Nach über 50 Jahren und trotz schwerer Krankheit und Pflegebedürftigkeit soll eine Wilmersdorfer Mieterin wegen Eigenbedarfs ihre Wohnung verlassen. Der Eigentümer, Andreas Pichotta, ist bekannt als Geschäftsführer der Arcadia Estates, der die Gebäude in der Habersaathstraße 40-48 gehören. Dort gibt es eigentlich genug freie Wohnungen.
Seit 1969 wohnt die alte Dame in der Hektorstraße 20. Aufgrund der langen Wohndauer ist die Miete für die 130 Quadratmeter große Wohnung sehr günstig. 2010 wurde sie in Einzeleigentum umgewandelt und an Pichotta verkauft.
Im März 2021, kurz nach Ablauf der zehnjährigen Kündigungssperrfrist, kündigte Pichotta wegen Eigenbedarfs . Seine Tante, zu der er ein „inniges Verhältnis“ habe, brauche die Wohnung, weil sie derzeit im vierten Stock ohne Fahrstuhl wohne. Das „beschwerliche Treppensteigen“ würde in der neuen Wohnung für die 72-Jährige entfallen, heißt es in der Klageschrift. Doch die jetzige Mieterin – um einiges älter als besagte Tante – will keinesfalls ausziehen, und so hat Pichotta noch vor Ablauf der Kündigungsfrist Räumungsklage eingereicht. Eine andere, gleich gut geeignete Wohnung existiere nicht in seinem Eigentum, behauptet er.
Rechtsanwalt Christian Vandrey, der die Mieterin vertritt, ist optimistisch, dass die Klage abgewehrt werden kann. Die Begründung für den Eigenbedarf sei dürftig. Vor Gericht werden alle Angaben genau geprüft. Er hat für seine Mandantin Härtegründe geltend gemacht – unter anderem ihre schwere Krankheit und das hohe Alter. Das Gericht wird dann eine Abwägung zwischen den Interessen des Vermieters und der besonderen Härte, die ein Auszug für die Mieterin bedeuten würde, vornehmen.
In der Habersaathstraße 40-48 stehen fast 100 Wohnungen seit Jahren leer. Die verbliebenen Mieter haben kürzlich nach langem Kampf erreicht, dass der Bezirk Mitte in 54 der Wohnungen Obdachlose einweisen ließ – möglicherweise ein Pyrrhussieg für die Initiative „Leerstand-Hab-ich-Saath“. Der Einweisung hat auch der Eigentümer zugestimmt, er erwartet dafür im Gegenzug vom Bezirk ein Entgegenkommen bei seinen Abriss- und Neubauplänen. Um die unendliche Hängepartie zu beenden, signalisierte Mittes Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne): Wenn Arcadia Estates einen gewissen Anteil preiswerter Wohnungen in ihre Planung mit einbeziehe, könne er sich vorstellen, Abriss und Neubau zu genehmigen.
Birgit Leiß
27.03.2022