Es ist ein herber Rückschlag für die soziale Stadtpolitik: Das Bundesverwaltungsgericht hat die Ausübung des Vorkaufsrechts in Milieuschutzgebieten nahezu unmöglich gemacht. Der Bund ist gefordert, das Baugesetzbuch schnell zu ändern.
Wenn ein Mietshaus zu einem Preis verkauft wird, der weit über dem Ertragswert der aktuellen Mieten liegt, ist zu befürchten, dass der neue Eigentümer vorhat, zur Refinanzierung seiner Investition die Mieten auf die eine oder andere Weise kräftig zu erhöhen oder Mietwohnungen in Eigentum umzuwandeln. In Milieuschutzgebieten haben die Bezirke in solchen Fällen regelmäßig ihr Vorkaufsrecht genutzt, um die Mieterschaft vor Verdrängung zu schützen. Dem hat das Bundesverwaltungsgericht am 9. November einen Riegel vorgeschoben: Die Annahme, dass ein Immobilienkäufer in Zukunft Mieter verdrängen könnte, reiche nicht aus, um das Vorkaufsrecht auszuüben.
Entschieden wurde über den Fall eines Hauses in der Heimstraße im Kreuzberger Milieuschutzgebiet Chamissoplatz. Hier besteht die Besonderheit, dass aufgrund einer früheren Modernisierungsförderung noch bis 2026 Sozialbindungen bestehen. Doch der Käufer hatte mit seiner Weigerung, eine Abwendungsvereinbarung zu unterschreiben, deutlich gemacht, dass er sich nicht an weitergehende Auflagen zum Schutz der Mieterschaft halten möchte.
„Die Entscheidung ist ein herber Schlag im Kampf gegen die Spekulation mit Wohnraum und gegen die Verdrängung von Menschen aus ihrer Nachbarschaft – nicht nur in Berlin, sondern auch in allen anderen Städten“, kommentiert Friedrichshain-Kreuzbergs Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne), der das Vorkaufsrecht bisher am entschlossensten genutzt hat. Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel (Linke) äußerte sich „fassungslos“ über das Urteil: „Das Gericht nimmt den Kommunen fast gänzlich die Möglichkeit, das Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten auszuüben. Das ist eine Katastrophe. Ein Instrument zur Sicherung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung ist damit so gut wie tot.“
Der Berliner Mieterverein (BMV) spricht von einer „bitteren Entscheidung“. „Wir fordern von der neuen Bundesregierung, dass sie umgehend das Baurecht korrigiert“, so BMV-Geschäftsführer Reiner Wild. Auch Schmidt und Scheel verlangen eine Änderung des Baugesetzbuches. Der Senator kündigte eine Bundesratsinitiative an. Der politische Wille müsste bei der künftigen Ampelkoalition vorhanden sein: Die schwarz-rote Bundesregierung hat erst im Juni das Baugesetzbuch geändert – ausdrücklich auch um das Vorkaufsrecht zu stärken.
Jens Sethmann
27.11.2021