicht als lediglich unwesentliche bzw. unerhebliche Beeinträchtigung des Gebrauchs der Mietsache anzusehen. Das Aufstellen eines Gerüstes erreicht als Besitzstörung vielmehr ein Gewicht, das nach den höchstrichterlich entwickelten Maßstäben zu § 906 Abs. 1 BGB zu prüfen und vorliegend als wesentliche Beeinträchtigung zu bejahen ist. Denn ein Gerüst vor Wohnräumen stört – wie hier- unbeschadet weitergehender Beeinträchtigungen (etwa durch Verschattung der Wohnräume) jedenfalls die Privatheit des Aufenthalts in den Wohnräumen dadurch, dass vom Baugerüst aus Einblick in die Wohnung genommen werden kann, und dass ein Öffnen bzw. Offenhalten der Fenster unter Sicherheitsaspekten Einschränkungen unterliegt, weil ein Betreten des Gerüstes nicht nur durch Bauarbeiter, sondern auch durch Dritte zu jeder Tages- und Nachtzeit grundsätzlich möglich ist (so auch LG Berlin, Urteil v. 20.4.2016, a.a.O.). Ohne Erfolg beruft sich die Verfügungsbeklagte für ihre gegenteilige Auffassung. auf die v.b. Entscheidung der Zivilkammer 65 des Landgerichts Berlin. Dort war lediglich ein Sachverhalt zu beurteilen, bei dem die Stellung eines Gerüsts (nur) vor der Straßenfassade des Nachbargebäudes erfolgt (und eine daraus konkret resultierende tatsächliche Störung des Gebrauchs der Räume des dortigen Verfügungsklägers nicht dargelegt) war, und bei dem lediglich die (gerade noch nicht erfolgte) bloße Ankündigung einer weitergehenden Gerüststellung am Gebäude vorlag. Davon unterscheidet sich die hier vorliegende Konstellation offensichtlich grundlegend. Ohne Erwirkung eines Duldungstitels gegen die hiesigen Verfügungskläger hat die Verfügungsbeklagte die Stellung nicht nur angekündigt, sondern das streitgegenständliche in verschachtelter Bauweise errichtete Objekt über 15 Geschosse hinweg komplett tatsächlich einrüsten lassen. Auch die unmittelbar vor der Wohnung der Verfügungskläger gelegenen Bereiche sind nicht ausgespart; im Gegenteil betreibt die Verfügungsbeklagte vor dem Schlafzimmer der Verfügungskläger auch noch einen bis zum Dachgeschoss reichenden Lastenaufzug. Das Gerüst (welches inzwischen bereits seit etwa 8 Monaten steht) bringt die dargestellten Beeinträchtigungen für die Verfügungskläger konkret und unmittelbar mit sich und begründet den geltend gemachten Abwehranspruch.
1.6. Den Verfügungsklägern steht auch ein Verfügungsgrund gemäß §§ 935 ff, 920 Abs. 2 ZPO . zur Seite. Ein solcher ergibt sich bereits aus der Natur des beantragten Unterlassungsanspruchs, da eine verbotene Eigenmacht im Verfügungsgrund auch ohne gesonderten Vortrag des Antragstellers stets indiziert und eine besondere Dringlichkeit nicht erforderlich ist (Zöller/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl., § 940 Rn. 8 „Herausgabe und Sequestration, Räumung und Besitzschutz““ m.w.N.).
1.7. Die Berufung ist unbegründet, soweit die Verfügungskläger die Untersagung von Wärmedämmarbeiten auf dem Dach des streitgegenständlichen Objektes begehren. Ein diesbezüglicher Anspruch ist nicht dargetan. Die Verfügungskläger tragen nicht vor, durch diese Maßnahmen konkret im Gebrauch und den Nutzungsmöglichkeiten an den von ihnen innegehaltenen Räumlichkeiten gestört zu sein. Allenfalls könnten insoweit zugunsten der Verfügungskläger die über den Lastenaufzug folgenden Materialtransporte für die Dacharbeiten zu berücksichtigen sein. Diese werden aber bereits durch die Untersagung des Weiterbetriebs des Lastenaufzugs unterbunden.
2. Soweit die Verfügungskläger mit Schriftsatz vom 19. September 2019 ihre Verfügungsanträge erweitert haben – dies betrifft die Anträge zu Ziffern 1 und 4 – handelt es sich um eine unzulässige Klageänderung im Sinne von § 263 ZPO. Eine Klageänderung in der Berufungsinstanz ist gemäß § 533 ZPO nur zulässig, wenn (1) der Gegner einwilligt oder das Gericht dies für sachdienlich hält und (2) die Klageänderung auf Tatsachen gestützt werden kann, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hat. Diese Voraussetzungen sind vorliegend sämtlich nicht erfüllt. Die Verfügungskläger machen insoweit Ansprüche geltend, welche nicht Gegenstand der angefochtenen Entscheidung waren. Soweit die Verfügungskläger mit dem Antrag zu 1 von der Verfügungsbeklagten begehren, den Gehweg zum streitgegenständlichen Gebäude wieder zu beleuchten, fehlt es an jedwedem Tatsachenvortrag der Verfügungskläger, dessen Zulässigkeit sich an § 529 Abs. 1 Nummer 2 ZPO messen ließe. Die Antragsänderung, der die Verfügungsbeklagte auch nicht zugestimmt hat, erweist sich vor diesem Hintergrund auch nicht als sachdienlich – ungeachtet dessen, dass ein im Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens geltend zu machender Verfügungsanspruch insoweit ohnehin nicht besteht. Gleiches gilt im Ergebnis hinsichtlich des Verfügungsantrages zu 4, mit welchem der Verfügungsbeklagten die Fassadenreinigung mittels Hochdruckreiniger untersagt werden soll. Insoweit bedürfte es jedenfalls weitergehender Aufklärung, inwieweit eine im Eilverfahren relevante Besitzstörung besteht und noch andauert. Ausweislich der als Anlage BK 15 zur Akte gereichten Mieterinformation vom 30.8.2019 sollten die Arbeiten vom 30.8. bis zum 20.9.2019 durchgeführt werden. Sie dürften mithin bereits beendet sein, so dass auch aus diesem Grund eine Sachdienlichkeit der Antragserweiterung nicht bejaht werden kann.
3. Soweit die Verfügungskläger im Schriftsatz vom 19. September 2019 einen·Berufungsantrag hinsichtlich der begehrten Androhung eines Ordnungsgeldes gemäß § 890 Abs. 2 ZPO nicht mehr angekündigt und diesen auch zuvor in der mündlichen Berufungsverhandlung nicht gestellt haben, liegt insoweit – ebenso wie hinsichtlich des ursprünglich angekündigten Berufungsantrages zu 2) (Untersagung der Asbestsanierung) eine teilweise Rücknahme der Berufung nach § 516 Abs. 1 ZPO vor. Die Anordnung der Androhung des Ordnungsmittels kann jederzeit bei dem Prozessgericht des 1. Rechtszuges erneut beantragt werden.
4. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 516 Abs. 3, 708 Nummer 10, 713 ZPO.
5. Die Revision ist gemäß § 542 Abs. 2 ZPO nicht statthaft, so dass ein weitergehender Ausspruch insoweit nicht veranlasst ist.
25.02.2020