Interview mit Reiner Wild, Geschäftsführer des BMV, über Klimaziele, gesetzliche Vorgaben und die sozial gerechte Verteilung der Kosten der energetischen Sanierung.
Das Ziel ist klar: Wie in allen anderen Bereichen müssen wir auch bei Gebäuden und beim Wohnen aktiv werden, um die Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Damit Städte und Gemeinden auch in Deutschland bis 2050 klimaneutral werden, brauchen wir eine schnelle und drastische Reduktion der CO2-Emissionen.
Reiner Wild, was bedeutet das für Berlin und welche gesetzlichen Vorgaben gibt es für den Bereich Wohnen und Wohngebäude schon in der Stadt?
Der umfangreichen Debatte über den Klimaschutz stehen leider nicht im gleichen Maße die dringend notwendigen politischen Vorgaben und tatsächlichen CO₂-Reduktionen gegenüber. Deutschland ist weltweit der sechstgrößte CO₂-Emittent, doch in der Umsetzung der Klimaziele hängen wir hinter unseren Möglichkeiten zurück. Das gilt auch für den Gebäudebereich und das Wohnen. Bundesweit gehen mehr als ein Drittel aller CO₂-Emissionen auf das Konto der Gebäude, in Berlin sogar rund die Hälfte. Die energetische Modernisierungsrate für bestehende Wohngebäude liegt unter einem Prozent, sie müsste für die Erreichung der Klimaziele bei circa drei bis vier Prozent pro Jahr liegen. Die herkömmlichen Neubauten werfen uns klimatechnisch zurück. Das bisherige Konzept von informieren und fördern ist weitgehend gescheitert. Das Bundesbauministerium musste kürzlich zugestehen, dass es die Sektorziele des neuen Klimaschutzgesetzes nicht erreicht. Letztendlich ist hier wie bei der Corona-Pandemie ein gefährlich verkürzter Freiheitsbegriff „von Übel“. Ohne klare ordnungsrechtliche Vorgaben werden wir die Erde nicht retten. Wir brauchen dringend neben vielen anderen Maßnahmen ein Stufenmodell, mit dem Eigentümer verpflichtet werden, in Fünf-Jahresschritten Energieverbrauch und CO₂-Emissionen zu reduzieren.
Welche Erfahrungen liegen im BMV vor, wie private Eigentümer:innen aber auch die öffentliche Hand mit den bereits bestehenden gesetzlichen Vorgaben umgehen?
Schon 2010 haben wir dem damaligen Senat gemeinsam mit dem BUND und der IHK Berlin vorgeschlagen, Vermieter per Gesetz zu veranlassen, zu bestimmten Stichtagen Obergrenzen des Energieverbrauchs oder der CO₂-Emissionen einzuhalten. Der damalige Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hat das abgelehnt. Heute ist die Umsetzung rechtlich für das Land schwieriger, weil Berlin vermutlich keine Rechtskompetenz mehr für eine solche Klimaschutzregelung hat. Die bisherigen Rechtsvorschriften für den Klimaschutz in Wohngebäuden beziehen sich weitestgehend auf den Neubau – und sind da auch wenig engagiert. So wird zum Beispiel die Gesamtenergiebilanz inklusive CO₂-Aufwand bei Herstellung und Transport von Baumaterialien gar nicht einbezogen. Die Verbesserung des Klimaschutzes durch Maßnahmen in bestehenden Gebäuden scheitert immer wieder an einem veralteten Wirtschaftlichkeitsgebot. Faktisch gibt es wenig Vorgaben für die energetische Sanierung, von einer Steuerung der Qualität und Kontrolle des Erfolgs ganz zu schweigen. Wichtig ist aber auch, dass das Mietrecht sich nicht als Stimulator für den Klimaschutz eignet. Es muss Konsens sein, dass die Maßnahmen sozialverträglich ablaufen. Fehlt Eigentümern das notwendige Kapital für eine sozialverträgliche Maßnahme, muss der Staat mit öffentlichen Mitteln helfen.
Der größte Block an Maßnahmen zur energetischen Sanierung von Gebäuden scheint die Umstellung auf neue klimafreundliche Heizsysteme in Wohngebäuden zu sein. Was tut sich in dem Bereich?
