In der Straße der Pariser Kommune leben rund 350 Menschen, die zur europäischen Gruppe der Rom:nja gehören. Sie legen großen Wert auf das gemeinsame Leben in ihrem Kiez. Doch jetzt ist ihr Zusammenleben massiv bedroht.
Der große graubraune Betonbau in der Straße der Pariser Kommune in Berlin-Friedrichshain ist das Zuhause einer Gemeinschaft aller Altersgruppen, der ihr Zusammenleben besonders wichtig ist. „Vor circa sechs Jahren hatte einer aus unserer Romn:ja-Community Kontakt zu dem Vermieter des Hauses, wodurch wir die Wohnung hier bekommen haben“, erzählt David, ein junger Mann Anfang 20, der in dem Haus lebt. So sei es gekommen, dass viele von ihnen hier in den zuvor leerstehenden Wohnungen ein Zuhause und eine Gemeinschaft fanden.
Verfallene Wohnungen und Schikane
Ein großes Problem ist, dass das Gebäude seit Jahren zerfällt. Wasserschäden, kaputte Heizkörper, marode Wasser- und Stromleitungen, die direkt nebeneinander verlegt wurden und eine ständige Kurzschlussgefahr bergen, machen den Mieter:innen das Leben schwer. Eine Familie musste bereits umziehen, weil das Bezirksamt ihre Wohnung für unbewohnbar erklärt hat und durch einen Vermietungswechsel droht jetzt sogar allen Bewohner:innen der Verlust ihres Zuhauses. Das Haus gehört nach einer Scheidung des ehemaligen Vermieters seit 2019 der ‘Str. der Pariser Kommune 20A-E UG’, deren Geschäftsführerin bereits mehrere Immobilien-Gesellschaften leitet.
Der Instandhaltungsstau im ehemaligen DDR-Plattenbau ist groß, auch die neue Vermieterin hat sich der dringend notwendigen Reparaturen und Instandsetzung nicht angenommen. Vielmehr kündigte sie bereits im vergangenen Jahr an, das Gebäude abreißen zu wollen und neue Baupläne für das Grundstück zu haben. Ein moderner Wohn- und Arbeitskomplex soll entstehen. Für die Bewohner:innen ist klar, dass ihnen darin sehr wahrscheinlich kein Platz zum Leben zur Verfügung stehen wird.
Der Eigentümerin war es einiges wert, die Mieter:innen loszuwerden: von ausbleibenden Reparaturen bis zum mutwilligen Entladen von Müll im Hinterhof. Das Berliner Bündnis gegen Antiziganismus und für Roma*-Empowerment (BARE) – das vor Ort wichtige soziale Arbeit leistet – berichtet, dass Mieten auf unterschiedlichste Konten eingezahlt werden sollten. Das entstandene Chaos führte zu Kündigungen, deren Durchsetzung nur mit einigem Aufwand von vielen helfenden Organisationen wie Gangway e.V. und RAA Berlin1 verhindert werden konnte.
Eine diskriminierte Hausgemeinschaft
In den Medien weckte der Wohnkomplex in den vergangenen Jahren mehrfach Aufmerksamkeit, wurde in der Boulevardpresse als „Schrottimmobilie“ und sozialer Brennpunkt beschrieben und machte im vergangenen Jahr durch einige Corona-Fälle Schlagzeilen. Die oft rassistisch aufgeladenen Berichte rücken die Gemeinschaft des Hauses in ein schlechtes Licht, obwohl die Bewohner:innen den mangelhaften Zustand des Hauses nicht verursacht haben. Die rund 350 in diesem Haus lebenden Mieter:innen können sich kaum dagegen zur Wehr setzen.
Romn:ja und Sinti:zze werden in Deutschland und anderen europäischen Ländern vielschichtig diskriminiert und erleben dies nicht nur auf dem Wohnungsmarkt. Sie werden regelmäßig beleidigt, angefeindet und/oder ausgebeutet, offizielle Statistiken zu diesem Problem gibt es nicht und nur selten werden die Fälle angezeigt. Georgi Ivanov vom transkulturellen Jugendverband Amaro Foro e.V. berichtet jedoch von einer Vielzahl diskriminierender Erfahrungen. Seit 2014 dokumentiert der Verein Fälle von Antiziganismus in allen Lebensbereichen, darunter auch im Wohnumfeld.
Hier kam und kommt es immer wieder vor, dass Vermieter:innen sich weigern, Wohnungen an Rom:nja- und Sinti:zze-Communities zu vermieten oder Mieter:innen von ihrer Nachbarschaft angefeindet oder gar angegriffen werden. Auch hinter dem Verhalten der Vermieterin in der Straße der Pariser Kommune sehen die Mieter:innen Antiziganismus. Ein strukturelles Problem, das die Situation zusätzlich verschärft. Berlins angespannter Wohnungsmarkt macht es der Community besonders schwer, andere Wohnungen zu bekommen.