Die Umstellung der Beheizung ist von zentraler Bedeutung. Ein „grünes“ Fernwärmenetz ist leider noch in weiter Ferne. Bei den gebäudebezogenen Heizanlagen gibt es immer noch viel zu viel Öl und Gas. Wer heute noch neue Heizungen mit fossilen Energieträgern betreibt, setzt definitiv aufs falsche Pferd. Allerdings sind Heizungsumstellungen auf erneuerbare Energien oft nur sehr schwer umzusetzen, vom Preis ganz zu schweigen. Solange aber auch neue Gasheizungen noch gefördert werden, braucht man sich über Fehlentwicklungen nicht zu wundern. Immerhin wird im Neubau heute bereits jede dritte Wohnung über eine Wärmepumpe beheizt.
Sozial gerecht, sozialökologisch – wie kann das gehen? Viele Mieter*innen in Berlin waren in der Vergangenheit bereits mit massiven Mietsteigerungen nach energetischen Modernisierungen konfrontiert. Im Gegenzug stellen wir leider fest, dass die Bemühungen energetisch zu sanieren stagnieren bzw. nicht in einem Ausmaß vorangehen, wie es die Klimaschutzziele aber eigentlich erfordern. Was muss hier passieren?
Faktisch finanziert der Eigentümer die Maßnahmen immer nur vor. Am Ende zahlt der Mieter auch die Investition in den Klimaschutz, es sei denn durch Fördermittel des Staates sinkt der umlagefähige Anteil. Im Grunde kommt es nur darauf an, in welcher Form man dem Eigentümer eine Refinanzierung seiner Investition erlaubt. Eine mehr als vier prozentige Umlage der Investitionskosten unter einem rund 30-prozentigem Instandsetzungsabschlag sollte es nach den Beschlüssen des BMV nicht geben. Sozialverträglich können Maßnahmen nur dann werden, wenn sie weitestgehend Warmmietenneutral sind. Ohne massive öffentliche Förderung wird das kaum gehen. Härtefallregelungen dürfen nur begrenzt zum Zuge kommen. Besser ist, die Mietenentwicklung so zu steuern, dass gar kein Härtefall entsteht.
Im BMV haben wir oft gesehen, dass lediglich Fassaden gedämmt und Fenster ausgetauscht wurden. Diesen Maßnahmen und den damit verbundenen Mietsteigerungen standen keine nennenswerten Einsparungen bei den Energiekosten gegenüber. Ist der Austausch einer Heizung vielversprechender?
Richtig ist, dass die Heizungserneuerung ein sehr wichtiger Baustein ist. Aber selbst beim Umstieg auf die Erneuerbaren muss Energie gespart werden. Um Wärmeverluste zu vermeiden, kommt man um die Dämmung kaum herum. Aber auch hier muss die Gesamtenergiebilanz berücksichtigt werden. Das führt sicher zu einem weiteren Preisschub. Trotzdem: Die heute geplanten Maßnahmen verbleiben über Jahrzehnte. Wir brauchen daher auch eine deutliche Qualitätssteigerung bei der Umsetzung. Und wir brauchen mehr Beteiligung der Mieter und Mieterinnen bei der energetischen Sanierung. Nur dann kann das Ganze auch für alle erfolgreich werden.
Was muss aus Sicht des BMV im Rahmen der derzeit stattfindenden Fortschreibung des Berliner Energie- und Klimaschutzprogramms (BEK) passieren, damit wir bei der Gebäudesanierung schneller vorankommen?
Berlin muss zuerst einmal bei seinen eigenen Immobilien gut vorankommen. Die Evaluation des BEK ist wichtig, aber eigentlich kennen wir die Ergebnisse schon. Die Erfahrungen mit dem ersten BEK zeigen, dass auf die vielen guten Ideen bislang nur sehr wenige Taten gefolgt sind. Ohne klare rechtliche Vorgaben von der Bundesebene wird das alles nicht genügen. Aber da sieht es bei der erwarteten Ampel-Koalition vermutlich nicht nur wegen der FDP mau aus. Manchmal hakt es auch an anderen Sektoren. Wenn wir zum Beispiel dem Wirtschaftsverkehr von Handwerken und Baufirmen keinen Vorrang gegenüber dem privaten Individualverkehr einräumen, haben wir auch hier unnötige Hemmnisse. Diesen Vorrang hat im Übrigen nach meiner Kenntnis die SPD im Rahmen des Berliner Mobilitätsgesetzes verhindert.
18.11.2021