Die Menschen sind gut vernetzt
Sie wollen eine langfristige Lösung und Wohnungen in ihrem Kiez in Friedrichshain, erklärt David. „Dass wir nicht auseinandergerissen werden und zusammenbleiben können. Unsere Solidarität geht bis über alle Grenzen, wir wertschätzen uns. Das Zusammenbleiben ist das allerwichtigste für uns.“ Die Gemeinschaft will die Möglichkeiten behalten, die sie sich selbst im Kiez aufgebaut haben, wobei sie auch die Unterstützung anderer Organisationen hatten, wie zum Beispiel vom Regenbogenhaus oder Gangway. „Damit haben wir uns verbunden, auch mit dem Jugendclub und vielen anderen Institutionen, mit Schulen und Kindergärten“, berichtet David. In einem anderen Stadtteil würden sie sich fremd fühlen, davon ist David überzeugt. „Wir sind Menschen mit Migrationshintergrund und es ist nicht überall wie in Kreuzberg oder Friedrichshain. Wir wollen dort leben, wo wir nicht seltsam angeschaut, ständig diskriminiert oder ausgegrenzt werden.“
Die Bewohner:innen brauchen Unterstützung
Auch BARE macht darauf aufmerksam, wie wichtig der Zusammenhalt und der Ort für die Gemeinschaft ist, und kritisiert den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg für sein fehlendes Eingreifen. So hätte der Bezirk wohl sein Vorkaufsrecht für das Haus geltend machen und die Wohnungen an kommunale Wohnungsbaugesellschaften überführen können. Hinweise auf die schlechte Situation habe es mehrfach gegeben. „Unser größter Wunsch wäre, dass die Politik endlich was macht. Wir fühlen uns gerade im Stich gelassen“, sagt David. „Eigentlich sind wir EU-Bürger:innen und haben ein Recht hier zu leben.“
In einer Mieter:innenversammlung versprach Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne), dass niemand ohne Wohnung dastehen werde. Ende Oktober teilte das Bezirksamt zunächst mit, dass für 16 Haushalte mit insgesamt 47 Bewohner:innen durch die Zusammenarbeit mit der Mieterberatung Asum GmbH2 bereits geeignete Umsetzwohnungen gefunden werden konnten. Doch den Bewohner:innen macht das nur wenig Mut und zusammenbleiben können sie so auch nicht. David hat weitere Bedenken: „Vielleicht finden wir hier keine Wohnung mit unbefristeten Verträgen. Vielleicht drei Jahre und dann können sie uns wieder rausschmeißen.“
Nach Angaben des Baustadtrats in Friedrichshain-Kreuzberg ist ein Planungsverfahren mit der Eigentümerin vereinbart worden. Diese Vereinbarung soll noch von einem Immobilienunternehmen unterschrieben werden, welches die Umgestaltung des Grundstücks übernimmt. Nach diesem Plan sollen die Bewohner:innen nach der Fertigstellung zu angemessenen Mietpreisen wieder einziehen dürfen. David und seine Community beruhigt das nicht: „Da vertrauen wir dem Plan und der Vermieterin nicht. Wir wollen eine langfristige Lösung und dass wir hier in unserem Kiez in einer Wohnung ohne Mängel untergebracht werden.“ Ein verändertes Verhalten der Vermieterin sei bislang trotz des Planungsverfahrens nicht erkennbar. „Kaputte Fenster unten im Eingang werden mit Platten abgedeckt. Ich will gar keine Freunde mehr zu mir einladen, damit sie nicht sehen, wie es hier aussieht“, sagt David.
Auch das Bündnis von BARE Berlin will erreichen, dass die Familien in ihrem Kiez zusammenbleiben können. Wir vom BMV unterstützen ihre Forderungen nach einer langfristigen Sicherheit für die Bewohner:innen. Das ist möglich durch unbefristete Mietverträge bei den erwähnten Umsetzwohnungen. Zudem muss der Bezirk sich gegen eine Rückzugsoption absichern: entweder durch den Kauf des Neubaus oder durch eine vertragliche Absicherung mit hohen Strafen bei Vertragsbruch. Und nicht zuletzt müssen die Mängel sofort beseitigt werden. Kaputte Heizungen und Fenster sind jetzt im Winter an jedem weiteren Tag eine Katastrophe!
1 Regionale Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie (RAA) e. V.
2 Angewandte Stadtforschung und Mieterberatung GmbH
17.12.2021